Aktenzeichen: 1 RVs 96/15 OLG Hamm
Leitsatz: 1.Zu den Anforderungen bei Schätzung von Rauschgiftmengen und deren Wirkstoffgehalt.
2. Die bloße Angabe, für den Transport von Marihuana genutzte Behältnisse (hier: Koffer) hätten den Kofferraum eines bestimmten Pkw "fast gänzlich ausgefüllt", ist zumal bei Fehlen weiterer Angaben zum Ausmaß der Verdichtung des Pflanzenmaterials als hinreichend zuverlässige Schätzungsgrundlage für die Bestimmung größerer Rauschgiftmengen (hier: 5 kg) nicht genügend.
3. Die Begründung, in einem Gerichtsbezirk gehandeltes Marihuana habe im Tatzeitraum nach den Erfahrungen der Strafkammer in aller Regel einen bestimmten Wirkstoffgehalt überschritten (hier: 10 %), ist als Schätzungsgrundlage für den konkreten Wirkstoffgehalt nicht geeignet, wenn nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Art und Weise dargelegt ist, worauf die entsprechenden Erfahrungen der Strafkammer beruhen.
Senat: 1
Gegenstand: Revision
Stichworte: Anforderungen; Schätzung, Rauschgiftmengen, Wirkstoffgehalt
Normen: BtMG 29
Beschluss:
Strafsache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 05.01.2016 beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Dortmund - Schöffengericht - hat die Angeklagten am 19. Februar 2015 von dem Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Marihuana) in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freigesprochen. Auf die umfassende Berufung der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 20. Februar 2015 hat das Landgericht Dortmund durch Urteil vom 9. Juli 2015 das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und die beiden Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten L zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die Angeklagte y zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafen jeweils zur Bewährung ausgesetzt.
Zur Sache hat das Landgericht Dortmund folgende Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte L war Eigentümer eines Mercedes 350 CLS mit dem amtlichen Kennzeichen ###. Am 05. April 2012 verlieh er dieses Fahrzeug an einen Bekannten, den gesondert verfolgten und mittlerweile verurteilten F.
Am Morgen des 06.04.2012, Karfreitag, stand das Fahrzeug - wie vereinbart - wieder vor dem Haus I-Weg in E, in dem die Angeklagte y ihre Wohnung hat und damals mit dem Angeklagten L zusammen lebte. Als die Angeklagten zu dem Fahrzeug kamen und es öffneten, fanden sie in dem Kofferraum zwei große schwarze Koffer vor, die den Kofferraum fast gänzlich ausfüllten. Sie öffneten zunächst einen der Koffer. Der Koffer war vollständig mit Plastiktüten gefüllt. Die Angeklagte y öffnete eine der Plastiktüten, in der sie Marihuana fanden. Der Rest dieses Koffers war mit gleichartigen Tüten gefüllt. Nunmehr entschlossen sie sich, auch den zweiten Koffer zu öffnen. Auch dieser war vollständig mit Plastiktüten mit Marihuana gefüllt. Die Angeklagten gingen davon aus, dass es sich um mehrere Kilogramm Marihuana handelte.
Die Angeklagten verschlossen die Koffer nunmehr wieder und begaben sich in die Wohnung der Zeugin y. Sie wussten, dass der gesondert verfolgte F ohne Erlaubnis mit Betäubungsmitteln handelte und auch der Inhalt der Koffer, mindestens 5 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10% THC, zum Verkauf vorgesehen war. In Kenntnis dieses Umstandes verständigten sie sich dahin, dass der Angeklagte L den F anrufen und auffordern sollte, die Koffer abzuholen. Der F kam aufgrund des Anrufs einige Zeit später, eine genaue Zeitspanne hat nicht festgestellt werden können, und holte die beiden Koffer ab.
Am Mittwoch der darauf folgenden Woche, dem 11. April 2012, wurde ein Mittäter des F in Süddeutschland mit Marihuana aufgegriffen.
Nachdem die Angeklagten im August 2013 Angaben zu dem mittlerweile schon bekannten Rauschgiftgeschäft gemacht hatten, kamen sie für einen Zeitraum von etwa drei Monaten in ein Zeugenschutzprogramm."
Die Mengen und Wirkstoffgehalt des Marihuana hat die Kammer mit folgender Begründung festgestellt:
"Da nicht festgestellt werden konnte, dass das später in Süddeutschland sichergestellte Marihuana auch das war, das sich in dem Fahrzeug der Angeklagten befunden hatte, hat die Kammer das Gewicht des in dem Fahrzeug des Angeklagten L gefundenen Marihuanas auf 5 kg geschätzt. Diese Schätzung beruht auf den Angaben der Angeklagten zur Größe der Koffer und deren Inhalt sowie auf den Erfahrungen der Kammer als Spezialkammer für Betäubungsmitteldelikte. Im Übrigen haben auch die Angeklagten selbst erklärt, dass es sich um mehrere Kilogramm Marihuana gehandelt habe.
Die Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Marihuanas beruhen ebenfalls auf einer Schätzung. Nach den Erfahrungen der Kammer hat das in E auch im Jahre 2012 gehandelte Marihuana in aller Regel einen höheren Wirkstoffgehalt als 10 % gehabt. Die Kammer ist aber zugunsten der Angeklagten nur von 10 % ausgegangen."
Gegen das landgerichtliche Urteil haben die Angeklagten jeweils form- und fristgerecht Revision eingelegt, diese mit der allgemeinen Sachrüge begründet und insbesondere ausgeführt, die Feststellungen des Landgerichts trügen die Annahme einer Beihilfe zu einem Betäubungsmitteldelikt nicht. Ein die Haupttat fördernder Beitrag sei nicht festgestellt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision der Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Revisionen der Angeklagten sind zulässig und haben teilweise - zumindest vorläufig - Erfolg. Im Umfang der Aufhebung war die Sache insoweit nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen; die weitergehenden Revisionen waren nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
1.Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen die Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Insbesondere tragen die Feststellungen zur Sache den Schuldspruch wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß §§ 1, 3, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 27 StGB. Indem die Angeklagten dem Haupttäter aktiv die Wiedererlangung der tatsächlichen Gewalt über das zum Handel bestimmte Marihuana ermöglicht haben, haben sie die Haupttat unzweifelhaft gefördert. Die insoweit nicht zu beanstandenden Mindestfeststellungen, es habe sich um mehrere Kilogramm Marihuana zum gewinnbringenden Weiterverkauf gehandelt, tragen auch die Annahme der Haupttat als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Selbst nach Anwendung des Zweifelssatzes überschreitet eine Rauschgiftmenge von wenigstens zwei Kilogramm abgeerntetem und für den Handel bestimmtem Marihuana bei Annahme minderwertiger Qualität zweifelsfrei den Schwellenwert der nicht geringen Menge von 7,5 gr. THC (vgl. Körner, Betäubungsmittelgesetz, 8. Auflage 2015, vor § 29 Rdnr. 319, m.w.N.).
2. Hingegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Das Urteil leidet bezüglich der über die genannten Mindestfeststellungen hinausgehenden konkreten Wirkstoffangaben bzw. Rauschgiftmengen an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.
a) Während nähere Feststellungen zur Qualität des Rauschgifts für den Schuldspruch in Ausnahmefällen verzichtbar sind, sind diese im Rahmen der Strafzumessung angesichts der Vielfalt der vorkommenden Wirkstoffkonzentrationen und der Unterschiedlichkeit der geforderten Preise im Regelfall unerlässlich (st. Rspr., vgl. für viele BGH NJW 1994, 1885, 1886 [BGH 24.02.1994 - 4 StR 708/93] m.w.N.). Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge bestimmt (BGH NStZ 2012, 339 [BGH 07.12.2011 - 4 StR 517/11] m.w.N.). Von genaueren Feststellungen darf jedoch ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffes das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten hätte beeinflussen können (vgl. Körner, vor § 29 Rdnr. 320, m.w.N.). Soweit konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nicht getroffen werden können, da die Betäubungsmittel inzwischen vernichtet, verbraucht oder unbekannt weitergegeben wurden und deshalb für eine Untersuchung nicht zur Verfügung stehen, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung anderer hinreichend sicher festgestellter Tatumstände (wie Herkunft, Preis, Aussehen, Verpackung, Verplombung des Rauschmittels, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Qualität eines bestimmten Lieferanten) und des Grundsatzes "in dubio pro reo" die für den Angeklagten günstigste Wirkstoffkonzentration und Betäubungsmittelqualität bestimmen; ansonsten lässt er einen für die Bestimmung des Schuldumfangs wesentlichen Umstand außer Betracht (vgl. Körner, vor § 29 Rdnr. 331, m.w.N.). In einem ersten Schritt ist im Einzelfall die Qualität des Betäubungsmittels etwa durch Befragung des Angeklagten oder durch Vernehmung der Tatbeteiligten festzustellen ("sehr schlechte Qualität", "schlechte Qualität", "durchschnittlicher Qualität", "gute Qualität" oder "sehr gute Qualität"). Auch der vereinbarte Kaufpreis kann ein Indikator hierfür sein. Legt der Tatrichter eine schlechte, durchschnittliche oder gute Qualität zu Grunde, muss er in einem zweiten Schritt Angaben dazu machen, von welchem Wirkstoffgehalt er insoweit ausgeht (vgl. Körner, vor § 29 Rdnr. 334, a.a.O., BGH NStZ-RR 2008, 319). Hierzu kann der Tatrichter auf statistische Erhebungen über die Entwicklung der Wirkstoffgehalte zurückgreifen (vgl. Körner, vor § 29 Rdnr. 334, a.a.O.). Die Tatgerichte dürfen auch die örtlichen Gegebenheiten bei der Schätzung von Wirkstoffen berücksichtigen; Voraussetzung ist aber, dass sie ihre entsprechenden Erfahrungen im eigenen Bezirk in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise in den Urteilsgründen darlegen (BGH NStZ-RR 2015, 77). Sind Rückschlüsse auf den Wirkstoffgehalt der verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel nicht durch Parallelverfahren oder Teilsicherstellungen möglich, kann der Tatrichter den Wirkstoffgehalt nach einer sorgfältigen Würdigung im konkreten Einzelfall schätzen (vgl. Körner, vor § 29 Rdnr. 334, m.w.N.).
b) Letzteres ist nicht der Fall.
aa) Zunächst ist im vorliegenden Fall die Schätzung der Rauschgiftmenge des in den beiden Koffern im Kofferraum des Mercedes 350 CLS aufgefundenen Marihuanas durch das Landgericht zu beanstanden. Insoweit ist ausgeführt, diese beruhe auf den Angaben der beiden Angeklagten zur Größe der Koffer und deren Inhalt sowie auf den Erfahrungen der Kammer als Spezialkammer für Betäubungsmitteldelikte. Zu den konkreten Größenangaben findet sich in den Urteilsgründen hierzu lediglich die Feststellung, die beiden Koffer hätten den Kofferraum "fast gänzlich ausgefüllt". Angaben zur tatsächlichen Größe des Kofferraums und der Koffer werden dagegen nicht gemacht. Zudem bleibt offen, ob sich diese Angabe neben Länge und Breite auch auf die Höhe der beiden Koffer bezogen hat. Insoweit ist anzumerken, dass in allgemein zugänglichen Quellen z.B. selbst für die Coupéversion des Mercedes 350 CLS die Kofferraumgröße mit 520 Litern angegeben ist (vgl. http://www.autobild.de/artikel/mercedes-cls-350-cdi-test-1288344.html), so dass unter Berücksichtigung selbst des Volumens großer Reisekoffer von bis zu 150 Litern die Feststellung, der Kofferraum sei durch zwei Koffer "fast gänzlich" ausgefüllt gewesen, nicht ohne Weiteres schlüssig erscheint. Ferner ist auch nicht festgestellt, ob die in den Koffern aufgefundenen Plastikbeutel eher lockeres oder stark verdichtetes Pflanzenmaterial enthielten, so dass ggfls. nachvollziehbare Rückschlüsse auf ein zugrunde zu legendes spezifisches Gewicht des abgepackten Marihuana möglich wären. Die Schätzung, es habe sich im zu beurteilenden Fall um mindestens 5 kg Marihuana gehandelt, ist aber auch deshalb rechtsfehlerhaft erfolgt, weil die Kammer nicht mitteilt, worin ihre konkreten Erfahrungen hierzu als Spezialkammer begründet sind (BGH NStZ-RR 2015, 77).
bb) Aus den Urteilsgründen oder aus allgemeinem Erfahrungswissen lässt sich auch kein Bezugsrahmen entnehmen, der eine hinreichende Konkretisierung des Wirkstoffgehalts ermöglicht (vgl. BGH, Beschluss vom 07.12.2011 - 4 StR 517/11 -, NStZ 2012, 339). Der im Rahmen der Feststellung der genauen Rauschgiftmenge aufgezeigte Darstellungsmangel erstreckt sich letztlich auch auf die Feststellung der konkreten Wirkstoffmenge. Ferner ist auch die Feststellung, es habe sich um Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % THC gehandelt, nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Worauf die Erfahrungen der Kammer beruhen, das im Jahre 2012 in E gehandelte Marihuana habe in aller Regel einen höheren Wirkstoffgehalt als 10 % gehabt, ist nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Art und Weise dargelegt.
Zudem bleibt mangels ausdrücklicher Feststellung offen, ob es sich überhaupt um Marihuana handelte, welches entsprechend dem von der Strafkammer zugrunde gelegten Bezugsrahmen in E gehandelt werden sollte. Vielmehr hat die Kammer ausdrücklich ausgeführt, dass nicht festgestellt werden konnte, dass es sich bei dem von den Angeklagten in ihrem Kofferraum aufgefundenen Marihuana auch um das in der der Tat folgenden Woche in Süddeutschland bei dem Haupttäter sichergestellte Marihuana gehandelt habe.
c) Da die Kammer zulasten beider Angeklagter insbesondere berücksichtigt hat, dass sich deren Beihilfehandlung auf eine große Menge Marihuana, immerhin mindestens 5 kg, bezogen hat und der Grenzwert zur nicht geringen Menge THC zudem um mehr als das 66-fache überschritten sei, kann der Senat ungeachtet des Umstandes, dass die konkret festgesetzten Strafen auch bei Marihuana geringerer Qualität nicht als übersetzt erscheinen würden, nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass eine geringere Wirkstoffmenge das Strafmaß zu Gunsten der Angeklagten jeweils hätte beeinflussen können (vgl. Körner, vor § 29 Rdnr. 320, m.w.N.).
3.Ergänzend merkt der Senat folgendes an:
Angesichts der Feststellung, dass die Angeklagten im August 2013 Angaben zu dem mittlerweile schon bekannten Rauschgiftgeschäft gemacht hatten und für einen Zeitraum von etwa drei Monaten in ein Zeugenschutzprogramm kamen, dürfte sich der Kammer zudem aufdrängen, auch zu prüfen, ob zudem zu Gunsten der Angeklagten die Voraussetzungen des § 31 BtMG bzw. des § 46b StGB anzunehmen sind.
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