Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 466/15 OLG Hamm
Leitsatz: Ein Strafgefangener mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung hat auch unter Berücksichtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts keinen Anspruch auf Unterlassung zukünftiger Versuche, ihn im Rahmen von Motivationsgesprächen zur Teilnahme an therapeutischen Maßnahmen zu bewegen.
Senat: 1
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Sicherungsverwahrung, Motivationsgespräche, Teilnahme
Normen: StVollzG 109; StVollzG 92
Beschluss:
Strafvollzugssache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 01.02.2016 beschlossen:
Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 28.08.2015 gewährt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Betroffenen zur Last (§ 121 Abs. 2 StVollzG).
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Betroffene verbüßt eine Freiheitsstrafe in der JVA X, in deren Anschluss der Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung vorgesehen ist. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 11.06.2015 begehrte der Betroffene den Wegfall der im Vollzugsplan vorgesehenen monatlichen Motivationsgespräche zur Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen mit der Begründung, er könne an derartigen Maßnahmen nicht teilnehmen, weil er keine Straftat begangen habe; durch die Motivationsgespräche fühle er sich "belästigt".
Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, bei der Regelung im Vollzugsplan betreffend die Motivationsgespräche handele es sich nicht um eine Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 StVollzG, da sich die Verpflichtung zur Durchführung von Motivationsgesprächen aus dem Rahmenkonzept eines behandlungsorientierten Strafvollzugs für Strafgefangene mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung ergebe. Zudem sei der Antrag unbegründet, da nicht ersichtlich sei, warum die Antragsgegnerin solche Gespräche nicht durchführen können sollte, die letztlich dem Anspruch des Antragstellers auf eine ordnungsgemäße Behandlung zur Erreichung der Vollzugsziele dienten; auch könne der Betroffene nicht gezwungen werden, solche Motivationsgespräche tatsächlich zu führen.
Hiergegen wendet sich der Betroffene, der zunächst einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Erhebung einer Rechtsbeschwerde gestellt und anschließend - nach am 02.11.2015 gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG erfolgter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten - Rechtsbeschwerde eingelegt und diesbezüglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat.
Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde in Ermangelung eines Zulassungsgrundes für unzulässig.
II.
1.Dem Wiedereinsetzungsgesuch war entsprechend dem Antrag des Betroffenen gemäß § 120 StVollzG i. V. m. §§ 44, 45 StPO stattzugeben, da der Betroffene die Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 28.08.2015 ohne sein Verschulden versäumt hat.
2. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 116 StVollzG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da es - soweit ersichtlich - keine obergerichtliche Rechtsprechung zu der Frage gibt, ob ein Betroffener trotz des aus Verfassungsgründen gebotenen Resozialisierungsauftrages unter Berücksichtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verlangen kann, dass jegliches Motivationsgespräch zur Teilnahme an therapeutischen Maßnahmen bzw. diesbezügliche Versuche unterbleiben.
Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere handelt es sich bei der im Vollzugsplan enthaltenen und vom Betroffenen beanstandeten Regelung zur Durchführung von Motivationsgesprächen entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer um eine Maßnahme zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiete des Strafvollzuges im Sinne des § 109 Abs. 1 StVollzG, da der Einzelfallregelungscharakter einer therapeutischen Zwecken dienenden Intervention nicht allein dadurch entfällt, dass diese ihre konkrete Grundlage nicht allein in einer entsprechenden Willensbildung der Vollzugsplankonferenz sondern bereits in gesetzlichen Regelungen (vgl. § 92 StVollzG NW) oder für die Vollzugsbehörde bindenden Verwaltungsvorschriften findet.
3. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Betroffene hat - wie die Strafvollstreckungskammer in der Sache bereits zutreffend erkannt hat - keinen Anspruch auf Unterlassung zukünftiger Versuche, ihn im Rahmen von Motivationsgesprächen zur Teilnahme an therapeutischen Maßnahmen zu bewegen.
Die entsprechenden Maßnahmen finden ihre gesetzliche Grundlage in der Vorschrift des § 92 StVollzG NRW sowie des § 66 c Abs. 1 StGB, der sich als Konkretisierung des für die Sicherungsverwahrung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts normierten besonderen staatlichen Resozialisierungsgebotes darstellt. Die entsprechenden Maßnahmen dienen ungeachtet einer mangelnden entsprechenden Einsicht bei objektiver Betrachtung auch gerade dem Interesse des Betroffenen im Hinblick auf die für ihn gegebenen Möglichkeiten, den noch anstehenden Vollzug der Sicherungsverwahrung vermeiden zu können.
Der JVA wäre es daher entsprechend der Begründung des Gesetzentwurfes zum Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (BT-Drucks. 17/9874 - S. 15) sogar verwehrt, eventuell erfolgversprechende Betreuungsangebote mit dem bloßen Hinweis darauf zu unterlassen, dass der Betroffene solche Angebote ablehnt. Vielmehr ist die Einrichtung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seiner dem Gesetz zu Grunde liegenden Entscheidung vom 04.05.2011 (2 BvR 2333/08 u.a.) gehalten, "fortwährend, also dauerhaft, zu versuchen, den Untergebrachten (doch) zu einer Inanspruchnahme solcher Angebote zu motivieren". Diesem Auftrag würde die JVA entgegen der Ausführungen im Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten vom 21.01.2016 auch nicht bereits durch die Aushändigung schriftlicher Informationen über das Behandlungs- und Freizeitangebot in Form von Kalenderblättern mit - zudem lediglich stichwortartigen - Einträgen wie z.B. "BPS", "R&R-Maßnahme" oder "Skills-Gruppe" gerecht.
Dem aus Verfassungsgründen gebotenen Resozialisierungsauftrag mit den entsprechend daraus folgenden therapeutischen Angeboten steht im Rahmen eines vorzunehmenden Abwägungsprozesses keine ernsthafte Rechtsbeeinträchtigung des Betroffenen durch die von ihm beanstandeten Motivationsgespräche bzw. deren Versuche gegenüber. Die Beeinträchtigung geht ersichtlich nicht über Fälle hinaus, in denen jemand z.B. unerwünschte Werbung erhält oder aber von einer Person gegrüßt wird, dessen Ansprache ihm unangenehm ist. Der Betroffene selbst hat den Grad der Beeinträchtigung insoweit zutreffend erkannt, dass aus seiner Sicht die entsprechenden Gesprächsversuche von ihm allenfalls als "Belästigung" angesehen werden können. Angesichts der geringen Frequenz der monatlich vorgesehenen Motivationsgespräche sowie der jederzeit für den Betroffenen verbleibenden Möglichkeit, die Gesprächsversuche nach jeweils kurzer Zeit von sich aus zu beenden, ist im Verhältnis zum Gewicht des staatlichen Resozialisierungsauftrages eine den geltend gemachten "Unterlassungsanspruch" rechtfertigende Rechtsgutverletzung auf Seiten des Betroffenen offenkundig nicht gegeben.
4.Zu bescheiden war noch der Antrag vom 14.09.2015 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren, soweit diesem Gesuch nicht bereits durch die am 02.11.2015 gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG erfolgte Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten entsprochen worden ist. Eine solche Entscheidung ist hier veranlasst, da sich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe - insofern über die Beiordnung nach § 109 Abs. 3 StVollzG hinausgehend - gemäß §§ 120 Abs. 2 StVollzG, 122 Abs. 1 Nr. 1.a) ZPO auch dahingehend auswirken würde, dass die Gerichtskosten gegen den Betroffenen gegebenenfalls nur nach den vom Prozesskostenhilfe bewilligenden Gericht zu treffenden Bestimmungen geltend gemacht werden könnten.
Hier kann dahinstehen, ob der Antrag auf Prozesskostenhilfe bereits unzulässig ist, da der Betroffene nicht die gemäß §§ 120 Abs. 2 StVollzG, 117 Abs. 2 ZPO erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorgenannten Erwägungen keine Aussicht auf Erfolg hat (§§ 120 Abs. 2 StVollzG, 114 ZPO). Allein der Umstand, dass eine entscheidungserhebliche Problematik noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, lässt noch nicht auf eine - regelmäßig hinreichende Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens begründende - schwierige und bislang ungeklärte Rechtsfrage schließen, sofern dieses Problem wie vorliegend im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch einschlägige Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen ohne Mühe zu beantworten ist (vgl. Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., 2015, Abschn. P Rdn. 137).
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