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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 422/15 OLG Hamm

Leitsatz: 1.Der Senat hält daran fest, dass das Beschwerdegericht die erforderliche Aufklärung selbst vornehmen und in der Sache entscheiden kann, wenn der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer im Verfahren nach § 119a Abs. 1, 3 StVollzG wesentliche Teile des Zweijahreszeitraums gemäß § 119a Abs. 3 StVollzG nicht abgedeckt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 25.08.2015, III-1 Vollz(Ws) 175/15). Dies setzt jedoch in der Regel voraus, dass die gesetzlich normierte Zweijahresfrist als Sachentscheidungsvoraussetzung zumindest im Zeitpunkt des Einganges der Sache beim Beschwerdegericht bereits abgelaufen ist.
2. Durch Zuwarten des Senats auf den Ablauf der Zweijahresfrist des § 119a Abs. 3 S. 1 StVollzG würde eine der landgerichtlichen Beurteilung obliegende Entscheidung abweichend von der gesetzlichen Regelung des Instanzenzuges bewusst von vornherein in die Beschwerdeinstanz verlagert.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Betreuungsangebot, eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts, Maßregelvollzug

Normen: StVollzG 119a

Beschluss:

Strafvollzussache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 07.01.2016 beschlossen:
1.Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
2.Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf die Hälfte ermäßigt. Die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen werden zur Hälfte der Landeskasse auferlegt (§ 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. § 473 Abs. 4 StPO).

Gründe
I.
Der Betroffene wurde durch Urteil des Landgerichts Essen vom 19.07.2013 - unter Freispruch im Übrigen - wegen schwerer sexueller Nötigung und Besitzes jugendpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde gegen ihn die Maßregel der Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Betroffene befand sich seit dem 17.08.2012 für dieses Verfahren bis zum Tag des Eintritts der Rechtskraft am 29.01.2014 in Untersuchungshaft und verbüßt seither Strafhaft.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, dass die Vollzugsbehörde dem Betroffenen im zurückliegenden Zeitraum eine Betreuung angeboten hat, die § 66c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 des StGB entspricht, und die Prüfungsfrist für die nächste Überprüfung auf drei Jahre verlängert. Sie hat dabei ausweislich des Beweisbeschlusses vom 01.12.2014 den Beginn des Prüfungszeitraums mit dem 01.06.2013 angesetzt.

Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Beschwerde. Er begehrt die Feststellung, dass die Betreuung in dem vergangenen Zeitraum nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprach.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Die Generalstaatsanwältin in Hamm hat Bedenken hinsichtlich der Auffassung der Strafvollstreckungskammer geäußert, dass die zu Beginn der Strafhaft hinsichtlich des Betreuungsangebots im Sinne des § 66 c Abs. 1 Nr. 1 StGB eingetretene Verzögerung wegen des fehlenden Mitwirkungswillens des Verurteilten nicht zu der Feststellung führe, dass dieses Betreuungsangebot unzureichend gewesen sei.

II.
Die Beschwerde des Betroffenen hat in dem aus dem Tenor erkennbaren Umfang Erfolg, im Übrigen war sie zurückzuweisen.

Der angefochtene Beschluss war aufzuheben, weil - auch im Beschwerdeverfahren - die Sachentscheidungsvoraussetzungen für eine Feststellungsentscheidung nach § 119a Abs. 1 StVollzG fehlen. Eine solche Entscheidung ergeht entweder von Amts wegen alle zwei Jahre nach Beginn der Strafvollstreckung (§ 119a Abs. 3 S. 1 und 3 StVollzG) oder auf Antrag der Vollzugsbehörde. Ein Antrag der Vollzugsbehörde liegt hier nicht vor. Auch war und ist die Frist für eine Überprüfung von Amts wegen nicht abgelaufen. Die Frist beginnt für die - wie hier - erstmalige Überprüfung mit dem Beginn des Vollzugs der Freiheitsstrafe (§ 119a Abs. 3 S. 3 StVollzG). Dieser Vollzugsbeginn richtet sich nach den Vorgaben der StVollstrO (vgl. Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. P Rdn. 123). § 38 Nr. 3 StVollstrO bestimmt, dass bei einer verurteilten Person, die sich zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft in Untersuchungshaft befindet, dieser Zeitpunkt als Beginn der Strafvollstreckung anzusetzen ist. Demnach begann der zweijährige Überprüfungszeitraum hier erst am 29.01.2014 und ist somit gegenwärtig noch nicht abgelaufen.

Die Übergangsvorschrift des § 316f Abs. 3 S. 2 EGStGB, nach der die erste Überprüfungsfrist am 01.06.2013 beginnt, ist nicht einschlägig, da diese voraussetzt, dass die Freiheitsstrafe zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen wird. Am 01.06.2013 wurde aber gegen den Betroffenen keine Freiheitsstrafe vollzogen, sondern Untersuchungshaft.

Der Senat sieht auch keinen Anlass, die Regelung des § 119a StVollzG in analoger Anwendung auszudehnen auf den vorangegangenen Vollzug von Untersuchungshaft. Angesichts des Umstands, dass bis zur Rechtskraft der Entscheidung noch gar nicht sicher ist, ob die Anordnung der Sicherungsverwahrung Bestand hat, macht es auch keinen Sinn, schon mit diese Maßregel potentiell vermeidenden Behandlungsmaßnahmen zu beginnen. Die Interessenlage ist insoweit schon nicht vergleichbar.

Da der Überprüfungszeitraum noch nicht abgelaufen ist und der Betroffene auch kein eigenes Antragsrecht für eine Überprüfung nach § 119a StVollzG hat, konnte der Senat nicht in eine Sachprüfung eintreten, so dass dem weitergehenden Begehren des Betroffenen der Erfolg zu versagen war.

Zwar kann der Senat grundsätzlich als in der Sache umfassend selbst entscheidendes Beschwerdegericht (§§ 120 Abs. 1 StVollzG, 309, 308 StPO) die erforderliche Sachaufklärung auch dann selbst vornehmen, wenn ein angefochtener Beschluss wesentliche Teile des ersten Zweijahreszeitraums nicht abgedeckt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 25.08.2015, III - 1 Vollz (Ws) 175/15). Dies setzt jedoch ebenso wie im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer voraus, dass überhaupt die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung gegeben sind, also entweder ein Antrag der Vollzugsbehörde vorliegt oder die jeweils maßgebliche Überprüfungsfrist abgelaufen ist (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.09.2014 - 1 Ws 91/14 - [...]). Sind diese Voraussetzungen hingegen - wie vorliegend - selbst im Zeitpunkt der "Entscheidungsreife" beim Senat nicht gegeben, ist für eine eigene Sachentscheidung kein Raum und bleibt die erstmalige Entscheidung über den gesamten Überprüfungszeitraum der Strafvollstreckungskammer vorbehalten. Eine andere Handhabung - nämlich ein dann gebotenes Zuwarten des Senats auf den Ablauf der Zweijahresfrist zur Ermöglichung einer eigenen Sachentscheidung - würde dazu führen, abweichend von der gesetzlichen Regelung des Instanzenzuges eine der landgerichtlichen Beurteilung obliegende Entscheidung bewusst von vornherein in die Beschwerdeinstanz zu verlagern. Zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten entscheidet der Senat die Frage, ab welchem Zeitpunkt eine eigene Sachentscheidung des Senats in Betracht kommt, für die zukünftige Handhabung dahingehend, dass in den Fällen, in denen die Sachentscheidungsvoraussetzungen selbst bei Eingang der Beschwerde beim Beschwerdegericht noch nicht erfüllt sind, die angefochtene Entscheidung im Regelfall aufzuheben ist. Soweit der Senat dies in bisher anhängigen Fällen anders gehandhabt hat, hält er daran nicht mehr fest. In den bereits beim Senat anhängigen weiteren Fällen, in denen die Zweijahresfrist inzwischen abgelaufen ist, soll es aus Gründen der Rechtssicherheit und Gründen der Verfahrensbeschleunigung bei der bisherigen Handhabung verbleiben. Ob und in welchen Fällen eine Abweichung von dem vorstehend dargelegten Regelfall der gebotenen Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung bei Fehlen der Sachentscheidungsvoraussetzungen selbst im Zeitpunkt des Einganges der Beschwerde gerechtfertigt oder gar notwendig sein könnte (so evtl. zur Vermeidung unzuträglicher Verfahrensverzögerungen) bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

In diesem Zusammenhang weist der Senat klarstellend darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer erst nach und nicht schon - wie im Senatsbeschluss vom 25.08.2015 missverständlich formuliert - "gegen" Ende des Überprüfungszeitraums entscheiden, nämlich beurteilen kann, ob in diesem gesamten Zeitraum die angebotene Betreuung ausreichend war (vgl. Peglau, jurisPR-StraR 21/2015

Anm. 4).

III.
Der Senat weist für das weitere Verfahren auf folgendes hin:

1. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, dass die Feststellung einer nicht ausreichenden Behandlung im zurückliegenden Zeitraum nur getroffen werden kann, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch Versäumnisse zu verzeichnen sind.

Hiergegen spricht zum einen der insofern eindeutige Wortlaut des § 119a Abs. 1 Nr. 1 StVollzG, wonach das Gericht das Betreuungsangebot "im zurückliegenden Zeitraum" und nicht lediglich den Status quo im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu bewerten hat.

Zum anderen dient die regelmäßige gerichtliche Kontrolle gemäß § 119a StVollzG insbesondere einer Abschichtung der späteren Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung im Rahmen des § 67c Abs. 1 S. 1 StGB (vgl. BT-Drs. 17/9874 - S. 28). Bei dieser nachfolgenden Entscheidung ist das Gericht gemäß § 119a Abs. 7 StVollzG an die rechtskräftigen Feststellungen der Strafvollstreckungskammer zur Übereinstimmung der Betreuung im Strafvollzug mit den gesetzlichen Vorgaben gebunden. Es kann also nicht die bisherigen Betreuungsangebote in qualitativer oder quantitativer Hinsicht neu bewerten; vielmehr hat es ausgehend von den rechtskräftigen Feststellungen gemäß § 119a Abs. 1 StVollzG eine Gesamtbetrachtung des Vollzugsverlaufs vorzunehmen und zu entscheiden, ob dem Täter insgesamt, also unter Berücksichtigung sämtlicher Angebote und Maßnahmen während des Strafvollzuges eine ausreichende Betreuung angeboten worden ist (vgl. BT-Drs. 17/9874 S. - 20 f.). Die Herbeiführung der Bindung aller Gerichte bei nachfolgenden Entscheidungen an die diesbezüglichen Feststellungen nach § 119a Abs. 1 StVollzG ist sogar maßgeblicher Sinn und Zweck des § 119a StVollzG (vgl. BT-Drs. 17/9874 - S. 29). Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht einsichtig, warum im Rahmen des § 119a Abs. 1 StVollzG nicht gegebenenfalls die ausdrückliche Feststellung möglich sein sollte, dass das Betreuungsangebot nur für einen bestimmten Teil des Überprüfungszeitraums den Anforderungen des § 66c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprochen hat. Gerade diese Handhabung erlaubt eine möglichst konkrete qualitative und quantitative Bewertung des Betreuungsangebotes, die - erst - bei der späteren Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB eine angemessene Gesamtbetrachtung des Vollzugsverlaufs erlaubt.

Dieser Auffassung steht auch nicht entscheidend die Regelung des § 119a Abs. 1 Nr. 2 StVollzG entgegen, nach der sich das Gericht nicht auf die schlichte Rüge einer unzureichenden Behandlung beschränken darf, sondern in seinem Beschluss konkret angeben muss, welche Maßnahmen zukünftig ergriffen werden müssen (vgl. insofern Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, a.a.O., Abschn. P Rdn. 120). Denn allein der Umstand, dass diese gesetzliche Vorgabe keine praktische Bedeutung hat, wenn etwaige Behandlungs- bzw. Angebotsdefizite zwischenzeitlich bereits behoben sind, ändert nichts daran, dass die ausdrückliche Feststellung solcher früheren Defizite unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 119a StVollzG gleichwohl geboten ist.

2. Auch hat die Generalstaatsanwältin zutreffend darauf hingewiesen, dass für die Entscheidung, ob die Vollzugsbehörde dem Gefangenen im Überprüfungszeitraum ein hinreichendes Betreuungsangebot gemacht hat, der Erfolg der angebotenen Betreuung oder die Annahme des Angebots durch den Gefangenen grundsätzlich nicht entscheidend sind (vgl. BT-Drs. 17/9874 - S. 28; KG, Beschl. v. 19.08.2015 - 2 Ws 154/15 - [...] = StraFo 2015, 434). Die Erwägung, dass die von der Strafvollstreckungskammer hinsichtlich des Behandlungsangebotes festgestellte Verzögerung im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht zu berücksichtigen sei, da der Verurteilte eine Behandlung mit Sicherheit auch bei früheren Motivationsgesprächen abgelehnt hätte, dürfte daher im Ergebnis nicht tragfähig sein.

3. Hiervon zu unterscheiden ist aber, dass sich jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in welchem der Gefangene alle spezifizierten Behandlungsangebote im Sinne des § 119a Abs. 1 StVollzG mit der Begründung ablehnt, er benötige diese unabhängig von der Art des Angebotes (hier: insbesondere aufgrund seiner Verurteilung als Unschuldiger) nicht, die Anforderungen, die an den die Feststellung gemäß § 119a StVollzG aussprechenden Beschluss grundsätzlich zu stellen sind, entsprechend reduzieren. Verweigert ein Betroffener kategorisch die Mitwirkung an jeglichen therapeutischen Maßnahmen und Behandlungsangeboten mit außerhalb der angebotenen Betreuung liegenden Gründen, also unabhängig von etwaigen Erwägungen zur Qualität bzw. Geeignetheit der Angebote, so werden für diesen Zeitraum in der Regel die gesetzlich vorgesehenen Versuche, eine grundsätzliche Behandlungsmotivation überhaupt herzustellen, als ein dem § 66 c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechendes Angebot anzusehen sein, ohne dass es einer näheren Darlegung der spezifischen Behandlungskonzepte der Vollzugsanstalt und deren sachverständiger Überprüfung im Verfahren gemäß § 119 a Abs. 1 Nr. 1 StVollzG bedarf (vgl. Senatsbeschluss vom 01.12.2015, III - 1 Vollz (Ws) 254/15).

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 121 Abs. 3 StVollzG, 473 Abs. 1 und 4 StPO; in Anbetracht des Beschwerdebegehrens der sachlichen Feststellung einer unzureichenden Betreuung hat das Rechtsmittel lediglich einen Teilerfolg.


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