Aktenzeichen: 4 RVs 38/16 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Ein großer zeitlicher Abstand zwischen Tat und Aburteilung kann ein bestimmender Strafzumessungsgrund, den es im Urteil zu erörtern gilt, sein. Einen Anhaltspunkt dafür, wann ein zeitlicher Abstand zwischen Tat und Aburteilung sein bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt sein kann, bieten die Verjährungsregelungen.
2. Ein langer (straffreier) Zeitablauf zwischen Tat und Aburteilung im Hinblick auf ein Strafbedürfnis hat dann eine größere Aussagekraft für die Strafzumessung, wenn gegen den Täter wegen der Tat erst sehr spät ein Strafverfahren eingeleitet wurde oder er jedenfalls erst sehr spät hiervon Kenntnis erlangt hat, denn dann ist er nicht schon allein aufgrund des laufenden Strafverfahrens und zur Herbeiführung eines möglichst günstigen Ausgangs desselben vernünftigerweise gehalten, sich straffrei zu führen.
Senat: 4
Gegenstand: Revision
Stichworte: Prognose, Bewährung, zeitlicher Abstand Tat/Urteil
Normen: StGB 46
Beschluss:
In pp.
hat der 4. Strafsenat des OLG Hamm am 10.05.2016 beschlossen:
Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).
[Gründe]
Zusatz:
Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft bemerkt der Senat:
1.
Das Berufungsgericht hat einen drohenden Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bzgl. der durch Urteil des AG Borken vom 16.05.2013 verhängten Freiheitsstrafe von neun Monaten nicht ausdrücklich im Rahmen der Strafzumessung erörtert. Ob die Nichterörterung eines drohenden Bewährungswiderrufs in anderer Sache einen Rechtsfehler im Rahmen der Strafzumessung darstellt (vgl. hierzu: OLG Hamm, Beschl. v. 03.01.2013 - 1 RVs 90/12 - [...] - m.w.N.), kann der Senat dahinstehen lassen. Angesichts der mehrfachen Erwähnung der anderweitigen Bewährungssache (auch im Rahmen Begründung der Rechtsfolgenentscheidung) und angesichts der Vorbelastungen und der Schadenshöhe recht milden Bestrafung, kann der Senat ausschließen, dass das Berufungsgericht diesen Umstand aus dem Auge verloren hat.
2.
Entgegen der Auffassung der Revision begründet die nicht ausdrückliche Erörterung des Umstands, dass die Tat zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung knapp zwei Jahre zurücklag (zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Hauptverhandlung rund eineinhalb Jahre) keinen Rechtsfehler im Rahmen der Aussetzungsprognose nach § 56 StGB. Darüber hinaus begründet auch die Nichterörterung dieses Umstands einen Rechtsfehler im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB.
a) Ein großer zeitlicher Abstand zwischen Tat und Aburteilung kann ein bestimmender Strafzumessungsgrund, den es im Urteil zu erörtern gilt, sein (vgl. nur: BGH NStZ-RR 2011, 239 [BGH 21.04.2011 - 3 StR 50/11]; Schäfer JR 2008, 300). Der Zeitablauf mindert zwar nicht die Tatschuld, kann aber - insbesondere bei einer (wie hier) zwischenzeitlich straffreien Führung - einen dem Täter günstigen Einfluss, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention haben, welche das Strafbedürfnis mindert (Theune in: LK-StGB, 12. Aufl., § 46 Rdn. 240 m.w.N.). Dies ist bei einem zeitlichen Abstand von knapp zwei Jahren in einem Fall, in dem der Täter in einem erheblichen Teil dieses Zeitraums zudem noch Kenntnis von dem gegen ihn laufenden Strafverfahren hat, nicht der Fall. Die zeitlichen Abstände zwischen Tat und Aburteilung, die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für strafzumessungsrelevant gehalten werden, sind deutlich größer und liegen - soweit ersichtlich - bei sechs Jahren und mehr (BGH NStZ 1986, 217 [BGH 29.11.1985 - 2 StR 596/85]: sechs Jahre -; BGH NStZ-RR 2017, 7: sieben Jahre; BGH StV 1988, 295: acht Jahre; BGH NStZ 2011, 651 [BGH 21.12.2010 - 2 StR 344/10]: 17 Jahre). Einen Anhaltspunkt dafür, wann ein zeitlicher Abstand zwischen Tat und Aburteilung ein bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt sein kann, bieten die Verjährungsregelungen. Wenn der Gesetzgeber selbst nach Ablauf bestimmter Fristen bestimmte Delikte nicht mehr für verfolgungswürdig erachtet, so kann dies, wenn man sich dem Ende dieser Fristen nähert, auch Einfluss darauf haben, in welchem Maße noch ein Strafbedürfnis gegeben ist. Mit einem zeitlichen Abstand von knapp zwei Jahren zwischen Tat und letzter tatrichterlicher Entscheidung ist man im vorliegenden Fall aber noch nicht einmal annähernd in der Nähe der hier relevanten fünfjährigen Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber Regelungen vorgesehen hat, nach denen sich die genannte Grundverjährungsfrist faktisch verlängert (u.a. durch Unterbrechung nach § 78c StGB). Berücksichtigt man dies, ist man im vorliegenden Fall erst Recht weit von einem potentiellen Ende einer Verjährungsfrist entfernt.
Weiter muss gesehen werden, dass ein langer (straffreier) Zeitablauf zwischen Tat und Aburteilung im Hinblick auf ein Strafbedürfnis dann eine größere Aussagekraft hat, wenn gegen den Täter erst sehr spät ein Strafverfahren eingeleitet wurde oder er jedenfalls erst sehr spät hiervon Kenntnis erlangt hat. Denn dann ist er nicht schon allein aufgrund des laufenden Strafverfahrens und zur Herbeiführung eines möglichst günstigen Ausgangs desselben vernünftigerweise gehalten, sich straffrei zu führen. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
b) Auch im Rahmen der Bewährungsprognose nach § 56 StGB bedurfte es der Erörterung des genannten zeitlichen Abstands zwischen Tat und Aburteilung nicht. Einen Anhaltspunkt, ab wann die Erörterung einer straffreien zeitlichen Periode zwischen Tat und tatrichterlicher Entscheidung im Hinblick auf eine günstige Bewährungsentscheidung geboten sein kann, bietet § 56a Abs. 1 StGB. Danach darf die Dauer der Bewährungszeit zwei Jahre nicht unterschreiten. Dem kann die gesetzgeberische Wertung entnommen werden, dass erst ab einer straffreien Führung von zwei Jahren und mehr von einer Bewährung des Verurteilten gesprochen werde kann, in darunter liegenden straffreien Zeiträumen hingegen noch nicht. Danach wird grundsätzlich ein ohne neue Straftaten vom Angeklagten durchlebter Zeitraum von zwei Jahren zwischen Tat und letzter tatrichterlicher Entscheidung Anlass geben, hierauf im Rahmen der Prognosestellung einzugehen. Im Einzelfall mag diese Erörterung aber auch erst nach einem längeren zeitlichen Abstand geboten sein, wenn etwa der Angeklagte ohnehin schon in einem anderen Verfahren unter Bewährung stand oder er über weite Teile des Zeitraums bereits Kenntnis von dem gegen ihn laufenden Strafverfahren hatte, so dass er ohnehin unter einem besonderen Druck stand, sich straffrei zu führen. In einem solchen Fall haben womöglich erst längere Zeiträume eine hinreichende Aussagekraft bzgl. der Legalprognose.
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