Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 5 RVs 47/15 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Die Annahme einer vorsätzlichen oder fahrlässigen actio libera in causa setzt voraus, dass sich die Vorstellung des Täters vor Eintritt bzw. Herbeiführung des Defektzustandes auf eine bestimmte Tat bezieht.
2. Auch wenn bei einem Täter die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, kann das Gericht dennoch eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ablehnen, weil das dem Defektzustand vorausgehende Verhalten des Täters eine Versagung der Strafrahmensenkung zulässt.

Senat: 5

Gegenstand: Revision

Stichworte: actio libera in causa, Defektzustand, Strafmilderung, Strafrahmensenkung,

Normen: StGB 21; StGB 49; StGB 223, StGB 224

Beschluss:

In pp.
hat der 5. Strafsenat des OLG Hamm am 28.04.2015 beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Essen - Strafrichter - hat den erheblich und auch einschlägig vorbestraften Angeklagten am 08. Juli 2014 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt und eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die XI. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen mit Urteil vom 14. November 2014 als unbegründet verworfen. Hinsichtlich der Person des Angeklagten hat die Kammer auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens u. a. Folgendes festgestellt:

"Der Angeklagte leidet unter einer ausgeprägten Angstkrankheit (generalisierte Angststörung), deren Ursache in dem in der Vergangenheit zu verzeichnenden Drogenmissbrauch bei dem Angeklagten bestehen könnte. Bei dieser Angstkrankheit handelt es sich um einen Dauerzustand, wobei sich die Krankheit in verschiedenen Symptomen äußert, so Nervosität, Zittern, Muskelspannung, Schwitzen bis hin zu Atemnot und Herzklopfen. Dieser Dauerzustand allein bewirkt allerdings nicht, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben oder dessen Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich eingeschränkt wäre. Der Angeklagte leidet allerdings zusätzlich unter anfallartig auftretenden Panikattacken. Diese brechen unvorhersehbar aus und führen auch zu einem zeitweiligen Kontrollverlust. Die Attacken äußern sich in einer übersteigerten Panikreaktion, wobei das Verhalten des Angeklagten in diesem Fall von einem starken Fluchtanreiz geprägt ist. Bei einer solchen anfallartig auftretenden Panikattacke kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Einzelfall die Steuerungsfähigkeit bei dem Angeklagten erheblich vermindert ist. Eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit oder gar eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit sind allerdings unter Wirkung einer solchen Panikattacke nicht anzunehmen."

In der Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte begab sich am 28.12.2013 gegen 17.35 Uhr in die T-Straße in F, um dort an Automaten Glücksspiele zu betreiben. Nach dem Betreten der Spielhalle wurde der Angeklagte durch die Sicherheitskraft Herrn L angesprochen, der verlangte, der Angeklagte solle sich der Hausordnung gemäß ausweisen. Der Angeklagte leistete dieser Aufforderung allerdings keine Folge und bemerkte zu dem Zeugen L, er müsse sich nicht ausweisen, da er in der Spielhalle sowieso bekannt sei, und ging an ihm vorbei zu den Spielautomaten. Der Zeuge L wiederholte seine Aufforderung, woraufhin der Angeklagte sich nach wie vor weigerte, sich auszuweisen. Er begann sodann trotz der Aufforderung des Zeugen L, nunmehr die Spielstätte zu verlassen, damit, an einem Automaten zu spielen, indem er eine Geldmünze hinein warf. Der Zeuge L brach daraufhin das Spiel ab und begann mit dem Angeklagten eine Diskussion, wobei er darauf hinwies, dass der Angeklagte nunmehr, da er sich geweigert habe, sich auszuweisen, die Spielhalle verlassen müsse. Der Angeklagte beharrte darauf, er sei in der Spielhalle bekannt und dürfe dort spielen. Im weiteren Verlauf der Diskussion wollte er dem Zeugen L zum Nachweis seiner Identität auch seine Aufenthaltsbescheinigung zeigen. Der Zeuge L nahm diese allerdings nicht zur Kenntnis, sondern beharrte darauf, dass der Angeklagte nunmehr die Örtlichkeit zu verlassen habe. Der Zeuge L begleitete den Angeklagten sodann in den unteren Eingangsbereich der Spielhalle zurück, wo der Angeklagte sich zu dem Zeugen L umdrehte und ihn anschrie. Als sich der Angeklagte dem Zeugen L weiter näherte, wehrte dieser den Angeklagten ab, indem er ihn zur Seite schubste. Hierdurch vergrößerte sich der Abstand zwischen dem Zeugen L und dem Angeklagten wieder etwas, wobei der Angeklagte allerdings nicht hinfiel. Der Angeklagte griff nunmehr in eine Tasche und zog eine Pfefferspraydose, die er bei sich trug, heraus. Aus einer Entfernung von etwa 2 m sprühte er mit dem ausgestreckten Arm zumindest einen Spraystoß in Richtung des Gesichts des Zeugen L, der, als er sich wegdrehte, an einer Gesichtshälfte von dem Sprühstoß getroffen wurde, und zwar im Bereich des rechten Auges. Der Angeklagte flüchtete schließlich aus der Spielhalle. Der Zeuge L, dessen Augen nach dem Vorfall gerötet waren, ebenso wie die linke Gesichtshälfte, begab sich nach der Tat nicht in ärztliche Behandlung, musste allerdings sein betroffenes Auge ausspülen. Zugunsten des Angeklagten kann nicht ausgeschlossen werden, dass er zu dem Zeitpunkt, als er das Pfefferspray benutzt hat, unter einer anfallartig aufgetretenen Panikattacke gelitten hat und deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Bis zum Eintreffen der Polizeibeamten beruhigte sich der Angeklagte wieder, wobei er zuvor Medikamente eingenommen hatte. Gravierende Ausfallerscheinungen konnten durch die eingesetzten Polizeibeamten nicht festgestellt werden."

Das Landgericht hat die Tat als gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet und im Rahmen der Strafzumessung einen minder schweren Fall unter Hinweis auf die zahlreichen Vorstrafen des Angeklagten sowie die bei dem Zeugen L eingetretenen Verletzungsfolgen verneint. Eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat die Kammer nicht vorgenommen und hierzu zur Begründung ausgeführt, der Angeklagte habe "die Situation, aus der heraus er dann möglicherweise eine Panikattacke erlitten hat, provoziert". Der Angeklagte habe "in vorwerfbarer Art und Weise, da er bis zu diesem Zurückstoßen in seiner Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt war, das Zurückstoßen durch den Zeugen L provoziert, so dass ihm nach dem Dafürhalten der Kammer eine Strafrahmenverschiebung aufgrund sodann nicht auszuschließender verminderter Schuldfähigkeit nicht zugutekommen kann".

Der Angeklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt und diese mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Unabhängig von der allgemein erhobenen Rüge beanstandet er konkret, das Landgericht habe eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft abgelehnt. Der Sache nach habe die Kammer für eine Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt die Grundsätze der "actio libera in causa" herangezogen, obwohl keine ausreichenden Feststellungen für eine vorsätzliche "actio libera in causa" getroffen worden seien. Eine fahrlässige "actio libera in causa" könne ohnehin nur zu einer Bestrafung aus dem Fahrlässigkeitsdelikt führen. Außerdem rügt der Angeklagte, die Kammer habe zu Unrecht eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 StGB abgelehnt.
6 Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig. In der Sache hat die Revision den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.

1. Hinsichtlich des Schuldspruchs verwirft der Senat die Revision als offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO), weil die Nachprüfung des Urteils auf die erhobene Sachrüge insoweit keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufdeckt. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Kammer zur Sache tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Sie beruhen auf einer ausführlichen, in sich schlüssigen und überzeugenden Beweiswürdigung, die in keiner Weise zu beanstanden ist.

2. Das Urteil ist jedoch im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben. Ein sachlich-rechtlicher Mangel des Urteils liegt darin, dass die Strafkammer das Absehen von einer Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet hat.

Entgegen der in der Revisionsbegründung vertretenen Ansicht ist die Kammer allerdings nicht - auch nicht stillschweigend - von einer vorsätzlichen oder fahrlässigen "actio libera in causa" ausgegangen. Das wäre auch nicht richtig gewesen. Denn unabhängig davon, ob die Zurechnungsfigur der "actio libera in causa" überhaupt uneingeschränkt im Bereich des § 21 StGB gilt (vgl. hierzu Fischer, StGB, 62. Aufl., § 21 Rdnr. 16), setzt die Annahme einer - vorsätzlichen oder fahrlässigen - "actio libera in causa" voraus, dass sich die Vorstellung des Täters vor Eintritt bzw. Herbeiführung des Defektzustandes auf eine bestimmte Tat bezieht (vgl. BGHSt 21, 381; BGH, NStZ 1992, 536). Hierfür geben die getroffenen Feststellungen nichts her.

Das Landgericht ist vielmehr von der Fallgestaltung ausgegangen, dass bei einem Täter die Voraussetzungen des § 21 StGB zwar vorliegen, das Gericht aber dennoch eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ablehnt ("kann" gemildert werden), weil das dem Defektzustand vorausgehende Verhalten des Täters eine Versagung der Strafrahmensenkung zulässt. Die Zurechnung eines solchen Vorverschuldens ist beispielsweise gerechtfertigt, wenn der Täter dazu neigt, nach Alkoholgenuss Straftaten zu begehen und sich dieser Neigung bewusst gewesen ist oder doch hätte bewusst sein können (vgl. BGHSt 34, 29, 33; BGH, NStZ 1992, 536; Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 21 Rdnr. 11, 20). Eine solche Zurechnung ist darüber hinaus auch bei Persönlichkeits- oder Triebstörungen denkbar, sofern nur der Täter deren tatfördende bzw. hemmungsmindernde Wirkung kennt (vgl. Fischer, a. a. O., § 21 Rdnr. 24). Indes lassen die Feststellungen des Landgerichts gerade nicht erkennen, dass der Angeklagte damit hätte rechnen können oder müssen, unter einer anfallartig auftretenden Panikattacke eine Straftat - namentlich ein Körperverletzungsdelikt - zu begehen. Im Gegenteil hat die Kammer sogar zur Person des Angeklagten und seiner Angststörung festgestellt, dass sein Verhalten im Fall einer solchen Panikattacke von einem "starken Fluchtanreiz" geprägt ist. Auch den Feststellungen zu den zahlreichen Vorstrafen des Angeklagten lässt sich nicht entnehmen, dass dieser bereits früher unter dem Einfluss einer plötzlich aufgetretenen Panikattacke Straftaten begangen hätte. Damit kann dem Angeklagten zwar vorgeworfen werden, dass er mit seinem Verhalten, insbesondere mit der Missachtung der wiederholten Aufforderungen des Zeugen L, seinen Rauswurf und letztlich auch das Zurückstoßen durch den Zeugen heraufbeschworen hat. Jedoch kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht angenommen werden, der Angeklagte habe als Folge einer durch das Zurückstoßen bei ihm aufkommenden Panikattacke mit der Begehung einer gefährlichen Körperverletzung rechnen müssen. Insoweit liegt kein zurechenbares Vorverschulden vor.

Es drängen sich auch keine anderen Gesichtspunkte auf, die eine Versagung der Strafrahmensenkung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB rechtfertigen würden. Der Senat kann außerdem nicht davon ausgehen, dass die Kammer auch unter Zugrundelegung eines nach § 49 Abs. 1 StGB abgesenkten Strafrahmens auf eine sechsmonatige Freiheitsstrafe erkannt hätte. Immerhin hat das Landgericht betont, die Mindeststrafe nach dem vom Gesetz vorgegebenen Strafrahmen ausgeurteilt zu haben.

III.
Aufgrund des aufgezeigten Rechtsmangels war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen nach § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen nach § 354 Abs. 2 StPO zurückzuverweisen.

Mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch entfällt auch die Entscheidung betreffend die Frage nach der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 StGB. Der Senat weist insoweit hinsichtlich der neu zu treffenden Entscheidung darauf hin, dass die in der Revisionsbegründung angesprochene Therapie, die der Angeklagte im März 2015 begonnen haben will, nur dann von Bedeutung sein kann, wenn sich auch Behandlungserfolge erkennen lassen bzw. zu erwarten sind.




zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".