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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws 334-335/15 OLG Hamm

Leitsatz: Ist Haftbeschwerde eingelegt und steht gleichzeitig das besondere Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO an, so kommt diesem grundsätzlich der Vorrang zu. Durch die Entscheidung im Haftprüfungsverfahren wird eine Haftbeschwerde gegenstandslos. Ausnahmsweise gilt dies nicht, wenn die Entscheidung im Haftprüfungsverfahren nicht zu dem Erfolg führen kann, der dem Angeklagten im Falle der Beschwerdeentscheidung beschieden wäre (etwa: den Angeklagten begünstigende Abänderung des Haftbefehls und Neufassung).

Senat: 1

Gegenstand: Revision Rechtsbeschwerde Beschwerde Haftprüfung durch das OLG Pauschgebühr Justizverwaltungssache Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Stichworte: Haftbeschwerde, Haftprüfung, 6 Moante

Normen: StPO 120; StPO 122

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 1 Strafsenat des OLG Hamm am 30.07.2015 beschlossen:

Ist Haftbeschwerde eingelegt und steht gleichzeitig das besondere Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO an, so kommt diesem grundsätzlich der Vorrang zu. Durch die Entscheidung im Haftprüfungsverfahren wird eine Haftbeschwerde gegenstandslos. Ausnahmsweise gilt dies nicht, wenn die Entscheidung im Haftprüfungsverfahren nicht zu dem Erfolg führen kann, der dem Angeklagten im Falle der Beschwerdeentscheidung beschieden wäre (etwa: den Angeklagten begünstigende Abänderung des Haftbefehls und Neufassung).

1. Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

2. Die Haftbeschwerde des Angeklagten ist gegenstandslos.

Gründe
I.
Der Angeklagte wurde am 21.01.2015 vorläufig festgenommen und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund vom 19.01.2015 (701 Gs

500 Js 215/144 - 167/15) seit dem Tag der Festnahme, an dem ihm auch der Haftbefehl verkündet worden ist, in Untersuchungshaft. Mit dem Haftbefehl wird dem Angeklagten zur Last gelegt, "in nicht rechtsverjährter Zeit vor dem 30.05.2014 bis zum 01.12.2014 in Dortmund und Essen
durch 3 selbstständige Handlungen
unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben."

Dazu heißt es im Haftbefehl:

"Der Beschuldigte unterstützte eine aus Mitgliedern der Familie C bestehende Gruppierung, die in E einen umfangreichen Straßenhandel mit Kokain in nicht geringen Mengen und darüber hinaus einen Handel mit Heroin in nicht geringen Mengen in E und C betreibt, indem er dieser Bargeldbeträge zur Finanzierung der Betäubungsmittelgeschäfte zur Verfügung stellte. Darüber hinaus tätigte er aber auch eigenständige Betäubungsmittelgeschäfte, wobei er die Gruppierung der Familie C belieferte bzw. von dieser Betäubungsmittel bezog.

Dem Beschuldigten können u.a. folgende Taten nachgewiesen werden:

1) und 2)

Am Mittag des 30.05.2014 begaben sich die gesondert verfolgten I und B zu dem Beschuldigten nach F, nachdem I und der ebenfalls gesondert verfolgte B1 am 29.05.2014 erfolglos versucht hatten, Kokain guter Qualität in den Niederlanden zu beschaffen.

In Essen erwarben sie von dem Beschuldigten 300 Gramm Kokain zum Preis von 12.000,00 Euro und fuhren anschließend zurück nach E. Aus dieser Menge belieferte der I den gesondert verfolgten U in J, der das Kokain gegen 16.20 Uhr von dem mit der Auslieferung beauftragten gesondert verfolgten C1 erhielt.

Bereits zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 30.05.2014 erwarben I und B von dem Beschuldigten in Essen 300 Gramm Kokain zum Preis von 12.000,00 Euro zum gewinnbringenden Weiterverkauf.

3)
Am 01.12.2014 gegen 01.50 Uhr suchte der Beschuldigte den gesondert verfolgten B nach entsprechenden telefonischen Vorabsprachen an dessen Wohnanschrift in der Scheffelstr. 19 in Dortmund auf und erhielt von diesem 1 kg Heroin, das er seinerseits gewinnbringend weiterveräußerte. Zu diesem Zwecke hatte er bereits im Vorfeld entsprechende Kontakte zu diversen Abnehmern hergestellt."

Der Haftbefehl ist gestützt auf den Haftgrund der Fluchtgefahr. Dazu führt das Amtsgericht aus:

" Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.

Der Beschuldigte ist libanesischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet, lebt derzeit jedoch getrennt von seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern. Der von dem Beschuldigten betriebene Autohandel ist wegen erheblicher Geldprobleme in Schwierigkeiten geraten. Er dürfte sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland über Kontakte zu einer Vielzahl von Familienangehörigen und Landsleuten verfügen, bei denen er untertauchen kann. Er ist erst am 22.03.2009 wieder aus dem Ausland zugezogen, nachdem ihm eine Aufenthaltserlaubnis wegen Familiennachzugs zur deutschen Ehegattin erteilt worden ist.

Er ist strafrechtlich bereits erheblich und auch einschlägig in Erscheinung getreten. Am 19.11.2002 wurde er vom Amtsgericht Minden (36 Js 1181/02 V 25 Ls 49/02) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hieraus und aus einer zuvor gegen den Beschuldigten verhängten Geldstrafe wegen Führen eines Kraftfahrzeuges ohne Versicherungsschutz in Tateinheit mit Kennzeichenmissbrauch und Urkundenfälschung ist am 23.07.2003 vom Amtsgericht Minden nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 7 Monaten gebildet worden. Am 21.07.2004 ist er vom Landgericht Münster (36 Js 2252/02 - 8 Ls 21104) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 4 Monaten verurteilt worden. Der Strafrest der beiden Freiheitsstrafen wurde durch Beschluss der StVK Bochum (III StVK 1530/09) vom 12.02.2010 zur Bewährung ausgesetzt bis zum 24.02.2013. Der Strafrest wurde jeweils mit Wirkung vom 19.04.2013 erlassen.

Der Beschuldigte hat wegen der ihm zur Last gelegten Straftaten eine empfindliche, vollstreckbare Gesamtfreiheitsstrafe zu erwarten, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Es steht daher zu befürchten, dass der Beschuldigte sich dem Verfahren nicht stellen, sondern vielmehr durch Flucht entziehen wird."

Auf den Antrag auf mündliche Haftprüfung vom 23.01.2015 hat das Amtsgericht Dortmund mit Beschluss vom 06.02.2015 den Haftbefehl aus den Gründen seiner Anordnung aufrecht erhalten. Noch am selben Tag hat der Angeklagte dagegen Haftbeschwerde eingelegt und den Erlass einer "einstweiligen Anordnung" (Außervollzugsetzung des Haftbefehls) beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Dortmund die Haftbeschwerde als unbegründet verworfen und den Antrag auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 17.02.2015 hat der Angeklagte dagegen weitere Haftbeschwerde eingelegt. Diese hat der Senat mit der Maßgabe verworfen, dass ein dringender Tatverdacht bzgl. der Taten zu Ziff. 1) und 2) nicht bestehe.

Im Haftprüfungstermin vom 20.05.2015 wurde dem Angeklagten (so das Protokoll) "der neu gefasste Haftbefehl vom 20.05.2015 bekannt gegeben". Mit diesem - ebenso wie der o.g. Haftbefehl auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützte - Haftbefehl wurde gegen den Angeklagten "unter Aufhebung des Haftbefehls vom 19.01.2015" (weiterhin) Untersuchungshaft angeordnet. Zur Last gelegt wird im nunmehr:
"in nicht rechtsverjährter Zeit ab Mai 2014 bis zum 01.12.2014 in Dortmund, Essen und den Niederlanden
durch 2 selbstständige Handlungen

unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, wobei er in einem Fall tateinheitlich Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt einführte,

und durch eine weitere selbstständige Handlung

vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat, nämlich dem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Hilfe geleistet zu haben.

Dem Beschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt:

Der Beschuldigte unterstützte eine aus Mitgliedern der Familie pppp., u. a. dem pppp., bestehende Gruppierung, die in Dortmund einen umfangreichen Straßenhandel mit Kokain in nicht geringen Mengen und darüber hinaus einen Handel mit Heroin in nicht geringen Mengen in Dortmund und Berlin betrieb, indem er dieser Bargeldbeträge zur Finanzierung der Betäubungsmittelgeschäfte zur Verfügung stellte. Darüber hinaus tätigte er aber auch eigenständige Betäubungsmittelgeschäfte, wobei er die Gruppierung der Familie B. belieferte bzw. von dieser Betäubungsmittel bezog.

Dem Beschuldigten können u.a. folgende Taten nachgewiesen werden:

1) Im Mai oder Juni 2014 stellte der Beschuldigte dem gesondert verfolgten ppp. insgesamt mindestens einen Geldbetrag von 29.000,- Euro zur Verfügung und zwar in dem Wissen, dass damit Betäubungsmittelgeschäfte getätigt werden. Angesichts seiner einschlägigen Erfahrung im Drogenhandel war ihm klar, dass ein solch großer Geldbetrag nur zum Erwerb einer oder mehrere nicht geringen Menge/geringen Mengen von Betäubungsmitteln dienen konnte.

2)
Kurz vor dem 19.06.2014 vereinbarte der Beschuldigte mit ppp., dass er, der Beschuldigte, bei einem ihm bekannten Lieferanten in den Niederlanden 1 Kilogramm Kokain auf eigene Kosten erwirbt, welches durch die PPPP.-Gruppierung in das Bundesgebiet eingeführt und in Dortmund gewinnbringend weiterveräußert werden sollte. Der Gewinn sollte nach Abzug einer Beteiligung für die PPPP.-Gruppierung an den Beschuldigten fließen.

Absprachegemäß begaben sich pp.und pp. und der Kurier ppp. in einem gesonderten Kurierfahrzeug am 19.06.2014 in die Niederlande.

Dort kam es auf einem Mc-Donalds-Parkplatz zur Übergabe, wobei der bisher nicht ermittelte Lieferant den ppp. und den pp. fragte, ob diese von dem Beschuldigten seien. Nachdem diese das bestätigten, übergab der Lieferant eine Tüte mit dem Bemerken, dass es nur ein halbes Kilo sei.

Das Kokain wurde anschließend von pp. in das Bundesgebiet transportiert. Hier stellten die Beteiligten fest, dass es sich bei den 500 Gramm um bereits aufgekochtes Kokain handelte, welches nicht so leicht verkäuflich ist.

Nach entsprechenden Absprachen mit dem Beschuldigten unter Beteiligung des pp. nahm der Beschuldigte die Hälfte, mithin 250 Gramm, zurück und tauschte diese Menge bei dem Lieferanten in 250 Gramm "normales" Kokain um. Diese 250 Gramm Kokain wurden von dem Beschuldigten wiederum an die PPPP.-Gruppierung übergeben und von pp. gewinnbringend weiterverkauft. Zumindest einen Teil des aufgekochten Kokains übergab pp. im Auftrag des pp. und des Beschuldigten in der Nähe des Autohandels des Beschuldigten in pppp. an einen bisher nicht bekannten Abnehmer des Beschuldigten.

Den aus den Verkäufen erzielten Gewinn erhielt pp. zwecks Weiterleitung an den Beschuldigten.

3) Am 01.12.2014 gegen 01.50 Uhr suchte der Beschuldigte den gesondert verfolgten pp. nach entsprechenden telefonischen Vorabsprachen an dessen Wohnanschrift in der ppp. in Dortmund auf und erhielt von diesem 1 kg Heroin oder Kokain, das er seinerseits gewinnbringend weiterveräußerte. Zu diesem Zwecke hatte er bereits im Vorfeld entsprechende Kontakte zu diversen Abnehmern hergestellt."

Gegen diesen Haftbefehl hat der Angeklagte am 29.05.2015 Haftbeschwerde eingelegt, die das Landgericht Dortmund mit Beschluss vom 09.06.2015 verworfen hat. Die dagegen gerichtete weitere Haftbeschwerde hat das Landgericht Dortmund nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Dortmund wegen der im Haftbefehl vom 20.05.2015 genannten Taten (Eingang der Anklage am 24.06.2015) als Haftprüfungsantrag ausgelegt und mit Beschluss vom 01.07.2015 die Fortdauer der Untersuchungshaft (auch im Hinblick auf die anstehende Überprüfung nach §§ 121, 122 StPO) angeordnet. Am 07.07.2015 hat das Landgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen und den Haftbefehl vom 20.05.2015 aus den Gründen seiner Anordnung aufrechterhalten. Die Hauptverhandlung soll am 14.10.2015 beginnen. Mit Schriftsatz vom 07.07.2015, eingegangen am 10.07.2015, hat der Angeklagte Haftbeschwerde gegen den Beschluss vom 01.07.2015 eingelegt und (u.a.) beantragt "im Wege einstweiliger Anordnung" den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen und die weitere Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht zu übertragen und festzustellen, dass die Haftbeschwerde des Angeklagten vom 07.07.2015 gegenstandslos wegen prozessualer Überholung ist.

II.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend war die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft des Angeklagten über sechs Monate hinaus anzuordnen.

1. Der Angeklagte ist der im Haftbefehl (in der aktuell geltenden Fassung) genannten Taten dringend verdächtig i.S.v. § 112 StPO. Trotz der abweichenden Formulierung im Haftbefehl vom 20.05.2015 handelt es sich der Sache nach lediglich um eine Anpassung des ursprünglichen Haftbefehls an die bestehende Ermittlungslage und die weiteren Haftentscheidungen beziehen sich hierauf.

Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 10.03.2015 ausgeführt, dass viel dafür spreche, dass der Angeklagte dadurch, dass er - wie er selbst eingeräumt hat - dem ppp. insgesamt 29.000 Euro geliehen hat (1x 10.000,- Euro, 1x 19.000 Euro) als Finanzierer der von diesem getätigten Drogengeschäfte aufgetreten ist und sich insoweit der Beihilfe zu dessen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schuldig gemacht hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den genannten Senatsbeschluss verwiesen. Diese bereits seinerzeit bestehende Verdachtslage hat sich erhärtet. Dass mit dem geliehenen Geld Betäubungsmittelgeschäfte durchgeführt werden sollten und auch (zumindest Teilbeträge davon) wurden haben sowohl ppp. (Bl. 549) als auch der ppp. (Bl. 542, Bl. 544) bestätigt. Nach Angaben des ppp. sollte das Geld der Abwicklung eines Kaufes von 1 kg Kokain aus Holland dienen (Bl. 544).

PP. hat allerdings angegeben, dass der Angeklagte nicht gewusst habe, dass das geliehene Geld der Durchführung von Betäubungsmittelgeschäften dienen sollte. Dies ist aber nicht glaubhaft, da die Erkenntnisse der Telefonüberwachung dafür sprechen, dass der Angeklagte schon bei Geldübergabe über den Verwendungszweck informiert war. Insoweit wird auf die Ausführungen zu den Telefonaten vom 20.10.2014 und 05.11.2014 im Senatsbeschluss vom 10.03.2015 verwiesen. Weiter spricht für ein entsprechendes Wissen des Angeklagten indiziell auch, dass er um die Zeit, in der die Darlehensgewährung erfolgt sein soll (Juni/Juli 2014) bereits selbst in Betäubungsmittelgeschäfte mit dem ppp. eingebunden war (Tat 2, dazu unten).

Hinsichtlich der Tat zu Ziff. 2) ergibt sich der dringende Tatverdacht aus den Aussagen des pp. vom 24.03.2015 (Bl. 495 f., Bl. 538 f.) und 06.05.2015 (FA 27) und der Aussagen des pp. vom 10.03.2015 (FA 27) und 13.05.2015 (Bl. 572 f.).

Bzgl. des dringenden Tatverdachts hinsichtlich der Tat zu Ziff. 3) wird zunächst auf den Senatsbeschluss vom 10.03.2015 verwiesen. Durch die weiteren Ermittlungen ist dieser nicht abgeschwächt worden. Zwar ist die Version des Angeklagten einer bloßen Geldübergabe zwecks Schuldentilgung von seiner Ehefrau bestätigt worden, welche dabei gewesen sein will. Diese Zeugenaussage vom 29.04.2015 (Bl. 523) ist aber nicht glaubhaft. Die Zeugin hat angegeben, dass ihr Mann im Januar 2015 einmal spät nach Hause gekommen sei und gesagt habe, dass er in einer wichtigen Angelegenheit nach Dortmund fahren müsse. Da der Zeugin langweilig gewesen sei und sie "frische Luft" habe schnappen wollen, habe sie sich entschlossen, mitzukommen und habe sich dazu lediglich eine Decke über den Pyjama übergeworfen. Sie habe das Geld dann auch gezählt. Der Zahlungsgrund sei ihr nicht bekannt. Es erscheint aber schon wenig nachvollziehbar, dass die Zeugin spät nachts, noch dazu im Winter und nur mit einem Pyjama und einer Decke bekleidet, den Angeklagten zu einer Geldübergabe begleitet, wenn sie "frische Luft" habe schnappen wollen (und dann doch nur im Auto sitzt). Noch weniger ist nachvollziehbar, dass sie nur dies bekunden kann, aber nichts über den Zahlungsgrund erfahren haben will. Auch gibt Anlass zu Zweifeln die zeitliche Einordnung, denn es geht vorliegend um eine Fahrt nach Dortmund Anfang Dezember 2014. Zwar wird eine Geldübergabe im Beisein der "Freundin" des Angeklagten auch von pp. bestätigt. Diese wird jedoch deutlich früher verortet (Bl. 550), nämlich vor Verhaftung des pp. am 29.10.2014. Daher mag es zwar eine Geldübergabe gegeben haben. Schulden hatte pp. bei dem Angeklagten unzweifelhaft. Es ergibt sich aber nichts dafür, dass die konkrete tatgegenständliche Fahrt lediglich einer Geldübergabe zwecks Schuldentilgung gedient hat. Die Aussage des Zeugen pp. ist insoweit unergiebig.

Die Ausführungen der Verteidigung zum Telefonat vom 01.12.2014 zwischen dem Angeklagten und pp. vermögen den dringenden Tatverdacht nicht zu erschüttern. Dass die Formulierung "ich ersticke" auf Geldnot hindeutet, mag sein und kann dahinstehen. Dies ist aber nur bedingt ergiebig im Hinblick auf die Frage, ob es in dem Telefonat um Betäubungsmittel ging, denn aus dessen Verkaufserlösen kann man eine bestehende Geldnot ebenfalls lindern. Dass die Verwendung des Begriffs "Auto" für Betäubungsmittel steht, hat sich im Laufe der weiteren Ermittlungen bestätigt. Inzwischen hat pp. in seiner Vernehmung vom 29.04.2015 angegeben, dass der Begriff "Auto" "manchmal" für die Menge von 1 kg Drogen steht (Bl. 528), was den dringenden Tatverdacht eher erhärtet. Ebenso spricht indiziell dagegen, dass mit dem im Telefonat erwähnten "Auto" (bzw. nach Verteidigerinterpretation: "mein Auto") ein Fahrzeug des pp. gemeint war, dass zum fraglichen Zeitpunkt auf pp. gar kein Kraftfahrzeug zugelassen war und auch eine Fahrzeuganmietung nicht ersichtlich ist (vgl. Vermerk vom 18.05.2015, Bl. 575 ff. d.A.).

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Wegen der hohen Straferwartung besteht ein hoher Fluchtanreiz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Angeklagten nicht nur eine Bestrafung im vorliegenden Verfahren droht, sondern auch vor dem Landgericht Essen gegen ihn wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung Anklage erhoben worden ist. Eine berufliche Perspektive hat der Beschuldigte, der nach eigenen Angaben Sozialleistungen bezieht und dessen Autohandel - nach seinen eigenen Angaben - geschlossen ist, derzeit im Inland nicht. Eine Flucht ins Ausland ist dem Beschuldigten angesichts des Umstands, dass er sich erst wieder seit dem Jahre 2009 in Deutschland befindet, leicht möglich. Dass der Beschuldigte eine deutsche Frau hat (und auch die Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit haben) sowie eine Immobilie besitzt, reicht - ungeachtet der Frage, inwieweit noch intakte familiäre Verhältnisse gegeben sind - nicht aus, um die Fluchtgefahr zu reduzieren.

3. Die Haftanordnung ist auch im Übrigen verhältnismäßig. Ob die die Verteidigung betreffenden Bemerkungen zu den Haftentscheidungen der Kammer zutreffen oder nicht, kann dahinstehen. Konsequenzen für die Haftfrage hat dies nicht.

4. Es liegen auch die besonderen Voraussetzungen nach §§ 121, 122 StPO für eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus vor. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren ist mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden. Bis in den Monat Mai 2015 hinein wurden zahlreiche Vernehmungen von Personen aus dem mutmaßlichen Täterkreis sowie von unbeteiligten Zeugen durchgeführt (vgl. Bl. 502 d.A.). Angesichts des Umfangs der Sache, die auch die Auswertung umfangreicher Telefonüberwachung erforderlich machte, ist die Anklageerhebung am 15.06.2015 nicht zu beanstanden, sondern als sehr zügig zu bewerten. Entsprechendes gilt für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Ein früherer Beginn der Hauptverhandlung war wegen der Urlaubsabwicklung von Kammervorsitzenden und stellvertretender Kammervorsitzender im Juli und August und vor allem wegen bereits anstehender Hauptverhandlungstermine - insbesondere 11 Hauptverhandlungstage im August 2015 und 14 Hauptverhandlungstagen im September 2015 (jeweils Haftsachen) und Urlaubs des Verteidigers Dr. B. Ende September/Anfang Oktober 2015, welcher auf Wunsch des Angeklagten neben dem Verteidiger K. an der gesamten Hauptverhandlung teilnehmen soll (Bl. 1112) - nicht möglich. Die geplante Terminierung mit sieben Hauptverhandlungstagen ab Mitte Oktober 2015 weist eine hinreichende Dichte auf.

III.
Die Haftbeschwerde des Angeklagten ist gegenstandlos. Die Gegenstandslosigkeit folgt zwar nicht - wie die Generalstaatsanwaltschaft meint - aus einer prozessualen Überholung aufgrund der im Rahmen der der Eröffnung des Hauptverfahrens getroffenen Haftfortdauerentscheidung.

Ist aber eine Haftbeschwerde eingelegt und steht gleichzeitig das besondere Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO an, so kommt diesem grundsätzlich der Vorrang zu. Durch die Entscheidung im Haftprüfungsverfahren wird eine Haftbeschwerde gegenstandslos (BGH NStZ-RR 2012, 285 f.). Der Ausnahmefall, dass die Entscheidung im Haftprüfungsverfahren nicht zu dem Erfolg führen kann, der dem Angeklagten im Falle der Beschwerdeentscheidung beschieden wäre (etwa: den Angeklagten begünstigende Abänderung des Haftbefehls und Neufassung, vgl. BGH NStZ-RR 2012, 285) liegt hier nicht vor. Die Prüfung im Verfahren nach den §§ 121, 122 StPO hat ergeben, dass bzgl. sämtlicher dem Angeklagten vorgeworfenen Taten ein dringender Tatverdacht besteht.

Dementsprechend entfällt auch die vom Angeklagten beantragte einstweilige Anordnung.


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