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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 RVs 17/14 OLG Hamm

Leitsatz: Es ist zwar anerkannt, dass eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung unter den gleichen Voraussetzungen wie jede Rechtsmittelbeschränkung grundsätzlich möglich ist. Dessen ungeachtet ist die Beschränkung im Einzelfall jedoch dann unzulässig, wenn zwischen der Aussetzungsfrage und der übrigen Straffrage eine untrennbare Wechselbeziehung besteht oder wenn beiden Entscheidungen im Wesentlichen inhaltsgleiche Erwägungen zugrunde liegen und deshalb ohne die Gefahr von Widersprüchen eine selbstständige Prüfung allein des angefochtenen Teils nicht möglich ist. Bei einer inneren Abhängigkeit der Strafaussetzungsentscheidung von der gesamten Straffrage kann daher eine Beschränkung der Revision allein auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung unzulässig und damit unwirksam sein.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Berufung, Beschränkung, Wirksamkeit, Gesamtstrafenbildung

Normen: StPO 318

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 17.06.2014 beschlossen

Das angefochtene Urteil wird mit den darin zum Rechtsfolgenausspruch getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und der Nebenklage, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

Gründe
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht I - Hagen hat den Angeklagten durch Urteil vom 13. März 2012 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 (Az.: 9 Ls 46 Js 286/07 - 33/10) und unter Auflösung der darin gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, wobei das Amtsgericht für die hier abgeurteilte Tat eine Einzelstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt hat. Das Amtsgericht Witten hatte in dem vorgenannten einbezogenen Urteil drei Monate der verhängten Strafe wegen überlanger Verfahrensdauer für verbüßt erklärt. Von der Einbeziehung der gegen den Angeklagten durch Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 23. April 2010 (Az.: 19 Cs 872 Js 375/09 - 417/09) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verhängten Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 35,- € hat das Amtsgericht Hagen gemäß § 53 Abs. 2 S. 2 StGB abgesehen.

Nach den in dem amtsgerichtlichen Urteil vom 13. März 2012 getroffenen Fest-stellungen erhielt der Angeklagte am 10. Februar 2010 von dem Zeugen und Nebenkläger y einen Brief mit beleidigendem Inhalt, der sich insbesondere gegen die Ehefrau und die Kinder des Angeklagten richtete. Aufgrund dieser Beleidigungen beabsichtigte der Angeklagte, sich an dem Zeugen y rächen und begab sich am 10. Februar 2010 in das Café E in der C-Straße in I, wo sich der Zeuge häufig aufhielt. Bei diesem ersten Aufsuchen traf er den Zeugen jedoch nicht an, so dass er am 11. Februar 2010 gegen 0.30 Uhr in der Hoffnung, den Zeugen dort anzutreffen, erneut zu dem Café fuhr, nunmehr in Begleitung eines unbekannt gebliebenen Mittäters. Vor dem Café wartete der gesondert verfolgte D, ein Schwager der Ehefrau des Angeklagten, den dieser zum Café bestellt hatte. Im Verlauf einer zunächst verbalen und heftigen Auseinandersetzung kündigte der Angeklagte dem Zeugen y mehrfach an, dass er umgebracht werde. Schließlich zog der unbekannt gebliebene Mittäter ein großes, macheteähnliches Messer mit einer Klingenlänge von 50 cm aus seinem Gürtel und schlug damit auf den Zeugen y ein, wobei er in Richtung Kopf oder Oberkörper zielte. Einen entsprechenden Treffer konnte der Zeuge jedoch abwenden, indem er auswich und seine Arme nach oben riss. Hierdurch landete der Schlag mit dem Messer in der rechten Innenhand des Zeugen und verursachte dort eine tiefe, 6 cm lange Hiebwunde, die heftig blutete, und anschließend im Krankenhaus mit 12 Stichen genäht werden musste. Auch nach dem Schlag äußerte der Angeklagte gegenüber dem Zeugen y: "Wir bringen dich um". Zu einer weiteren Attacke mit dem Messer kam es jedoch nicht mehr, da der unbekannt gebliebene Mittäter durch den gesondert verfolgten D und andere Gäste abgedrängt wurde. Die Verletzungen des Zeugen sind zwischenzeitlich weitgehend folgenlos ausgeheilt, es besteht jedoch weiterhin ein Taubheitsgefühl in dessen Hand.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und sein Rechtsmittel in der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Hagen mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruches beschränkt.

Die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen hat mit dem angefochtenen Urteil vom 19. November 2013 unter Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Übrigen den Rechtsfolgenausspruch des amtsgerichtlichen Urteils aufgehoben und neu gefasst. Der Angeklagte ist unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden, von denen das Landgericht Hagen drei Monate wegen überlanger Dauer des dem einbezogenen Urteil vom 5. Januar 2011 zugrunde liegenden Verfahrens für vollstreckt erklärt hat. Die Berufungskammer ist von einer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung ausgegangen und hat für die vom Amtsgericht festgestellte Tat eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe hat die Kammer zur Bewährung ausgesetzt. An einer "grundsätzlich möglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB mit der Geldstrafe aus der Vorverurteilung durch das Amtsgericht Hagen vom 23. April 2010 (Az.: 90 Cs 872 Js 375/09 - 417/09)" hat sich die Kammer "jedenfalls" aufgrund des Verschlechterungsverbotes des § 331 Abs. 1 StPO gehindert gesehen, da das Amtsgericht Hagen in dem erstinstanzlichen Urteil von einer Einbeziehung dieser Geldstrafe nach § 53 Abs. 2 S. 2 StGB abgesehen hatte. Feststellungen zu den den einbezogenen Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 zugrunde liegenden Taten und zum Vollstreckungsstand der gegen den Angeklagten am 23. April 2010 verhängten Geldstrafe sind dem angefochtenen Berufungsurteil nicht zu entnehmen.

Gegen dieses ihr am 9. Dezember 2013 zugestellte Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Hagen mit der auf die materielle Rüge gestützten und rechtzeitig am

20. November 2013 eingelegten Revision, welche sie mit Verfügung vom 17. Dezember 2013, bei dem Landgericht Hagen eingegangen am 23. Dezember 2013, näher begründet hat. In ihrer Revisionsbegründungsschrift rügt die Staats-

anwaltschaft "insbesondere die Verletzung des § 56 StGB" und führt hierzu aus, dass die Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe von mehr als zwei Jahren, wie hier geschehen, einen Verstoß gegen § 56 Abs. 2 StGB darstelle. Für die in § 56 Abs. 2 StGB bestimmte Strafobergrenze sei das Maß der erkannten Strafe und nicht ein nach Anrechnung oder Kompensation verbleibender Strafrest maßgebend.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm ist der Revision der Staatsanwaltschaft mit näheren Ausführungen beigetreten und hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückzuverweisen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Revision der Staatsanwaltschaft Hagen hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den darin zum Rechtsfolgenausspruch getroffenen Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen.

1.

Die vom Revisionsgericht von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob das Landgericht zu Recht von einer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung ausgegangen ist und deshalb von eigenen Tatfeststellungen absehen konnte, ergibt, dass diese Beschränkung der Berufung des Angeklagten nach § 318 StPO wirksam war. Die vom Amtsgericht Hagen in dem erstinstanzlichen Urteil vom 13. März 2012 getroffenen Tatfeststellungen bilden eine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl.,

§ 318 Rdnr. 16). Aus ihnen geht insbesondere noch ausreichend deutlich hervor, dass der unbekannt gebliebene Mittäter aufgrund eines gemeinsamen Tatent-

schlusses und in Absprache mit dem Angeklagten im arbeitsteiligen Zusam-

menwirken mit diesem mittels eines macheteähnlichen Messers als gefährliches Werkzeug auf den Zeugen und Nebenkläger einschlug und diesen dabei, wie von dem Angeklagten und seinem Mittäter beabsichtigt, nicht unerheblich verletzte.

2.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist innerhalb des Rechtsfolgenausspruches nicht auf die Strafaussetzung zur Bewährung als solche beschränkt, sondern gegen den gesamten Rechtsfolgenausspruch einschließlich der Bemessung der Einzelstrafe gerichtet. Dies ergibt sich aus Folgendem:

In der Revisionsbegründungsschrift, in der die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben wird, ist ausgeführt, dass "insbesondere" die Verletzung des § 56 StGB gerügt wird. Für einen gegen den gesamten Rechtsfolgenausspruch gerichteten Revisionsangriff der Staatsanwaltschaft spricht auch der in der Revisionsbegründungsschrift formulierte (uneingeschränkte) Antrag auf Aufhebung des Berufungsurteils, dem sich die Generalstaatsanwaltschaft Hamm mit ihrem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch angeschlossen hat.

Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen wäre eine Beschränkung der Revision auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung vorliegend auch unzulässig und damit unwirksam. Es ist zwar anerkannt, dass eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung unter den gleichen Voraus-setzungen wie jede Rechtsmittelbeschränkung grundsätzlich möglich ist (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 24. Januar 2007 - 2 St OLG Ss 180/06 -, [...], Rdnr. 9; BGH, Urteil vom 6. April 1982 - 4 StR 666/81 -, [...], Rdnr. 2; Meyer-Goßner, a.a.O., § 318 Rdnr. 20 a m.w.N.). Dessen ungeachtet ist die Beschränkung des Rechts-mittels auf die Frage der Strafaussetzung jedoch im Einzelfall dann unzulässig, wenn zwischen der Aussetzungsfrage und der übrigen Straffrage eine untrennbare Wechselbeziehung besteht oder wenn beiden Entscheidungen im Wesentlichen inhaltsgleiche Erwägungen zugrunde liegen und deshalb ohne die Gefahr von Widersprüchen eine selbstständige Prüfung allein des angefochtenen Teils nicht möglich ist. Das ist namentlich dann der Fall, wenn bestimmte Feststellungen - etwa zu Vorstrafen - doppelrelevant sind und sich der Rechtsmittelführer nach dem erkennbaren Sinn und Ziel seines Rechtsmittels gegen diese Feststellungen wendet und deshalb die Gefahr besteht, dass die (stufenweise) entstehende Gesamt-entscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben würde (vgl. OLG Nürnberg, a.a.O., Rdnr. 10). Aufgrund der Ausführungen der Kammer in dem angefochtenen Urteil ist hier nicht auszuschließen, dass die Bemessung der Einzel- und Gesamtfreiheitsstrafe von der unzutreffenden Annahme der Kammer beeinflusst worden ist, dass bei einer Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrens-verzögerung im Wege der Vollstreckungslösung in dem hier festgelegten Umfang von drei Monaten die Aussetzung der Vollstreckung (des dann verbleibenden Restes) einer Gesamtfreiheitsstrafe von maximal zwei Jahren und drei Monaten möglich ist. Aufgrund dieser hier bestehenden inneren Abhängigkeit der Strafaussetzungsentscheidung von der gesamten Straffrage wäre eine Beschränkung der Revision allein auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung unzulässig und damit unwirksam.

3.

Das angefochtene Urteil, das sich im Hinblick auf die wirksame Berufungsbeschränkung zu Recht nur über den Rechtsfolgenausspruch verhält, hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht Stand. Zum einen weist die vom Landgericht vorgenommene Gesamtstrafenbildung Fehler auf, auf denen das Berufungsurteil beruht. Dieser Fehler bei der Gesamtstrafenbildung hat sich auch auf den Einzelstrafenausspruch ausgewirkt. Zudem ist die Strafaussetzung zur Bewährung gesetzwidrig erfolgt.

a)

Die vom Landgericht vorgenommene nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 ist schon deshalb fehlerhaft, weil sich dem angefochtenen Urteil der Vollstreckungsstand des darin ebenfalls erwähnten Strafbefehls des Amtsgerichts Hagen vom

23. April 2010 nicht entnehmen lässt. Soweit die Kammer von einer "grundsätzlich möglichen nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB mit der Geld-

strafe aus der Vorverurteilung durch das Amtsgericht Hagen vom 23. April 2010" abgesehen und statt dessen die Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 einbezogen hat, ist zu besorgen, dass sie die mögliche Zäsurwirkung der Verurteilung vom 23. April 2010 missachtet hat. Die Anwendung des § 55 StGB erfolgt nach den Regeln der §§ 53, 54 StGB. Der Täter soll bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung weder besser noch schlechter gestellt werden, als er gestanden hätte, wenn die neu abzuurteilende Tat zum Zeitpunkt der früheren Verurteilung dem damaligen Tatrichter bekannt gewesen wäre. Deshalb entfaltet eine unerledigte

Verurteilung eine Zäsurwirkung (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 55 Rdnr. 9). Die Zäsurwirkung einer auf Geldstrafe lautenden unerledigten Vorverurteilung entfällt nicht schon dann, wenn in der neuen oder einer früheren Gesamtstrafenentscheidung gemäß § 53 Abs. 2 S. 2 StGB von der Einbeziehung abgesehen worden ist oder hätte abgesehen werden können (vgl. Fischer, a.a.O., § 55 Rdnr. 9 a). An der (bei fehlender Erledigung) grundsätzlich möglichen Einbeziehung der Geldstrafe vom 23. April 2010, jedenfalls aber an der Beachtung der von dieser Verurteilung dann ausgehenden Zäsurwirkung war die Kammer entgegen ihrer Auffassung nicht von vornherein durch das Verbot der "reformatio in peius" nach § 331 Abs. 1 StPO gehindert. Das Berufungsgericht kann eine von § 55 StGB geforderte, aber erstinstanzlich unterbliebene Gesamtstrafenbildung grundsätzlich nachholen, selbst

wenn dies zum Verlust einer bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung führt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 331 Rdnr. 7). Hat der erste Richter es allerdings, wie hier das Amtsgericht Hagen, nach sachlicher Prüfung abgelehnt, aus einer Geld- und einer Freiheitsstrafe nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden, hat er zu dieser Frage mithin eine bewusste Entscheidung getroffen, dann hat es bei alleiniger Berufung des Angeklagten damit sein Bewenden. Dem Rechtsmittelgericht ist es in einem solchen Fall durch das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO verwehrt, die Entscheidung des ersten Richters insoweit zu korrigieren; denn da Freiheitsstrafe im Verhältnis zu Geldstrafe als das schwerere Strafübel anzusehen ist, würde der Angeklagte durch die mit einer Erhöhung der Freiheitsstrafe ver-

bundene Einbeziehung einer Geldstrafe gegenüber dem Rechtszustand im Zeitpunkt des ersten Urteils eine Verschlechterung erfahren (BGH, Beschluss vom 11. Februar 1988 - 4 StR 516/87 -; BGHSt 35, 208, 215; Fischer, a.a.O., § 55 Rdnr. 20 m.w.N.). Ist die einzubeziehende Strafe hingegen erledigt, entfällt die Zäsurwirkung. Hierdurch kann die Möglichkeit der Bildung einer bisher etwa ausgeschlossenen Gesamtstrafe - hier mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 - eröffnet sein. Daraus ergibt sich für die Gesamtstrafenbildung in der Be-

rufungsinstanz im vorliegenden Fall Folgendes:

aa)

War die Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 23. April 2010 im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils unerledigt (worüber sich das für die revisionsgerichtliche Überprüfung allein maßgebliche Berufungsurteil nicht verhält), so war das Tatgericht, was bereits das Amtsgericht Hagen bei seiner Gesamtstrafenbildung verkannt hat, materiell-rechtlich an einer Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 aufgrund der dann eingetretenen Zäsurwirkung des Strafbefehls als früherer (erster) Verurteilung gehindert. Im Hinblick darauf, dass allein der Angeklagte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen eingelegt

hatte und deshalb zu seinen Gunsten das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO in der Weise greift, dass ihm ein durch eine fehlerhafte Gesamtstrafenbildung nach sachlicher Prüfung erwachsener Vorteil nicht mehr genommen werden darf, war für diesen Fall dem Berufungsgericht die Möglichkeit versperrt, aus der (möglicherweise unerledigten) Geldstrafe von 15 Tagessätzen aus dem Strafbefehl vom 23. April 2010 und der erkannten Einzelfreiheitsstrafe für die vorliegende Tat vom

11. Februar 2010 eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden. Dies bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass es auch im Übrigen bei der (bei Nichterledigung der Geldstrafe vom 23. April 2010 im Hinblick auf die dann zu berücksichtigende Zäsurwirkung) fehlerhaften Gesamtstrafenbildung durch Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 unter Auflösung der darin gebildeten Gesamtstrafe in der Berufungsinstanz verbleiben musste bzw. muss. Wenn auf ein alleiniges Rechtsmittel des Angeklagten - wie hier seine Berufung - eine in erster Instanz fehlerhaft gebildete Gesamtstrafe aus materiell-rechtlichen Gründen aufgehoben bzw. aufgelöst werden muss, so ist dem Verschlech-

terungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO in der Weise Rechnung zu tragen, dass die Summe der Strafen nicht höher als die frühere Gesamtstrafe (hier von zwei Jahren und sechs Monaten) sein darf (vgl. Fischer, a.a.O., § 55 Rdnr. 19; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1990 - 2 StR 513/90 -, zitiert nach [...], Rdnr. 5). Die Kammer hätte daher bei ihrer Entscheidung zum Strafausspruch die vom Amtsgericht Witten mit Urteil vom 5. Januar 2011 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat, von welcher nach Anwendung der Vollstreckungslösung wegen überlanger Verfahrensdauer drei Monate für verbüßt erklärt worden ist, auch unter diesem Gesichtspunkt bei der Bemessung der Einzelstrafe für die hier in Rede stehende Tat vom 11. Februar 2010 berücksichtigen müssen. Bringt man die aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten nach Abzug der für vollstreckt erklärten drei Monate noch verbleibenden 10 Monate von der vom Amtsgericht Hagen erst-

instanzlich unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten in Abzug, so hätte die Kammer ohne Verstoß gegen § 331 Abs. 1 StPO für die Tat vom 11. Februar 2010 eine Strafe von bis zu 20 Monaten verhängen dürfen. Da sich nicht ausschließen lässt, dass die Kammer (bei möglicherweise hier noch nicht eingetretener Erledigung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 23. April 2010) bei einer dann in der beschriebenen Weise rechtlich gebotenen Gesamt-

strafenbildung für die hier in Rede stehende Tat der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung statt der festgesetzten Einzelstrafe von einem Jahr sechs Monate eine höhere Einzelstrafe (bis zu maximal einem Jahr acht Monate) verhängt hätte, berührt der Fehler bei der Gesamtstrafenbildung auch den Einzelstrafen-

ausspruch, der damit ebenfalls der Aufhebung unterliegt. Die Vollstreckung einer solchen (Einzel-)Strafe hätte von der Kammer unter den Voraussetzungen des § 56

StGB zur Bewährung ausgesetzt werden können. Der aufgezeigte, im Hinblick auf die mögliche Zäsurwirkung der Verurteilung vom 23. April 2010 nach den insoweit lückenhaften Feststellungen des Landgerichts nicht auszuschließende Fehler bei der Gesamtstrafenbildung kann in der neuen Verhandlung und Entscheidung ohne Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot korrigiert werden. § 358 Abs. 2 StPO gilt, da allein die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, vorliegend nicht. Der Angeklagte darf durch die neu zu treffende Entscheidung der dann zuständigen Berufungskammer im Ergebnis nicht schlechter gestellt werden als durch das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 13. März 2012, aber schlechter als durch das ange-

fochtene Berufungsurteil der Kammer vom 19. November 2013.

bb)

Wenn die Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 23. April 2010 im Zeitpunkt der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Berufungshauptverhandlung hingegen erledigt war, so entfiele die Zäsurwirkung dieser Verurteilung, so dass eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 unter Auflösung der darin gebildeten und noch unerledigten Gesamtfreiheitsstrafe - wie vom Amtsgericht und von der Kammer vorgenommen - möglich und rechtlich geboten wäre. Für die neue Berufungshauptverhandlung weist der Senat für diesen Fall vorsorglich darauf hin, dass der zwischenzeitliche Ablauf der Bewährungszeit aus dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 14. Januar 2014 die Auflösung der darin gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe und die Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen nicht hindert, selbst wenn diese (Gesamt-)Freiheitsstrafe zwischen-zeitlich erlassen sein sollte. Verweist das Revisionsgericht zur Bildung einer Gesamtstrafe an die Vorinstanz zurück, so hindert die nach Erlass des in der Revisionsinstanz aufgehobenen Urteils eingetretene Erledigung der einzu-beziehenden Strafe die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht, da diese nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der vorausgegangenen letzten Tatsachenverhandlung (hier: 19. November 2013) zu erfolgen hat (vgl. Fischer, a.a.O., § 55 Rdnr. 6 a; BGH, Beschluss vom 17. Juni 2009 - 2 StR 180/09 -, zitiert nach [...], Rdnr. 8).

Auch für den Fall, dass die Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 23. April 2010 zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung am 19. November 2013 erledigt und die in dem angefochtenen Urteil vorgenommene Gesamtstrafen-bildung damit nach den §§ 53 - 55 StGB vom Ansatz her zutreffend war, weist die

Gesamtstrafenbildung in der konkret vorgenommenen Weise jedoch Rechtsfehler auf. Das angefochtene Urteil leidet insoweit an einem (weiteren) Darstellungsmangel, weil in den Urteilsgründen weder die dem einbezogenen Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 und den darin festgestellten Einzeltaten zugrunde liegenden Sachverhalte, noch die für die Bemessung der dortigen Einzelstrafen wesentlichen Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts Witten mitgeteilt werden. Die Wiedergabe lediglich der Anzahl und Höhe der einbezogenen Einzelstrafen reicht insoweit nicht aus. Ohne zusätzliche Mitteilung der zugrunde liegenden Sachverhalte und wesentlichen Strafzumessungserwägungen des diese Einzelstrafen in dem angefochtenen Urteil festsetzenden Gerichts wird das Revisionsgericht nicht in die Lage versetzt, die Bemessung der neu gebildeten Gesamtstrafe auf Rechtsfehler zu überprüfen (vgl. Fischer, a.a.O., § 55 Rdnr. 17; BGH, Urteil vom 23. Mai 2013

- 4 StR 70/13 -, zitiert nach [...], Rdnr. 3 m.w.N.). Der bei der Gesamtstrafenbildung hier vorgenommene "Abzug" von drei Monaten im Rahmen der Vollstreckungslösung zur Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verzögerung des dem einbezogenen Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 zugrunde liegenden Verfahrens nach den vom Bundesgerichtshof, Großer Senat für Strafsachen, in seinem Beschluss vom 17. Januar 2008 - GsSt 1/07 - entwickelten Maßstäben (ver-öffentlicht in BGHSt 52, 124), wie er bereits im Urteil des Amtsgerichts Witten vom 5. Januar 2011 vorgenommen worden ist, begegnet, worauf vorsorglich hingewiesen wird, für sich gesehen allerdings keinen rechtlichen Bedenken (zur Vollstreckungs-lösung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung vgl. Fischer, a.a.O., § 46 Rdnr. 138).

b)

Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils ist zudem auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht entgegen § 56 Abs. 2 S. 1 StGB die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von insgesamt zwei Jahren und drei Monaten zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach § 56 Abs. 2 StGB kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 StGB auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Freiheitsstrafen (auch Gesamtfreiheitsstrafen) von mehr als zwei Jahren dürfen danach nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Für die Strafhöhe bzw. Strafobergrenze ist das Maß der erkannten Strafe maßgebend, nicht ein nach Anrechnung verbleibender Rest (Fischer, a.a.O., § 56 Rdnr. 2 a; BGHSt 5, 377). Dies gilt nach

§ 58 Abs. 1 StGB auch für eine Gesamtstrafe. Auch ein hier vorgenommener Abzug eines Teils der verhängten (Gesamt-)Freiheitsstrafe zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im Wege der Vollstreckungslösung in der Weise, dass nach Abzug des als verbüßt geltenden Teils der dann noch verblei

bende Rest der Freiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt, eröffnet nicht die Möglichkeit, die erkannte Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen (vgl. BGHSt 52, 124 - 148, zitiert nach [...], Rdnr. 44). Aufgrund der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten war somit für eine Strafaussetzung nach § 56 StGB kein Raum.

4.

Nach alledem war das angefochtene Urteil, welches sich aufgrund der wirksamen Berufungsbeschränkung zu Recht nur zum Rechtsfolgenausspruch verhält, insgesamt mit den darin zum Rechtsfolgenausspruch getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision und die dadurch dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Aus-lagen zu befinden hat.



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