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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 5 Ws 219/15 OLG Hamm

Leitsatz: Der Rechtserwerb nach § 111i Abs. 5 S. 1 StPO erstreckt sich nicht auf bei einer dritten Person gepfändete Forderungen, wenn mit dem Urteil keine Entscheidung gemäß § 73 Abs. 3 StGB, § 111i Abs. 2 StPO hinsichtlich der dritten Person getroffen wurde.


Senat: 5

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Rückgewinnungshilfe, dinglicher Arrest, Vermögen einer dritten Person

Normen: StPO 111i, StGB 73

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03.12.2015 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit festgestellt worden ist, dass das Land Nordrhein-Westfalen mit Ablauf des 11. Februar 2015 die Rechte (Inhaberschaft) an der in Vollziehung des Arrestes vom 01. Oktober 2010 gepfändeten Forderung gegen die Sparkasse F, Postfach pppp. F, Konto Nr. pppp., Guthaben in Höhe von 5.752,74 € erworben hat.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:
I.
Die XV. große Strafkammer – Wirtschaftsstrafkammer – des Landgerichts Essen hat die Verurteilten mit seit dem 11. Februar 2012 rechtskräftigem Urteil vom 03. Februar 2012 wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in 2470 Fällen jeweils zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Gemäß § 111i Abs. 2 StPO wurde festgestellt, dass der Verfall von Wertersatz bezüglich des Verurteilten S in Höhe von 227.589,- € und bezüglich der Verurteilten S1 und L in Höhe von 12.090,81 € deshalb nicht angeordnet worden war, weil Ansprüche Verletzter entgegenstanden. Eine weitergehende Entscheidung über etwaigen Verfall wurde nicht getroffen.

Mit Beschluss vom selben Tag hat die Wirtschaftsstrafkammer die ursprünglichen dinglichen Arreste des Amtsgerichts Essen vom 01. Oktober 2010 betreffend die Verurteilten – bezüglich des Verurteilten S in Höhe von 227.589,- € und bezüglich der Verurteilten S1 und L in Höhe von 12.090,81 € – für drei Jahre ab Rechtskraft des Urteils gemäß § 111i Abs. 3 StPO aufrechterhalten. Die sichergestellten Vermögenswerte wurden nicht nach § 111 Abs. 3 S. 3 StPO bezeichnet.

Das Amtsgericht Essen – Ermittlungsrichter – hatte durch Beschlüsse vom 01. Oktober 2010 nicht nur dingliche Arreste in das Vermögen der drei Angeklagten, sondern auch den dinglichen Arrest in Höhe von 594.461,09 € in das Gesellschaftsvermögen der E GmbH – Az. 44 Gs 3968/10 AG Essen – angeordnet. In Vollziehung dieses Arrestes hat das Amtsgericht Essen – Ermittlungsrichter – ebenfalls durch Beschluss vom 01. Oktober 2010 – Az. 44 Gs 3975/10 – sämtliche bestehenden und künftigen Forderungen der E GmbH „aus allen vorhandenen Geschäftsverbindungen (Konten, Depots, Schließfächer etc.), bei denen die Beschuldigte Inhaber, Mitinhaber oder Verfügungsberechtiger ist, bei der Stadtsparkasse F…, insbesondere alle Forderungen/Guthaben zu den Konten Nummer ppppp. in Höhe von 594.461,09 €“ gepfändet. Ausweislich der Drittschuldnererklärung vom 06. Oktober 2010 wies dieses Konto ein Guthaben in Höhe von 5.752,17 € auf.

Eine Entscheidung über den dinglichen Arrest in das Gesellschaftsvermögen der E GmbH wurde nach Urteilsverkündung nicht getroffen.

Am 03. November 2011 wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Essen – Az. 166 IN 225/10 – das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E GmbH eröffnet und Rechtsanwalt Dr. O, der Beschwerdeführer, zum Insolvenzverwalter ernannt.

Mit Verfügung vom 19. Februar 2015 beantragte die Staatsanwaltschaft Essen, gemäß § 111i Abs. 6 StPO nach Ablauf der Dreijahresfrist des § 111i Abs. 3 StPO durch Beschluss den Eintritt und Umfang des staatlichen Rechtserwerbs festzustellen.

Der Beschwerdeführer wandte hiergegen u. a. ein, dass es sich bei dem o. g. Konto bei der Sparkasse Essen um ein Konto der insolventen E GmbH handele.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. Mai 2015 hat die XV. große Strafkammer – Wirtschaftsstrafkammer – des Landgerichts Essen gemäß § 111i Abs. 5 und 6 StPO festgestellt, dass das Land Nordrhein-Westfalen mit Ablauf des 11. Februar 2015 gegen den Verurteilten S einen Zahlungsanspruch in Höhe von 227.589,- € sowie Zahlungsansprüche gegen die Verurteilten S1 und L in Höhe von jeweils 12.090,81 € erlangt sowie mit Ablauf des 11. Februar 2015 die Rechte (Inhaberschaft) an den „in Vollziehung des Arrestes vom 01. Oktober 2010 gepfändeten Forderungen“ erworben hat. Im Folgenden sind sodann die gepfändeten Forderungen im Einzelnen bezeichnet worden, u. a. auch das Konto Nr. ppppp. bei der Sparkasse F.

Gegen diesen Beschluss, der dem Beschwerdeführer am 28. Mai 2015 zugestellt worden ist, richtet sich seine sofortige Beschwerde, eingegangen beim Landgericht Essen am 01. Juni 2015.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu unter dem 26. Juni 2015 Stellung genommen und beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Mit weiterem Schreiben vom 08. Juli 2015 hat der Beschwerdeführer hierauf erwidert und zudem seine – ursprünglich weitergehende – sofortige Beschwerde nur hinsichtlich des o. g. Kontoguthabens aufrechterhalten.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 17. Juli 2015 hierzu Stellung genommen und ihren Antrag aufrechterhalten.

II.
Die Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss ist gemäß §§ 111i Abs. 6 S. 3, 311 StPO statthaft und zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt. Der Beschwerdeführer als Insolvenzverwalter ist durch den Beschluss, soweit er sich auf eine Forderung der insolventen E GmbH bezieht, auch beschwert.

Die Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit festgestellt worden ist, dass das Land Nordrhein-Westfalen mit Ablauf des 11. Februar 2015 die Rechte (Inhaberschaft) an der in Vollziehung des Arrestes vom 01. Oktober 2010 gepfändeten Forderung gegen die Sparkasse F, Postfach pppppppp.F, Konto Nr. pppp., Guthaben in Höhe von 5.752,74 € erworben hat.

Gemäß § 111i Abs. 6 S. 1 StPO stellt das Gericht des ersten Rechtszugs den Eintritt und den Umfang des staatlichen Rechtserwerbs nach § 111i Abs. 5 S. 1 StPO (deklaratorisch) durch Beschluss fest. Nach dieser Vorschrift erwirbt der Staat nach Ablauf von drei Jahren ab Rechtskraft des Urteils die nach § 111i Abs. 2 StPO bezeichneten Vermögenswerte entsprechend § 73e Abs. 1 StGB sowie einen Zahlungsanspruch in Höhe des nach § 111i Abs. 2 StPO festgestellten Betrages, soweit nicht die Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 Nr. 1 bis 5 StPO vorliegen.

Da die sichergestellten Vermögenswerte im Beschluss vom 03. Februar 2012 nicht nach § 111 Abs. 3 S. 3 StPO bezeichnet worden waren, hat die Wirtschafts-strafkammer dies im angefochtenen Beschluss nachgeholt und dabei u. a. auch die Forderung gegen die Sparkasse F, Konto Nr. pppp., bezeichnet.

Diese Feststellung ist rechtswidrig, weil ein Rechtserwerb an dieser Forderung nicht stattgefunden hat. Der materielle Umfang des Auffangrechtserwerbs wird nach § 111i Abs. 2 StPO im Urteil bestandskräftig ausgesprochen (Spillecke in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Auflage 2013, § 111i Rn. 24). Die Feststellung im Urteilstenor nach § 111i Abs. 2 StPO, dass der Verfall von Wertersatz wegen entgegenstehender Ansprüche Dritter nicht angeordnet worden war, bezog sich ausschließlich auf die drei Verurteilten, nicht aber auf E GmbH. Das Urteil verhält sich hingegen nicht zu der Frage einer Anordnung gemäß §§ 73, 73a StGB bzw. § 111i Abs. 2 StPO hinsichtlich der E GmbH. Ein aufschiebend bedingter Wertersatzverfall wurde weder angeordnet noch (konkludent) abgelehnt (vgl. auch BGH NZI 2015, 243). Konsequenterweise bezog sich auch der Beschluss nach § 111i Abs. 3 StPO, wonach „die dinglichen Arreste des Amtsgerichts Essen vom 01. Oktober 2010 betreffend alle Angeklagten“ aufrechterhalten wurden, nicht auf den dinglichen Arrest in das Vermögen der E GmbH. Folgerichtig kann sich der Rechtserwerb nach Ablauf von drei Jahren infolge der getroffenen Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO nicht auf die Forderung der (insolventen) E GmbH bei der Sparkasse F, Konto Nr. ppppp. erstreckt haben. Die Pfändung der Forderung ist in Vollziehung des Arrestes in das Vermögen der E GmbH erfolgt. Es kann nicht angenommen werden, dass sie (auch) in Vollziehung der Arreste in das Vermögen der Verteilten erfolgen sollte. Zwar waren der Verurteilte S Geschäftsführer und zu 80 % Gesellschafter und der Verurteilte S1 zu 20 % Gesellschafter der E GmbH. Bei dem Gesellschaftsvermögen handelte es sich aber nicht um das Vermögen der Verurteilten. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass die juristische Person über eine eigene Vermögensmasse verfügt, die von dem Privatvermögen des Organs, Vertreters oder Beauftragten zu trennen ist. Die dem Gesellschaftsvermögen einer GmbH zugeflossenen Vermögensvorteile stellen daher trotz (abstrakter) Zugriffsmöglichkeit nicht ohne weiteres auch zugleich private Vermögensvorteile des Geschäftsführers dar (BVerfG BeckRS 2005, 25505; BGH NStZ 2014, 32, 33 m. w. N.).

Der Beschluss nach § 111i Abs. 6 StPO kann sich nicht auf eine Entscheidung gemäß §§ 73, 73a StGB bzw. § 111i Abs. 2 StPO hinsichtlich der E GmbH beziehen. Zwar käme eine entsprechende Anordnung gemäß § 111i Abs. 2 StPO gegenüber der E GmbH hier grundsätzlich in Betracht, weil Vorteile aus den Taten zunächst auf deren Konten eingingen. Gemäß § 73 Abs. 3 StGB kann der Verfall oder der Verfall von Wertersatz nämlich auch gegen einen Dritten angeordnet werden, wenn der Täter oder Teilnehmer für einen anderen gehandelt und dieser dadurch etwas erlangt hat. Auch eine Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO kann gegen einen Dritten getroffen werden (BGH NZI 2015, 243, 246). Eine entsprechende Entscheidung hinsichtlich der E GmbH wurde aber bisher nicht getroffen (vgl. auch BGH NZI 2015, 243). Die E GmbH wurde auch nicht gemäß § 442 StPO am Verfahren als Dritte beteiligt. Eine solche Entscheidung steht vielmehr noch aus. Das Verfahren dürfte insoweit weiterhin anhängig sein (vgl. hierzu BGH NStZ 2014, 32 Rn. 9; Köllner/Lendermann in: Anmerkung zu BGH NZI 2015, 243, 247; Bittmann, NStZ 2015, 1, 4).

Zwar hat der angefochtene Beschluss gemäß § 111i Abs. 6 StPO nur deklaratorische Wirkung, weil der Rechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO kraft Gesetzes eintritt (BGH NJW 2008, 1093; Bittmann in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, §111i Rn. 17 m. w. N.). Er dient jedoch der Rechtsklarheit und ihm kann als Vollstreckungstitel Bedeutung zukommen (vgl. Bittmann a. a. O.).

Entsprechend war die Feststellung im angefochtenen Beschluss hinsichtlich des Kontos Nr. pppppp. bei der Sparkasse F aufzuheben.

Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass mit dieser Entscheidung über die sofortige Beschwerde eine weitergehende Entscheidung über die Aufhebung des (noch bestehenden) dinglichen Arrestes in das Vermögen der E GmbH sowie die in Vollziehung dieses Arrestes gepfändete Forderung bei der Sparkasse F nicht verbunden ist.

Der mit Beschluss vom 01. Oktober 2010 angeordnete dingliche Arrest in das Vermögen der E GmbH endete nicht automatisch mit Rechtskraft des Urteils, obwohl er nicht gemäß § 111i Abs. 3 StPO aufrechterhalten wurde. Überdies verhält sich das Urteil – wie ausgeführt – nicht zu Anordnungen gemäß §§ 73, 73a StGB bzw. § 111i Abs. 2 StPO gegenüber der E GmbH. Der zum Zweck der Rückgewinnungshilfe erlassene dingliche Arrest wirkt fort (vgl. hierzu ausführlich: BGH NStZ 2013, 401, 403).

Die Staatsanwaltschaft wird zu prüfen haben, ob sie die Aufhebung des dinglichen Arrestes in das Vermögen der E GmbH und der in Vollziehung dieses Arrestes getroffenen Pfändungsmaßnahme beantragt. Im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung werden insbesondere die lange Dauer des dinglichen Arrestes und die in seiner Vollziehung getroffenen Maßnahmen Berücksichtigung finden müssen (vgl. nur BVerfG BeckRS 2005, 27483; OLG Köln BeckRS 2013, 17257).

Weiterhin haben Staatsanwaltschaft und die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Essen zu entscheiden, ob sie ein entsprechendes Verfahren zur Frage einer Anordnung von Wertersatzverfall gemäß §§ 73, 73a StGB bzw. einer Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO, das insoweit noch beim Landgericht Essen anhängig sein dürfte (vgl. hierzu BGH NStZ 2014, 32 Rn. 9; Köllner/Lendermann in: Anmerkung zu BGH NZI 243, 247; Bittmann, NStZ 2015, 1, 4), fortführen oder gemäß §§ 442 Abs. 1, 430 Abs. 1 StPO die Verfolgung der Tat auf die anderen, bereits angeordneten Rechtsfolgen beschränken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 3 StPO.



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