Aktenzeichen: 1 Ws 518/14 OLG Hamm |
Leitsatz: Bei der Ausübung des durch § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG eingeräumten Ermessens ist zum einen darauf abzustellen. wie hoch der Unrechtsgehalt der rechtswidrigen Taten ist und ob durch sie der Rechtsfrieden empfindlich gestört wurde, zum anderen ist das Maß des Sonderopfers zu berücksichtigen. dass der Betroffene durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu erleiden hatte. |
Senat: 1 |
Gegenstand: Revision Rechtsbeschwerde Beschwerde Haftprüfung durch das OLG Pauschgebühr Justizverwaltungssache Antrag auf gerichtliche Entscheidung |
Stichworte: Entschädigung, einstweilige Unterbringung, Ermessen |
Normen: StrEG 6 |
Beschluss: Sicherungsverfahrenssache gegen pp. Verteidiger: Rechtsanwalt wegen Diebstahls u.a. (hier: Entschädigung wegen erlittener einstweiliger Unterbringung). Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund - Zweigstelle Hamm - vom 10.06.2014 gegen den Beschluss der 36. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 22.05.2014, soweit darin die Verpflichtung zur Entschädigung des ehemaligen Beschuldigten pp. für die erlittene einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO während des Zeitraumes vom 23.05.2013 bis zum 20.08.2013 ausgesprochen worden ist, hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30.12.2014 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des ehemaligen Beschuldigten und seines Verteidigers beschlossen: Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem ehemaligen Beschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt (§ 8 Abs. 3 StrEG i. V. m. § 473 Abs. 1 und 2 StPO). Gründe: I. Der Beschwerdegegner und frühere Beschuldigte wurde am 22.05.2013 vorläufig festgenommen und befand sich sodann aufgrund des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Hamm vom 23.05.2013 (11 Gs 429/13) bis zum 20.08.2013 in der vorläufigen Unterbringung. Mit dem Unterbringungsbefehl war ihm zur Last gelegt worden, im Zustand der Schuldunfähigkeit, zumindest im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit in der Zeit vom 12.06.2012 bis zum 22.05.2013 in Köln, Dortmund, Münster, Hamm und anderen Orten durch 37 selbstständige Handlungen in 20 Fällen Diebstähle begangen zu haben, wobei er in 8 Fällen gewerbsmäßig gehandelt haben soll, sowie in 16 Fällen Straftaten gemäß § 265 a StGB und in einem Fall eine Unterschlagung begangen zu haben. Der Sachverständiget war in seinem schriftlichen Gutachten vom 26.04.2012 zu dem Ergebnis gelangt. dass bei dem früheren Beschuldigten eine als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB zu bewertende paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis nach ICD-10 F 20.0 vorliege, deren Verlauf chronisch sei und die dazu führe, dass der frühere Beschuldigte unfähig sei, das Unrecht seiner Taten einzusehen und daher als schuldunfähig anzusehen sei. Diese Diagnose wurde durch das von der Staatsanwaltschaft Dortmund Zweigstelle Hamm in Auftrag gegebene forensisch- psychiatrische Gutachten des Sachverständigen j vom 09.08.2013 bestätigt. Dieser führte außerdem zu der Frage einer etwaigen Unterbringung des ehemaligen Beschuldigten nach § 63 StGB aus, dass von dem Beschwerdegegner aufgrund des von ihm gewonnenen Gesamtbildes einschließlich der zu berücksichtigten Psychodiagnostik die Begehung von Delikten im Bereich der mittleren bzw. schwersten Kriminalität nicht zu erwarten sei, da es ihm insbesondere an deutlicher Impulsivität sowie auch an Aggressivität fehle. Der Beschwerdegegner sei eher als hilflos und pflegebedürftig zu bezeichnen und nicht als hochgradig deliquent im Sinne schwerwiegender Strafsituationen", weswegen im Ergebnis die Voraussetzungen des § 63 StGB nicht vorlägen. Eine konkrete Gefährlichkeit in dem Sinne, dass mittelgradige bzw. schwer wiegende Straftaten von ihm ausgingen, sei nicht erwartbar. Auf der Grundlage dieses Gutachtens wurde nach einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft Dortmund Zweigstelle Hamm vom 20.08.2013 durch Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom selben Tage der Unterbringungsbefehl vom 23.05.2013 aufgehoben und der ehemalige Beschuldigte am 21.08.2013 aus der vorläufigen Unterbringung entlassen. Wegen derjenigen Taten, die Gegenstand des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Hamm vom 23.05.2013 waren, sowie wegen weiterer 5 Diebstahlstaten und 8 weiterer Straftaten der Beförderungserschleichung, die dem ehemaligen Beschuldigten zur Last gelegt wurden, beantragte die Staatsanwaltschaft Dortmund Zweigstelle Hamm beim Landgericht Dortmund mit Antragsschrift vom 20.02.2014 die Eröffnung des Hauptverfahrens im Sicherungsverfahren gemäß § 413 StPO. Das Landgericht Dortmund hat mit Beschluss vom 22.05.2014 den Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass derzeit auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen und einer Gesamtwürdigung der Anlasstaten des ehemaligen Beschuldigten - hierbei habe es sich bislang nur" um Freifahrtserschleichungen und Diebstahlstaten im Bereich eher untergeordneten Ausmaßes (in einer Vielzahl Warendiebstähle unter 100 aus dem Lebensmittelbereich) gehandelt - keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung im Rahmen des § 63 StGB zu verhängen sein werde. Gleichzeitig hatte die Strafkammer entschieden, dass der ehemalige Beschuldigte für die erlittene vorläufige Unterbringung nach § 126 a StPO in der Zeit zwischen dem 23.05.2013 und dem 20.08.2013 zu entschädigen sei, und diese Entscheidung auf § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StrEG gestützt. Gegen die zuletzt genannte Entscheidung betreffend die Gewährung einer Entschädigung wendet sich die Staatsanwaltschaft Dortmund mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 10.06.2014. Zur Begründung hat sie unter dem 11.09.2014 vorgetragen. das Landgericht Dortmund habe bei seiner Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung des ehemaligen Beschuldigten § 6 Abs. 2 Nr. 2 StrEG nicht berücksichtigt und die nach dieser Vorschrift gebotene Ermessensausübung unterlassen. Gegenstand der Antragsschrift vom 20.02.2014 seien insgesamt 49 Straftaten, teilweise auch noch nach der Entlassung des Beschwerdegegners aus der einstweiligen Unterbringung begangen, gewesen. so dass in der Summe auch des verursachten Sachschadens von einem mittleren Unrechtsgehalt und einer nicht nur unerheblichen Störung des Rechtsfriedens auszugehen sei. Die von dem ehemaligen Beschuldigten im Gegenzug erlittene Strafverfolgungsmaßnahme stelle demgegenüber kein außergewöhnliches Sonderopfer dar, das zu einer Entschädigungspflicht führen müsse. Auch die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm ist der Ansicht, dass die Strafkammer bei ihrer Entscheidung über die Entschädigung des ehemaligen Beschuldigten, rechtsfehlerhaft die Ermessensnorm des § 6 Abs. 1 Nr, 2 StrEG nicht beachtet und eine Ermessensausübung unterlassen habe. Sie beantragt, mit der Begründung, dass das Beschwerdegericht seine eigenen Ermessenserwägungen nicht anstelle derjenigen des Ausgangsgerichts setzen dürfe, den Beschluss vom 22.05.2014 hinsichtlich der Entschädigungsentscheidung aufzuheben und im Umfang der Aufhebung des Landgericht Dortmund zurückzuverweisen. II. Die gemäß § 8 Abs. 3 StrEG statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund - Zweigstelle Hamm - erweist sich als unbegründet. Der ehemalige Beschuldigte ist für die Zeit seiner einstweiligen Unterbringung gemäß § 2 Abs. 1 und Abs. 2 StrEG zu entschädigen. Die einstweilige Unterbringung stellt gemäß § 2 Abs. 2 StrEG eine Strafverfolgungsmaßnahme dar, für die unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 StrEG, die hier gegeben sind, da durch den Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 22.05.2014 die Eröffnung des Hauptverfahrens (Sicherungsverfahrens) abgelehnt worden ist, grundsätzlich eine Entschädigung zu leisten ist. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG kann die Entschädigung u. a. versagt werden, wenn der Beschuldigte nur deshalb nicht verurteilt wird, weil er im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat. Diese Vorschrift, die einen Ermessensspielraum eröffnet, ist auch dann anwendbar, wenn die Strafverfolgungsbehörden von vornherein von der Schuldunfähigkeit des Beschuldigten ausgegangen sind, dieser nach § 126 a StPO einstweilen untergebracht worden ist und seine Unterbringung nach § 63 StGB nicht angeordnet wird, weil die von dem Beschuldigten weiter zu erwartenden rechtswidrigen Taten nicht erheblich sind und von ihnen keine Gefährdung der Allgemeinheit ausgeht (vgl. Senatsbeschluss vom 26.07 1982 1 Ws 264/82). Die Voraussetzungen sind im vorliegenden Verfahren gegeben, so dass sich das Landgericht Dortmund in seinem Beschluss vom 22.05.2014 bei der Prüfung der Frage, ob dem Beschwerdegegner eine Entschädigung für die erlittene Freiheitsentziehung zu gewähren ist, auch mit der Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG hätte auseinandersetzen und das ihr durch diese Vorschrift eingeräumte Ermessen hätte ausüben müssen. Dieser Rechtsfehler führt aber entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwalt in Hamm nicht zu einer Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Dortmund vom 22.05.2014 hinsichtlich der getroffenen Entschädigungsentscheidung und im Umfang der Aufhebung zu einer Zurückverweisung der Sache an die Strafkammer. Denn das Beschwerdegericht ist nicht darauf beschränkt, die angefochtene Entscheidung auf Ermessensfehler zu überprüfen, sondern trifft vielmehr eine eigene Ermessensentscheidung (vgl. OLG Hamm, NJW 2012, 3046 m. w. N.; a. A. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 286; KG, NStZ 2010, 284, allerdings nicht für den - hier gegebenen - Fall, dass der Tatrichter überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt hat - vgl. insoweit KG, NStZ-RR 2013, 32). Bei der Ausübung des durch § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG eingeräumten Ermessens ist zum einen darauf abzustellen. wie hoch der Unrechtsgehalt der rechtswidrigen Taten ist und ob durch sie der Rechtsfrieden empfindlich gestört wurde, zum anderen ist das Maß des Sonderopfers zu berücksichtigen. dass der Betroffene durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu erleiden hatte (vgl. BGH. NStZ-RR 2010. 296: OLG Hamm, a. a. 0.; OLG Stuttgart. NStZ-RR 2000, 190). Der Unrechtsgehalt der dem Beschwerdegegner mit der Antragsschrift vom 20.02.2014 zur Last gelegten Taten ist noch nicht als erheblich einzustufen, wie die Strafkammer in ihrem Beschluss vom 22.05.2013 zutreffend ausgeführt hat. Auch die Vielzahl der dem ehemaligen Anschuldigten zur Last gelegten Straftaten geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Denn ein gewichtiger Gesamtschaden ist durch diese dem ehemaligen Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten nicht entstanden, da er in sämtlichen ihm zu Last gelegten Diebstahlsfällen gestellt und die entwendeten Gegenstände fast ausnahmslos an die Berechtigten zurückgegeben werden konnten, was nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, dass sich der ehemalige Beschuldigte auffällig verhalten und dadurch, aber auch durch sein Äußeres die Aufmerksamkeit von Zeugen auf sich gezogen hatte. Soweit dem ehemaligen Beschuldigten in 8 Fällen die Begehung eines gewerbsmäßigen Diebstahls zu Last gelegt wird, vermag diese Einstufung der Taten nicht deren Beurteilung als erheblich im Sinne von § 63 StGB zu rechtfertigen. Denn die Gewerbsmäßigkeit wird maßgeblich durch ein subjektives Moment begründet. das den konkreten Zuschnitt der Taten und das Maß ihrer Gefährlichkeit für sich nicht beeinflusst (vgl. BGH, NStZ-RR 1997, 230). Soweit dem ehemaligen Beschuldigten bezüglich des Diebstahls im Fall 3 der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 20.02.2014 ursprünglich ein aggressives Verhalten gegenüber einer Verkäuferin er soll dieser auf den Unterarm geschlagen haben zur Last gelegt worden war, hat sich dieser Verdacht nicht erhärten lassen. da sich jedenfalls die angeblich Geschädigte selbst an eine solche Körperverletzung nicht hatte erinnern können. Angesichts dieser Umstände war es nach Auffassung des Senats bereits bei Erlass des Unterbringungsbefehls als eher unwahrscheinlich anzusehen, dass gegen den Beschwerdegegner die Verhängung einer Maßregel nach § 63 StGB in Betracht kommen könnte. Dieser Gesichtspunkt fällt im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensabwägungen zugunsten des Beschwerdegegners durchaus ins Gewicht. Denn es ist zu berücksichtigten, dass für Ermessenserwägungen kein Raum mehr ist, sondern das Ermessen hinsichtlich der Gewährung einer Entschädigung nach § 6 Abs. 1 StrEG vielmehr auf Null reduziert ist, wenn es bereits bei Anordnung der vorläufigen Maßnahme nach § 126 a StPO an einer geeigneten Anlasstat mangelt, die eine Unterbringung rechtfertigen könnte (vgl. KG, NStZ-RR 2013, 32). Eine andere Beurteilung hinsichtlich der Verhängung einer Maßregel nach § 63 StGB ist im vorliegenden Verfahren auch nicht deshalb geboten, weil der ehemalige Beschuldigte in der Vergangenheit auch wegen schwerwiegenderer Straftaten, nämlich im Jahre 1989 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, im Jahre 1997 wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie im Jahre 2005 wegen versuchten Diebstahls mit Waffen jeweils zu Freiheitsstrafen. im letzteren Fall allerdings unter Strafaussetzung zur Bewährung. verurteilt worden ist. Denn diese Straftaten liegen bereits sehr lange zurück und lassen daher für sich allein nicht den Rückschluss zu, dass es erneut zur Begehung solcher Straftaten kommen könnte. Angesichts des Umstandes. dass die entwendeten Gegenstände fast ausnahmslos an die Berechtigten zurückgegeben werden konnten, ist auch unter Berücksichtigung des Schadens, der durch die dem ehemaligen Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten der Beförderungserschleichung entstandenen ist. eine gravierende Störung des Rechtsfriedens noch nicht festzustellen. Auf der anderen Seite ist das Maß des Sonderopfers, das der frühere Beschuldigte durch die einstweilige Unterbringung zu erleiden hatte, durchaus als beträchtlich anzusehen, und zwar deshalb, weil sich infolge seiner psychischen Erkrankung die einstweilige Unterbringung aus seiner Sicht ausschließlich als ungerechtfertigte Freiheitsentziehung dargestellt hat und er vor allem wegen der Unheilbarkeit seiner psychischen Erkrankung von etwaigen Behandlungsmaßnahmen kaum bzw. gar nicht profitieren konnte. Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Umstände steht dem ehemaligen Beschuldigten nach der Auffassung des Senats dem Grunde nach ein Entschädigungsanspruch für die erlittene Maßnahme der einstweiligen Unterbringung zu, so dass die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund - Zweigstelle Hamm - im Ergebnis als unbegründet zu verwerfen war. |
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