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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws 319/15 OLG Hamm

Leitsatz: Es ist eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht (und nicht des § 454 Abs. 2 S. 3 StPO), inwieweit in einem Aussetzungsverfahren, in dem der aktuelle Sachverständige mündlich angehört bzw. in zulässiger Weise von seiner Anhörung abgesehen wurde, vor Verwendung früherer gutachterlicher Stellungnahmen der frühere Sachverständige (erneut) mündlich anzuhören ist.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Sachverständiger, mündliche Anhörung, Aufklärungspflicht

Normen: StPO 454

Beschluss:

In pp.
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 19.05.2015 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 14.04.2015 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04.08.2015 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Verurteilten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausgeräumt werden, auf dessen Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.

Zusatz:
Soweit die Strafvollstreckungskammer sich zur Begründung ihrer Entscheidung auch auf die Wertung des im früheren Aussetzungsverfahren tätigen Sachverständigen Dr. C stützt und ausführt, dass sie dessen Ansicht teile, dass im Falle einer Entlassung bei Wegfall des haltgebenden Vollzuges nicht ansatzweise sichergestellt werden könne, dass der Verurteilte keine schwerwiegenden Taten mehr begehe, und sie diesen Sachverständigen nicht (erneut) mündlich angehört hat, verstößt dies nicht gegen § 454 Abs. 2 S. 3 StPO. Zwar gilt nach bisheriger ständiger Senatsrechtsprechung Folgendes (Senatsbeschluss vom 05.03.2013 – III – 1 Ws 46/13; vgl. auch: Senatsbeschluss vom 11.01.2007 – 1 Ws(L) 897/06 – juris; OLG Hamm NStZ 2005, 55):

„Hat die Strafvollstreckungskammer gutachterliche Erkenntnisse verwendet, ist grundsätzlich auch verpflichtet, gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO den Sachverständigen mündlich anzuhören (vgl. Senatsbeschluss vom 20.04.2009 - 1 Ws 171/2009 - m.w.N.). Die durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 eingefügte Vorschrift des § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO ist zwingendes Recht und daher grundsätzlich unabdingbar. Die Vorschrift dient auch dem Anspruch des Verurteilten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs. Ihm ist nämlich - neben anderen Prozessbeteiligten - im Anhörungstermin Gelegenheit zu geben, Fragen an den Sachverständigen zu stellen und Erklärungen abzugeben, § 454 Abs. Satz 6 StPO. Dies gilt im Regelfall auch dann, wenn die Strafvollstreckungskammer das Gutachten, dessen Feststellungen sie berücksichtigt, nicht bei der anstehenden Entscheidung gemäß § 454 Abs. 2 S. 1 StPO eingeholt hat, weil sie entweder das Gutachten eines Anstaltspsychologen zu Grunde gelegt oder sich, wie hier, auf ein früher eingeholtes Sachverständigengutachten bezogen hat, weil auch im letztgenannten Fall sich Veränderungen ergeben haben können, die dem Verurteilten Anlass geben, erneut den Sachverständigen zu befragen (vgl. Senatsbeschluss a.a.O.).“

Ob diese Rechtsprechung fortzusetzen ist oder ob die Pflicht zur mündlichen Anhörung nur den vom Gericht im aktuellen Aussetzungsverfahren beauftragten Sachverständigen betrifft und es nicht vielmehr eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht (und nicht des § 454 Abs. 1 S. 3 StPO) ist, inwieweit vor Verwendung früherer gutachterlicher Stellungnahmen der frühere Sachverständige (erneut) mündlich anzuhören ist, kann vorliegend dahinstehen. Jedenfalls in einem Fall in dem der frühere Sachverständige, dessen gutachterliche Einschätzung in die aktuell angefochtene Entscheidung einfließt, ordnungsgemäß nach § 454 Abs. 2 StPO mündlich angehört worden oder eine solche Anhörung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen unterblieben ist, erfordert § 454 Abs. 2 S. 3 StPO nicht dessen (erneute) mündliche Anhörung im aktuellen Verfahren. Die Möglichkeit, Fragen an den früheren Sachverständigen zu richten, hat der Verurteilte dann im Rahmen des früheren Aussetzungsverfahrens gehabt. § 454 Abs. 2 S. 3 StPO kann dann nicht verletzt sein. Insoweit hält der Senat an seiner im Beschluss vom 12.02.2015 – III – 1 Ws 41/15 – zum Ausdruck gebrachten Auffassung nicht mehr fest, dass in den Fällen des erneuten Rückgriffs auf die früheren Ausführungen eines/einer Sachverständigen zumindest nach längerem Zeitablauf grundsätzlich gemäß § 454 Abs. 2 StPO eine erneute Anhörung geboten sei. In der vorgenannten Entscheidung ist allerdings die nach jetziger Auffassung des Senats gebotene Unterscheidung zwischen Fällen, in denen bereits früher ordnungsgemäß nach § 454 Abs. 2 StPO verfahren wurde und solchen, in denen das nicht der Fall war, nicht erörtert worden. Ob der frühere Sachverständige in den Fällen, in denen früher bereits ordnungsgemäß nach § 454 Abs. 2 StPO verfahren worden ist, erneut (schriftlich oder gar mündlich) anzuhören ist, richtet sich nicht nach der Vorschrift des § 454 Abs. 2 StPO, sondern ist vielmehr allein eine Frage der richterlichen Aufklärungspflicht.

Die Strafvollstreckungskammer hat im vorliegenden Fall ihre Aufklärungspflicht nicht verletzt. Sie legt mit einer zutreffenden, vom Senat geteilten, eigenen Argumentation dar, warum sie die günstige Legalprognose des Sachverständigen Prof. Dr. L nicht teilt und eine hinreichend günstige Aussetzungsprognose (und zwar unabhängig von der Frage der Gewährung/Nichtgewährung von Lockerungen) nicht als gegeben erachtet. Lediglich in einem Punkt bezieht sie sich zur Stützung ihrer Auffassung auf die o.g. Ausführungen des früheren Sachverständigen Dr. C. Anlass, diese durch eine erneute Anhörung des Sachverständigen Dr. C näher zu hinterfragen, bestand nicht. Auch der Sachverständige Prof. Dr. L sieht nämlich die Gefahr, dass das taktierende, misstrauische, teils unehrliche Verhalten des Verurteilten, beruhend auf seiner basalen Unsicherheit zu Schwierigkeiten bei einer eigenständigen aktiven Lebensgestaltung in Freiheit führen kann.

Der Festsetzung eines hinausgeschobenen Aussetzungstermins nach § 454a StPO bedurfte es nicht, da dem Verurteilten bereits unabhängig der Frage der Lockerungen keine günstige Aussetzungsprognose gestellt werden kann.


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