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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 367/14 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Gewährung von Begleitausgängen in der Sicherungsverwahrung.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Gewährung von Begleitausgängen, Sicherungsverwahung

Normen: SVVollzG 53

Beschluss:

Sicherungsverwahrungsvollzugssache
betreffend den Sicherungsverwahrten pp.
zur Zeit in der JVA Werl,
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörden
(hier: Gewährung von Begleitausgängen).
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 25.06.2014 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 20.05.2014 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30.09.2014 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht einstimmig beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung — auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens — an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Arnsberg zurückverwiesen.

Gründe
Der Betroffene befindet sich im Vollzug der Sicherungsverwahrung in der JVA Werl. Am 27.11.2013 beantragte er die Bewilligung von Begleitausgängen mit seiner Familie. Der Leiter der JVA Werl lehnte dies mit Bescheid vom 17.03.2014 ab. Nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses wurde dies damit begründet, dass nach dem aktuellen Behandlungsstand kein Begleitausgang angezeigt sei. Auch seien keine vollzugsöffnende Maßnahmen nach § 53 Abs. 2 SVVollzG NW zur Erreichung der Vollzugsziele zu gewähren. Nach dem zur Frage der Legalprognose des Betroffenen eingeholten Gutachten des Sachverständigen Barth vom 16.08.2013 hätten vollzugsöffnende Maßnahmen aus psychologischer Sicht nicht befürwortet werden können. Es sei für erforderlich erachtet worden, dass der Betroffene sich mit seinem Alkohol- und Drogenkonsum auseinandersetze und seine Veränderungsbereitschaft ggf. auch in einer sozialtherapeutischen Abteilung unter Beweis stelle, bevor weitere Lockerungsmaßnahmen einen therapeutischen Anreiz bieten könnten.
Den gegen diesen Bescheid eingelegten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Der Vollzugsbehörde stehe bei der Beurteilung der Bewilligung von Lockerungen und einer der Bewilligung entgegenstehenden Flucht- oder Missbrauchsgefahr ein Ermessensspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt über-prüfbar sei. Hier seien die Abstinenzbereitschaft, die Deliktsaufarbeitung und die Rückfallprophylaxe noch nicht so weit fortgeschritten, dass Begleitausgänge gewagt werden könnten. Da diese Begleitausgänge zur Erreichung des Vollzugsziels im jetzigen Stadium auch therapeutisch nicht erforderlich seien, habe der Antragsteller den Antrag zu Recht zurückgewiesen.

Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Der Betroffene sieht den Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts als gegeben an. In der Sache meint er, dass es — entgegen der Ansicht der Justizvollzugsanstalt und der Strafvollstreckungskammer — nicht Voraussetzung für die Bewilligung vollzugsöffnender Maßnahmen sei, dass diese der Erreichung der Vollzugsziele dienen müssten. Auch sei hier eine — erforderliche — konkrete Flucht- oder Missbrauchsgefahr nicht hinreichend begründet worden. Diese Handhabung verstoße gegen Verfassungsrecht. Das Minimierungsgebot gebiete, dass Untergebrachte nur solchen Einschränkungen unterworfen werden, die zur Sicherung unabdingbar seien. Lockerungen seien hingegen keine Vergünstigungen für angepasstes Verhalten.
Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde für zulässig und begründet. Es meint, die Strafvollstreckungskammer habe verkannt, dass § 53 Abs. 2 SVVollzG keinen Ermessensspielraum auf Rechtsfolgensseite sondern nur einen Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite eröffne.
Die — auch im Übrigen zulässig erhobene — Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts nach § 116 StVollzG zuzulassen, da der Senat nunmehr erstmalig Gelegenheit hat, zur Auslegung der noch jungen Vorschrift des § 53 Abs. 2 SVVollzG Stellung zu nehmen. Hingegen kam eine Zulassung wegen einer Verletzung rechtlichen Gehörs wegen fehlender Übersendung einer Seite der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt an den Betroffenen vor Entscheidung durch die Strafvollstreckungskammer nicht in Betracht. Ungeachtet der Frage, ob dies überhaupt gerügt werden soll (ausdrücklich ist dies nicht geschehen), wäre die Rüge jedenfalls nicht in einer die Begründungsanforderungen des § 118 Abs. 2 StVollzG erfüllenden Art und Weise erhoben worden. Der Betroffene hat jedenfalls nicht mitgeteilt, was er im Falle der rechtzeitigen Gewährung rechtlichen Gehörs (bzgl. dieser einen Seite) vorgebracht hätte.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss verstößt gegen § 53 Abs. 2 SVVollzG NW zu Lasten des Betroffenen.
Bei § 53 Abs. 2 SVVollzG handelt es sich schon seinem Wortlaut nach um eine Vorschrift des zwingenden Rechts und nicht — wie die Strafvollstreckungskammer meint — um eine Ermessensvorschrift („werden ... gewährt"). Vollzugsöffnende Maßnahmen sind danach zu gewähren, es sei denn, es stehen zwingende Gründe entgegen. Dies ergibt sich auch aus dem Verweis in den Gesetzesmaterialien (LT-Drs. 16/1425 S. 100) auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2011 (NJW 2011, 1931, dort Rdn. 116). Darin wird die Forderung aufgestellt, dass der Vollzug
der Sicherungsverwahrung so ausgestaltet sein muss, dass Vollzugslockerungen nicht ohne zwingenden Grund versagt werden dürfen.
Damit hat trägt der angefochtene Beschluss schon dem gebotenen Prüfungsumfang und Prüfungsmaßstab keine Rechnung.
2.
Es ist — anders als die Strafvollstreckungskammer meint — auch keine tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen i.S.v. § 53 SVVoIIzG, dass diese dem Vollzugsziel dienen.
Die Gesetzesformulierung ist insoweit allerdings mehrdeutig. Einerseits könnte die Formulierung „werden zur Erreichung des Vollzugsziels" so verstanden werden, dass vollzugsöffnende Maßnahmen nur dann zu gewähren sind, wenn sie selbst der Erreichung des Vollzugsziels dienen, und umgekehrt nicht zu gewähren sind, wenn das nicht der Fall ist. Andererseits könnte die Gesetzesformulierung aber auch nur das Verständnis des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen, dass seiner Auffassung nach vollzugsöffnende Maßnahmen an sich schon der Erreichung des Vollzugszieles dienen. Insoweit würde dann nur der Grund umschrieben, warum der Gesetzgeber solche Maßnahmen überhaupt vorgesehen hat. Insoweit würde mit der Formulierung nur eine Abgrenzung zu anderen vollzugsöffnenden Maßnahmen, etwa aus wichtigem Anlass (§ 54 SVVoIIzG NW) oder zur Entlassungsvorbereitung (§ 55 SVVoIIzG NW), vorgenommen.
Auch die Gesetzesmaterialien (LT-Drs. 16/1425 S. 100) sind insoweit nicht ganz eindeutig. Einerseits wird darauf verwiesen, dass die Regelung der Umsetzung von
§ 66c Abs. 1 Nr. 3 lit. a StGB diene. § 66c Abs. 1 Nr. 3 StGB knüpft aber die Möglichkeit der vollzugsöffnenden Maßnahmen gerade an die Erreichung des Vollzugsziels der Minderung der Gefährlichkeit des Verurteilten i.S.v. § 66c Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB. Der Bundesgesetzgeber hatte bei Schaffung dieser Regelungen die Vorstellung, dass die vollzugsöffnenden Maßnahmen geeignet seien, eine möglichst breite und fundierte Grundlage für eine etwaige Bewährungsaussetzung oder Erledigung der Unterbringung zu schaffen (BT-Drs. 17/9874 S. 19; vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 06.03.2014 — III — 1 VAs185/13 - juris). Angesichts dessen könnte man die Gesetzesmaterialien zu § 53 SVVoIIzG so verstehen, dass Voraussetzung für die vollzugsöffnende Maßnahme ist, dass sie der Erreichung des Vollzugsziels in dem genannten Sinne dienen muss, was z.B. dann nicht der Fall wäre, wenn die Vollzugssituation so ist, dass eine Bewährungsaussetzung oder Erledigung der Maßregel in absehbarer Zeit — etwa wegen der hohen Gefährlichkeit des Betroffenen und fehlender Behandlungsfortschritte — ohnehin nicht in Betracht kommt (wobei man dann freilich regelmäßig auch zu einer Versagung wegen entgegenstehender zwingender Gründe käme).
Andererseits sollen aber nach der Vorstellung des Landesgesetzgebers die vollzugs-öffnenden Maßnahmen auch der Umsetzung des Minimierungsgebots dienen. Danach soll der Freiheitsorientierung möglichst weitgehend Rechnung getragen werden (BVerfG a.a.O.). Dies könnte dafür sprechen, dass vollzugsöffnende Maßnahmen — wegen der möglichst weitgehenden Freiheitsorientierung des Vollzuges dieser Maßregel — auch dann zu gewähren sind, wenn sie zwar nicht dem Vollzugsziel dienen, aber auch keine zwingenden Gründe entgegenstehen.
Der Senat gibt der letztgenannten Auslegung den Vorzug. Zum einen spricht dafür, dass der Gesetzgeber eben nicht nur die Förderung des Vollzugsziels i.S.v. § 1 SVVollzG NW, sondern auch das Minimierungsgebot, also eher eine Modalität der Gestaltung des Vollzugs i.S.v. § 2 SVVoIIzG NW umsetzen wollte. Für diese Auslegung spricht auch, dass sich mit ihr das Regelungsgefüge des § 53 Abs. 2 SVVoIIzG NW am besten umsetzen lässt. Einerseits wird durch die Ausgestaltung als voraussetzungslose zwingende Regelung den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen Rechnung getragen, andererseits kann die Frage des Vollzugsziels hinreichend im Rahmen der entgegenstehenden zwingenden Gründe berücksichtigt werden, so dass insoweit am besten eine praktische Konkordanz zwischen diesen beiden Regelungszielen hergestellt wird. In § 53 Abs. 2 SVVoIIzG NW sind die entgegenstehenden zwingenden Gründe nur beispielhaft mit der Flucht- oder Missbrauchsgefahr benannt. Hierbei handelt es sich indes nicht um eine abschließende Aufzählung („insbesondere"). Dies bedeutet, dass wenn eine vollzugsöffnende Maßnahme das Vollzugsziel konkret gefährdet, eine Versagung dieser Lockerung wegen entgegenstehender zwingender Gründe möglich (und geboten) ist. Wenn sich aber die Lockerung im Hinblick auf die Erreichung des Vollzugsziels lediglich neutral verhält, ist eine Versagung wegen zwingender entgegenstehender Gründe (jedenfalls insoweit) nicht angängig. Dies deckt sich auch mit der genannten Zielsetzung des Bundesgesetzgebers, dass durch vollzugsöffnende Maßnahmen eine Verbreiterung der Prognosegrundlage für Aussetzungs- oder Erledigungsentscheidungen erreicht werden soll.
3.
Bei der Beurteilung, ob zwingende Gründe entgegenstehen, steht der Vollzugsein-richtung ein Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite zu, da es sich insoweit um eine Prognoseentscheidung handelt (LT-Drs. 16/1425 S. 100 f.). Die zwingenden entgegenstehenden Gründe müssen auf „konkreten Anhaltspunkten" beruhen. Dieser Maßstab, der nach dem Gesetzeswortlaut nur für die Flucht- oder Missbrauchsgefahr gilt, findet auch auf andere zwingende Gründe (wie etwa die Gefährdung des Vollzugsziels, s.o.) Anwendung, da ersichtlich bei anderen Versagungsgründen kein geringerer Maßstab gelten sollte, denn der Gesetzgeber wollte die Versagung von Lockerungen nur aufgrund von pauschalen Wertungen verhindern (LT-Drs. 16/1425 S. 101). Er folgt damit den Maßgaben des Bundesgesetzgebers bei Schaffung des § 66c StGB (vgl. BT-Drs. 17/9874 S. 19) und denen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O.).
Wann „konkrete Anhaltspunkte" für einen dringenden Versagungsgrund vorliegen, bemisst sich nach der konkret ins Auge gefassten vollzugsöffnenden Maßnahme. Dabei ist die bei Anordnung der Maßregel festgestellte Gefährlichkeit, eine etwaige Minderung derselben durch bereits erfolgte vollzugliche oder behandlerische Maßnahmen oder durch sonstige Umstände sowie die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Realisierung einer (verbleibenden) Gefährlichkeit im Rahmen der konkret anstehenden vollzugsöffnenden Maßnahme zu bewerten. So kann es unter Umständen ausreichen, dass die bei Anordnung der Maßregel festgestellte Gefährlichkeit unvermindert fortbesteht und aufgrund der Art und Weise der begangenen Taten die Gefahr besteht, dass diese auch im Rahmen der anstehenden Lockerung fortgesetzt werden (etwa, wenn die bisherigen Taten zeigen, dass der Betroffene zur Begehung vergleichbarer Taten keiner längeren Vorlaufzeit bedarf und das regulierende Eingreifen von etwaigen Begleitpersonen voraussichtlich erfolglos sein würde).
4.
Der Senat kann nicht ausschließen, das bei Zugrundelegung des zutreffenden Prüfungsmaßstabes weitere oder andere Feststellungen möglich sind, so dass die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen war (§ 119 Abs. 4 StVollzG).



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