Aktenzeichen: 3 Ss 240/06 OLG Hamm |
Leitsatz: Sind aber Anhaltspunkte für Besonderheiten, insbesondere alkohol¬bedingte Ausfallerscheinungen, gegeben, bedarf es auch bei BAK-Werten unter 2 Promille einer eingehenden Erörterung der Voraussetzungen des § 21 StGB, wobei gerade dem Inhalt eines Blutentnahme-Protokolls besondere Bedeutung zukommt. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: verminderte Schuldfähigkeit; alkohol-bedingte Ausfallerscheinungen; Voraussetzungen; Anforderungen an die Urteilsgründe; |
Normen: StGB 21; StPO 267 |
Beschluss: Strafsache gegen K.B. wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr u.a Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der VII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 08.03.2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 07. durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellun¬gen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen. Gründe: I. Das Amtsgericht Bünde hatte den Angeklagten am 14.11.2005 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Warendorf vom 30.06.2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Gleichzeitig hat es die Straßenverkehrsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch 20 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil des Amtsgerichts Bünde hat der Angeklagte durch am 21.11.2005 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tage Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 27.01.2006 auf das Strafmaß beschränkt. Mit dem angefochtenen Berufungsurteil hat die Berufungskammer des Landgerichts Bielefeld die Berufung verworfen. Gegen das wiederum in seiner Anwesenheit verkündete Berufungsurteil hat der An¬geklagte mit am 15.03.2006 bei dem Landgericht Bielefeld eingegangenem Schrei¬ben seines Verteidigers vom selben Tage Revision eingelegt und das Rechtsmittel nach Urteilszustellung an den Verteidiger am 29.03.2006 mit am 19.04.2006 bei dem Landgericht Bielefeld eingegangenem weiteren Schreiben mit der Verfahrensrüge der Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 3 StPO sowie der Verletzung des § 246 a StPO und mit der näher ausgeführten Sachrüge begrün¬det. II. Die zulässige Revision der Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest vor¬läufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurück¬verweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld. Bereits die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO verhilft der Revision zu ihrem vorläufigen Erfolg. Das Landgericht hat hier seine Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 StPO im Zusam¬menhang mit der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB verletzt. Das Landge¬richt hat sich in den Urteilsgründen mit den Voraussetzungen des § 21 StGB bzw. mit der Frage der vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten an keiner Stelle ausdrücklich auseinandergesetzt, obwohl die von dem Landgericht im Übrigen getroffenen Fest¬stellungen sowie der dem Senat auf die zulässige Aufklärungsrüge hin eröffnete Akteninhalt hierfür hinreichenden Anlass gaben. Aus dem ärztlichen Bericht über die Blutentnahme vom 25.06.2005 ergab sich näm¬lich, dass bei dem Angeklagten zum Tatzeitpunkt - die Blutentnahme war 37 Minuten nach der Festnahme des Angeklagten - erhebliche Ausfallerscheinungen zu be- obachten waren. Zwar war nach dem Eindruck des die Blutentnahme durchfüh¬renden Arztes das Bewusstsein des Angeklagten klar, sein Denkablauf geordnet, sein Verhalten beherrscht und seine Stimme unauffällig. Andererseits enthält der Untersuchungsbericht vom 25.06.2005 aber auch folgende Untersuchungsbefunde: "Gang (geradeaus): schwankend plötzliche Kehrtwendung nach vorherigem Gehen: unsicher Drehnystagmus: wegen Schwindel nicht möglich Finger-Finger-Prüfung: unsicher Nasen-Finger-Prüfung: unsicher Sprache: verwaschen Pupillen: unauffällig Pupillen-Lichtreaktion: verzögert." Ähnliche Ausfallerscheinungen hatte der Bundesgerichtshof (BGH NStZ 1990, 384) als ausreichend angesehen, um die Verpflichtung des Tatrichters zu weiterer Aufklä¬rung im Hinblick auf das Vorliegen einer alkoholbedingten Schuldminderung bei dem dortigen Angeklagten zu bejahen. Der der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegende allgemein anerkannte medizinische Erfahrungssatz, dass eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bei Blutalkoholkonzentrationen von 2 Promille an aufwärts nahe liege (BGHR StGB § 21 BAK 16), schließt nämlich nicht aus, dass die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht auch bereits bei Blutalkohol¬konzentrationen unterhalb dieses Wertes vorliegen können (BGH NStZ 1990, 384). Bei Blutalkohol¬konzentrations-Werten unter 2 Promille darf der Tatrichter bei einem erwachsenen gesunden Menschen zwar in der Regel von voller Schuldfähigkeit ausgehen, wenn Besonderheiten in Tat oder Täterpersönlichkeit fehlen (BGH, NStZ 1990, 384; BGH StV 1986, 285). Sind aber Anhaltspunkte für Besonderheiten, insbesondere alkohol¬bedingte Ausfallerscheinungen, gegeben, bedarf es auch bei BAK-Werten unter 2 Promille einer eingehenden Erörterung der Voraussetzungen des § 21 StGB, wobei gerade dem Inhalt eines Blutentnahme-Protokolls besondere Bedeutung zukommt. Der Entnahmebericht stellt nämlich eine wertvolle Ergänzung des Tatzeit-BAK-Wer¬tes dar und kann in Grenzfällen den entscheidenden Ausschlag für oder gegen die Annahme voller Schuldfähigkeit geben, wenn der Bericht sich - wie im vorliegenden Fall - auf eine Untersuchung bezieht, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat stattfand (BGH, NStZ 1990, 384). Hier bestand ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Tat und dem Unter¬suchungsbericht von nur 37 Minuten. Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten lag rückgerechnet bei knapp 1,7 Promille und damit in einem deutlich überhöhten und an den 2-Promille-Grenzwert heranreichenden Bereich. Auch bei der Tat selbst hatte der Angeklagte Ausfallerscheinungen gezeigt, da er nach den Feststellungen des Landgerichts mit deutlichen Schlangenlinien bei eingeschalteter Nebelschluss¬leuchte - obwohl kein Nebel herrschte - fuhr. Wenngleich der Angeklagte an¬schließend offenbar in der Lage war, nach Wahrnehmung der ihm seitens der einge¬setzten Polizeibeamten erteilten Anhaltezeichen sein Fahrzeug zu beschleunigen und mehrfach abzubiegen, offenbar um sich einer polizeilichen Kontrolle zu entzie¬hen, lässt dies die von ihm vorher gezeigten Ausfallerscheinungen dennoch beste¬hen. Hinzu kommt, dass sich aus den Feststellungen des Landgerichts zum Le¬benslauf des Angeklagten ergibt, dass dieser unter dem fortschreitenden Alkohol¬konsum sozial und beruflich seit Ende der 90er Jahre zunehmend verfiel. Infolge sei¬nes Alkoholmissbrauchs kam es zu mehrfachen Trennungen und anschließenden Versöhnungen der Eheleute bis zur endgültigen Trennung im Jahre 2003, wobei die Ehe des Angeklagten zwischenzeitlich geschieden ist. Am 27.08.2003 steigerten sich die Eheprobleme in einen in nur leicht alkoholisiertem Zustand von dem Angeklagten begangenen massiven Angriff auf seine Ehefrau unter Einsatz eines Messers, der zur Verurteilung am 03.08.2004 durch das Amtsgericht Bielefeld u.a. wegen ver¬suchter Vergewaltigung zum Nachteil der Ehefrau führte. Der Angeklagte hatte in leicht alkoholisiertem Zustand von seiner Ehefrau die Durchführung des Ge¬schlechtsverkehrs verlangt und, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, mit einem Messer mehrfach auf die Matratze eingestochen, auf der die Ehefrau lag, und das Bettlaken zerschlitzt sowie der Geschädigten damit gedroht, dass er ihr den "Unterleib aufschlitzen (werde), damit Blut fließe". Anschließend hatte er der Ge¬schädigten das Messer noch an die Kehle gehalten. Durch dieses Geschehen hatte der Angeklagte seine Ehefrau in Todesangst versetzt. Dieses festgestellte Geschehen zum Nachteil der Ehefrau spricht ebenso für einen alkoholbedingten Persönlichkeitsverfall wie der Umstand, dass der Angeklagte be¬reits zuvor im Jahre 2001 in die Klinik Gilead IV in Bielefeld zur Behandlung seiner Alkoholproblematik eingewiesen worden war und bereits seinerzeit psychologisch beraten und betreut wurde. Hinzu kommt die fortlaufende Begehung von Verkehrs¬straftaten unter Alkoholeinfluss völlig unbeeindruckt von vorangegangenen Verurtei¬lungen und Strafaussetzungen, obwohl der Angeklagte an sich als Heizungsbau¬meister und selbstständiger Handwerker aus einer durchaus bürgerlichen Existenz stammt. Das Landgericht hätte danach die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht ohne Berücksichtigung dieser erheblichen Indizien für das Vorliegen einer alkoholbe¬dingten Schuldminderung ablehnen dürfen. Angesichts des Umstandes, dass das Landgericht selbst der Ansicht war, dass jedenfalls eine vorzeitige Entlassung des Angeklagten aus der Strafhaft nach § 57 Abs. 1 StGB eine erfolgreiche Alkoholthera¬pie als Grundvoraussetzung hätte (S. 10 am Ende UA), hätte es, sachverständig be¬raten, hier auch die Frage einer Unterbringung des Angeklagten gemäß § 64 StGB erörtern müssen. Dies wird die neu entscheidende Strafkammer unter Hinzuziehung eines Sachverständigen nachholen müssen. |
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