Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 488/14 OLG Hamm |
Leitsatz: 1. Zur Unzulässigkeit von Bezugnahmen auf nicht bei den Akten befindlichen Schriftstücken. 2. a) Wird der Bescheidungs- mit dem Verpflichtungsantrag kombiniert, so ist über den Verpflichtungs- und nicht über den Bescheidungsantrag zu befinden, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer kein zureichender Grund für das Unterlassen einer abschließenden Bescheidung des Betroffenen durch die Vollzugsbehörde vorliegt b) Auch bei rechtswidrigen Nichtbescheidung durch die Vollzugsbehörde kann die Strafvollstreckungskammer in einem solchen Fall nicht allein wegen der Säumnis der Vollzugsbehörde in der Sache selbst entscheiden, wenn die Entscheidung nach einer Vorschrift zu treffen ist, die der Vollzugsbehörde ein Ermessen einräumt und eine Ermessensreduktion auf null nicht eingetreten ist. |
Senat: 1 |
Gegenstand: Revision Rechtsbeschwerde Beschwerde Haftprüfung durch das OLG Pauschgebühr Justizverwaltungssache Antrag auf gerichtliche Entscheidung |
Stichworte: Bezugnahmen, Akten, Schriftstücke, Verpflichtungsantrag, Ermessensreduktion |
Normen: StVollzG 115; StVollzG 113 |
Beschluss: Strafvollstreckungssache In pp. hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 30.10.2014 beschlossen: Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Der angefochtene Beschluss wird - soweit die Anträge des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nicht zurückgewiesen worden sind und soweit die Sache nicht bezüglich der Anordnung zur zweimaligen Ausführung in die betreute Wohneinrichtung "E L" bis zum 23.09.2014 gegenstandslos geworden ist - aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Aachen zurückverwiesen. Gründe I. Der Betroffene verbüßt zur Zeit mehrere langjährige Freiheitsstrafen. Das Strafende ist auf den 11.04.2015 notiert. Im Anschluss daran ist der Vollzug der Sicherungsverwahrung notiert. Der Betroffene begehrt die Gewährung von Vollzugslockerungen (auch) zur Vermeidung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung. Er möchte nach dem (von ihm angestrebten vorzeitigen) Strafende in eine Einrichtung des betreuten Wohnens wechseln und begehrte insoweit (zuletzt) drei ganztägige Ausführungen in die Einrichtung "E L", in welcher bis zum 30.09.2014 für ihn ein Zimmer reserviert war. Eine Ausführung hat er hiervon erhalten. Weiter begehrt er einen Ausgang zur Beratungs- und Übergangsstelle "T xx" in F. Schließlich hat der die Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Gewährung von Lockerungen bzw. zum Erlass einer ermessensfehlerfreien Entscheidung diesbezüglich beantragt. Nachdem die Beschwerdeführerin auf die Anträge des Betroffenen nicht reagiert hatte, hat er am 28.01.2014 in Form eines Vornahme- und Verpflichtungsantrages gerichtliche Entscheidung beantragt. Die Strafvollstreckungskammer hat das Verfahren bis zum 30.06.2014 ausgesetzt. Gleichwohl hat die Beschwerdeführerin bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses die Anträge des Betroffenen nicht beschieden. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die Beschwerdeführerin verpflichtet, den Betroffenen bis zum 23.09.2009 zweimal in die Einrichtung des betreuten Wohnens "E L" in S auszuführen, dem Betroffenen selbständige Lockerungen in Form von zwei Begleitausgängen im ersten Monat und sodann - bei erfolgreichem Verlauf - zwei Ausgänge pro Monat zu gewähren. Einer dieser Ausgänge sollte dem Besuch der Übergangs- und Beratungseinrichtung "T xx" in Essen dienen. Im Übrigen hat sie die Anträge des Betroffenen zurückgewiesen. Die Strafvollstreckungskammer hat sich zu einer eigenen Sachentscheidung befugt gesehen, weil die Untätigkeit der Beschwerdeführerin rechtsfehlerhaft gewesen sei. Gegen den Beschluss (soweit der Betroffene erfolgreich war) wendet sich die Leiterin der JVA B (Beschwerdeführerin) mit der Rechtsbeschwerde und mit einem Antrag auf Aussetzung des Beschlusses. Sie hält es insbesondere für rechtsfehlerhaft (und sieht insoweit auch einen Zulassungsgrund nach § 116 StVollzG), dass die Strafvollstreckungskammer eine eigene Sachentscheidung getroffen hat. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat lediglich erklärt, dass es sich den Ausführungen der Rechtsbeschwerde nebst Aussetzungsantrag anschließe. Der Betroffene hat die Zurückweisung des Aussetzungsantrages begehrt und in der Hauptsache beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen. Er verweist unter anderem darauf, dass er in der Vergangenheit bereits eine Vielzahl von Lockerungsmaßnahmen erfolgreich absolviert habe und dass die Beschwerdeführerin manipulativ zu seinen Lasten tätig sei. Der Senat hat mit Beschluss vom 07.10.2014 beschlossen, dass der Vollzug des angefochtenen Beschlusses bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt wird. Sodann wurde den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu einer abschließenden Stellungnahme eingeräumt. II. Die Rechtsbeschwerde ist infolge Zeitablaufs gegenstandslos, soweit es um die Ausführungen des Betroffenen in die Einrichtung des betreuten Wohnens "E L" geht. Die Erledigung ist insoweit nach Einlegung der Rechtsbeschwerde eingetreten. III. Im Übrigen hat die Rechtsbeschwerde Erfolg. 1. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 07.10.2014 u.a. ausgeführt: "a) Die Rechtsbeschwerde - gegen die derzeit auch im Übrigen keine Zulässigkeitsbedenken bestehen - wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen sein, weil die Ausführungen im angefochtenen Beschluss erkennen lassen, dass sich die Strafvollstreckungskammer für befugt hält, in Fällen rechtswidriger Untätigkeit der Vollzugsbehörde - allein schon wegen dieser Untätigkeit - in Fällen, in denen das Gesetz der Vollzugsbehörde einen Ermessensspielraum einräumt, eine eigene Sachentscheidung treffen zu können, obwohl keine Ermessensreduktion auf null vorliegt. Insoweit besteht die Gefahr, dass sich diese - rechtlich nicht zutreffende Auffassung - perpetuiert und zu nicht hinnehmbaren Unterschieden in der Rechtsanwendung führt. Angesichts dessen kann dahinstehen, ob die Nichtmitteilung des näheren Inhalts des Sachverständigengutachten Prof. Dr. S, welches in einem Verfahren über die Reststrafenaussetzung zur Bewährung eingeholt worden war und im Rahmen des vorliegenden Verfahren Verwendung gefunden hat, dazu geführt hätte, dass die Rechtsbeschwerde auch deswegen zuzulassen gewesen wäre, weil die tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen im angefochtenen Beschluss so unzureichend sind, dass das Rechtsbeschwerdegericht das Vorliegen eines Zulassungsgrundes anhand der Beschlussgründe nicht hinreichend prüfen kann. Zwar wird im Rahmen der Entscheidungserwägungen im angefochtenen Beschluss mitgeteilt, dass und welche Lockerungsschritte in dem Gutachten befürwortet wurden. Es wird im angefochtenen Beschluss auch wegen der Einzelheiten auf das Gutachten verwiesen. Dieser Verweis geht jedoch ins Leere. Wird auf andere Dokumente verwiesen, so müssen diese Bestandteil der dem Senat vorgelegten Akten sein (OLG Stuttgart NStZ 1987, 295). Das ist vorliegend nicht der Fall. Verwiesen wird auf das Gutachten aus "beigezogenen" Akten. Diese Akten befanden sich nicht - etwa in Form von Beiakten - bei den dem Senat vorgelegten Akten. Dass die in Bezug genommenen Schriftstücke - dauerhaft - bei den Akten sind, ist aber erforderlich. Zum einen kann das Rechtsbeschwerdegericht nur so den Beschlussinhalt in Gänze erfassen. Zum anderen kann die dauerhafte Verbindung mit den Akten aber auch z.B. für spätere Verfahren relevant sein, wenn es um die Feststellung einer entgegenstehenden Rechtskraft geht. Zwar könnte das spätere Gericht die einstmals beigezogenen Akten eventuell selbst erneut beiziehen, um sich Gewissheit über die in Bezug genommenen Inhalte zu verschaffen. das wäre aber z.B. dann nicht möglich, wenn diese Akten bereits vernichtet worden sind. b) Die Rechtsbeschwerde ist (soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist) nach derzeitiger Wertung auch begründet. Im angefochtenen Beschluss wird das Zusammenspiel der Regelungen der §§ 113 und 115 Abs. 4 und 5 StVollzG verkannt. Nach § 115 Abs. 5 StVollzG darf die Strafvollstreckungskammer bei Maßnahmen, die aufgrund einer Norm ergehen, welche der Vollzugsbehörde ein Ermessen einräumen, nur prüfen, ob Ermessensfehler vorliegen. Sie darf aber nicht ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens der Vollzugsbehörde setzen. Das gilt entsprechend im Falle des Unterlassens von Maßnahmen. Die Vorschriften, die die hier in Rede stehenden Maßnahmen betreffen, nämlich Lockerungen (§ 11 StVollzG) und Urlaub zur Entlassungsvorbereitung (§ 124 StVollzG), räumen der Vollzugsbehörde ein Ermessen ein. § 113 StVollzG regelt hingegen den Vornahmeantrag mit dem der Betroffene gegen eine Untätigkeit der Vollzugsbehörde vorgehen kann. Vornahmeantrag und Verpflichtungsantrag können - wie im vorliegenden Fall - kombiniert werden. Wird der Bescheidungs- mit dem Verpflichtungsantrag kombiniert, so ist über den Verpflichtungs- und nicht über den Bescheidungsantrag zu befinden, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer kein zureichender Grund für das Unterlassen einer abschließenden Bescheidung des Betroffenen durch die Vollzugsbehörde vorliegt (OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 91, 92). Dass kein zureichender Grund für eine Nichtentscheidung vorlag, vielmehr die zögerliche Behandlung der Sache durch die Beschwerdeführerin völlig unverständlich ist, hat die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausgeführt. Sie konnte damit über die Verpflichtungsanträge entscheiden. Indes richtet sich dann diese Entscheidung nach den allgemeinen - oben dargelegten - Regeln bei Ermessensentscheidungen betreffende Verpflichtungsanträge. Dass hier eine Ermessensreduktion auf null vorlag, weswegen die Strafvollstreckungskammer ausnahmsweise zu einer eigenen Sachentscheidung befugt gewesen wäre (Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 115 Rdn. 12 f.), ist (nicht zuletzt aufgrund der fehlenden hinreichenden Mitteilungen zu dem Sachverständigengutachten Prof. Dr. S2, von dem lediglich einige Ergebnisse bzw. Vorschläge im Beschluss selbst mitgeteilt werden) nicht erkennbar. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum sich nur die konkret bewilligten Lockerungen als ermessensfehlerfrei darstellen sollten oder warum es nicht in Frage gekommen sein sollte, z.B. statt eines Ausgangs zur Einrichtung "T xx" nur eine Ausführung zu gewähren oder die Entscheidung hierüber - da diese Einrichtung nur als Ausweicheinrichtung für den Fall, dass die Einrichtung "E L" den Betroffenen doch nicht aufnimmt - zunächst zurückzustellen. Auch die Strafvollstreckungskammer geht lediglich von einer "erheblichen Ermessensreduzierung" aus." 2. Bei dieser Bewertung verbleibt es nach abschließender Beratung der Sache auch unter Berücksichtigung der weiteren Stellungnahmen des Betroffenen und seines Verfahrensbevollmächtigten. Der Umstand, dass diese nunmehr das erwähnte Sachverständigengutachten in Kopie übersenden, ändert nichts daran, dass der Verweis im angefochtenen Beschluss ins Leere geht. Auf ein bei Beschlussfassung nicht aktengegenständliches Schriftstück kann naturgemäß auch dann nicht verwiesen werden, wenn es später durch Handlungen Dritter zum Aktenbestandteil wird. Entgegen der Ansicht des Betroffenen geht der angefochtene Beschluss (S. 9) von einer "erheblichen Ermessensreduzierung" aus. Dies ergibt sich daraus, dass sich die Strafvollstreckungskammer dem Gutachten Prof. Dr. S anschließt und weiter fortfährt: "... zumal sie bereits in ihrem Beschluss in dieser Sache vom 15.05.2014 klargestellt hat, dass sie angesichts der eindeutigen Äußerungen der Sachverständigen im Anhörungstermin am 25.02.2014 zumindest von einer erheblichen Ermessensreduzierung im Hinblick auf die grundsätzliche Gewährung von Vollzugslockerungen ausgeht". Auch führt der Umstand, dass in dem genannten Gutachten selbständige Lockerungen bejaht werden, für sich genommen nicht zwingend zu einer Ermessensreduktion auf null bzgl. der Gewährung selbständiger Lockerungen. Schließlich wird der Betroffene auch nicht rechtsschutzlos gestellt. Die Strafvollstreckungskammer kann in einem - die o.g. Mängel vermeidenden - neuen Beschluss entweder bestimmte Lockerungen anordnen, wenn tatsächlich eine Ermessensreduktion auf null bestehen sollte. Anderenfalls kann sie die Vollzugsbehörde verpflichten, die Lockerungsbegehren des Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Kommt die Vollstreckungsbehörde diesen Verpflichtungen nicht nach, kann der Betroffene gegen sie Zwangsmaßnahmen nach §§ 120 Abs. 1 S. 1 StVollzG, 172 VwGO ergreifen. Der Senat mahnt - wie schon im Beschluss vom 07.10.2014 - nochmals für das weitere Verfahren eine äußerste Beschleunigung an. |
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