Aktenzeichen: 2 RVs 47/15 OLG Hamm |
Leitsatz: Zu einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge des Angeklagten, mit der er rügt, das Gericht habe gegen die Vorschriften des Verständigungsgesetzes (§§ 257c, 273 Abs. 1a, 243 Abs. 4 StPO) verstoßen, indem es sich mit den Verfahrensbeteiligten konkludent und informell über deren Prozessverhalten und den Inhalt des Berufungsurteils verständigt habe. |
Senat: 2 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Verständigung, informelle, Zulässigkeit |
Normen: StPO 257c; StPO 344 |
Beschluss: Strafsache In pp. hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 29.12.2015 beschlossen: Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen. Gründe I. Das Amtsgericht - Schöffengericht - Bochum verurteilte den Angeklagten am 08.05.2014 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten. Das Amtsgericht traf im Urteil folgende Feststellungen: Der von vornherein nicht erfüllungsbereite Angeklagte habe am 10.04.2012 einen zuvor selbst erworbenen Pkw Mercedes der B - Klasse 200 CDI Automatik über eine ebay - Anzeige zum Kaufpreis vom 10.050,00 Euro an den Zeugen N veräußert. Der Zeuge habe am 12.04.2012 verabredungsgemäß vor Übergabe des Fahrzeugs einen Teilbetrag von 5.000 Euro an den Angeklagten über das Konto von dessen Mutter überwiesen, der Wagen sei jedoch nachfolgend - wie von dem Angeklagten beabsichtigt - nicht übergeben worden. Vielmehr habe der Angeklagte mitgeteilt, dass das Fahrzeug, welches auf ausdrücklichen Wunsch des Angeklagten von Berlin an die Anschrift des Zeugen nach Bochum geliefert werden sollte, bei einem Unfall beschädigt worden sei und der Kaufvertrag daher nicht mehr vollzogen werden könne. Entgegen der Ankündigungen des Angeklagten habe dieser die Teilzahlung von 5.000 Euro nicht vollständig an den Zeugen N zurückgeleistet, sondern nur einen Teilbetrag von 2.000 Euro erstattet. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Rechtsmittel ein, das nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe nicht weiter begründet und daher als Berufung durchgeführt wurde. In der Berufungshauptverhandlung vom 24.04.2015 erklärte der Vorsitzende zu Beginn zu Protokoll, dass er bislang keine Gespräche geführt habe, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand gehabt hätten und dass ihm von solchen Gesprächen auch nichts bekannt sei. In der Folge verlas er den Tenor und die Gründe des angefochtenen Urteils. Sodann äußerte sich der Angeklagte zur Sache und der Zeuge N wurde informatorisch zu der Frage gehört, ob der Schaden entsprechend der Angaben des Angeklagten vollständig ausgeglichen sei, was der Zeuge bestätigte. Im Anschluss gab der Vorsitzende folgende Erklärung zu Protokoll: "Ich könnte mir vorstellen, dass dem Angeklagten noch einmal Bewährung eingeräumt werden kann, wenn dieser das Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und dadurch Einsicht dokumentiert. Diese Wertung stützt sich auf die Aktenlage und ihr liegt zugrunde, das der Angeklagte den Schaden mittlerweile ausgeglichen hat, dass die Tat länger als drei Jahre zurück liegt und sich der Angeklagten in dieser Zeit straffrei geführt hat, dass der Angeklagte in der Türkei den Wehrdienst abgeleistet hat und von der Bewährungshelferin überaus positiv beurteilt wird." Nachdem der Vertreter der Staatsanwaltschaft der Äußerung des Vorsitzenden nicht widersprochen hatte, wurde ausweislich des Protokolls auf Antrag des Verteidigers die Hauptverhandlung um 12:26 Uhr unterbrochen und um 12:42 Uhr fortgesetzt. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung gab der Angeklagte nach Rücksprache mit dem Verteidiger folgende, im Protokoll niedergeschriebene Erklärung ab: "Ich beschränke die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch." Der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmte der Beschränkung zu, die Hauptverhandlung wurde entsprechend der Beschränkung ohne Vernehmung von Zeuge fortgeführt. Das Landgericht Bochum hat - wie vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zuvor beantragt - die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die Vollstreckung der erstinstanzlich erkannten Strafe zu Bewährung ausgesetzt wird. Des Weiteren wurde durch Beschluss die Bewährungszeit auf 4 Jahre festgesetzt, der Angeklagte wurde der Aufsicht der Bewährungshilfe unterstellt und ihm wurde die Ableistung von 80 Sozialstunden auferlegt. Die Hauptverhandlung schloss ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls damit, dass dem Angeklagten neben der Belehrung gemäß § 268a StPO eine "qualifizierte Rechtsmittelbelehrung" erteilt wurde. Einen Vermerk nach § 273 Abs. 1a S. 3 StPO des Inhalts, dass eine Verständigung nach § 257c StPO nicht stattgefunden hat, enthält das Protokoll nicht. Der Angeklagte hat gegen das Urteil des Landgerichts Bochum form- und fristgerecht Revision eingelegt und die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Mit seiner unter Wiedergabe des Hauptverhandlungsprotokolls ausgeführten Verfahrensrüge macht der Angeklagte geltend, dass das Urteil auf einer informellen Verfahrensabsprache beruhe, ohne dass die Vorschrift des § 257c StPO beachtet worden sei. Unter Verstoß gegen § 273 Abs. 1a S. 1 StPO sei die (konkludente) Verständigung auch nicht im Protokoll wiedergegeben worden. Schließlich sei dem Angeklagten eine nicht von der Absprache umfasste Bewährungsauflage von 80 Sozialstunden erteilt worden. Zum Verfahrensgang hat der Angeklagte über das dem Protokoll zu entnehmende Geschehen hinaus vorgetragen, sein Verteidiger habe vor der Beschränkung der Berufung noch während der Unterbrechung der Hauptverhandlung dem Gericht mitgeteilt, dass er (Angeklagter) dem Vorschlag des Gerichts zustimmen werde. Dabei sei weder dem Angeklagten noch dem Verteidiger klar gewesen, dass eine Bewährungsentscheidung mit einer Auflage verbunden werde. Das Gericht habe mit seinem Vorgehen gegen das Transparenzgebot des § 257c StPO verstoßen und den Angeklagten bis zur Urteilsverkündung im Unklaren darüber gelassen, ob es nach der Berufungsbeschränkung von dem Bestehen einer im Sinne des § 257c StPO verbindlichen Verständigung ausgehe. Für eine konkludent zustande gekommene Verfahrensabsprache spreche, dass der Vorsitzende seinen Vorschlag für eine Einigung und auch die Reaktion der Staatsanwaltschaft protokolliert und dem Angeklagten nach Urteilsverkündung eine qualifizierte Rechtsmittelbelehrung nach § 35a Satz 3 StPO erteilt habe. Zudem habe das Gericht mit der Bewährungsauflage von 80 Sozialstunden, die nicht abgesprochen gewesen sei und den Angeklagten überrascht habe, gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßen. Auf diesen Verstößen beruhe das Urteil. Es sei insbesondere nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte bei prozessordnungsgemäßer Vorgehensweise des Gerichts und Unterrichtung über die beabsichtigte Bewährungsauflage der Absprache nicht zugestimmt und die Berufung nicht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hätte. Der Strafkammervorsitzende und die Staatsanwaltschaft haben zu der Revisionsbegründung keine Erklärungen abgegeben. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 25.08.2015 beantragt, wie erkannt, und ist der Auffassung des Revisionsführers, dem Berufungsurteil liege eine informelle Absprache zugrunde, die gegen das Transparenzgebot sowie die Dokumentations- und Protokollierungspflichten des § 273 Abs. 1a i.V.m. 257c StPO verstoße, beigetreten. II. Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Das Urteil des Landgerichts Bochum ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen. Die zulässig gem. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO erhobene Verfahrensrüge des Angeklagten, mit der er rügt, das Gericht habe gegen die Vorschriften des Verständigungsgesetzes (§§ 257c, 273 Abs. 1a, 243 Abs. 4 StPO) verstoßen, indem es sich mit den Verfahrensbeteiligten konkludent und informell über deren Prozessverhalten und den Inhalt des Berufungsurteils verständigt habe, ist begründet. Der Inhalt des Protokolls der Berufungshauptverhandlung steht der Annahme einer konkludenten, informellen Verfahrensabsprache, wie sie vom Revisionsführer vorgetragen wird, nicht entgegen. Kommt es zu einer - hier von dem Angeklagten schlüssig behaupteten - Verständigung i.S.v. § 257 c StPO, so muss das Protokoll dessen wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis wiedergeben (§ 273 Abs. 1 a S. 1 StPO). Daneben ist dies nach § 267 Abs. 6 S. 5 StPO in den Urteilsgründen anzugeben. Vorliegend findet sich weder in den Gründen des angefochtenen Urteils noch im Protokoll der Berufungshauptverhandlung ein Hinweis auf eine Verständigung. Allerdings sieht § 273 Abs. 1 a S. 3 StPO auch vor, dass in das Protokoll ein sog. "Negativattest" aufzunehmen ist, wenn keine verfahrensbeendende Absprache stattgefunden hat. Vorliegend hat der Vorsitzende der Strafkammer zwar zu Beginn der Hauptverhandlung gemäß § 243 Abs. 4 S. 1 StPO mitgeteilt, dass bis zum Beginn der Hauptverhandlung keine Gespräche im Hinblick auf eine verfahrensbeendende Absprache geführt worden seien, und dies auch nach § 273 Abs. 1 a S. 2 StPO im Protokoll so festgehalten. Was den weiteren Verlauf der Hauptverhandlung betrifft, schweigt das Protokoll jedoch zu Gesprächen über eine mögliche Absprache oder deren Zustandekommen. Ein "Negativattest" im Sinne des § 273 Abs. 1a S. 3 StPO, dass keine Absprache stattgefunden hat, ist nicht im Protokoll enthalten. Infolge dieser Widersprüchlichkeit des Protokolls, das insoweit nicht eindeutig und lückenhaft ist, verliert dieses seine Beweiskraft gemäß § 274 StPO (vgl. BGH, NJW 2011, 321; OLG Köln, NStZ 2014, 727). Das Revisionsgericht ist in einem solchen Fall gehalten, im Wege des Freibeweisverfahrens die durch eine diesbezügliche, zulässige Verfahrensrüge aufgeworfene Frage zu überprüfen, ob eine Verfahrensabsprache getroffen worden ist (vgl. OLG Celle, StV 2012, 141; OLG Köln, a.a.O.). Die im Protokoll festgehaltenen Abläufe in der Berufungshauptverhandlung sowie die damit in Einklang stehenden ergänzenden Angaben des Revisionsführers in seiner Revisionsbegründungsschrift, denen weder der Strafkammervorsitzende noch die Staatsanwaltschaft entgegengetreten sind, lassen in ihrer Gesamtschau darauf schließen, dass in der Berufungshauptverhandlung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten eine konkludente, informelle und damit wegen Verstoßes gegen das den §§ 257 c, 243 Abs. 4, § 267 Abs. 4 S. 5, § 273 Abs. 1 a StPO zugrunde liegende Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes unzulässige (vgl. BVerfGE 133, 168 f.; BGH, NStZ 2014, 113; OLG München, StV 2014, 79) Verständigung dahingehend getroffen worden ist, dass für den Fall einer von dem Angeklagten mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft erklärten Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch die erstinstanzlich gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Regelungen des Verständigungsgesetzes gelten, wie sich aus der in § 332 StPO getroffenen Verweisung ergibt, auch für das Berufungsverfahren. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine teilweise Berufungsrücknahme in Form einer nachträglichen Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch wegen der damit verbundenen Geständnisfiktion (zulässiger) Gegenstand einer Verständigung i.S.v. § 257 c StPO sein kann (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 2014, 536; OLG München, StV 2014, 79; OLG Hamburg, NStZ 2014, 534; Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 257 c Rdnr. 17 b). Für eine konkludente, informelle Verständigung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten (Angeklagter und Staatsanwaltschaft) mit dem beschriebenen Inhalt spricht hier, dass der Vorsitzende neben seinem Hinweis auf eine für den Fall der Berufungsbeschränkung "vorstellbare" Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung - der wegen der damit vorgenommenen synallagmatischen Verknüpfung zwischen der in Aussicht gestellten Strafaussetzung zur Bewährung und der angeregten Berufungsbeschränkung und der erkennbar angestrebten einvernehmlichen Verfahrenserledigung über eine bloße Erörterung des Verfahrensstandes i.S.v. § 257b StPO deutlich hinausging (vgl. BGH, NStZ 2015, 535 [BGH 14.04.2015 - 5 StR 9/15]) - auch die darauf folgende Reaktion des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft dahingehend protokollierte, dass dieser der Äußerung des Vorsitzenden "nicht widersprochen" habe. Für eine konkludente Verständigung spricht weiter, dass der Angeklagte nach 16-minütiger Sitzungsunterbrechung und "nach Rücksprache mit seinem Verteidiger" auf die zuvor protokollierte Äußerung des Vorsitzenden, die der Angeklagte bei verständiger Würdigung als Verständigungsvorschlag des Gerichts i.S.d. § 257 c Abs. 3 S. 1 StPO oder jedenfalls als Anregung einer Verständigung mit dem aufgezeigten Inhalt verstehen durfte und musste, in der Weise reagierte, dass er - diesen Vorschlag aufgreifend - die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch erklärte, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft dieser Rechtsmittelbeschränkung zustimmte und - nach anschließender Verlesung von Schriftstücken und ohne förmliche Vernehmung des geschädigten Zeugen - sowohl der Verteidiger als auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in ihren Schlussvorträgen eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung beantragten und die Kammer diesen Anträgen in ihrem nachfolgenden Urteil folgte. Das Prozessverhalten der Prozessbeteiligten und der Urteilsspruch der Kammer entsprachen damit exakt der geäußerten "Vorstellung" des Kammervorsitzenden. In einer derartigen Konstellation ist in aller Regel von einer konkludenten Verständigung der Beteiligten auszugehen (vgl. BGHSt 59, 21; OLG München und OLG Köln, jeweils a.a.O.). Für eine konkludente Verständigung spricht vorliegend insbesondere auch der Umstand, dass der Vorsitzende dem Angeklagten nach Verkündung des Urteils ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls eine "qualifizierte Rechtsmittelbelehrung" erteilte. Eine derartige "qualifizierte Belehrung" ist gesetzlich nach § 35 a S. 3 StPO nur vorgesehen und vorgeschrieben, wenn dem Urteil eine Verständigung nach § 257 c StPO vorausgegangen ist. Der Kammervorsitzende ging demnach offenbar selbst von einer dem Urteil zugrunde liegenden Verständigung i.S.v. § 257 c StPO aus, die allerdings entgegen § 257 c Abs. 3, § 243 Abs. 4 S. 2, § 273 Abs. 1 a S. 1 StPO nicht im Protokoll dokumentiert wurde. Eine solche, gegen die genannten Verfahrensvorschriften verstoßende konkludente, informelle Verfahrensabsprache ist jedoch unzulässig. Bereits aus dem Wortlaut des § 257 c StPO folgt, dass mit der abschließenden Regelung der Verständigung, wie sie in den §§ 257c, 243 Abs. 4 und § 273 Abs. 1 a StPO normiert ist, eine abweichende Vorgehensweise gerade verhindert werden soll. Jegliche informelle bzw. konkludente Absprache oder Vereinbarung unter Abweichung von den gesetzlich normierten Protokollierungs-, Mitteilungs- und Dokumentationspflichten ist aus diesem Grunde unzulässig (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058 dort unter Rn. 75 ff). Das Gebot der Transparenz und Dokumentation führt dazu, dass nicht nur die Verständigung selbst, also der formale Verständigungsakt des § 257 c Abs. 3 StPO, sondern darüber hinaus auch die zu einer Verständigung führenden Vorgespräche in die Hauptverhandlung einzuführen sind. Alle Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung sind ihrem wesentlichen Inhalt nach gemäß § 243 Abs. 4 StPO mitzuteilen und diese Mitteilung ist gemäß § 273 Abs. 1 a S. 2 StPO zu protokollieren (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 82). Zudem ist die Verfahrensrüge des Angeklagten, dem Urteil liege eine informelle und damit unzulässige Verfahrensabsprache zugrunde, ohne dass die Vorgaben des § 257 c StPO beachtet worden seien, auch unter dem damit ebenfalls der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterworfenen Gesichtspunkt begründet, dass die nach § 257 c Abs. 5 StPO vorgeschriebene Belehrung des Angeklagten über Voraussetzungen und Folgen einer möglichen Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis einer Verständigung nach dem insoweit beweiskräftigen Hauptverhandlungsprotokoll (vgl. § 257 c Abs. 5, § 273 Abs. 1 a S. 2, § 274 StPO) unterblieben ist, was den Angeklagten in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit verletzt. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die von dem Angeklagten in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens wegen unterbliebenen Hinweises auf die im Zusammenhang mit der verhängten Bewährungsstrafe dem Angeklagten erteilte Bewährungsauflage ebenfalls begründet ist. Aus dem Gebot des fairen Verfahrens ergibt sich, dass der Angeklagte vor Vereinbarung einer (hier konkludent zustande gekommenen) Verständigung i.S.v. § 257 c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, konkret auf die in Betracht kommenden Bewährungsauflagen hingewiesen werden muss, die nach § 56 b Abs. 1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen und deren Erteilung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte Strafaussetzung ist (vgl. BGH, NJW 2014, 1831; 2014, 3173; OLG Saarbrücken, NJW 2014, 238; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 257 c Rdnr. 12). Nur wenn der Angeklagte über den gesamten Umfang der Rechtsfolgenerwartung, deren Bestandteil auch Bewährungsauflagen sind, bei der Verständigung informiert ist, kann er autonom die Entscheidung über seine Mitwirkung treffen (vgl. BGH und OLG Saarbrücken, jew. a.a.O.). Vorliegend ist aufgrund des hierzu "schweigenden" Protokolls davon auszugehen, dass das Berufungsgericht den Angeklagten, wie von diesem unwidersprochen vorgetragen, vor der Verständigung nicht auf die beabsichtigte Bewährungsauflage (Ableistung von 80 Sozialstunden) hingewiesen hat. Selbst wenn man aber trotz der aufgeführten und nach Auffassung des Senats aussagekräftigen Indiztatsachen nicht auf eine konkludent zustande gekommene, informelle Verfahrensabsprache schließen wollte, wäre zumindest ein Verstoß gegen § 243 Abs. 4 S. 2, § 273 Abs. 1 a S. 2 StPO festzustellen. Der Vorsitzende der Kammer hat es, wie sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt, im Laufe der Berufungshauptverhandlung unter Verstoß gegen § 243 Abs. 4 S. 2 StPO, § 273 Abs. 1 a S. 2 StPO versäumt, sich im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung ergebende Änderungen zu der zu Beginn der Hauptverhandlung getroffenen und protokollierten Feststellung, es hätten bis dahin keine die Möglichkeit einer Verständigung betreffenden Erörterungen nach den §§ 202 a, 212 StPO stattgefunden, mitzuteilen. Die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO setzt sich nach Beginn der Hauptverhandlung fort, insbesondere, wenn erst im weiteren Verlauf der Verhandlung Gespräche, welche die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand hatten, geführt worden sind. Nach § 243 Abs. 4 S. 2 StPO muss der Vorsitzende Erörterungen mit den Verfahrensbeteiligten, die nach Beginn, aber auch außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, in der Hauptverhandlung mit deren wesentlichem Inhalt mitteilen. Dazu gehört zumindest die Mitteilung, welchen Standpunkt die Gesprächsteilnehmer zu einem solchen Vorschlag vertreten und wie sie sich zu den Ansichten der übrigen verhalten haben (vgl. BGH, Beschluss vom 05.08.2015, Az. 5 StR 255/15; Beschluss vom 15.01.2015, Az. 1 StR 315/14; BGHSt 60, 150; Beschluss vom 10.07.2013, Az. 2 StR 195/12; OLG Stuttgart, StraFo 2014, 152). Dieser Mitteilungs- und Dokumentationspflicht ist der Vorsitzende vorliegend nicht nachgekommen. Der nach der Einlassung des Angeklagten erfolgte Hinweis des Vorsitzenden konnte von den Verfahrensbeteiligten bei verständiger Würdigung nur so verstanden werden, dass mit dieser Äußerung zumindest ein Vorschlag über eine mögliche Verständigung unterbreitet und diesbezügliche Verständigungsgespräche angeregt werden sollten. Dementsprechend hat der Vorsitzende auch die Auffassung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, nämlich dass dieser der Äußerung des Vorsitzenden nicht widerspreche, im Protokoll festgehalten. Im Hauptverhandlungsprotokoll findet sich jedoch nachfolgend keine Mitteilung darüber, ob und mit welchem Ergebnis der Angeklagte und sein Verteidiger sich zu diesem Vorschlag geäußert haben, ob der Vertreter der Staatsanwaltschaft einem solchen Vorgehen ausdrücklich zugestimmt hat und ob die Kammer als Kollegialspruchkörper die "Vorstellung" des Vorsitzenden teilte und sich an dessen Verständigungsvorschlag im Sinne eines annahmefähigen "Angebots" zu einer Verständigung i.S.v. § 257c StPO mit der Folge gebunden sah, dass nur unter den in § 257c Abs. 4 StPO genannten Voraussetzungen Abstand von einer auf dieser Grundlage getroffenen Absprache hätte genommen werden können. Ob und ggf. welche - hier zu erwartenden und nach dem Revisionsvorbringen auch getätigten - Äußerungen die Verfahrensbeteiligten in der 16-minütigen Sitzungsunterbrechung zu der geäußerten "Vorstellung" des Vorsitzenden abgegeben haben, bleibt nach dem Hauptverhandlungsprotokoll völlig unklar. Selbst wenn in der Sitzungspause keinerlei Gespräche geführt worden und keine diesbezüglichen Äußerungen der Verfahrensbeteiligten abgegeben worden sein sollten (was lebensfremd erscheint und dem Revisionsvorbringen widersprechen würde), bevor der Angeklagte nach Wiedereintritt in die Verhandlung die Beschränkung seiner Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch erklärte, hätte der Vorsitzende dies nach der von ihm durch seine Äußerung getätigten Anregung ausdrücklich im Protokoll im Sinne einer Negativmitteilung festhalten müssen, um der in § 243 Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a S. 2 StPO normierten Informations- und Dokumentationspflicht zu entsprechen. Sinn und Zweck der Vorschriften des Verständigungsgesetzes ist es, solche Unsicherheiten in Bezug auf die Frage, ob es zu einer Verständigung gekommen ist oder nicht, gerade zu verhindern. Nur dann kann dem Revisionsgericht auch die ihm gesetzlich auferlegte rechtliche Kontrolle umfassend ermöglicht werden, die nicht ausgeübt werden kann, wenn der Ablauf des Geschehens nach dem Hauptverhandlungsprotokoll im Unklaren bleibt. Darüber hinaus soll der Angeklagte vor der Entscheidung, ob er einem Verständigungsangebot zustimmt, und vor der Abgabe einer verständigungsbasierenden Prozesserklärung wie etwa einer Rechtsmittelbeschränkung oder eines Geständnisses über die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen seines Handelns vollumfänglich informiert sein. Unklarheiten darüber, ob eine Verständigung getroffen worden ist, sollen nach dem Gesetz gerade vermieden werden. Die hier erhobene und aus den genannten Gründen auch begründete Rüge eines Verstoßes gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflicht nach § 243 Abs. 4 S. 2, § 273 Abs. 1 a S. 2 StPO setzt nicht voraus, dass der Angeklagte bzw. sein Verteidiger zuvor von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 05.06.2014, Az. 2 StR 381/13). Auf den festgestellten Verstößen gegen die Vorschriften des Verständigungsgesetzes beruht das Urteil auch (§ 337 StPO). Ein Beruhen des Urteils auf Gesetzesverletzungen nach § 243 Abs. 4, § 257 c Abs. 3 u. 5 StPO kann grundsätzlich nie ausgeschlossen werden, wenn - wie vorliegend - zu besorgen ist, dass das Urteil auf einer gesetzeswidrigen, informellen bzw. konkludenten Absprache oder auf diesbezüglichen, nicht dokumentierten Gesprächsbemühungen beruht (vgl. BVerfGE 133, 168 unter Rdnr. 97 - 98). Schon durch das Fehlen einer umfassenden Dokumentation kann - auch im Falle einer im Ergebnis nicht zustande gekommenen Verständigung - das Prozessverhalten eines Angeklagten beeinflusst worden sein (vgl. BVerfG, NStZ 2014, 592; BGHSt 60, 150; BGH, NStZ 2014, 219 [BGH 03.12.2013 - 2 StR 410/13]). Auch bei einem (hier ebenfalls festgestellten) Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 257 c Abs. 5 StPO ist im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen, dass das Prozessverhalten des Angeklagten und damit auch das Urteil auf dem Unterlassen der Belehrung beruht (vgl. BVerfGE 133, 168, 225 unter Rdnr. 99; EuGRZ 2014, 650; NStZ-RR 2013, 315). Konkrete gegenteilige Feststellungen lassen sich vorliegend nicht treffen. Das Beruhen des Urteils auf den festgestellten Gesetzesverletzungen ergibt sich schließlich auch aus folgender Überlegung: Da davon auszugehen ist, dass die von dem Angeklagten erklärte Berufungsbeschränkung auf der Grundlage einer unzulässigen und damit unwirksamen informellen Verständigung und einem damit einhergehenden Verstoß gegen § 243 Abs. 4 S. 2, § 257 c Abs. 3 u. 5 StPO erfolgte, ist - sofern man nicht mit einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung daraus bereits die Unwirksamkeit dieser Prozesserklärung ableitet (vgl. OLG Stuttgart, StV 2014, 397; OLG München, StV 2014, 79), jedenfalls aus Gründen des fairen Verfahrens eine vollständige Rückabwicklung der getroffenen Verständigung dergestalt vorzunehmen, dass der Angeklagte so zu stellen ist, als habe er die Berufungsbeschränkung nicht erklärt (vgl. OLG Hamburg, StV 2015, 280; ähnlich KG, StV 2012, 654). Das Berufungsgericht hätte daher bei dieser Sachlage und zutreffender rechtlicher Bewertung eigene Feststellungen zur Schuldfrage treffen müssen. Solche Feststellungen hat es aber im Hinblick auf die vermeintlich wirksame bzw. unanfechtbare Berufungsbeschränkung nicht getroffen. Diese Folgen des festgestellten Gesetzesverstoßes wird auch die nach der beschlossenen Aufhebung und Zurückverweisung mit der neuen Verhandlung und Entscheidung befasste Berufungskammer zu beachten haben. Nach alledem unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung. |
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