Aktenzeichen: 1 RVs 14/15 OLG Hamm |
Leitsatz: Zum Vorliegen einer konkludenten Zustimmung des Rechtsmittelgegners zu einer in der Berufungshauptverhandlung erfolgten Berufungsbeschränkung und zum Nachweis einer solchen konkludenten Zustimmung. |
Senat: 1 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Berufungsbeschränkung, Zustimmung, Konkludente |
Normen: StPO 318; StPO 317; StPO 303 |
Beschluss: Strafsache In pp. hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 09.06.2015 beschlossen: Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO). Gründe I. Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Dortmund vom 01.07.2014, das seinem Verteidiger am 10.07.2014 zugestellt worden ist, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Dortmund Berufung eingelegt, wobei die Staatsanwaltschaft Dortmund ihr zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel mit ihrer Berufungsbegründung vom 18.07.2014 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. In der Berufungshauptverhandlung am 18.09.2014 erklärte ausweislich der Sitzungsniederschrift vom selben Tag der Verteidiger im Einverständnis mit dem Angeklagten, dass die Berufung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt werde. Diese Erklärung wurde vorgelesen und genehmigt. Die Staatsanwaltschaft Dortmund nahm in der Berufungshauptverhandlung die von ihr eingelegte Berufung zurück. Auch diese Erklärung wurde vorgelesen und genehmigt. Die Strafkammer hat sowohl die Beschränkung hinsichtlich des Rechtsmittels des Angeklagten als auch die Zurücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft als wirksam erachtet und auf die Berufung des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 01.07.2014 dahingehend abgeändert, dass die Freiheitsstrafe auf ein Jahr und vier Monate herabgesetzt wird. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. II. Die Revision war entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen, da die Überprüfung des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Anlass zur näheren Erörterung besteht nur hinsichtlich der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung des Angeklagten und der Zurücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft Dortmund. Die im vorliegenden Verfahren nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 317 StPO erklärte Beschränkung der Berufung des Angeklagten beinhaltete nicht nur eine Konkretisierung des Rechtsmittels sondern eine teilweise Rücknahme der ursprünglich uneingeschränkt eingelegten Berufung (vgl. Senatsbeschluss vom 17.05.2005 - 1 Ss 62/05 - [...]; OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2006 - 3 Ss 230/06; OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 247 [OLG Koblenz 08.02.2000 - 1 Ss 5/00]). Der Verteidiger des Angeklagten hat die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nach Beginn der Berufungshauptverhandlung erklärt. Nach § 303 S. 1 StPO kann, wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel aufgrund mündlicher Verhandlung stattzufinden hat, die Zurücknahme des Rechtsmittels nach Beginn der Hauptverhandlung nur mit Zustimmung des Gegners erfolgen. Dies gilt auch für eine nachträgliche Beschränkung (Teilrücknahme) der Berufung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, § 303 Rn. 1). Die Zurücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft Dortmund erfolgte ebenfalls nach Beginn der Berufungshauptverhandlung. Sowohl die Rechtsmittelbeschränkung des Angeklagten als auch die Zurücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft bedurften daher nach § 303 S. 1 StPO zu ihrer Wirksamkeit jeweils der Zustimmung des Rechtsmittelgegners. Entsprechende ausdrückliche Zustimmungserklärungen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft Dortmund und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers sind in der Sitzungsniederschrift des Landgerichts Dortmund vom 18.09.2014 nicht enthalten. Die Zustimmungserklärung kann allerdings auch durch schlüssige Handlungen erfolgen. Hinsichtlich beider Fallgestaltungen gilt nicht die negative Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls nach § 274 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 303 Rn. 6 m. w. N.), so dass im Wege des Freibeweisverfahrens zu klären war, ob die erforderlichen Zustimmungen erfolgt sind. Der Senat hat dienstliche Äußerungen des Vorsitzenden der 48. kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund, des Vorsitzenden Richters am Landgericht XX, des an der Berufungshauptverhandlung mitwirkenden Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft Dortmund, Oberstaatsanwalt Dr. XX, und der damaligen Protokollführerin XX dazu, ob die hier in Rede stehenden Zustimmungserklärungen zu der Beschränkung der Berufung des Angeklagten und der Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft abgegeben worden sind, eingeholt sowie entsprechende Anfragen an den Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Q2, und die Vertreterin der Nebenklägerin, Rechtsanwältin Q, gerichtet. Der Strafkammervorsitzende führt in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 16.04.2015 aus, angesichts des Zeitablaufs habe er keine hinreichend sichere Erinnerung an die konkreten Einzelheiten des Hauptverhandlungstermins vom 18.09.2014. Insbesondere könne er nicht sagen, ob der Verteidiger der Berufungsrücknahme des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten, etwa durch Kopfnicken, zugestimmt habe, ob eine derartige Erklärung versehentlich von ihm nicht diktiert oder von der Protokollführerin trotz des Diktats nicht aufgenommen worden sei. Entsprechendes gelte im Bezug auf die Zustimmung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zu der Erklärung der Beschränkung der Berufung seitens des Verteidigers. Er - der Vorsitzende - sei allerdings, wie auch die übrigen Beteiligten, davon ausgegangen, dass entsprechende Zustimmungen vorgelegen hätten. Hätte er Veranlassung gehabt, nicht davon auszugehen, wäre dies als Besonderheit sicherlich erörtert und im Protokoll vermerkt worden. Im Laufe des Verfahrens sei es gegen Ende der Verhandlung nur noch um die Frage gegangen, ob der Angeklagte eine Strafaussetzung zur Bewährung erhalten könne oder nicht. Nachdem die Berufung seitens des Verteidigers unter Hinweis auf dieses Ziel beschränkt worden sei, sei die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft zurückgenommen worden. Dies habe dem erklärten Ziel der Verteidigung entsprochen. Der damalige Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft führt in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 27.04.2015 aus, dass er selbstverständlich keine hundertprozentige sichere Erinnerung mehr habe, er nur sagen könne, dass er sehr sorgfältig auf die Einhaltung von Formalien achte und notfalls das Gericht auf Unterlassungen hinweise. Aus diesem Grunde gehe er davon aus, dass die erforderlichen Erklärungen - zumindest konkludent - abgegeben worden seien und dies - aus welchen Gründen auch immer - nicht in das Protokoll aufgenommen worden sei. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit dem Strafkammervorsitzenden könne er zudem sagen, dass auch dieser auf die Einhaltung der Formalien stets achte. Er könne sich daher nicht vorstellen, dass dieser die erforderlichen Erklärungen nicht eingeholt habe. Die an der Berufungshauptverhandlung als Protokollführerin mitwirkende Justizbeschäftigte XX führt in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 11.05.2015 aus, sie habe weder bezüglich einer detaillierten Zustimmungserklärung seitens des Vertreters der Staatsanwaltschaft noch bezüglich einer Zustimmungserklärung seitens des Verteidigers eine konkrete Erinnerung. Ausdrücklich diktiert und verlesen worden sei keine Zustimmungserklärung. Für sie habe sich der Verlauf der Verhandlungen jedoch einvernehmlich so dargestellt, dass nach der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch und der Rücknahme der Berufung durch die Staatsanwaltschaft nur noch darüber verhandelt worden sei, ob dem Angeklagten die Aussetzung der Strafe zur Bewährung gewährt werde oder nicht, was für den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ausdrücklich nicht in Betracht gekommen sei. Nach dem Ergebnis durchgeführten Freibeweisverfahrens ist der Senat davon überzeugt, dass die nach § 303 S. 1 StPO erforderlichen Zustimmungserklärungen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft Dortmund bzw. des Angeklagten betreffend die Rechtsmittelbeschränkung bzw. Rechtsmittelrücknahme des jeweiligen Rechtsmittelgegners zumindest konkludent erfolgt und daher sowohl die Berufungsbeschränkung des Angeklagten als auch die Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft Dortmund wirksam sind. Angesichts dessen, dass die Erklärungen betreffend die Beschränkung der Berufung des Angeklagten und die Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft ausweislich der Sitzungsniederschrift nach ihrer Abgabe jeweils vorgelesen und genehmigt worden sind, ist als sicher davon auszugehen ist, dass der jeweilige Rechtmittelgegner die Beschränkungs- bzw. Rücknahmeerklärung zur Kenntnis genommen hat. Auch kann es nicht zweifelhaft sein, dass sowohl dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft als auch dem - anwaltlich vertretenen - Angeklagten die Bedeutung der jeweils durch den Rechtsmittelgegner abgegebenen Erklärung bewusst war. Darüber liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft mit der Beschränkung der Berufung des Angeklagten einverstanden war. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 18.09.2014 wurde, nachdem der Verteidiger des Angeklagten die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch erklärt und der Angeklagte Angaben zur Sache gemacht hatte, allseits, d.h. sowohl von Seiten der Verteidigung als auch der Staatsanwaltschaft, auf die Vernehmung der geladenen Zeugen verzichtet. Bei diesen Zeugen handelte es sich um die durch die dem Angeklagten vorgeworfene Tat Geschädigte und Nebenklägerin R. sowie um zwei Polizeibeamte und eine Polizeibeamtin, die den Angeklagten, der sich in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Dortmund nicht zur Sache geäußert hatte, und die Nebenklägerin im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens vernommen hatten, also um Zeugen, die zum Tatgeschehen und zur Täterschaft des Angeklagten vernommen werden sollten und daher für einen etwaigen Schuldausspruch von Bedeutung waren. Der Verzicht des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft auf die Vernehmung dieser Zeugen rechtfertigt die Annahme, dass er der Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch, bei deren Wirksamkeit der Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils in Rechtskraft erwachsen wäre, stillschweigend zugestimmt hatte. Für eine konkludent erfolgte Zustimmung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zu der Rechtsmittelbeschränkung des Angeklagten spricht auch, dass nach den Ausführungen des Strafkammervorsitzenden in seiner dienstlichen Äußerung, zwischen der Rechtsmittelbeschränkung des Angeklagten und der nachfolgenden Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft insoweit ein Zusammenhang gegeben war, als der Verteidiger die Berufung des Angeklagten unter Hinweis auf das von dem Angeklagten (nur noch) angestrebte Rechtsmittelziel, eine Strafaussetzung zur Bewährung zu erhalten, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und die Staatsanwaltschaft daraufhin ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung zurückgenommen hat, was dem erklärten Ziel der Verteidigung entsprach, sowie, dass nach den weiteren Ausführungen des Strafkammervorsitzenden in seiner dienstlichen Äußerung es in der Hauptverhandlung zuletzt nur noch um die den Rechtsfolgenausspruch betreffende Frage ging, ob dem Angeklagten die Chance einer Strafaussetzung zur Bewährung gewährt werden könne oder nicht. Bestätigt werden die Ausführungen des Strafkammervorsitzenden zu dem weiteren Ablauf der Hauptverhandlung durch die dienstliche Äußerung der damaligen Protokollführerin XX, die angegeben hat, für sie habe sich der Verlauf der Verhandlungen einvernehmlich (Hervorhebung durch den Senat) so dargestellt, dass nach der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch und der Rücknahme der Berufung durch die Staatsanwaltschaft nur noch darüber verhandelt worden sei, ob dem Angeklagten die Aussetzung der Strafe zur Bewährung gewährt werde oder nicht, was für den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ausdrücklich nicht in Betracht gekommen sei. Von einer jedenfalls konkludent erfolgten Zustimmung des Angeklagten zu der Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft Dortmund ist ebenfalls auszugehen, da dem Angeklagten durch die Rücknahme der zu seinen Ungunsten eingelegten Berufung, insbesondere unter Berücksichtigung des nach den Ausführungen des Strafkammervorsitzenden in seiner dienstlichen Äußerung mit dem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel zuletzt angestrebten Ziels einer Strafaussetzung zur Bewährung, nur Vorteile erwuchsen. Der Senat ist den Ausführungen des Strafkammervorsitzenden und der Protokollführerin in ihren dienstlichen Äußerungen gefolgt. Für den Senat bestand kein Anlass, deren Richtigkeit in Zweifel zu ziehen. Die eingeholten Auskünfte des Verteidigers des Angeklagten vom 14.04.2015 und der Vertreterin der Nebenklägerin vom 27.05.2015 geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Beide können sich nach ihren Angaben wegen des Zeitablaufs und der zwischenzeitlichen Teilnahme an zahlreichen weiteren Hauptverhandlungen bzw. der Vielzahl der inzwischen von ihnen bearbeiteten Fälle nicht mehr konkret daran erinnern, ob der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft der Berufungsbeschränkung des Angeklagten zugestimmt hat. Der Verteidiger des Angeklagten hat in seinem Schriftsatz vom 14.04.2015 ergänzend ausgeführt, er habe hierzu auch in seiner Mitschrift nichts gefunden, wobei die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Berufungsbeschränkung von ihm in der Regel nicht vermerkt werde. Er hat außerdem angegeben, dass er keine Erinnerung daran habe, ob der Angeklagte selbst oder durch ihn der Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft ausdrücklich zugestimmt habe. Die Vertreterin der Nebenklägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 27.05.2015 zusätzlich ausgeführt, sie könne aus den anlässlich der Hauptverhandlung am 18.09.2014 gefertigten Notizen lediglich entnehmen, dass die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden sei. Weitere konkrete Erinnerungen an eine ausdrückliche oder konkludente Zustimmung habe sie nicht. |
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