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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 RVs 75/14 OLG Hamm

Leitsatz: Das Revisionsgericht kann den gegen den Angeklagten ergangenen Haftbefehl gem. § 126 Abs. 3 StPO aufheben, wenn die (Teil-) Aufhebung des gegen ihn ergangenen Strafurteils dazu führt, dass voraussichtlich die gesamte gegen ihn erkannte Strafe im Wege der Anrechnung der Untersuchungshaft erledigt sein würde, bevor eine erneute Sachentscheidung nach Zurückverweisung der Sache an den Tatrichter ergeht.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Haftbefehl, Aufhebung, Revisionsgericht, Anrechnung, U-Haft

Normen: StPO 126

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 07.10.2014 ebschlossen:

1. Das angefochtene Urteil wird
a) mit den zugrunde liegenden Feststellungen bezüglich der Taten zu Ziffer 1, 2, 3, 6, 11, 12, 13, 15 und 16 sowie
b) im Rechtsfolgenausspruch insgesamt mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
4.Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 16. Januar 2013 (10 Ls 200/13) in der Fassung des Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts Bielefeld vom 6. Februar 2014 (5 Ns 36/14) wird aufgehoben.

Gründe

Das Landgericht Bielefeld hat den Angeklagten wegen Betruges in 12 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die zulässig erhobene und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang.

Im Übrigen ist sie unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung bezüglich der Schuldsprüche zu den Taten zu Ziffer 14, 17 und 18 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Insoweit war die Revision auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zu verwerfen.

Darüber hinaus war der seit dem 20. Januar 2013 vollzogene Untersuchungshaftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld in der Form der zuletzt ergangenen Haftfortdauerentscheidung des Landgerichts Bielefeld vom 6. Februar 2014 aufzuheben, da der Senat das angefochtene Urteil ganz überwiegend aufgehoben hat und sich bei dieser Entscheidung ohne weiteres ergab, dass die Voraussetzungen des § 120 Abs. 1 StPO vorliegen, weil der weitere Vollzug der Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und insbesondere der maximal zu erwartenden und bisher noch nicht durch Anrechnung gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vollstreckten Strafe außer Verhältnis stünde.

I.

Die Strafkammer hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte gründete nach seiner Haftentlassung Ende 2006 eine Einzelfirma und im Jahre 2009 gemeinsam mit einem Zeugen eine GbR, mit der er im Bereich Garten- und Landschaftsbau Aufträge entgegennahm und Arbeiten durchführte. Ende 2006 war er hoch verschuldet. Dennoch ging der Angeklagte beim Betrieb der genannten Firmen neue Verbindlichkeiten ein. Ihm war bewusst, dass er diese nicht würde erfüllen können. Er täuschte von ihm beauftragte (Sub-) Unternehmer bzw. Lieferanten über seine Zahlungsfähigkeit und erreichte so die Lieferung von Waren und Durchführung von Arbeiten. In drei Fällen (Ziffer 14, 17 und 18) spiegelte er seinerseits Abnehmern seine Lieferfähigkeit vor und veranlasste diese dazu, in Vorkasse zu treten. Es kam ihm jeweils darauf an, die Leistungen/Waren bzw. die Geldzahlungen zu erhalten, ohne seinerseits die vereinbarte Gegenleistung zu erbringen.

Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Taten – begangen zwischen Februar und November 2009 –mehr als vier Jahre zurücklagen und die eingetretenen Schäden zum Teil durch Rückholung der gelieferten Ware reduziert werden konnten. Strafschärfend hat sie insbesondere gewertet, dass der Angeklagte wiederholt wegen Betrugsdelikten aufgefallen ist, insoweit auch bereits Haftstrafen verbüßt hat und unter laufender Bewährung stand.

Die Kammer hat auf die folgenden Einzelstrafen erkannt (Schäden gerundet in Klammern):

1. 8 Monate (835 €),
2. 10 Monate (2.718 €),
3. 10 Monate (2.830 €),
6. 8 Monate (275 €),
11. 10 Monate (1.620 €),
12. 1 Jahr (4.478 €),
13. 1 Jahr (3.293 €),
14. 8 Monate (448 €),
15. 1 Jahr (1.997 €),
16. 1 Jahr (2.850 €),
17. 1 Jahr (3.600 €),
18. 1 Jahr 6 Monate (6.300 €).

II.

1. Die Verurteilung wegen vollendeten Betruges in den Fällen 1, 2, 3, 6, 11, 12, 13, 15 und 16 begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. In diesen Fällen bleibt offen, auf welche Weise sich die Strafkammer auch unter Berücksichtigung des umfassenden Geständnisses des Angeklagten die Überzeugung verschafft hat, die Verfügenden hätten sich über die Zahlungsfähigkeit des Angeklagten in einem täuschungsbedingten Irrtum befunden.

In welchem Umfang der Tatrichter seine Überzeugungsbildung in den Urteilsgründen mitzuteilen hat, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Auch im Falle eines umfassenden Geständnisses des Angeklagten müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Würdigung der Beweise auf einer tragfähigen, ver-standesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht, die dem Revisionsgericht die Überprüfung ermöglicht, ob die Beweiswürdigung plausibel – d. h. für das Revisions-gericht nachvollziehbar – ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 337, Rn. 26; BGH, Beschluss vom 22. Mai 2014, 4 StR 430/13 [16]). Da der Betrugstatbestand voraussetzt, dass die Vermögensverfügung durch den Irrtum des Getäuschten veranlasst worden ist, und das gänzliche Fehlen einer Vorstellung für sich alleine keinen tatbestandsmäßigen Irrtum begründen kann, muss der Tatrichter ins-besondere mitteilen, wie er sich die Überzeugung davon verschafft hat, dass der Verfügende einem Irrtum erlegen ist (BGH, aaO, mwN). In einfach gelagerten Fällen kann sich dies von selbst verstehen. Im Bereich routinemäßiger Geschäfte, die von selbstverständlichen Erwartungen geprägt sind, kann der Tatrichter darüber hinaus befugt sein, auf die täuschungsbedingte Fehlvorstellung auf der Grundlage eines sog. „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ indiziell zu schließen; dies muss er allerdings im Urteil darlegen (BGH, aaO [17]).

Der Hinweis auf die „erneut durchgeführte Beweisaufnahme“ belegt ebenso wenig wie die „vollumfänglich geständige und glaubhafte Einlassung des Angeklagten“ in den Fällen 1, 2, 3, 6, 11, 12, 13, 15 und 16 eine Irrtumserregung bei den jeweils Verfügenden, deren Identität ganz überwiegend nicht festgestellt worden ist oder sich sonst aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt. Diesen ist nicht zu entnehmen, dass die Kammer verfügende Personen als Zeugen vernommen hat oder, dass deren Angaben auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Einzig bezogen auf den Fall 16 heißt es, dass ein Zeuge den wahr-heitswidrigen Angaben des Angeklagten glaubte und daraufhin auf dessen Be-stellung Waren an diesen lieferte. Das Urteil verhält sich aber auch in diesem Fall nicht dazu, ob der Zeuge in der Hauptverhandlung vernommen worden ist und ggf. welchen Inhalt seine Aussage hatte.

In diesen Fällen versteht sich die Annahme eines täuschungsbedingten Irrtums und einer darauf beruhenden Vermögensverfügung auch nicht von selbst. So kann insbesondere nicht ausgeschlossen werden, dass sich die jeweils verfügenden Personen bei der Bestellung oder Beauftragung durch eine Einzelfirma oder eine GbR überhaupt keine Vorstellung über die Zahlungsfähigkeit des Angeklagten gemacht haben.

2. Demgegenüber handelt es sich in den Fällen 14, 17 und 18 der Feststellungen ‑ hier spiegelte der Angeklagte den Geschädigten jeweils vor, nach vorheriger Zahlung (Vorkasse) seinerseits Waren zu liefern – um einfach gelagerte Fälle, bei denen sich die Irrtumserregung von selbst versteht. Wer sich in Abweichung zu den Regelungen der §§ 320 f. BGB zur vorherigen Zahlung des Kaufpreises bereit erklärt und tatsächlich auch zahlt, geht stets davon aus, der Vertragspartner sei seinerseits zur Leistung willens und in der Lage. Ist dies nicht der Fall, irrt der Zahlende über die Leistungsfähigkeit und/oder –bereitschaft des Vertragspartners. Der Schuldspruch lässt deshalb insoweit einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen.

III.

Der Rechtsfolgenausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht Stand.

Zwar ist die Strafzumessung allein Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann diese nur darauf überprüfen, ob Erwägungen, mit denen er das Strafmaß begründet hat, rechtsfehlerhaft sind oder wenn er einen der anerkannten Strafzwecke über-haupt nicht berücksichtigt hat. Auch die Bewertung der Strafzwecke dem Grade nach ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht ist ausnahmsweise aber dann zum Eingreifen verpflichtet, wenn die Strafe in einem groben Miss-verhältnis zum Tatunrecht und zur Tatschuld steht und deshalb gegen den Ver-hältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt (Senat, Beschluss vom 22. Mai 2014, 3 RVs 39/14; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 46, Rn. 147).

1. Die Begründung der Strafzumessung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, da zwei der drei ausdrücklich genannten strafschärfenden Umstände von den Feststellungen nicht getragen werden.

Die Kammer hat bei der Strafzumessung maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte wegen Betrugsdelikten nicht nur wiederholt aufgefallen ist, sondern insoweit auch bereits Haftstrafen verbüßt hat und darüber hinaus unter laufender Bewährung stand. Die beiden zuletzt genannten Strafzumessungserwägungen werden von den Feststellungen nicht getragen. Zum maßgeblichen Tatzeitraum zwischen Februar und November 2009 hatte der Angeklagte lediglich eine Haftstrafe von vier Monaten bis zum 31.12.2006 verbüßt. Er wurde zwar am 22. Dezember 2005 erneut wegen Betruges unter Einbeziehung einer vorhergehenden Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt; deren Vollstreckung wurde allerdings zur Bewährung ausgesetzt und mit Wirkung vom 17. Februar 2011 erlassen, also gerade nicht verbüßt. Zwar folgten 2010 und nochmals Ende 2012 Haftstrafen wegen einschlägiger Delikte; diese konnten aber nicht strafschärfend berücksichtigt werden, weil diese Haft sich zeitlich an den hier maßgeblichen Tatzeitraum anschloss. Auch der Umstand, dass der Angeklagte während der Taten unter laufender Bewährung stand, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Einzig in Betracht kommt die unter Ziffer 11 der persönlichen Verhältnisse dar-gestellte Verurteilung vom 22. Dezember 2005. Hierzu teilen die Feststellungen allerdings weder den Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung – gem. § 56a Abs. 1 Satz 1 StGB maßgeblich für den Beginn der Bewährungszeit –, noch deren Länge mit. Damit blieb offen, ob die Bewährungzeit im Jahre 2009 noch nicht abgelaufen war.

3. Darüber hinaus lösen sich die für die Taten zu Ziffer 15, 16 bzw. 18 verhängten Einzelstrafen deshalb von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, weil sich ein auffälliger Unterschied zwischen Ihnen und den Einzelstrafen für die Taten zu Ziffer 2 und 3 bzw. 17 aufgrund der Erwägungen der Kammer nicht nachvoll-ziehen lässt (vgl. Fischer, aaO, § 46, Rn. 148; BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011, 1 StR 136/11 (juris)). So übersteigt das Tatunrecht der Taten zu Ziffer 2 und 3 auf-grund der Höhe des angerichteten Schadens und des weiteren ausdrücklich von der Kammer berücksichtigten Umstandes, dass der bei der Firma I AG verursachte Gesamtschaden durch Rückholung von gelieferter Ware nicht nur unerheblich reduziert wurde, das Tatunrecht für die Taten zu Ziffer 15 und 16. Dennoch hat die Kammer für die zuletzt genannten Taten auf höhere Einzelstrafen erkannt. Dies ist für den Senat ebenso wenig nachvollziehbar wie die nicht näher begründete Einzelstrafe für die Tat zu Ziffer 18; hier ist nicht nachvollziehbar, warum die Ein-zelstrafe die der Tat zu Ziffer 17 um 50 % übersteigt. Allein der um 2.700 € erhöhte Schaden vermag die höhere Strafe nicht zu rechtfertigen.

3. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

IV.

Der zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Revision seit mehr als 20 Monaten vollzogene Untersuchungshaftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 16. Januar 2013 war gem. § 126 Abs. 3 StPO aufzuheben, da der Senat das angefochtene Urteil (ganz überwiegend) aufgehoben hat und sich ohne weiteres (d.h. ohne weitere Ermittlungen (vgl. HK/Posthoff, StPO, 5. Aufl., § 126, Rn. 14)) ergibt, dass die Voraussetzungen des § 120 Abs. 1 S. 1 StPO vorliegen.

Einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren steht das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO entgegen. In etwa drei Monaten und zwei Wochen wäre danach das Höchstmaß der zu verbüßenden Freiheitsstrafe erreicht, da die Untersuchungshaft auf die Strafhaft anzurechnen ist, § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB. Damit steht insbesondere die maximal zu erwartende und noch zu verbüßende Strafe in einem groben Missverhältnis zur weiteren Voll-streckung der Untersuchungshaft, § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO. Da sich dies ohne weiteres ergab, hat der Senat gem. § 126 Abs. 3 StPO den Haftbefehl aufgehoben, zumal nicht absehbar ist, dass das Verfahren in dem genannten Zeitraum beendet werden wird.



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