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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 664/14 OLG Hamm

Leitsatz: Grundsätzlich ist die Beobachtung männlicher Gefangener durch einen Türspion oder ein Fenster zum Haftraum - auch durch weibliche Bedienstete - eine zulässige Maßnahme zur Abwendung der Realisierung einer Selbstmordgefahr. Auch hierbei ist freilich die Intimsphäre des Gefangenen, die durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt wird, möglichst zu schonen. Insoweit ist - jedenfalls bei der Beobachtung durch weibliche Bedienstete - zu prüfen, ob eine vorherige Ankündigung einer solchen Sichtkontrolle ohne Gefährdung ihres Sicherungszwecks möglich ist und ggf. entsprechend vorzugehen, damit dem gefangenen die Möglichkeit gegeben wird, etwaigen Eingriffen in seine Intimsphäre vorzubeugen.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Bobachtung, Türspion, männlicher Gefangener, weibliche Bedienstete

Normen: GG Art. 1, GG Art. 2; StVollzG 88

Beschluss:

Vollzugsache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 27.01.2015 beschlossen:
Dem Betroffenen wird kostenfrei (§ 21 GKG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist gewährt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, soweit der Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung durch weibliche Bedienstete zurückgewiesen worden ist.
Soweit die Rechtsbeschwerde zugelassen worden ist, wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Aachen zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Der Betroffene befindet sich inzwischen in der JVA C, war aber früher in der JVA B inhaftiert. Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss war dort gegen ihn nach einem Selbstmordversuch in einer anderen Justizvollzugsanstalt die Sicherungsmaßnahme der Beobachtung in unregelmäßigen Zeitabständen von nicht mehr als 15 Minuten, auch bei Nacht, angeordnet worden. Diese Beobachtungsmaßnahmen (durch das Fenster zu seinem Haftraum) wurden teilweise auch von weiblichen Bediensteten durchgeführt. In mindestens drei Fällen war er dabei nackt, nachdem er sich nach sportlicher Betätigung gewaschen hatte. Mit dem im angefochtenen Beschluss zurückgewiesenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung durch weibliche Bedienstete begehrt. Ferner hat er die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Betretens seines Haftraums durch Bedienstete der Justizvollzugsanstalt ohne vorheriges Anklopfen begehrt.
Gegen die Zurückweisung seiner Anträge wendet sich der Betroffene nunmehr mit der Rechtsbeschwerde. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen vertritt die Auffassung, dass die Rechtsbeschwerde in Ermangelung eines Zulassungsgrundes unzulässig sei.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist teilweise zulässig.
1.
Soweit es um die Frage des Anklopfens von Bediensteten der Justizvollzugsanstalt vor Betreten des Haftraumes geht, ist das Rechtsmittel allerdings unzulässig, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG). Es ist bereits verfassungsgerichtlich geklärt, dass auch ein vernehmbares Schließgeräusch vor Öffnen der Tür zum Haftraum
ausreicht, um dem Gefangenen hinreichend die Möglichkeit zu geben, seine Intimsphäre zu schützen (BVerfG, Beschl. v. 13.11.2007 - 2 BvR 939/07 - [...]; BVerfG NJW 1996, 2643 [BVerfG 30.05.1996 - 2 BvR 727/94]). In einem solchen Fall (und dieser lag nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses vor) bedarf es zur Wahrung der Intimsphäre des Gefangenen nicht eines (zusätzlichen) vorherigen Anklopfens.
2.
Soweit es um die Frage der Beobachtung durch weibliche Bedienstete geht, wird die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts (§ 116 StVollzG) zugelassen, da insoweit die Frage, unter welchen Modalitäten eine solche zulässig ist, bisher obergerichtlich noch nicht hinreichend geklärt ist.
Die Rechtsbeschwerde ist auch - nach Wiedereinsetzung - insoweit im Übrigen zulässig. Angesichts der möglichen Verletzung der Intimsphäre läge auch eine tiefgreifende Grundrechtsverletzung vor, welche ein entsprechendes Feststellungsinteresse des Betroffenen rechtfertigen würde.
III.
Soweit die Rechtsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet.
Zutreffend ist zwar noch der Ansatz des Landgerichts, dass es sich vorliegend nicht um eine an § 84 StVollzG zu messende Durchsuchungsmaßnahme handelt. Die Definition der Durchsuchung entspricht grundsätzlich der des Polizeirechts und des Strafprozessrechts. Danach ist eine Durchsuchung des Gefangenen gegeben, wenn nach Sachen oder Spuren in oder unter der Kleidung sowie auf der Körperoberfläche und in Körperhöhlen und Körperöffnungen, die ohne Eingriff mit medizinischen Hilfsmitteln einzusehen sind, gesucht wird. Entsprechendes gilt für die Durchsuchung von Sachen oder des Haftraumes des Gefangenen (Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 84
Rdn. 2). Die bloße Sichtkontrolle durch ein Fenster, dass der Gefangene keine Selbstmordversuche unternimmt, fällt ersichtlich nicht hierunter.
Vielmehr handelt es sich bei der angeordneten Sicherungsmaßnahme um eine solche nach § 88 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG, soweit sie zur Nachtzeit durchzuführen war und eine solche nach § 4 Abs. 2 StVollzG im Übrigen (vgl. BGH NJW 1991, 2652 [BGH 08.05.1991 - 5 AR Vollz 39/90]). Hier ging es offensichtlich um eine Beobachtung nicht zur Nachtzeit, was sich aus dem Umstand ergibt, dass der Betroffene bei oder kurz nach der Körperpflege nach sportlicher Betätigung (Laufen in der Freistunde) angetroffen wurde. Maßstab der Überprüfung ist also § 4 Abs. 2 StVollzG. Danach dürfen dem Gefangenen nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerlässlich sind. Grundsätzlich ist zwar die Beobachtung durch einen Türspion oder ein Fenster zum Haftraum - auch durch weibliche Bedienstete - eine zulässige Maßnahme zur Abwendung der Realisierung einer Selbstmordgefahr. Auch hierbei ist freilich die Intimsphäre des Gefangenen, die durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt wird, möglichst zu schonen. Dem wurde im angefochtenen Beschluss nicht vollständig Rechnung getragen. Soweit die angefochtene Entscheidung darauf abstellt, die beanstandeten Sichtkontrollen durch weibliche Bedienstete seien zu Zeiten erfolgt, in denen "grundsätzlich nicht damit zu rechnen ist, dass der Gefangene sich in seinem Haftraum nackt aufhält", hätte es gleichwohl der Erörterung bedurft ob nicht gleichwohl auch hier die Möglichkeit bestand, sich vor der Verschaffung des Einblicks in den Haftraum des Betroffenen in irgendeiner Form anzukündigen, um ihm so die Möglichkeit zu geben, einen - wenn auch nicht zu erwartenden, jedoch gleichwohl nicht fern liegenden - etwaigen Eingriff in seine Intimsphäre abzuwenden. Insoweit gelten nach Auffassung des Senats die verfassungsgerichtlichen Anforderungen zum Sich-bemerkbar-Machen vor einem Betreten des Haftraumes (s.o.) entsprechend. Es hätte also hier der Erörterung bedurft, warum es, wenn eine weibliche Bedienstete die Beobachtung durchführt, nicht möglich gewesen sein sollte, dass diese die Sichtkontrolle zuvor (etwa durch Abgabe eines vorher mit dem Gefangenen vereinbarten Zeichens, durch Ansprache durch die Haftraumtür hindurch o.ä.) ankündigte. Ein solcher Grund könnte etwa dann vorliegen, wenn zu befürchten ist, dass der Gefangene eine Selbstmordabsicht noch zwischen Ankündigung und Sichtkontrolle verwirklicht und aufgrund dessen ein zeitlicher Vorlauf entstünde, der die Sicherungsmaßnahme leerlaufen ließe. Mit diesen Fragen setzt sich der angefochtene Beschluss indes nicht auseinander.
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass es angesichts des Sicherungszwecks der Maßnahme freilich nicht erforderlich ist, eine Sichtkontrolle bis zu einer entsprechenden Zustimmungserklärung des Gefangenen hinauszuschieben oder sonst länger zuzuwarten, als es notwendig ist, damit der Gefangene seine etwaige Blöße bedecken kann.
Die Frage, ob es auch bei der Durchführung der Sichtkontrolle durch männliche Bedienstete grundsätzlich einer Vorankündigung bedurft hätte, kann vorliegend dahinstehen, da der Betroffene insoweit keine Rechtsverletzung geltend macht.


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