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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 RBs 277/16 OLG Hamm

Leitsatz: Nicht jedem Arbeitgeber der im AEntG genannten Branchen ist grundsätzlich die Pflicht auferlegt, nach näherer Maßgabe des § 19 Abs. 1 AEntG im Anwendungsbereich der dort erfassten Tarifregelungen oder Rechtsverordnungen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers aufzuzeichnen. § 19 Abs. 1 AEntG verweist – soweit es um die Branche oder den Geltungsbereich geht – nur auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG und damit nur auf das Bauhauptgewerbe und das Baunebengewerbe. Eine analoge Anwendung der Sanktionierung auf die nach dem Wortlaut des § 19 Abs.1 nicht erfasste Branche der Landwirtschaft kommt nicht in Betracht.

Senat: 3

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Arbeitnehmerentsendegesetz, Arbeitszeit, Aufzeichnungspflicht, Tarifvertrag, Rechtsverordnung, Ordnungswidrigkeit, analoge Anwendung

Normen: AEntG

Beschluss:

Bußgeldsache
In pp.
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm am 18.10.2016 beschlossen:

1. Die Sache wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Alleinentscheidung der Einzelrichterin am Oberlandesgericht X).
2. Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes, in dem er den Mitarbeiter B, geboren am pp.1973, aufgrund eines Arbeitsvertrages, in dem u.a. die Arbeitszeit festgelegt ist, mit einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 3.006,72 Euro beschäftigt.

Nach Selbstanzeige des Betroffenen vom 28. Januar 2015 erließ das Hauptzollamt C am 11. Februar 2015 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 19 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) und verhängte gegen ihn ein Bußgeld in Höhe von 1.000,00 Euro.

Dem Betroffenen wurde in dem Bußgeldbescheid zur Last gelegt, als Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes in der Zeit ab dem 1. Januar 2015 keine Aufzeichnungen über Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit des bei ihm beschäftigten Arbeitnehmers B geführt zu haben. Entgegen der Auffassung des Betroffenen unterliege sein Betrieb dem betrieblichen, der Arbeitnehmer dem persönlichen Geltungsbereich nach dem AEntG; der Betroffene habe vorsätzlich gehandelt, weil er die Aufzeichnungen trotz Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen nicht geführt habe.

Auf den Einspruch des Betroffenen sprach das Amtsgericht Bielefeld ihn mit Urteil vom 13. Oktober 2015 von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf frei. Das Urteil konnte indes – auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld – wegen eines formellen Mangels keinen Bestand haben.

Mit Beschluss vom 10. Mai 2016 hat das Amtsgericht nunmehr im schriftlichen Verfahren gemäß § 72 OWiG den Betroffenen (erneut) freigesprochen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit ihrer unter dem 19. Mai 2016 eingelegten Rechtsbeschwerde, die mit Zuschrift vom 27. Mai 2016 mit näheren Ausführungen begründet worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft beigetreten und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bielefeld zurückzuverweisen.

Der Betroffene hat mit am 06. Juni 2016 bei dem Amtsgericht Bielefeld eingegangenen Schriftsatz – offenbar irrtümlich auf den 18.04.2016 datiert – unter näheren Ausführungen beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

II.

Die Sache war dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil es geboten erscheint, die Sachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG.

Die Übertragung auf den Senat ist eine Entscheidung der Einzelrichterin des Senats, Richterin am Oberlandesgericht X.

III.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg.

Ein ordnungswidriges Verhalten des Betroffenen durch Nichtaufzeichnung der Arbeitszeiten seines Arbeitnehmers B ab dem 1. Januar 2015 kann nicht festgestellt werden.

§ 23 Abs. 1 Nr. 8 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 1 oder 2 AEntG kommt vorliegend nicht zur Anwendung; auch ergibt sich ein ordnungswidriger Verstoß gegen eine Aufzeichnungspflicht nicht aus dem Mindestlohngesetz (MiLoG), dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) oder dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG).

Das Arbeitszeitrecht ist in seiner Gesamtheit eine Sammlung einzeln entstandener Regelungen, die im eigentlichen Sinne nicht rechtssystematisch durchkonzipiert, sondern „gewachsen“ sind (vgl. Schliemann, Pflichten zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten, FA 2016, S. 66). Dies gilt auch für die Regelungen über die Pflichten zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten und deren Kontrolle. Die Pflichten des Arbeitgebers, die Arbeitszeiten seiner Arbeitnehmer aufzuzeichnen, dienen unterschiedlichen Regelungszielen, die ihrerseits aus unterschiedlichen Anlässen zu verschiedenen gesetzlichen Regelungen geführt haben. Zum Zwecke der staatlichen Kontrolle der Einhaltung von Mindestarbeitsbedingungen im Sinne von Entgeltbedingungen bestehen Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten nach dem AEntG, dem MiLoG und dem AÜG, aus Gründen des sozialen Arbeitsschutzes oder der Gefahrenabwehr außerdem nach dem ArbZG. Die Nichteinhaltung kann jeweils nach entsprechenden gesetzlichen Vorschriften als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

1. Das AEntG vom 26.02.1996, das ursprünglich nur das Ziel verfolgte, durch Mindestarbeitsbedingungen für Arbeitnehmer ausländischer Anbieter von Dienst- und Werkleistungen, vor allem im Baugewerbe, einem Unterbietungswettbewerb zu begegnen und so den innerdeutschen Arbeitsmarkt zu stärken (vgl. BT-Drucks. 13/2414.7), gilt seit der Novelle im Jahre 2009 gleichermaßen in den im AEntG genannten Branchen dazu, Mindestarbeitsbedingungen auch für rein innerdeutsche Sachverhalte zu postulieren (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Schlachter, 16. Aufl., § 1 Rdnr. 1 AEntG; Schliemann, a.a.O., S. 66 (70)).

a) § 19 AEntG statuiert die Pflicht des Arbeitgebers zum Erstellen und Bereithalten von Aufzeichnungen über die tägliche Arbeitszeit, soweit die Rechtsnormen eines für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages nach § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3 und § 6 Abs. 2 oder einer entsprechenden Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a über die Zahlung eines Mindestentgelts oder die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden.

Nach diesem Normzweck gilt: Finden in einer gem. §§ 4, 6 erfassten Branche tarifvertragliche Rechtsnormen mit Regelungen nach § 5 S. 1 Nr. 1 bis 3 (Mindestlohn, Urlaub, Sozialkassenbeiträge) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung
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- sei es kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung gem. § 5 TVG oder Rechts-verordnung gem. §§ 7, 7a - ist der Arbeitgeber sowie der Entleiher verpflichtet,der Vorgabe entsprechend die tägliche Arbeitszeit aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen vorgabegemäß aufzubewahren (vgl. Boecken/Düwell/Diller/Hanau –Kühn, Gesamtes Arbeitsrecht, Nomos-Kommentar, 1. Aufl. 2016, § 19 AentG Rdnr. 1; Erfurter Kommentar/Schlachter, Komm. Zum Arbeitsrecht, 16. Aufl. 2016, § 19 AEntG, § 19 Rdnr. 1).

Das AEntG umfasst in seinem Anwendungsbereich eine ganze Reihe von Branchen, die in § 4 Abs. 1 AEntG aufgeführt sind; § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG nennt ausdrücklich Tarifverträge des Bauhauptgewerbes oder des Baunebengewerbes im Sinne der Baubetriebe-Verordnung vom 28.10.1080, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 26.04.2006, in der jeweils geltenden Fassung einschließlich der Erbringung von Montageleistungen auf Baustellen außerhalb des Betriebssitzes.

Der hier betroffene Bereich der Landwirtschaft ist dabei jedoch nicht aufgeführt.

Nach § 4 Abs. 2 AEntG gilt die Regelung des § 3 über tarifvertragliche Arbeits-bedingungen darüberhinaus für Tarifverträge aller anderen als der in Absatz 1 genannten Branchen, wenn die Erstreckung der Rechtsnormen des Tarifvertrages im öffentlichen Interesse geboten erscheint, um die in § 1 genannten Gesetzesziele zu erreichen und dabei insbesondere einem Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten entgegenzuwirken.

Zwar ist vorliegend – wohl auch auf der Grundlage des AEntG – ein Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt worden im Sinne des § 7a AEntG und ist eine Rechtsverordnung ergangen, die Mindestlöhne im Bereich der Landwirtschaft fixiert: Es gilt der Tarifvertrag zur Regelung der Mindestentgelte für Arbeitnehmer in der Land- und Fortwirtschaft sowie im Gartenbau der Bundesrepublik Deutschland vom 29. August 2014 in Verbindung mit der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau (Landwirtschaftsarbeitsbedingungenverordnung – LandwArbbV) vom 18.12.2014; durch diese Verordnung ist die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages erklärt worden im Sinne des § 7a AEntG. Diese Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales führt dazu, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die in den Geltungsbereich dieses allgemein verbindlichen Tarifvertrages fallen, zwingend an den Tarifvertrag gebunden sind und ihn einzelvertraglich nicht mehr ausschließen können. Der genannte Tarifvertrag gilt daher auch für das Arbeitsverhältnis zwischen dem Betroffenen und seinem Arbeitnehmer B.

Jedoch ist nicht jedem Arbeitgeber der im AEntG genannten Branchen grundsätzlich die Pflicht auferlegt, nach näherer Maßgabe des § 19 Abs. 1 AEntG im Anwendungsbereich der dort erfassten Tarifregelungen oder Rechtsverordnungen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers aufzuzeichnen; auf der Grundlage des AEntG sind sehr viele Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt worden und Mindestlöhne fixierende Rechtsverordnungen ergangen.

Allerdings verweist § 19 Abs. 1 AEntG – soweit es um die Branche oder den Geltungsbereich geht – nur auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG und damit nur auf das Bauhauptgewerbe und das Baunebengewerbe (vgl. Schliemann, a.a.O., Pflichten zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten, FA 2016, 66 ff (70)). Da es sich bei dem von dem Betroffenen geführten landwirtschaftlichen Betrieb jedoch nicht um ein solches Gewerbe handelt, ist § 19 Abs. 1 AEntG nicht geeignet, eine Aufzeichnungs- und Dokumentationspflicht für den Betroffenen zu begründen. Der ausdrückliche Gesetzeswortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 AEntG knüpft hinsichtlich der Branche lediglich an § 4 Abs. 1 Nr. 1 und an § 6 Abs. 2 AEntG, der wiederum mit der Branche nach § 4 Abs.1 Nr. 1 korreliert, an. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 enthält demgegenüber keine Regelung über eine Branche, sondern lediglich über inhaltliche Regelungen eines Tarifvertrages (Mindestlohn, Urlaub, Sozialkassenbeiträge).

§ 23 Abs. 1 Nr. 8 AEntG stellt damit lediglich die in diesem Bereich erfolgenden Verstöße unter den Ordnungswidrigkeitentatbestand. Dies betrifft ebenso den Entleiher gemäß nach § 19 Abs. 1 S. 2 AEntG.

b) Eine analoge Anwendung der Sanktionierung auf die nach dem Wortlaut des § 19 Abs.1 nicht erfasste Branche der Landwirtschaft kommt nicht in Betracht. Eine Analogie, d.h. die Anwendung einer Bußgeldvorschrift über ihren Inhalt hinaus auf einen von dieser nicht erfassten, nur ähnlichen Lebenssachverhalt, ist zu Ungunsten eines Betroffenen unzulässig (vgl. BVerfGE 25, 269, 285; BVerfGE wistra 03, 255; OLG Düsseldorf VRS 63, 70; OLG Schleswig NJW 1990, 1190; Göhler, OWiG, a.a.O., § 3 Rdnr. 9; KK-Rogall, Komm. zum OWiG, 4. Aufl.; § 3 Rdnr. 51ff.).

§ 3 OWiG, der bestimmt, dass eine Handlung als Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden kann, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde, begründet für das Ordnungswidrigkeitenrecht das verfassungsrechtlich gewährleistete Gesetzlichkeitsprinzip, also den Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege. Die Garantiefunktion des Strafgesetzes aus Art. 103 Abs. 2 GG erstreckt sich damit auch auf Bußgeldtatbestände (vgl. Thüsing-Kudlich, MiLoG und AEntG, Kommentar, § 23 AEntG Rdnr. 24; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 3 Rdnr. 1 m.w.N; KK-Rogall, a.a.O., § 3 Rdnr.1 f.). § 3 OWiG hat Anteil an der verfassungsrechtlichen Garantie in dem Sinne, dass diese Norm materielles Verfassungsrecht enthält und ihr Grundrechtscharakter zukommt (BVerfG, NStZ 1986, 261; KK-Rogall, a.a.O. § 3 Rdnr. 2 m.w.N.).

Gegenstand des Gesetzlichkeitsprinzips, das in § 3 OWiG eine besondere Bestätigung und Präzisierung erfährt, ist u.a. das Bestimmtheitsgebot, welches das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit ( BVerfG NJW 1977, 1723, 1724; NJW 1984, 419; KK-Rogall, a.a.O., § 3, Rdnr. 26 m.w.N) umfasst, und vom Gesetzgeber bei der Fassung von Sanktionsnormen größtmögliche Präzision fordert, um dem Gebot der Tatbestandsbestimmtheit zu genügen (KK-Rogall, a.a.O, § 3 Rdnrn 26 ff, m.w.N.); der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen der Sanktionsnorm so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich des Sanktionstatbestandes zu erkennen sind (BVerfG NJW 1987, 3175, m.w.N.; NJW 2005, 349; 2008, 3627); diese Anforderung gilt in erster Linie dem Schutz des Normadressaten und zielt darauf ab, Orientierungsgewißheit für den Bürger zu schaffen (KK-Rogall, a.a.O., § 3, Rdnr. 28 m.w.N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen kommt eine Übertragung der in § 19 Abs. 1 S.1, 2 AEntG ausdrücklich für die Branche nach § 4 Abs.1 Nr. 1 AEntG statuierten Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht auf alle anderen Branchen, in denen tarifvertragliche Rechtsnormen mit Regelungen nach § 5 S. 1 Nr. 1 bis 3 - sei es kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung gem. § 5 TVG oder Rechtsverordnung gem. §§ 7, 7a – auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, nicht in Betracht. Maßgeblich ist der für den Adressaten verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes, wobei für Interpretationen kein Raum ist, die über den erkennbaren Wortsinn hinausgehen (BVerfG NStZ 1986, 261; NJW 1992, 890; NJW 2010, 47; NJW 2012, 907; KK-Rogall, a.a.O., § 3 Rdnr. 31 m.w.N.). Nach dem Gesetzeswortlaut ist auf die Branche des § 4 Abs. 1 Nr.1, also das Bauhaupt- und Baunebengewerbe in der normierten Ausprägung, beschränkt. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 enthält - wie bereits erwähnt -keine Regelung über eine Branche, sondern lediglich über Regelungen eines Tarifvertrages (Mindestlohn, Urlaub, Sozialkassenbeiträge) und § 6 Abs. 2 korreliert wiederum mit der in § 4 Abs.1 Nr. 1 AEntG genannten Branche des Bauhaupt- oder Baunebengewerbes. Der verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes des § 23 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. § 19 Abs.1 S.1 und 2 AEntG spricht danach für eine Beschränkung der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht des Arbeitgebers auf die der genannte Branche des Bauhaupt- oder Baunebengewerbes und jedenfalls nicht für die allgemeine Erstreckung der Pflicht auf alle anderen Branchen, in denen tarifvertragliche Rechtsnormen mit Regelungen nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden.

c) Wegen des grundsätzlichen Verbots sanktionsbegründender und sanktionsverschärfender Analogie, welches ebenfalls auf dem Gesetzlichkeits- und Bestimmtheitsgrundsatz beruht (BVerfG NJW 1962, 1339f., NJW 2010, 3209; NJW 2012, 907; Schönke/Schröder/Eser/Hecker, StGB-Komm., 29. Auf. § 1 Rdnr. 25ff.), kann eine zulässige Analogie erst dann einsetzen, wenn eine echte Gesetzeslücke vorliegt, die mit den Methoden der Auslegung nicht geschlossen werden kann.

Bereits für das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke bestehen keine Anhaltspunkte, weil der Wortlauf des Gesetzes gerade für eine gewollte Einschränkung der maßgeblichen Pflichten auf die ausdrücklich genannte Branche spricht. Wäre ein weiter gefasster Anwendungsbereich der Norm gewollt, hätte es der Kodifikation des § 4 Abs. 1 Nr.1 an dieser Stelle nicht bedurft.

Gegen das Bestehen einer Regelungslücke spricht auch, dass die amtliche Begründung des Gesetzes sich nicht dazu verhält, welche Gründe und Zielsetzungen für die Fassung dieses Wortlauts maßgeblich und handlungsleitend waren (vgl. BT-Drucks. 18/1558, S.53). Es ist insbesondere in der Begründung nichts darüber ersichtlich, aus welchen Gründen die in der früheren, bis zum 15.08.2014 geltenden Fassung des § 19 AEntG enthaltene (uneingeschränkte) Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nach § 4, (sowie § 5 Nr. 1 bis 3 und § 6) modifiziert worden ist.

Diese Unklarheit über die erwogenen Hintergründe spricht für sich genommen nicht für das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke; für die gewollte Formulierung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG innnerhalb der Regelung des § 19 Abs. 1 mögen Gründe vorgelegen haben, auch wenn sie keinen Niederschlag in den Gesetzesmotiven gefunden haben. Gerade die zahlreichen Mißstände im Bereich des Bauhaupt- und Baunebengewerbes waren beispielsweise Hintergrund für die Einführung von Arbeitszeitaufzeichnungen zwecks Sicherung einer Mindestentlohnung (vgl. Schliemann, a.a.O., Pflichten zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten, FA 2016, 66 ff (69).

Abgesehen davon kommt – unabhängig von der Nichtfeststellbarkeit einer Regelungslücke - der „tatsächlichen Wortbedeutung“ des allein der Auslegung zugänglichen Gesetzestextes maßgebliche Bedeutung zu (KK-Rogall, a.a.O. § 3 Rdnr. 53 m.zahlr.w.N.). Der aus der Sicht des Bürgers mögliche Wortsinn markiert „die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation“ (BVerfG NStZ 1986, 261; NJW 2010, 3209; NJW 2012, 907).

Der tatsächliche Wortlaut des Gesetzes, der sich in § 19 Abs. 1 Satz 1 explizit auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 bezieht, läßt eine Auslegung, die zum Wegfall dieser gesetzlichen Beschränkung und zur Anwendung auf die Branche der Landwirtschaft führt, nicht zu. Eine solche Auslegung würde die Wortsinngrenze überschreiten und zu einer Sanktionierung führen, die hier keineswegs auf einer unbestimmten Norm, sondern auf gar keiner Norm beruht, und deshalb gegen die in § 3 OWiG, Art 103 Abs. 2 GG normierten Grundsätze verstößt.

2. Eine Aufzeichnungs- und Dokumentationspflicht ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 21 Nr. 7 oder 8 MiLoG. Das MiLoG gilt grundsätzlich für alle Arbeitsverhältnisse mit den Ausnahmen vom persönlichen Geltungsbereich des § 22 MiLoG (für Praktikanten bis drei Monate, Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, Berufsausbildungsverhältnisse, ehrenamtliche Tätigkeiten und Langzeitarbeitslose während der ersten sechs Monate), die hier nicht einschlägig sind.

§ 17 Abs. 1 MiLoG bestimmt, dass ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nach § 8 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch oder in den in § 2 Scharzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Wirtschaftsbereichen und Wirtschaftszweigen beschäftigt, zur Erstellung und Bereithaltung von Dokumenten über die tägliche Arbeitszeit verpflichtet ist.

Der Betroffene beschäftigt im vorliegenden Fall – dies ergibt sich bereits aus dem gezahlten Gehalt des Arbeitnehmers – keinen geringfügig Beschäftigten im Sinne von § 8 SGB IV. Darüber hinaus ist die Landwirtschaft auch nicht von den in § 2 Schwarzarbeitsgesetz aufgeführten Branchen umfasst. Schließlich ist der Betroffene auch kein Entleiher im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 MiLoG, da der Arbeitnehmer B bei ihm nach den Feststellungen des Amtsgerichts, wie sie sich zumindest aus dem Gesamtzusammenhang des geschilderten Sachverhalts ergeben, fest angestellt ist.

Es ergibt sich mithin auch keine Rechtsgrundlage für eine Aufzeichnungs- und Dokumentationspflicht des Betroffenen nach dem MiLoG.

3. Auch aus dem AÜG lässt sich eine entsprechende Verpflichtung des Betroffenen nicht herleiten. Die in § 17 c Abs. 1 AÜG normierte – strukturell inhaltsgleiche – Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit betrifft nur Arbeitsverhältnisse im Bereich der Leiharbeit. Demgegenüber handelt es sich aber nach den Feststellungen - wie vorstehend ausgeführt -vorliegend um eine Festanstellung.

4. Schließlich ergibt sich auch keine Aufzeichnungspflicht aus dem ArbZG. § 16 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen. Der gegen den Betroffenen erhobene Vorwurf knüpft jedoch ersichtlich nicht an eine über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit des Arbeitnehmers B an, sondern betrifft dessen reguläre Arbeitszeit.

Nach alledem kann eine Rechtsgrundlage zur Sanktionierung des gegen den Betroffenen erhobenen Vorwurfs des Verstoßes gegen eine Pflicht zur Aufzeichnung und Dokumentation von Arbeitszeiten seines Arbeitnehmers B nicht festgestellt werden.

Der durch den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld erfolgte Freispruch ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 S. 1 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 OWiG.



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