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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 RVs 79/14 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Die sachliche Zuständigkeit ist eine von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung; einer Verfahrensrüge gem. § 338 Nr. 4 StPO bedarf es insoweit daher nicht.
2. Die Bestimmung des § 10 BinSchGerG steht der Revision gegen ein Berufungsurteil des sachlich unzuständigen Landgerichts in einer Schiffahrtssache nicht entgegen.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Sachliche Zuständigkeit, OLG, Berufung, chifffahrtsgerichts

Normen: StPO 338; StPO 6

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 23.10.2014 beschlossen
1. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Revisionsverfahren, an das Schifffahrtsobergericht bei dem Oberlandesgericht Hamm verwiesen.
3. Die gerichtlichen Auslagen und Kosten des Revisionsverfahrens und des Berufungsverfahrens vor dem Landgericht Bielefeld bleiben außer Ansatz.

Gründe
I.
Das Schifffahrtsgericht Minden hat den Angeklagten wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte fristgerecht Rechtsmittel eingelegt und dieses in der Folge nicht näher begründet. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat der Vorsitzende des Schifffahrtsgerichtes die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht in Bielefeld "zur weiteren Veranlassung (Weiterleitung an das LG Bielefeld)" übersandt. Diese leitete die Akten gemäß § 321 StPO zur Entscheidung über die Berufung an das Landgericht Bielefeld. Mit dem nunmehr angegriffenen Urteil hat die 12. kleine Strafkammer das als Berufung auszulegende Rechtsmittel auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.

Die zulässig erhobene und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils und Verweisung an das für die Entscheidung über die Berufung zuständige Schifffahrtsobergericht beim Oberlandesgericht Hamm, § 355 StPO.

Das Schifffahrtsgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte fuhr am 3. Juni 2012, 13.02 Uhr mit einem ihm zu diesem Zeitpunkt gehörenden Motorboot in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand, was ihm auch bewusst war, auf der Fulda bei km 80,1. Er übernahm auf eigene Initiative von einem Zeugen das Ruder, um an den Anlagesteg heranzufahren. Im Anschluss führte der Angeklagte das Anlegemanöver selbstständig durch, brach den ersten Versuch ab, machte rückwärts und legte im zweiten Versuch in die vorgesehene Stegbox an. Dabei half ihm der Zeuge, indem er das Boot an den Steg heranzog und festmachte. Eine um 14.30 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration des Angeklagten in Höhe von 2,98 Promille. Dem Angeklagten war bewusst, dass er zum Tatzeitpunkt fahruntüchtig war und das Boot nicht mehr steuern durfte.

Der Senat hat zum Verfahrensgang ergänzend festgestellt:

Mit Anklageschrift vom 20. Dezember 2012 erhob die Staatsanwaltschaft Bielefeld wegen dieser Tat zunächst Anklage beim Amtsgericht - Strafrichter - in Minden. Der zuständige Dezernent übersandte die Akte am 28. Dezember 2012 an die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit dem Bemerken, die Zuständigkeit des Strafrichters sei nicht ersichtlich. Gegebenenfalls möge Anklage vor dem zuständigen Schifffahrtsgericht erhoben werden. Daraufhin nahm die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit Verfügung vom 15. Januar 2013 die Anklage zurück und erhob gleichzeitig neue Anklage bei dem Schifffahrtsgericht Minden. Diese Anklage wurde vom Schifffahrtsgericht Minden mit Beschluss vom 20. Februar 2013 ohne Einschränkungen zur Hauptverhandlung zugelassen. Ausdrücklich heißt es in diesem Beschluss, der das Aktenzeichen des Schifffahrtsgerichtes trägt und in der Einleitung des Beschlusskopfes auch diese Bezeichnung aufführt: "Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird das Hauptverfahren gegen ihn vor dem Strafrichter eröffnet." Sowohl in dem Protokoll der zunächst wieder ausgesetzten Hauptverhandlung vom 18. April 2013, als auch in dem Protokoll vom 11. bzw. 19. Dezember 2013 ist das erkennende Gericht als Schifffahrtsgericht bezeichnet. In dem schriftlich abgefassten Urteil wird nicht ausdrücklich die Bezeichnung "Schifffahrtsgericht" aber das Aktenzeichen des Schifffahrtsgerichtes genannt.

II.

Die Revision des Angeklagten führte zur Aufhebung des angegriffenen Urteils der kleinen Strafkammer und Verweisung an das zuständige Schifffahrtsobergericht bei dem Oberlandesgericht Hamm, § 355 StPO. Denn die kleine Strafkammer war sachlich nicht für die Entscheidung über die Berufung des angegriffenen Urteils des Schifffahrtsgericht Minden zuständig. Sachlich zuständig war demgegenüber das Schifffahrtsobergericht; örtlich das Schifffahrtsobergericht bei dem Oberlandesgericht Hamm.

1. Die Revision ist zulässg, insbesondere ist sie statthaft, § 333 StPO.

§ 10 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen (BinSchGerG) steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Revision in Strafsachen zwar ausgeschlossen. Das BinSchGerG regelt allerdings das Rechtsmittelverfahren nur hinsichtlich Entscheidungen der Schifffahrtsgerichte. Maßgebend für den Rechtsmittelzug ist danach, ebenso wie bei der Gerichtsverfassung allgemein, nicht der Inhalt der angegriffenen Entscheidung; Anknüpfungspunkt ist vielmehr, welches Gericht - zuständig oder unzuständig - in der vorhergehenden Instanz tatsächlich entschieden hat (BGH, Beschluss vom 30. Januar 1968, 1 StR 319/67, BGHSt 22, 48, 50; OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. August 1979, 3 Ss 182/79, Die Justiz 1979, 446; SK-Frisch, StPO, 4. Aufl., § 338, Rn. 86). Dies war die kleine Strafkammer des Landgerichts; gegen deren Entscheidung ist die Revision statthaft, § 333 StPO.

2. Die Revision ist auch begründet. Das angegriffene Urteil leidet an einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis. Die kleine Strafkammer war sachlich für die Entscheidung über die Berufung gegen das Urteil des Schifffahrtsgerichts Minden unzuständig.

Dies hat die Revision allerdings nicht gerügt. Dieser Umstand ist aber von Amts wegen zu beachten; § 338 Nr. 4 StPO ist bei Missachtung der sachlichen Zuständigkeit nicht einschlägig (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 338, Rn. 32; KK-Scheuten, StPO, 7. Aufl., § 1, Rn. 2; LR-Franke, StPO, 26. Aufl., § 338, Rn. 66).

Bei der vorliegend zu beurteilenden Frage, welches Gericht zur Entscheidung über die Berufung gegen ein Urteil des Schifffahrtsgerichtes berufen ist, handelt es um eine Frage der sachlichen Zuständigkeit. Zwar unterfällt die Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte regelmäßig der funktionellen Zuständigkeit (KK-Scheuten, aaO, Rn. 4). Sind aber zur Prüfung der Urteile Rechtsmittelgerichte verschiedener Ordnung bestimmt, betrifft die Frage der Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts ausnahmsweise die sachliche Zuständigkeit (BayObLG, Beschluss vom 4. März 1970, 5 St 4/70, VRS 39, 107 f.; SK-Frisch, aaO; LR-Franke, aaO, Rn. 69.).

So liegt der Fall hier. Denn (sachlich) zuständiges Gericht für die Entscheidung über eine Berufung gegen eine Urteil des Strafrichters ist die kleine Strafkammer beim Landgericht (§ 74 Abs. 3 GVG); für die Entscheidung über die Berufung gegen ein Urteil des Schifffahrtsgericht das Schifffahrtsobergericht beim Oberlandesgericht (§ 11 BinSchGerG).

Bei der mit der Berufung angegriffenen Entscheidung handelt es sich um eine solche des Schifffahrtsgerichtes. Zwar ist dies nicht ausdrücklich in dem schriftlichen Urteil vom 19. Dezember 2013 niedergelegt; es wurde aber einerseits Anklage zum Schifffahrtsgericht erhoben, nachdem zuvor eine beim Strafrichter erhobene Anklage nach einem Hinweis, dieser sei nicht zuständig, zurückgenommen worden war; andererseits heißt es auch in dem Protokoll zur Hauptverhandlung vom 11. und 19. Dezember 2013, dass die Hauptverhandlung vor dem Schifffahrtsgericht stattfindet. Schließlich trägt sowohl das Protokoll, als auch das schriftlich abgefasste Urteil ein Aktenzeichen des Schifffahrtsgerichts. Dass demgegenüber im Eröffnungsbeschluss ausgeführt wird, die Hauptverhandlung werde vor dem Strafrichter eröffnet, stellt danach lediglich ein bloßes Versehen dar, zumal dieser Eröffnungsbeschluss im Beschlusskopt die Bezeichnung Schifffahrtsgericht führt.

3. Nach dem Gesagten war das Urteil aufzuheben und die Sache abweichend von § 354 Abs. 2 StPO nicht an eine andere Kammer des Landgerichts Bielefeld, sondern an das örtlich gem. § 2 Abs. 2 der Verordnung über die Zuweisung von Binnenschifffahrtssachen vom 28. Februar 1984 zuständige Schifffahrtsobergericht beim Oberlandesgericht Hamm zu verweisen. Denn das Gericht des vorangehenden Rechtszuges hat sich mit Unrecht für zuständig erachtet, § 355 StPO.

4. Es ist sachgerecht, von der Erhebung der durch die Durchführung des Berufungsverfahrens vor dem Landgericht Bielefeld und des Revisionsverfahrens entstandenen Kosten und gerichtlichen Auslagen gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG abzusehen. Denn diese Kosten und gerichtlichen Auslagen wären bei zutreffender Sachbehandlung - Weiterleitung der Akten durch die Staatsanwaltschaft an oder Verweisung durch die kleine Strafkammer zum Schifffahrtsobergericht gem. § 348 Abs. 1 StPO - nicht entstanden. Diese Entscheidung kann der Senat - auch für die Vorinstanz (BGH, Beschluss vom 22 März 2000, 2 StR 490/99, Beschluss vom 21. April 1998, 4 StR 115/98, Beschluss vom 1. Dezember 1988, 4 StR 569/88 (jeweils nach [...]); LR-Schäfer, StPO, 23. Aufl., § 465, Rn. 13) - von Amts wegen treffen, § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG (BGH, aaO).



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