Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws 467/14 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Zu den Pflichten des (gestellten) Sachverständigen.
2. Es bleibt offen, wie die Sachdienlichkeit im Sinne des § 220 Abs. 3 StPO zu bestimmen ist.
3. Ein Gutachten ist jedenfalls dann nicht sachdienlich, wenn der Sachverständige keine Gewähr dafür bietet, seinen gesetzlichen Pflichten entsprechen zu wollen, und Zweifel an seiner Unparteilichkeit angezeigt sind.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Entschädigung, präsentes Beweismittel, Sachverständiger

Normen: StPO 220

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 13.11.2014 - beschlossen:
Die Beschwerde wird verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Beschwerdeführer Prof. Dr. Q und die Angeklagte jeweils zu 1/2.

Gründe
I.
Gegen die Angeklagte wurde durch die Staatsanwaltschaft Dortmund am 5. April 2011 Anklage erhoben, wobei ihr zur Last gelegt wurde, sie habe am 20. Juni 2010 ihren am 27. November 2009 geborenen Sohn unter billigender Inkaufnahme erheblicher Verletzungen geschüttelt. Hierdurch habe dieser einen Berstungsbruch der rechten Schädelkalotte bis in die Schädelbasis erlitten, an deren Folgen er am 21. Juni 2010 verstorben sei.

Im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht des Landgerichts Dortmund wurde seitens der Verteidigung gemäß § 38 StPO auf den 5. Hauptverhandlungstag am 26. März 2014 der Sachverständige Prof. Dr. Q unmittelbar geladen. In dem Hauptverhandlungstermin erstattete der Sachverständige nach entsprechender Beschlussfassung durch die Kammer sein Gutachten.

Im Folgenden wurde seitens der Angeklagten beantragt, nach § 220 Abs. 3 StPO anzuordnen, dass dem Sachverständigen eine gesetzliche Entschädigung aus der Staatskasse zu gewähren ist.

Durch den angefochtenen Beschluss hat die Kammer diesen Antrag zurückgewiesen. Der Sachverständige habe nicht zur Sachaufklärung beigetragen. Er habe bei seiner Vernehmung geäußert, dass er seine Aufgabe darin sehe, auf Umstände und Auffassungen in der zu den Beweisfragen veröffentlichten Literatur hinzuweisen, die gegen die von den bislang tätigen Sachverständigen vertretenen Auffassungen sprächen. Indem er dies auf Nachfrage noch einmal bestätigt habe, habe er deutlich gemacht, dass er nicht gewillt gewesen sei, ein unparteiliches Gutachten zu erstatten. Dass er sich von dieser Einstellung auch habe leiten lassen, sei schon dadurch bestätigt worden, dass er bestritten habe, es lägen überhaupt wesentliche Befunde für ein Schütteltrauma vor. Dabei habe er unerwähnt gelassen, dass ein in dem von ihm geleiteten Institut tätiger Autor noch im Jahr 2009 im Rahmen eines Fachaufsatzes eine Reihe von für ein Schütteltrauma typischen Befunden benannt habe, die auch im konkreten Fall vorgelegen hätten. Der Sachverständige habe - so die Kammer - seinen Auftrag einseitig missverstanden und sei zu einer Gesamtwürdigung aller Argumente entweder nicht willens oder nicht in der Lage gewesen.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Sachverständige Prof. Dr. Q die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Im Rahmen seiner Begutachtung habe er alle Fragen der Verfahrensbeteiligten unparteilich und nach bestem Wissen beantwortet.

Die Angeklagte ist der Beschwerde am 16. September 2014 beigetreten. Die Versagung einer Entschädigung nach § 220 Abs. 3 StPO solle lediglich Fälle des Missbrauchs erfassen, dienlich sei hingegen bereits jede das Verfahren fördernde Beweiserhebung, die den Verfahrensgang irgendwie beeinflusst habe. Die Schwurgerichtskammer übersehe, wenn sie eine einseitige Vorgehensweise des Sachverständigen annehme, dass es zum strafprozessualen Alltag gehöre, Gutachten methodisch zu hinterfragen und zu kritisieren. Eine solche Kritik dürfe auch pointiert den zuvor geäußerten Auffassungen entgegentreten.

Darüber hinaus habe das Gutachten des Beschwerdeführers auch den weiteren Verfahrensverlauf beeinflusst, da die Verteidigung in der Folge einen Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens eines Augenarztes sowie eines Hämostaseologen gestellt habe, dem seitens der Kammer entsprochen worden sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Der Beschwerde bleibt der Erfolg in der Sache versagt.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Die Angeklagte konnte der Beschwerde wirksam beitreten, da sie durch die Entscheidung der Strafkammer auch selbst beschwert ist.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn die Entscheidung des Landgerichts erweist sich als rechtmäßig.

Nach § 220 Abs. 3 StPO ist dem unmittelbar durch den Angeklagten geladenen Sachverständigen eine Entschädigung aus der Staatskasse zu gewähren, wenn sich in der Hauptverhandlung ergibt, dass seine Vernehmung zur Aufklärung dienlich war. Die Sachdienlichkeit ist durch das Gericht in tatrichterlicher Würdigung von Verlauf und Ergebnis der Hauptverhandlung zu beurteilen (Meyer-Goßner, StPO, 57. Auflage, § 220 RN 11; Ritscher in: Graf [Hrsg.], StPO, 2. Auflage, § 220 RN 12) Insoweit ist im Grundsatz anerkannt, dass im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (bspw. Deiters in: Wolter [Hrsg.], SK-StPO, 4. Auflage, § 220 RN 24), gleichzeitig soll es aber nicht bereits genügen, dass dem Beweisantrag nach § 245 Abs. 2 StPO stattgegeben und etwas zur Sache gehöriges bekundet wurde (Jäger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 220 RN 29).

Was im Einzelnen unter "Sachdienlichkeit" zu verstehen ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. So ist seitens des Bundesgerichtshofs gefordert worden, das Gutachten eines mitgebrachten Sachverständigen müsse - auch wenn ihm das Gericht nicht folge - einen modifizierenden Einfluss auf die Entscheidung gehabt haben (BGH, Beschluss vom 18. August 1999, 1 StR 186/99, StV 1999, 576f.). Demgegenüber wurde in verschiedenen Entscheidungen der Oberlandesgerichte bereits die Verbreiterung der Diskussionsgrundlage als ausreichend angesehen (KG Berlin, Beschluss vom 10. Mai 1999, 4 Ws 80/99, NStZ 1999, 476; OLG München, Beschluss vom 2. Januar 1996, 2 Ws 1407,1408/95, StV 1996, 491; vgl. auch bereits Widmaier, Zur Rechtsstellung des nach §§ 220, 38 StPO vom Verteidiger geladenen Sachverständigen, in: StV 1985, S. 526 - 528 [528]).

Der aufgezeigte Streitstand bedarf vorliegend nicht der abschließenden Erörterung, vielmehr ist bereits Folgendes entscheidend: Als sachdienlich erweist sich das Gutachten eines unmittelbar durch den Angeklagten geladenen Sachverständigen nach Auffassung des Senats in jedem Fall dann nicht, wenn der Sachverständige keine Gewähr dafür bietet, den gesetzlichen Pflichten eines Sachverständigen entsprechen zu wollen, denn die grundsätzliche Rechtsstellung des Sachverständigen wird nicht dadurch berührt, wer ihn in die Hauptverhandlung hineingebracht hat. Jeder in der Hauptverhandlung vernommene Sachverständige ist Sachverständiger des Gerichts, der sein Gutachten "unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen" (§ 79 Abs. 2 StPO) zu erstatten hat (Widmaier, StV 1985, S. 526- 528 [526] sowie Detter, Der von der Verteidigung geladene Sachverständige (Probleme des § 245 Abs. 2 StPO), in: Festschrift für Salger [1995], S. 231 - 245 [238]), und kein bloßer Privatgutachter.

Mit dem Landgericht ist auch der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass vorliegend Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen angezeigt waren.

In tatsächlicher Hinsicht kann dabei nach Durchführung des Beschwerdeverfahrens zunächst als unstreitig zugrundegelegt werden, dass sich der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstattung seines Gutachtens sinngemäß dahingehend geäußert hat, seine Aufgabe im Beziehen einer Gegenposition zu verstehen. Wenngleich der Beschwerdeführer und die Angeklagte diesen Umstand abweichend bewerten, so sind sie der Feststellung als solcher gleichwohl nicht entgegengetreten.

Jedenfalls aufgrund einer Gesamtschau der Umstände durfte die Kammer hieraus den Schluss ziehen, eine Unparteilichkeit des Beschwerdeführers sei nicht gewährleistet. Allein der Umstand, dass der Sachverständige eine dezidierte Gegenauffassung zu den Vorgutachten einnimmt, reicht insoweit aber nicht, vielmehr mag das Beziehen einer Gegenposition im Einzelfall geradezu geboten sein, beispielsweise wenn es gilt, methodisch unzureichenden vorgutachterlichen Feststellungen und Bewertungen entgegenzutreten.

Indes hat sich die Kammer auch nicht darauf beschränkt, dem Sachverständigen das bloße Beziehen einer Gegenposition vorzuhalten. Vielmehr war diese für das Landgericht lediglich Anlass, die Ausführungen des Sachverständigen weiter zu hinterfragen. Erst als sich daraufhin (außerhalb der Hauptverhandlung) herausgestellt hatte, dass der Beschwerdeführer einen Aufsatz eines in seinem Institut tätigen Mitarbeiters unberücksichtigt gelassen hatte, sah die Kammer die Parteilichkeit des Beschwerdeführers als erwiesen an. Dies begegnet keinen Bedenken. Die fragliche Veröffentlichung mit dem Titel "Das Schütteltrauma-Syndrom: Eine häufige Form des nicht akzidentellen Schädel-Hirn-Traumas im Säuglings- und Kleinkindesalter" aus dem Deutschen Ärzteblatt 2009 war vorliegend ersichtlich gutachtenrelevant. Dass in diesem Aufsatz zudem für die Annahme eines Schütteltraumas sprechende Indizien aufgezeigt werden, die auch vorliegend das Befundbild prägen, war insofern bezeichnend und durchaus geeignet, eine selektive und methodisch unzureichende Auseinandersetzung des Sachverständigen mit den dem Verfahren zugrundeliegenden Beweisfragen befürchten zu lassen. Jedenfalls danach durfte die Kammer den Schluss ziehen, dass der Beschwerdeführer nicht willens war, seiner prozessualen Rolle in vollem Umfang zu entsprechen und der Kammer einen umfassenden Blick auf die medizinischen Fragestellungen des Sachverhalts zu vermitteln.

Nach alledem war eine Sachdienlichkeit des Gutachtens im Sinne von § 220 Abs. 3 StPO bereits aufgrund der vorhandenen Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu verneinen.

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass aufgrund der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden Richters am Landgericht M. vom 29. Oktober 2014 davon auszugehen war, dass weiteren Beweisanträgen der Verteidigung jedenfalls nicht aufgrund der Ausführungen des Beschwerdeführers entsprochen wurde. Insofern ist auch nicht ersichtlich, dass das Gutachten des Beschwerdeführers trotz der vorhandenen Zweifel an seiner Unparteilichkeit durch die Kammer verwertet wurde. Damit besteht im Ergebnis auch kein Widerspruch zur Regelung des § 8a Abs. 2 S. 2 JVEG, der zufolge auch Gutachten, die mit den in § 8a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 aufgezählten Mängeln behaftet sind, im Fall ihrer Verwertung Vergütungsansprüche begründen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Die Angeklagte war an den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu beteiligen, da sie der Beschwerde beigetreten ist.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".