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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 408/16 OLG Hamm

Leitsatz: Zum Widerruf der Strafaussetzung bei einem Jugendlichen.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Widerruf Strafaussetzuzng, Jugendlicher, fehlende Belehrung

Normen: JGG 26

Beschluss:

Jugendstrafsache
gegen pp-
Verteidiger:
wegen Betruges u.a.,
(hier:, sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Widerruf der Aussetzung der Jugendstrafe).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 12. Oktober 2016 gegen den Beschluss der IV. großen Strafkammer — Jugendkammer — des Landgerichts Bielefeld vom 27. September 2016 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20.12.2016 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Verurteilten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.

Gründe:
I.
Das Landgericht Bielefeld hat den Beschwerdeführer am 23. Januar 2015 wegen Betruges in 15 Fällen und Computerbetruges in 21 Fällen zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung einem nachträglichen Beschluss vorbehalten. Das Urteil ist seit dem 31. Januar 2015 rechtskräftig. Mit Beschluss vom 30. Oktober 2015 hat das Landgericht Bielefeld die Vollstreckung der verhängten Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Verurteilte der (weiteren) Aufsicht und Weisung seines Bewährungshelfers unterstellt. Er wurde unter anderem angewiesen, im ersten Jahr nach Rechtskraft des Beschlusses monatlich 40 Stunden unentgeltliche gemeinnützige Arbeit zu erbringen. Für Monate, in denen der Verurteilte in Vollzeit im Rahmen eines Arbeits-Schul- oder Ausbildungsverhältnisses tätig ist, wurde die Stundenanzahl auf monatlich 10 Stunden ermäßigt. Der Beschluss wurde der Staatsanwaltschaft am 06. November 2015 und dem Verurteilten am 14. November 2015 zugestellt. Die Aufstellung eines Bewährungsplans und eine mündliche Belehrung über die Möglichkeit des Widerrufs der Strafaussetzung erfolgten nicht.

Der Verurteilte leistete, unmittelbar nachdem ihm der Bewährungshelfer die bereits in dem Aussetzungsbeschluss benannte Stelle zugewiesen hatte, ab dem 18. Januar 2016 bis mindestens Juni 2016 jeweils mehr als 10 Stunden gemeinnützige Arbeit monatlich. Der Bewährungshelfer ging von einem Rückstand der geleisteten Stunden aus und zeigte diesen der Jugendkammer an und bat mehrmals um Anberaumung eines Anhörungstermins, um den Bewährungsverlauf zu' thematisieren.

Schließlich wurde der Verurteilte zu seinem Anhörungstermin am 23. September 2016 unter Hinweis auf einen möglichen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung geladen. Zu dem Termin erschien der Verurteilte nicht.

Mit Beschluss vom 27. September 2016 widerrief die Jugendkammer die Strafaussetzung zur Bewährung wegen bestehender Rückstände hinsichtlich der zu erbringenden Arbeitsleistungen.

Gegen den ihm am 06. Oktober 2016 zugestellten Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner am selben Tage eingegangenen sofortigen Beschwerde vorn 12. Oktober 2016, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens näher begründet wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass die geleisteten Arbeitsstunden mit 28 Tagen auf die Strafe anzurechnen sind.

II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 26 JGG liegen nicht vor.

1. Ein Widerruf kann nicht auf § 26 Abs. 1 Nr. 3 JGG gestützt werden. Ein Verstoß gegen Auflagen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 15 JGG) aus dem Bewährungsbeschluss liegt nicht vor. Die Anordnung der Erbringung von Arbeitsleistungen ist vorliegend eine. Weisung gern. § 23 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 1 Nr. .4 JGG. Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen (bzw. Heranwachsenden) regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 JGG), wohingegen durch Auflagen dem Jugendlichen (dem Heranwachsenden) zum Bewusstsein gebracht werden soll, dass er für das von ihm. begangene Unrecht einzustehen hat (§ 13 Abs. 1 JGG). Die Anordnung der. Erbringung der Arbeitsleistung erfolgte ausweislich des. Beschlusses der Jugendkammer vom 30. Oktober 2016, um dem unsteten, unverbindlichen Lebensstil des Verurteilten Struktur zu geben. Es sollte mithin auf die Lebensführung des Verurteilten und zumindest auch dessen Einstellung zur Arbeit Einfluss genommen werden.

2. Auch die Voraussetzung des § 26 Abs. 1 Nr. 2 JGG liegen nicht vor.

Danach widerruft das Gericht die Aussetzung der Jugendstrafe, wenn der Jugendliche/Heranwachsende gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt oder sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen wird.

a) Ein beharrliches Entziehen der Aufsicht des Bewährungshelfers liegt nicht vor. Beharrlich ist das Entziehen dann, wenn sich der Verurteilte durch willentliches wiederholtes Handeln oder andauerndes Verhalten der Einflussmöglichkeit der Bewährungshilfe entzieht oder trotz Mahnung der Kontakthaltung wiederholt oder längerfristig nicht mehr nachkommt Auch bei zeitweiligem nur „sporadischem" Aufsuchen des Bewährungshelfers (vgl. Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 56 f. Rdnr. 14; OLG Dresden Beschluss vom 07.07.2012 — 2 Ws 401112, juris) liegt eine Beharrlichkeit in diesem Sinne noch nicht vor. Der Bewährungshelfer berichtete vorliegend noch im Juni 2016 von einer überwiegend guten Kontakthaltung. Den weiteren Berichten lassen sich ebenfalls keine konkreten von dem Verurteilten nicht eingehaltenen Termine entnehmen.

b) Es lässt sich auch kein gröblicher oder beharrlicher Verstoß gegen die Arbeitsweisung feststellen.

aa) Bereits das Maß der bis zum Zeitpunkt des Widerrufs geschuldeten Stunden lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen.

Feststellungen dazu, ob der Verurteilte (ggfs. für einzelne Zeiträume) einer vollzeitigen Tätigkeit nachgegangen ist, lassen sich dem Beschluss nicht entnehmen. Dies ergibt sich auch aus den Berichten des Bewährungshelfers nicht hinreichend,

bb) Auch die tatsächlich geleistete Anzahl der Stunden lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen.. Die Jugendkammer hat lediglich das Ergebnis einer Rückstandsberechnung des Bewährungshelfers übernommen. Da sich das von dem Bewährungshelfer zugrunde gelegte Soll aber nicht ergibt, ist es auch nicht möglich, hieraus die geleisteten Stunden zu errechnen, Selbst das Bewährungsheft ergibt nicht zweifelsfrei, wie viele. Stunden geleistet wurden, da die von dem Bewährungshelfer eingereichten Aufstellungen teils unleserlich sind. Der Verurteilte hat danach jedoch ab Januar 2016 bis zumindest Juni 2016 monatlich jeweils (teils deutlich) mehr als 10 Stunden gemeinnützige Arbeit geleistet. Für den Fall einer vollzeitigen Tätigkeit läge demnach in diesen Zeiträumen bereits kein Verstoß vor.

cc) Ein möglicher Verstoß wäre nach dem bisherigen Bewährungsverlauf jedenfalls auch nicht gröblich oder beharrlich.

Gröblich ist ein Verstoß gegen Weisungen, wenn er objektiv schwerwiegend und subjektiv vorsätzlich ist. Beharrlich verstößt der Verurteilte gegen Weisungen, wenn er objektiv wiederholt und subjektiv nachdrücklich handelt. (Sonnen in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, 7. Aufl. 2015, §'26 Rn 11, 12).

Das Ausmaß und auch die zeitliche Entwicklung des Weisungsverstoßes lassen sich nach dem Vorstehenden bereits nicht hinreichend feststellen, so dass es an einer verlässlichen. Beurteilungsgrundlage fehlt.

Ein Verschulden wegen nicht erfolgter Arbeitsleistungen vor der erfolgten Zuweisung der durch die Jugendkammer bestimmten Stelle durch den Bewährungshelfer im Januar 2016 ist jedenfalls nicht feststellbar. Dass der Verurteilte zuvor von einer Rechtskraft des Beschlusses vom 30. Oktober 2015 -auf dem diese auch nicht vermerkt ist- erfahren hätte, ist nicht ersichtlich.

Einem gröblichen oder beharrlichen Verstoß steht vorliegend jedoch insgesamt entgegen, dass der Verurteilte, nicht ordnungsgemäß über die Folgen von Weisungsverstößen belehrt worden ist und auch ein Bewährungsplan gern. §§'60 i.V.m. 109 Abs. 2 JGG nicht erstellt worden ist. Eine (ordnungsgemäße) Belehrung ist zwar keine Voraussetzung für einen späteren Widerruf. Die Frage des Unterbleibens der Belehrung ist jedoch im Rahmen der Beurteilung der Intensität und der Beharrlichkeit eines Weisungs- oder Auflagenverstoßes zu berücksichtigen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Oktober 1995 — 3 Ws 604/95 —, VRS 91, 115-117 (1996)).

Zwar enthält der Beschluss vom 30. Oktober 2015 eine schriftliche Belehrung über die Möglichkeit des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung. Diese Belehrung "gem. § 268a StPO" war jedoch einerseits inhaltlich hinsichtlich der Voraussetzungen des § 26 StGB unvollständig. im Übrigen sieht § .60 JGG (i.V.m. § 109 Abs. 2 JGG), wie auch § 268a StPO, eine mündliche Belehrung voraus. Diese hat gern, § 70a JGG -gern. § 109 Abs. 1 JGG auch bei Heranwachsenden- darüber hinaus in einer dem Entwicklungs- und Bildungsstand entsprechenden Weise zu erfolgen. Es mag zwar nicht zweifelhaft sein, dass der Verurteilte anhand der erteilten Belehrung verstanden hatte, dass Weisungsverstöße zu einem Widerruf führen können. Der lediglich schriftlichen Belehrung kommt jedoch eine geringere Warnwirkung zu, als dies bei einer Belehrung im Rahmen eines Termins zur Erstellung eines Bewährungsplans der Fall ist. Gerade angesichts der in dem angefochtenen Beschluss und dem Beschluss der Jugendkammer vorn 30. Oktober 2015 aufgeführten -kurz vor
Ablauf der Vorbewährungszeit aufgetretenen- Probleme (Verlust der Arbeitsstelle/"Rauswurf" bei den Großeltern), hätte es der eindringlichen mündlichen Belehrung bedurft. Der Verurteilte hat im Rahmen seiner Vorbewährungszeit, in der ein entsprechender Bewährungsplan erstellt worden war, gezeigt, dass er unter der hierdurch vermittelten Bedeutung der Bewährungszeit und der Weisungen zu einer positiven Entwicklung fähig ist. Das Fehlen der ordnungsgemäßen Belehrung und auch des - jedenfalls im Falle der nachträglichen Beschlussfassung – erforderlichen Termins zur Aufstellung des Bewährungsplans, lassen das Verschulden des Verurteilten in einem milderen Licht erscheinen.

c) Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der Verurteilte durch den Weisungsverstoß, Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen wird. Obgleich die Jugendkammer den Widerruf -obwohl sie sprachlich auf einen Auflagenverstoß abgestellt hat- auf § 26 Abs. 1 Nr. 2 JGG gestützt hat, wird hierzu nichts ausgeführt.

Voraussetzung für die Annahme der Besorgnis neuer Straftaten ist eine auf konkrete und objektivierbare Verdachtsmomente gegründete negative Kriminalprognose (Sonnen a.a.O.; Eisenberg, JGG, 18. Auflage, § 26 Rn 8; KG Berlin StraFo 2014, 339). Solche Anhaltspunkte liegen nicht vor. Die gegen den Verurteilten durch seinen Großvater erstattete Strafanzeige kann wegen der für den Angeklagten geltenden Unschuldsvermutung hierfür nicht herangezogen werden. Zum anderen ergibt sich ein Zusammenhang zwischen der möglichen Straftat und dem Weisungsverstoß nicht.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

Der Vorsitzende der Kammer wird mit dem Bewährungshelfer und dem Verurteilten einen Bewährungsplan aufzustellen haben und in diesem Zusammenhang den Verurteilten mündlich in geeigneter Weise (§§ 60, 70a JGG) zu belehren haben. Im Hinblick auf den bisherigen Verlauf der Bewährungszeit erscheint bedenklich, dass innerhalb fast eines Jahres aus den Berichten des Bewährungshelfers lediglich der Stand der Einhaltung der Weisungen ersichtlich wird. Obgleich es kurz vor Erlass des Beschlusses vom 30. Oktober 2015 mit dem „Rauswurf" bei seinen Großeltern und der plötzlich erscheinenden Beendigung der Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zu wesentlichen Einschnitten in dem Leben des Verurteilten gekommen. ist, wird der weitere Verlauf der persönlichen und wirtschaftlichen Situation nicht berichtet. Angesichts der fehlenden Monierung der Kontakthaltung durch den Bewährungshelfer, die im Juni 2016 auch noch als überwiegend positiv berichtet wurde, ist dies unverständlich, zumal sich aus der eingetretenen Änderung auch Anlass für eine Anpassung der erteilten Weisungen ergeben könnte.


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