Aktenzeichen: 4 Ws 203/06 OLG Hamm |
Leitsatz: Zur (bejahten) Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren. |
Senat: 4 |
Gegenstand: Beschwerde |
Stichworte: Pflichtverteidiger; Beiordnung; Strafvollstreckungsverfahren; |
Normen: StPO 140 |
Beschluss: Strafvollstreckungssache gegen T.H. wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, (hier: Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidiger für das Vollstreckungsverfahren). Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 13. April 2006 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 7. April 2006 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 05. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen: Dem Verurteilten wird unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Rechtsanwalt X. aus I. als Verteidiger für das Vollstreckungs¬verfahren beigeordnet. Die Kosten für das Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Landeskasse. Gründe I. Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 25. Juni 2001 wegen Zuwiderhandelns gegen das Betäubungsmittelgesetz und das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden; ferner ist seine Unterbringung in eine Entziehungsanstalt angeordnet worden. Nach zwischenzeitlichem Vollzug der Maßregel, die laut Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 4. November 2002 nicht weiter zu vollziehen war, verbüßt der Verur¬teilte seit dem 4. Dezember 2002 den Rest der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe; 2/3 waren am 24. Oktober 2005 verbüßt. Das Strafzeitende ist notiert auf den 25. Dezember 2007. Mit Schreiben vom 6. November 2005 hat der Verurteilte die bedingte Aussetzung der Reststrafe nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln beantragt. Der Leiter der Justizvoll¬zugsanstalt Bielefeld-Senne hat dazu am 4. Januar 2006 ablehnend Stellung ge¬nommen. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld, der die Akten von der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt worden waren, hat sich mit Beschluß vom 10. Februar 2006 für örtlich unzuständig erklärt. Der von der Strafvoll¬streckungskammer des Landgerichts Arnsberg auf den 12. April 2006 in der Justiz¬vollzugsanstalt Werl anberaumte Anhörungstermin konnte nicht durchgeführt wer¬den, da sich der Verurteilte und sein Verteidiger irrtümlich zum Landgericht Arnsberg begeben hatten. Zuvor hatte der Verurteilte mit Schreiben vom 6. April 2006 die Bei¬ordnung von Rechtsanwalt Dr. M. aus H. als Pflichtverteidiger beantragt. Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluß vom 7. April 2006 zurückgewiesen, weil das Verfahren weder rechtlich noch tatsächlich besonders schwierig und der Verurteilte im übrigen in der Lage sei, seine Interessen selbst wahr zu nehmen. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner Beschwerde vom 13. April 2006, der die Strafvollstreckungskammer mit Beschluß vom 20. April 2006 nicht abgeholfen hat. Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2006 hat Rechtsanwalt X. aus I. mitgeteilt, der Verurteilte habe Rechtsanwalt Dr. M. das Mandat entzogen und statt dessen ihn, Rechtsanwalt X, beauftragt, seine rechtlichen Interessen im Vollstre¬ckungsverfahren wahr zu nehmen. Es werde nunmehr die Beiordnung von Rechts¬anwalt X. beantragt. Rechtsanwalt Dr. M. hat auf Anfrage des Senats zwischenzeitlich die Beendigung des Mandats mit Schreiben vom 22. Mai 2006 bestätigt. II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Zuschrift vom 3. Mai 2006 wie folgt Stel¬lung genommen: Die Bestellung eines Verteidigers in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO ist im Vollstreckungsverfahren dann geboten, wenn die Schwie¬rigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgerecht wahrzunehmen, dies erfordern. Zwar hat die Strafvoll¬streckungskammer zutreffend hervor gehoben, dass derartige Besonderheiten nicht bereits darin liegen, dass noch eine längere Freiheitsstrafe gegen den Verurteilten zu vollstrecken (OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 319 f.) bzw. dieser als rechtlicher Laie mit den Besonderheiten des Strafvollstreckungsverfahrens nicht vertraut ist (zu vergleichen OLG Hamm, Beschluss vom 15.01.2002 2 Ws 12/02 m. w. N.). Indes ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Taten des Verurteilten ihre Ursache nicht allein in seiner Betäubungsmittelabhängig¬keit haben, sondern bereits im Erkenntnisverfahren der hinzugezogene Sach¬verständige daneben eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hat (Bl. 11 Bd. I VH), zu der die Westfälische Klinik Schloss Haldem anlässlich der Unterbrin¬gung mit Bericht vom 21.05.2002 (Bl. 202, 203 Bd. I VH) ergänzend ausgeführt hat, bei dem Verurteilten liege eine dissoziale Persönlichkeits-struktur bei vermindertem sozialen Verpflichtungsgefühl und reduziertem Bemühen um soziale Anpassung vor, er nehme die Auseinandersetzung mit seiner Sucht¬problematik und seinem deliquentem Verhalten nicht auf, sondern flüchte sich in eine Opferhaltung, in der er entsprechende Vorhalte als ungerecht und feindselig empfinde und die ihm eine kritische Reflektion seines Verhaltens unmöglich mache. Der Sachverständige Dr. G. hat in seinem Gutach¬ten vom 14.09.2002 (Bl. 221 bis 238 Bd. I VH) ebenfalls niedergelegt, dass bei dem Verurteilten ein lediglich formal angepasstes Verhalten aufgrund der Hoffnung, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden, festzustellen sei, jedoch neben dem Missbrauch bzw. der Abhängigkeit von psychotrophen Substan¬zen bei ihm eine disoziale Pesönlichkeitsstruktur mit übersteigertem Selbst¬wertgefühl, Erlebnishunger, einem Mangel an Schuldbewusstsein und Empa¬thie sowie ein Fehlen von langfristigen realistischen Zielen bestehe. Demnach ist die Sach- und Rechtslage im vorliegenden Fall kompliziert. Es steht zu besorgen, dass dem Verurteilten trotz seiner auf den ersten Blick for¬mal wie inhaltlich geordneten Schreiben aufgrund seines Krankheitsbildes der Blick auf die Realität verstellt ist. Andererseits sind in Ansehung seines Frei¬heitsgrundrechts mit zunehmender Dauer der nahezu 7 Jahre andauernden Freiheitsentziehung zunehmend höhere Anforderungen an die Sachver¬haltsaufklärung zu stellen (zu vergleichen Bundesverfassungsgericht, Be¬schluss vom 13.11.2005 2 BvR 792/05). Insoweit wird vorliegend eine be¬sonders sorgfältige Abwägung vorzunehmen sein, ob trotz des nunmehr seit über einem Jahr beanstandungsfreien Vollzugsverhaltens die nicht hinreichend fachlich aufgearbeitete Suchtproblematik und die daraus naturgemäß resultie¬rende Rückfallgefahr der Verantwortbarkeit einer Erprobung in Freiheit entge¬gen stehen. Entsprechend bedarf es der Beiordnung eines Verteidigers, um den Verurteilten als Ausfluß seines Anspruches auf ein faires rechtsstaatliches Verhalten die sachgerechte Wahrnehmung seiner Interessen zu ermöglichen. Dem schließt sich der Senat an. Dem Verurteilten war daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Rechtsanwalt X. als Pflichtverteidiger für das Vollstreckungsverfahren beizu¬ordnen. III. Die Kosten und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwen¬dung der §§ 467, 473 StPO. |
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