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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ausl. 125/15 OLG Hamm

Leitsatz: Ein syrischer Staatsangehöriger darf aus Deutschland nach Italien zur Strafverfolgung wegen des Verdachts des illegalen Einschleusens von Ausländern ausgeliefert werden.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungsverfahren

Stichworte: Auslieferung, Zulässigkeit, Syrier, Italien, illegales Schleusen von Ausländern

Normen: IR 73; IRG 79; IRG 81; IRG 83a; IRG 83b

Beschluss:

In pp.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgericht Hamm am
29.09.2015 beschlossen:

Die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung nach Italien wegen der ihm in Europäischen Haftbefehl des Untersuchungsrichteramts beim Gericht Lecce vom 13.07.2015 (Aktenzeichen: 106/2015 RGNR, Nr. 1/15 DDA, Nr. 4608/15 R. GIP, Nr. 59/15 O.C.C.) vorgeworfenen Taten ist zulässig.

Gründe:
I.
Die italienischen Behörden betreiben gegen den Verfolgten auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Untersuchungsrichteramts beim Gericht Lecce vom 13.07.2015 (Aktenzeichen: 106/2015 RGNR, Nr. 1/15 DDA, Nr. 4608/15 R. GIP, Nr. 59/15 O.C.C.) die Auslieferung zur Strafverfolgung.

Dem Verfolgten wird zur Last gelegt, sich am 30.12.2014 als Mitglied der Besatzung des Schiffes C gemeinsam mit mehreren Landsleuten, darunter sein Bruder I, am Transport von 796 Nicht-EU-Bürgern, zu deren illegaler Einreise er Hilfe geleistet habe, beteiligt zu haben. In dem unter moldauischer Flagge fahrenden Frachtschiff C, das der Verfolgte mit den übrigen Beschuldigten vom Golf von Mersin (Türkei) bis zur italienischen Küste bei Gallipoli geführt habe, seien die Migranten unter solchen Bedingungen transportiert worden, dass sie einer Gefahr für ihr Leben und ihre Unversehrtheit ausgesetzt gewesen seien. Die Migranten hätten sich im Laderaum des Frachtschiffes befunden, das nicht auf die Beförderung einer so hohen Anzahl von Einwanderern ausgerichtet gewesen sei. Zudem sei der Transport unter schlechten Witterungsbedingungen und ohne geeignete Sicherheitseinrichtungen erfolgt.

Der Verfolgte ist am 12.08.2015 in U festgenommen worden und befindet sich aufgrund der Festhalteanordnung des Amtsgerichts Soest vom selben Tage in Haft in der Justizvollzugsanstalt K. Zugleich hat das Amtsgericht Soest bei der Anhörung am 12.08.2015 dem Verfolgten Rechtsanwalt D aus U „gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG“ als Pflichtbeistand beigeordnet.

Bei seiner Vorführung vor dem Amtsgericht Soest am 12.08.2015 hat der Verfolgte angegeben, er bewohne mit seinem (in derselben Sache in Auslieferungshaft befindlichen) Bruder I ein Zimmer in der Unterkunft X-Straße in U. Er sei anerkannter Asylbewerber. Die Tatvorwürfe aus dem Europäischen Haftbefehl hat er bestritten und angegeben, er sei nicht als Besatzungsmitglied, sondern als Flüchtling auf dem Schiff gewesen und habe für die Überfahrt Geld gezahlt. Der Verfolgte hat sich mit der vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt und auf den Grundsatz der Spezialität nicht verzichtet.

Mit Schriftsätzen seines Beistandes vom 12.08.2015 und 17.08.2015 hat der Verfolgte gegen die Festhalteanordnung des Amtsgerichts Soest und die Vollziehung der Auslieferungshaft aufgrund der Festhalteanordnung „Rechtsmittel“ eingelegt und gleichzeitig beantragt, „zumindest den Auslieferungshaftbefehl außer Vollzug zu setzen“. Er hat geltend gemacht, er sei als Flüchtling in der Bundesrepublik anerkannt. Er habe sich zwar auf dem besagten Schiff befunden, allerdings nicht als Besatzungsmitglied, sondern als Passagier. Deshalb sei er in Italien von den dortigen Behörden auch nicht als Mannschaftsmitglied festgenommen worden. Als anerkannter Asylant in Deutschland bestehe auch keine Fluchtgefahr. Im Übrigen weise das Ersuchen der italienischen Behörden gravierende Fehler auf, die es verböten, dem Ersuchen um Festnahme zum Zwecke der Auslieferung nachzukommen. Seine in der SIS-Ausschreibung aufgeführten persönlichen Daten – insbesondere zum Geburtsort – stimmten nicht mit seinem tatsächlichen Geburtsort überein. Mit Schriftsatz seines Beistandes vom 17.08.2015 hat der Verfolgte erneut die sofortige Außervollzugsetzung des Haftbefehls beantragt. Er meint, dass seine Auslieferung dem ordre public widerspreche, da die ihm vorgeworfene Straftat des Einschleusens von Ausländern in Italien mit einer Höchststrafe von 30 Jahren bedroht sei, also deutlich über dem liege, was in Deutschland für Mord ausgeurteilt werde. Im Übrigen sei ein rechtsstaatliches Verfahren gegen sogenannte Schleuser in Italien kaum zu erwarten. Allein die Dauer der in Italien geführten Strafverfahren übersteige die in Deutschland zu tolerierende Dauer für derartige Verfahren. Vor diesem Hintergrund verbiete sich insbesondere im Zusammenhang mit den anderen gerügten Mängeln seine Auslieferung.

Der Senat hat mit Beschluss vom 20.08.2015 gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft angeordnet und die Außervollzugsetzung des förmlichen Auslieferungshaftbefehls abgelehnt.

Im Rahmen der Verkündung des förmlichen Auslieferungshaftbefehls vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Hamm am 02.09.2015 hat der Verfolgte zu dem Tatvorwurf angegeben, er wisse es nicht. Es gehe ihm nicht so gut. Er sei ein Flüchtling. Er sei nach Deutschland gekommen, weil in seiner Heimat Krieg ist. Jetzt sei er plötzlich im Gefängnis. Er wolle hier in Deutschland bleiben und brauche einen Anwalt. Er wolle nicht nach Italien zurück. Er sei verwirrt; ihm sei das alles viel zu viel.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen hat der Verfolgte angegeben, er habe einen Antrag gestellt, dass er in Deutschland eine Schule besuchen dürfe. Er sei auch schon in einer Sprachschule gewesen und habe dort angefangen.

Dem Verfolgten ist durch – bestandskräftigen - des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 29.06.2015 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 15.09.2015 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung nach Italien wegen der ihm in Europäischen Haftbefehl des Untersuchungsrichteramts beim Gericht Lecce vom 13.07.2015 (Aktenzeichen: 106/2015 RGNR, Nr. 1/15 DDA, Nr. 4608/15 R. GIP, Nr. 59/15 O.C.C.) vorgeworfenen Taten für zulässig zu erklären.

Der Beistand des Verfolgten Rechtsanwältin T hat mit Zuschrift vom 17.09.2015 beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären. Er macht geltend, der Tatvorwurf der italienischen Behörden sei nicht hinreichend konkretisiert; es ergebe sich schon nicht, welchen konkreten Tatbeitrag der Verfolgte erbracht haben soll. Zudem sei er ohnehin nur Flüchtling auf dem Boot gewesen. Da er mittlerweile durch das BAMF als Flüchtling anerkannt worden sei, sei der ihm zuerkannte Schutz durch eine Auslieferung gefährdet, da nicht sichergestellt sei, dass er nicht aus Italien nach Syrien abgeschoben werde.

Mit weiterer Zuschrift seines Beistandes vom 28.09.2015 hat der Verfolgte erneut beantragt, seine Auslieferung für unzulässig zu erklären. Zur Begründung hat er im Wesentlichen darauf verwiesen, dass von mehreren Verwaltungsgerichten festgestellt worden sei, dass die Aufnahmebedingungen für Schutzberechtigte in Italien systemische Mängel aufwiesen, die die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in sich bergen würden. Zudem: Selbst wenn man – was ausdrücklich nicht zugestanden werde - davon ausginge, dass er als Seemann auf dem Schiff mitgefahren sei, müsse als Rechtfertigungsgrund in Betracht gezogen werden, dass er ansonsten keine andere Fluchtmöglichkeit gehabt habe.

II.
Das fehlende Einverständnis des Verfolgten zur vereinfachten Auslieferung macht eine Entscheidung des Senats über die Zulässigkeit der Auslieferung nach §§ 29 ff. IRG erforderlich. Entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war die Auslieferung für zulässig zu erklären.

Die nach § 83 a Abs. 1 IRG erforderlichen Auslieferungsunterlagen liegen in Form des Europäischen Haftbefehls des Untersuchungsrichteramts beim Gericht Lecce vom 13.07.2015 vor.

Der Europäische Haftbefehl enthält die in § 83 a Abs. 1 Nr. 1 - 6 IRG vorgesehenen Angaben. Entgegen der Auffassung des Verfolgten genügt die in dem Europäischen Haftbefehl vorgenommene Konkretisierung auch den Anforderungen des § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG, da die Taten sowohl hinsichtlich des Tatzeitpunktes, des Tatortes, der Tatumstände und der Funktion des Verfolgten auf dem Flüchtlingsboot (Matrose) hinreichend umrissen sind.

Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten ergibt sich aus §§ 79 Abs. 1, 81 Nr. 4 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 IRG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates der Europäischen Union vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Die Einordnung der Taten durch die italienischen Behörden als Katalogstraftat der Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt ist nicht zu beanstanden. Darüber hinaus wäre der dargestellte Sachverhalt auch nach deutschem Recht zumindest gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, § 27 StGB bzw. § 96 AufenthG strafbar.

Auch die Voraussetzungen des § 81 Nr. 1 IRG liegen vor. Der hier nach italienischem Recht in Betracht kommende Tatbestand der Beihilfe zur illegalen Einreise von mehr als fünf Nicht-EU-Bürgern, die mit Bereicherungsvorsatz und unter Aussetzung der Einwanderer einer Gefahr für ihre Unversehrtheit verübt worden ist, wobei eine grenzüberschreitende kriminelle Gruppe an der Straftat beteiligt war, sieht für die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat ein Höchstmaß von 30 Jahren Freiheitsstrafe vor.

Die Absicht der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse, insbesondere kein Bewilligungshindernis im Sinne des § 83 b Abs. 2 Nr. 1) IRG geltend machen zu wollen, lässt nach wie vor keine Rechts- und/oder Ermessensfehler erkennen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf seinen Beschluss vom 20.08.2015 Bezug.

Auch Auslieferungshindernisse nach § 73 IRG sind nicht ersichtlich. Die Befürchtung des Verfolgten, er gehe im Falle einer Auslieferung nach Italien des ihm in Deutschland durch Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gewährten Schutzes verlustig, weil nicht sichergestellt sei, dass er von Italien nicht nach Syrien abgeschoben werde, greift nicht durch. Abgesehen davon, dass gerichtsbekannt ist, dass derzeit aus allen Staaten der Europäischen Union keine Abschiebungen von Bürgerkriegsflüchtlingen nach Syrien erfolgen, ist das diesbezügliche Vorbringen des Verfolgten auch un-substantiiert. Soweit der Verfolgte mit Schriftsatz seines Beistandes vom 28.09.2015 geltend gemacht hat, die Aufnahmebedingungen für Schutzberechtigte in Italien wiesen systemische Mängel auf, so verkennt er, dass die u.a. vom Verwaltungsgericht Darmstadt (Urteil vom 17.12.2014 – 4 K 1536/14.DA.A) festgestellten systemischen Mängel sich ausschließlich auf das dortige Asyl- und Aufnahmeverfahren beziehen. Der Verfolgte soll aber nicht im Rahmen seines Asylverfahrens nach der Dublin-II-VO nach Italien zurückgeführt werde, sondern wegen ihm in Italien zur Last gelegter Straftaten – mit (zunächst) Aufnahme in den dortigen Untersuchungshaftvollzug - ausgeliefert werden.

Soweit der Verfolgte sich auf Rechtfertigungsgründe hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Taten beruft, weist der Senat darauf hin, dass eine Tatverdachtsprüfung grundsätzlich nicht stattfindet. Besondere Umstände, die im Sinne des § 10 Abs. 2 IRG ausnahmsweise eine Tatverdachtsprüfung erlaubten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.



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