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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 RVs 72/16 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung – einschließlich der Belehrung gem. § 329 StPO – ist in deutscher Sprache abzufassen, weil die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG).
2. Die Ladung wird nicht dadurch unwirksam, dass sie einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ohne Übersetzung zugestellt wird.
3. Zur ordnungsgemäßen Erhebung der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren bedarf es in einem solchen Fall des Vortrags, dass der Angeklagte auch nicht bereits vor der Ladung bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in für ihn verständlicher Weise über die Folgen des Ausbleibens im Berufungstermin belehrt worden war.
4. Der Protokollvermerk über eine Rechtsmittelbelehrung beweist nicht nur die Belehrung als solche, deren Richtigkeit und Vollständigkeit, sondern bei Anwesenheit eines Dolmetschers in der Hauptverhandlung auch deren korrekte Übersetzung.
5. Die Teileinstellung des Verfahrens durch das Revisionsgericht kann durch Beschluss gem. §§ 349 Abs.4; 206 a Abs. 1 StPO erfolgen.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Berufungsverwerfung, Nichterscheinen, Ladung, Gerichtssprache, Rügevorbringen, Verjährung, Einstellung

Normen: StPO 329, StPO 206a; GVG 184

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 25.10.2016 beschlossen:

1. Das Urteil der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 28. April 2016 und das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.Januar 2016 werden aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat Ziffer II., 2. des Urteils des Amtsgerichts Bielefeld vom 21. Januar 2016 (Tatzeit: „Etwa im Frühjahr 2009“) verurteilt worden ist; insoweit wird das Verfahren gemäß § 206 a Abs. 1 StPO eingestellt.
2. Darüber hinaus werden das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.Januar 2016 und das Urteil der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 28. April 2016 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
4. Die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin werden dem Angeklagten auferlegt (§ 473 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 4 S. 1 StPO).

Gründe

I.
Das Amtsgericht – Strafrichter – Bielefeld hat den Angeklagten durch Urteil vom 21. Januar 2016 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Der Verurteilung liegen Taten des Angeklagten zum Nachteil seiner früheren Ehefrau, der Nebenklägerin T, zugrunde. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts sind die gefährlichen Körperverletzungen durch den Angeklagten im Zeitraum August 2008 bis Oktober 2008 sowie im Sommer 2013 begangen worden; die vorsätzlichen Körperverletzungen beging der Angeklagte nach den Feststellungen „etwa im Frühjahr 2009“ und im Juli 2014.

Die gegen das Urteil des Amtsgerichts gerichtete Berufung hat die 12. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld mit Urteil vom 28. April 2016 gem. § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich Revision eingelegt, die er durch seinen Verteidiger unter näheren Ausführungen mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts und unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge begründet hat. Der Angeklagte rügt insbesondere die Wirksamkeit der Ladung zum Berufungshauptverhandlungstermin, weil ihm, da er als jesidischer Kurde nur über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfüge, die mit der Ladung erfolgte Belehrung über die Bedeutung und die Folgen des Fernbleibens im Berufungshauptverhandlungstermin nicht verständlich gewesen sei. Da die Ladung nebst Belehrung nicht in übersetzter Form an den Angeklagten zugestellt worden sei, sei sein Anspruch auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren verletzt und habe die Strafkammer das Nichterscheinen des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen dürfen.

Die 12. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld hat den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Berufungshauptverhandlungstermins mit Beschluss vom 8. Juni 2016 – rechtskräftig – verworfen.

Mit Verfügung vom 6. Oktober 2016 hat der Senat die Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen, dass bei der Tat Ziff. II., 2. des Urteils des Amtsgerichts das Vorliegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung in Betracht kommt und dass der von der Nebenklägerin am 16. Dezember 2014 gestellte Strafantrag (auch) hinsichtlich der weiteren vorsätzlichen Körperverletzung unter Ziff. II., 4. des Urteils verspätet sein dürfte.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin mit Zuschrift vom 12. Oktober 2016 hinsichtlich der Tat zu Ziff. II., 2. des Urteils erklärt, dass das Verfahren gem. § 206 a StPO eingestellt werden möge; hinsichtlich der Tat zu Ziff. II., 4. des Urteils des Amtsgerichts Bielefeld hat die Generalstaatsanwaltschaft das Vorliegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung gem. § 230 Abs. 1 StGB erklärt und unter Abänderung ihres bisherigen – gem. § 349 Abs. 2 StPO gestellten – Antrages nunmehr beantragt, den Schuldspruch unter Berücksichtigung der verbleibenden Tatvorwürfe abzuändern und das Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufzuheben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen sei.

II.
Die gegen das Verwerfungsurteil gem. § 329 StPO in zulässiger Weise erhobene Revision hat den aus dem Tenor ersichtlichen teilweisen Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte die Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO mit der Begründung erhebt, die Strafkammer habe das Nichterscheinen des Angeklagten deshalb nicht als unentschuldigt ansehen dürfen, weil der Angeklagte mit der Ladung zum Berufungstermin über die Folgen des unentschuldigten Ausbleibens nicht in einer in seine Sprache übersetzten Form belehrt worden sei, ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den an ihre Begründung gem. § 344 Abs. 2 StPO zu stellenden Anforderungen. Nach § 344 Abs. 2 StPO müssen die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen so genau und vollständig angegeben werden, dass das Revisionsgericht allein aufgrund des Rügevorbringens prüfen kann, ob der Verfahrensmangel vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen.

Da die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG) war die Ladung des Angeklagten – einschließlich der Belehrung gem. § 329 StPO – in deutscher Sprache abzufassen (vgl. BGH NJW 1984, 2050; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., GVG, § 184 Rdnr. 3). Die Ladung wird nicht dadurch unwirksam, dass sie einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ohne Übersetzung zugestellt wird (vgl. BayObLG NStZ 1996, 248; OLG Köln NStZ-RR 2015, 317).

Zwar hat das Gericht grundsätzlich zur Wahrung der Verteidigungsinteressen des Beschuldigten, dessen mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache nicht zu einer Verkürzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör führen darf (vgl. BVerfGE 40, 95; 42, 120; NJW 1983, 2762), dafür Sorge zu tragen, dass seinem Anspruch auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren Rechnung getragen wird, und insoweit ggf. durch die Mitwirkung eines Dolmetschers oder die Beifügung von Übersetzungen von Schriftstücken Verständnisproblemen entgegenzuwirken. In Anbetracht der – wie ausgeführt – wirksamen Ladung hätte es jedoch entsprechend der gem. § 344 Abs. 2 StPO zwingenden Formvorschrift des Vortrages bedurft, dass der Angeklagte auch nicht bereits vor der Ladung bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in für ihn verständlicher Weise über die Folgen des Ausbleibens im Berufungstermin belehrt worden war. Hierüber verhält sich das Rügevorbringen des Angeklagten nicht, was zur Unzulässigkeit der erhobenen Verfahrensrüge führt.

Die Rüge wäre im Übrigen auch unbegründet, weil dem Angeklagten tatsächlich ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts Bielefeld vom 21. Januar 2016 im Anschluss an die Urteilsverkündung – und vor Entlassung des Dolmetschers – eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden ist. Gemäß § 35 a S. 1 StPO ist der Betroffene bei der Bekanntmachung einer Entscheidung, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden kann, über die Möglichkeit der Anfechtung und die hierfür vorgeschriebenen Fristen und Formen zu belehren; § 35 a S. 2 StPO bestimmt, dass er dann, wenn gegen ein Urteil Berufung zulässig ist, auch über die Rechtsfolgen der §§ 329, 330 StPO zu belehren ist. Der Protokollvermerk über eine Rechtsmittel-belehrung beweist nicht nur die Belehrung als solche, die Richtigkeit und die Vollständigkeit, sondern auch bei Anwesenheit eines Dolmetschers deren korrekte Übersetzung (vgl. KG NStZ 2009, 406; OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.11.2002, 3 Ws 1172/02; juris). Aus dem Protokoll des Amtsgerichts geht hervor, dass der Dolmetscher erst nach der erteilten Rechtsmittelbelehrung am Ende der Sitzung entlassen worden ist.

Die Verfahrensrüge hätte danach auch in der Sache keinen Erfolg geboten.

2. Die erhobene Sachrüge führt bei dem angegriffenen Verwerfungsurteil zu der Überprüfung, ob Verfahrenshindernisse vorliegen; dies gilt auch im Hinblick auf solche Verfahrenshindernisse, die bereits vor Verkündung des erstinstanzlichen Urteils vorgelegen haben und das gesamte Verfahren betreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.12.2000, 2 StR 56/00; juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 19.01.2012, 2 SsOWi 1545/11, juris; OLG Celle, Beschluss vom 31.05.2011, 32 Ss 187/10, juris; a.A. Meyer-Goßner, StPO, 16.A., § 329 Rn. 49).

a) Soweit der Angeklagte unter Ziff. II., 2. des amtsgerichtlichen Urteils vom 21. Januar 2016 wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung, begangen „etwa im Frühjahr 2009“ verurteilt worden ist, war das Verfahren gem. § 206 a Abs. 1 StPO einzustellen. Insoweit besteht das Verfahrenshindernis der bereits im Jahre 2004 eingetretenen Verfolgungsverjährung. Gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB gilt eine Verjährungsfrist von fünf Jahren bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem bis zu fünf Jahren bedroht sind. § 223 Abs. 1 StGB sieht eine Höchststrafe von bis zu fünf Jahren vor. Umstände, die gem. § 78 b StGB zum Ruhen oder gem. § 78 c StGB innerhalb dieses Zeitraums zur Unterbrechung der Verjährung geführt haben könnten, sind nicht ersichtlich. Die Tat ist von der Nebenklägerin erst im Jahre 2016 polizeilich bekannt gemacht worden.

Das Verfahren ist daher hinsichtlich dieser Tat wegen Eintritts der Verfolgungs-verjährung durch Beschluss (gem. § 349 Abs. 4 StPO, vgl. BGH, Beschluss vom 28.12.2006, 1 StR 534/06, juris) einzustellen.

Damit entfällt die Verurteilung wegen eines Falles der vorsätzlichen Körperverletzung.

b) Soweit der Angeklagte unter Ziff. II., 4. wegen einer (weiteren) vorsätzlichen Körperverletzung verurteilt worden ist, deren Begehung nach den Feststellungen „im Juli 2014“ erfolgte, war der von der Nebenklägerin (erst) am 16. Dezember 2014 gestellte Strafantrag gem. §§ 230 Abs. 1 S. 1 erster Halbsatz, 77 b Abs. 1 StGB verspätet, weil er nicht innerhalb der dreimonatigen Antragsfrist gestellt worden war. Die Generalstaatsanwaltschaft hat jedoch mit ihrer Antragsschrift vom 12. Oktober 2016 das gem. § 230 Abs. 1 S. 1 zweiter Halbsatz StGB alternativ ausreichende besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung erklärt. Diese Erklärung noch in der Revisionsinstanz ist zulässig (vgl. BGHSt 6, 282; 16, 225; 19, 381; Meyer-Goßner/Schmitt, StGB, 63. Aufl., § 230 Rdnr. 4).

Ein Verfahrenshindernis liegt im Hinblick auf den verspäteten Strafantrag daher nicht vor.

3. Sonstige Verfahrenshindernisse bestehen nicht. Die Sachrüge führt die Revision zu keinem weitergehenden Erfolg.

4. Aufgrund der teilweisen Verfahrenseinstellung im Hinblick auf die in dem amtsgerichtlichen Urteil unter Ziff. II., 2. abgeurteilte Tat kann die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtstrafe keinen Bestand haben. Es kann zugunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden, dass die Gesamtstrafe bei Wegfall der wegen dieser Tat verhängten (Einzel-) Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15,00 Euro geringer ausgefallen wäre.

Gemäß § 354 Abs. 1 b S. 1 StPO erfolgt die Aufhebung im Anspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe, dass die neue Gesamtstrafe nachträglich im Beschlusswege gem. §§ 460, 462 StPO durch das gem. § 462a Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Gericht zu bilden ist (vgl. BGH NJW 2005, 376, 912; HK-StPO – Temming, 5. Aufl., § 354 Rdnr. 25). Dem Senat sieht sich an einer eigenen Strafzumessungentscheidung gehindert, weil das amtsgerichtliche Urteil keinen vollständigen Strafzumessungssachverhalt enthält.

III.
Gem. §§ 473 Abs.4, Abs. 1 S. 1, S. 2 StPO waren dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens einschließlich der der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aufzulegen.

Hier ist sicher abzusehen, daß das Rechtsmittel des Angeklagten, der mit der Berufung seine Verurteilung auch hinsichtlich des Schuldspruchs umfassend angegriffen hatte, mit dem Teilerfolg zur Gesamtstrafe nur einen geringfügigen Rechtsmittelerfolg erbracht hat. Jedenfalls bei dieser Sachlage kann der Senat die abschließende – für den Angeklagten negative – Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO sofort selbst treffen und hat sie nicht dem Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO vorzubehalten, dem sie systemfremd wäre.

Angesichts des geringen Umfangs des Erfolges erscheint es auch nicht unbillig, den Angeklagten mit diesen Kosten insgesamt zu belasten; § 473 Abs. 4 S. 1 StPO.




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