Aktenzeichen: 3 RVs 65/14 OLG Hamm |
Leitsatz: 1. Die Entscheidung über die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des jeweils unter Suchtdruck handelnden Angeklagten beruht auf denselben Gesichtspunkten wie die Feststellung eines Hanges, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen bei der Entscheidung über die Anwendung des § 64 StGB. Damit sind diese Feststellungen doppelrelevant, womit eine rechtlich und tatsächlich selbständige Beurteilung der angegriffenen Entscheidung über die Strafzumessung nicht losgelöst von der Entscheidung über die Unterbringung gemäß § 64 StGB möglich ist. 2. Auch die für die Entscheidung über die Nichtgewährung der Strafaussetzung anzustellende Sozialprognose wird ganz maßgeblich davon beeinflusst, ob der Angeklagte seine Suchtmittelabhängigkeit erfolgreich überwunden hat oder nicht. Die Entscheidung hierüber beruht ihrerseits auf identischen Erwägungen wie die zur Täterprognose gemäß § 64 StGB. Damit sind auch diese Feststellungen in gleicher Weise doppelrelevant, womit auch eine selbständige Beurteilung der angegriffenen Entscheidung über die Versagung der Strafaussetzung nicht unabhängig von der über die Unterbringung gemäß § 64 StGB möglich ist (Anschluss an BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012, 2 StR 29/12). Tenor: |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Hang, Unterbringung, Entziehungsanstalt, Bewährung |
Normen: StGB 64; StPO 267 |
Beschluss: Strafsache In pp. hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 11.09.2014 beschlossen: 1.Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, a) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist; b) im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen. Gründe Das Amtsgericht Schöffengericht Detmold hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Detmold mit der Maßgabe verworfen, dass die Gesamtfreiheitsstrafe auf ein Jahr und fünf Monate herabgesetzt wird. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom 11. Februar 2014 dieses Urteil, soweit es die Verurteilung wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen betrifft, und im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben. Darüber hinaus hat es die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen, womit die vom Landgericht Detmold verhängte Einzelstrafe wegen Besitzes von Betäubungsmitteln rechtskräftig geworden ist. Mit dem nunmehr angegriffenen Urteil hat das Landgericht Detmold das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Schöffengericht Detmold dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Diebstahls in zwei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt wird. Die zulässig erhobene und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision, die sich ausdrücklich nicht dagegen richtet, dass die Kammer die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht geprüft und demgemäß die Unterbringung des Angeklagten in einer Enziehungsanstalt nicht angeordnet hat, führt zur Aufhebung des Urteils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang. Im Übrigen ist sie unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. I. Nach den Feststellungen des Landgerichts begann der Angeklagte im Alter von 13 oder 14 Jahren verstärkt Bier zu trinken. Mit 18 probierte er Marihuana, was ihm nicht besonders zusagte. Vom 20. bis zum 26. Lebensjahr war er nach seinen Angaben clean, begann dann etwa im Jahr 2010 jedoch Heroin zu rauchen. Eine stationäre Rauschgifttherapie im Rahmen einer Zurückstellung gemäß § 35 BtMG im Anschluss an eine Verurteilung im November 2010 brach er bereits nach einem Tag ab. Nach seinen Angaben sei er seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft Ende Oktober 2013 clean geblieben, verspüre allerdings wieder verstärkten Suchtdruck. Er beabsichtige die Durchführung einer stationären Therapie. Die beiden Diebstahlsdelikte, zu deren Ausführung er jeweils eine Haustür aufbrach, beging der Angeklagte zur Finanzierung seiner Heroinabhängigkeit; er beabsichtigte, die erbeutete Ware zu verkaufen und sich von dem Erlös Heroin zu verschaffen. Kurz vor der ersten Tat am 23. oder 24. Mai 2013 hatte er Heroin geraucht. Die Strafkammer hat im Rahmen der Strafzumessung zwar jeweils den verschärften Strafrahmen des § 243 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt, diesen aber über die §§ 21 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Letzteres geschah ausdrücklich aufgrund des Umstandes, dass der Angeklagte sich möglicherweise infolge seiner Heroinabhängigkeit und des jeweils zuvor konsumierten Heroins in einem Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB befand. II. 1. Der Senat hat die Wirksamkeit der Beschränkung der Revision von Amts wegen zu prüfen. Die grundsätzlich zulässige Beschränkung der Revision ist vorliegend unwirksam, soweit die Nichtanwendung des § 64 StGB von ihr ausgenommen worden ist. Die Entscheidung über die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des jeweils unter Suchtdruck handelnden Angeklagten beruht auf denselben Gesichtspunkten wie die Annahme/Nichtannahme eines Hanges, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen bei der Entscheidung über die Anwendung des § 64 StGB. Damit sind diese Feststellungen doppelrelevant, womit eine rechtlich und tatsächlich selbstständige Beurteilung der angegriffenen Entscheidung über die Strafzumessung nicht losgelöst von der Entscheidung über die Unterbringung gemäß § 64 StGB möglich ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318, Rn. 6). Darüber hinaus drängt es sich auf, dass auch die für die Entscheidung über die Nichtgewährung der Strafaussetzung anzustellende Sozialprognose ganz maßgeblich davon beeinflusst wird, ob der Angeklagte seine Suchtmittelabhängigkeit erfolgreich überwunden hat oder nicht. Die Entscheidung hierüber beruht ihrerseits auf identischen Erwägungen wie die zur Täterprognose gemäß § 64 StGB. Damit sind auch diese Feststellungen in gleicher Weise doppelrelevant, womit auch eine selbstständige Beurteilung der angegriffenen Entscheidung über die Versagung der Strafaussetzung nicht unabhängig von der über die Unterbringung gemäß § 64 StGB möglich ist (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012, 2 StR 29/12; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 64, Rn. 29). 2. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. a) Das Landgericht hat sich rechtsfehlerhaft nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob bei dem Angeklagten eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB neben der Freiheitsstrafe anzuordnen war. Die von der Strafkammer angeführten Umstände legen einen Hang zum Missbrauch von Betäubungsmitteln im Sinne dieser Vorschrift nahe. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung eine stationäre Therapie selbst beabsichtigt hat, erscheint eine solche auch nicht von vornherein aussichtslos. b) Die unterlassene Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB führt auch zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch. Der Senat kann schon nicht ausschließen, dass die Freiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre, hätte die Strafkammer die Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Denn die Unterbringung kann sich im Einzelfall wie ein zusätzliches Strafübel auswirken und deshalb Rückwirkungen auf die Bemessung der Höhe der Strafe haben. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als dass die Dauer der Unterbringung die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe unter Umständen übersteigen kann. 3. Die Sache bedarf daher insoweit unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neuer Verhandlung und Entscheidung. Ergänzend bemerkt der Senat, dass die Abhängigkeit von Drogen für sich gesehen keine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit begründet (BGH, Beschluss vom 12. März 2013, 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519). Eine rechtlich erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ist bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa wenn langjähriger Missbrauch zu schwersten Persönlichkeitsänderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, oder unter Umständen, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rausches verübt (BGH, aaO). In Ausnahmefällen kann auch die Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen, die der Angeklagte schon einmal als äußerst unangenehm (intensivst oder grausamst) erlitten hat, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit führen (BGH, Urteil vom 20. August 2013, 5 StR 36/13, NStZ-RR 2013, 346). Feststellungen, die die Annahme einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit und damit die Milderung des Strafrahmens gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB rechtfertigen können, enthält die angegriffene Entscheidung nicht. |
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