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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws 408/16 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Ein sachlicher Zusammenhang im Sinne der §§ 3, 13 StPO besteht, wenn bei einer prozessualen Tat mehrere Beteiligte als Täter oder Teilnehmer beschuldigt werden; dabei ist für jeden Beteiligten der Gerichtsstand bei dem Gericht begründet, das auch nur für einen der Beteiligten zuständig ist.
2. Eine grundsätzliche Auslegung dahingehend, dass bei gleichzeitiger Anklage gegen Täter und Gehilfen ein Vorrang des für die Handlungen des Täters begründeten Gerichtsstandes besteht, findet in den gesetzlichen Regelungen keine Stütze
3. Der Gerichtsstand des Zusammenhangs steht im Rahmen des der Staatsanwaltschaft bei der Wahl des Gerichtsstandes zustehenden und lediglich unter Willküraspekten überprüfbaren Auswahlermessens grundsätzlich gleichwertig neben den anderen Hauptgerichtsständen gemäß der §§ 7 bis 11 und 13 a StPO.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Örtliche Zuständigkeit, Gerichtsstand des Zusammenhangs, Auswahlermessen der StA

Normen: StPO 3, StPO 7, StPO 13

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 08.09.2016 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache an die 34. große Strafkammer bei dem Landgericht Dortmund zurückgegeben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeschuldigten fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:
I.
Am 6. Juni 2016 hat die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage zum Landgericht Dortmund – große Strafkammer – gegen die Angeschuldigten sowie die Mitangeschuldigten N und K erhoben. Den Angeschuldigten wird zur Last gelegt, in E und anderenorts im Zeitraum von Ende 2015 bis Anfang 2016 jeweils gemeinschaftlich und gewerbsmäßig handelnd durch 49 selbständige Handlungen Wohnungseinbruchdiebstähle begangen zu haben, wobei es in 13 Fällen beim Versuch geblieben sei. Die Mitangeschuldigten N und K sollen selbst oder durch Strohmänner verschiedene Autovermietungen betrieben haben, über die sie jeweils auf Weisung des in der Justizvollzugsanstalt C einsitzenden gesondert verfolgten T den Angeschuldigten und weiteren Tätergruppen hochwertige und schnelle Fahrzeuge für Wohnungseinbruchdiebstähle zur Verfügung gestellt haben sollen. Die Vermietung der Fahrzeuge sei zu einem jeweils deutlich über dem Marktpreis liegenden Mietzins und zu besonderen Bedingungen (etwa ohne Vorlage einer Kreditkarte, auf fiktive Personalien ausgestellte Verträge) erfolgt. Die Fahrzeuge seien jeweils in E bereitgestellt und abgeholt worden. Zu den Taten der Angeschuldigten sollen die Mitangeschuldigten durch drei selbständige Handlungen Beihilfe geleistet haben, indem sie ihnen nacheinander drei Fahrzeuge, die jeweils für mehrere Taten genutzt worden seien, vermietet hätten.

Nach Eingang der Anklage hat der Vorsitzende der 34. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund am 22. Juni 2016 die Anklage mit einer Erklärungsfrist von zwei Wochen zugestellt. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist noch nicht entschieden worden.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. Juli 2016 hat das Landgericht Dortmund das Verfahren gegen die Mitangeschuldigten N und K zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt und sich hinsichtlich der Angeschuldigten für örtlich unzuständig erklärt, da ein Gerichtsstand im Landgerichtsbezirk Dortmund nicht gegeben sei. Weder würden die Angeschuldigten dort wohnen noch sei eine der ihnen vorgeworfenen Taten dort begangen worden. Der allenfalls in Betracht kommende Gerichtsstand des Zusammenhangs nach § 13 StPO sei willkürlich gewählt worden. Denn die erfolgte Anklageerhebung entspreche nicht der üblichen Praxis, wonach einzelne miteinander vernetzte, aber nicht zu einer Bande verbundenen Tätergruppen jeweils bei dem Gericht ihres „Wirkungskreises“ oder demjenigen des Tatschwerpunktes angeklagt würden. Die mutmaßlichen Gehilfen würden üblicherweise bei dem Gericht angeklagt, bei dem der Gerichtsstand des Wohnorts oder des Tatorts der Beihilfehandlung begründet sei, oder bei einem der für die Haupttaten zuständigen Gerichte. Durch die von der Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren getroffene Wahl werde aber das „tatort- und sachfernste“ Gericht mit den Haupttaten befasst und die Tatopfer müssten aus ganz Nordrhein-Westfalen zur Hauptverhandlung anreisen. Auch die Erwägung, den Sachzusammenhang allein durch das Verschaffen von Fahrzeugen als Tatmittel herzustellen, sei sachfremd. Die gesetzliche Wertung des § 9 Abs. 1 StGB werde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn die Verbindung der Haupttäter zu den Gehilfen erfolge. Zudem könne der von der Staatsanwaltschaft angeführte Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung tatsächlich nicht maßgebend gewesen sein, da zwei Anklagen bei verschiedenen Kammern beim Landgericht Dortmund erhoben worden seien, wobei beide Anklagen sich auch gegen die Mitangeschuldigten N und K richten würden und wegen der bestehenden Untersuchungshaft parallel durchgeführt werden müssten. Die Art und Weise der Verbindung der Verfahren gegen die mutmaßlichen Haupttäter und Gehilfen lasse letztlich nur den Schluss zu, dass sie allein der Begründung der Zuständigkeit gedient habe, ihr mithin ein sachfremdes Motiv zugrunde gelegen habe.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft Dortmund mit der Beschwerde vom 10. August 2016. Sie ist der Auffassung, die Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund ergebe sich hinsichtlich der Angeschuldigten aus dem Gerichtsstand des Zusammenhangs gemäß § 13 i. V. m. § 3 StPO, da die Mitangeschuldigten N und K in Dortmund wohnhaft seien und die Beihilfehandlungen zu den Haupttaten der Angeschuldigten ebenfalls in E begangen worden seien. Die Verbindung der Verfahren gegen Täter und Gehilfen diene mit Blick auf den wechselseitigen Erkenntnisgewinn der – insbesondere bei Haftsachen gebotenen – Beschleunigung der Verfahren. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Mitangeschuldigten N und K über den gesondert verfolgten T fest in die Strukturen der Tätergruppe eingebunden gewesen seien und mit der Vermietung hochwertiger Fahrzeuge zu besonderen Bedingungen einen unerlässlichen Beitrag zur Verwirklichung der angeklagten Wohnungseinbruchdiebstähle geleistet hätten. Auch sei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht das „tatortfernste“ Gericht mit der Sache befasst worden, da die Tatorte der Haupttaten ohnehin über ganz Nordrhein-Westfalen verteilt seien und die Geschädigten – wie bei anderen überregional agierenden Tätergruppen auch – teilweise weitere Anreisen in Kauf nehmen müssten. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei das bei der Wahl des Gerichtsstands bestehende Ermessen nicht willkürlich überschritten worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund festzustellen.

II.
Die nach § 304 StPO statthafte (einfache) Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund für die Verfahren gegen die Angeschuldigten ergibt sich aus dem Gerichtsstand des Zusammenhangs nach § 13 Abs. 1 StPO i. V. m. § 3 StPO.

Nach § 13 Abs. 1 StPO ist für zusammenhängende Strafsachen, die einzeln nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 StPO zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das für eine der Strafsachen zuständig ist. Für das Verfahren gegen die der Beihilfe angeklagten Mitangeschuldigten N und K folgt die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund aus § 7 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 StPO. Nach Anklage haben sie den Angeschuldigten die Fahrzeuge für die Begehung der Wohnungseinbruchdiebstähle in E zur Verfügung gestellt, wo die Mitangeschuldigten auch ihren Wohnsitz haben. Den Angeschuldigten werden hingegen keine im Bezirk des Landgerichts Dortmund begangenen Straftaten zur Last gelegt, sie wohnen auch nicht in diesem Bezirk und sind nicht dort ergriffen worden. Für sie ergibt sich jedoch die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund daraus, dass sie und die Mitangeschuldigten jeweils Beteiligte derselben prozessualen Taten sind. Dies begründet den Zusammenhang zwischen den Strafsachen gemäß § 3 StPO, welcher persönlicher oder – wie hier – sachlicher Natur sein oder sich aus einer Verbindung beider Formen, sogenannter kombinierter Zusammenhang, ergeben kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 3 Rn 3 m. w. N.; Scheuten in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Auflage, § 3 Rn. 2 ff. m. w. N.). Ein sachlicher Zusammenhang besteht, wenn bei einer prozessualen Tat mehrere Beteiligte als Täter oder Teilnehmer beschuldigt werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O.; Scheuten, a. a. O., § 3 Rn. 2). Dabei ist für jeden Beteiligten der Gerichtsstand bei dem Gericht begründet, das auch nur für einen der Beteiligten zuständig ist (vgl. Scheuten, a. a. O., § 13 Rn. 1).

Der Gerichtsstand des Zusammenhangs steht auch grundsätzlich gleichwertig neben den anderen Gerichtsständen gemäß §§ 7 bis 11, 13a StPO. Bei der Entscheidung, bei welchem von mehreren nach §§ 7 ff. StPO örtlich zuständigen Gerichten sie Anklage erheben will, kommt der Staatsanwaltschaft ein Auswahlermessen zu (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a. a. O., vor § 7 Rn. 10 m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 24. März 2015 – III-2 Ws 34/15 –, juris).

Bei zusammenhängenden Strafsachen hat sie die Wahl, ob sie sie einzeln bei dem jeweils nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zuständigen Gericht oder verbunden bei einem von ihnen anklagt. Das Auswahlermessen findet nach rechtsstaatlichen Grundsätzen seine Grenze in einer willkürlichen Bestimmung der Zuständigkeit, d. h. bei einer Auswahl, die auf unsachlichen, sich von gesetzlichen Wertungen gänzlich entfernenden Erwägungen beruht (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 13 Rn. 2; OLG Hamm a. a. O.).

Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Ausübung des Wahlrechts zumindest nicht als willkürlich. Die Staatsanwaltschaft hat sich bei der Auswahl des Gerichtsstandes von prozessökonomischen Erwägungen, insbesondere dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung leiten lassen. Die Verbindung der Verfahren gegen die als Täter einer bestimmten Tätergruppe („Essen II“) angeklagten Angeschuldigten und deren Gehilfen, die Mitangeschuldigten N und K, in einem Verfahren sowie deren gemeinsame Anklage hat sie mit Blick auf die Struktur der Tätergruppe und die Bedeutung des Tatbeitrags der Gehilfen für die Verwirklichung der Haupttaten für sachgerecht erachtet. So hat sie insbesondere die nach Anklage bestehende feste Einbindung der Mitangeschuldigten N und K in die Tätergruppe über den gesondert verfolgten T berücksichtigt sowie darauf abgestellt, dass die Mitangeschuldigten nach Anklage mit der Vermietung hochwertiger Fahrzeuge zu besonderen, auf die Bedürfnisse der Angeschuldigten und weiterer Tätergruppen abgestimmten Konditionen einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der jeweiligen Wohnungseinbruchdiebstähle geleistet haben. Dies lässt sachfremde, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernende Erwägungen für die Wahl des Gerichtsstands nicht erkennen und ist deshalb nicht zu beanstanden.

Es erweist sich auch nicht als ermessensfehlerhaft, dass die gemeinsame Anklage bei dem Gericht erfolgt ist, in dessen Bezirk der Tatort der Teilnahmehandlung liegen soll und die Mitangeschuldigten ihren Wohnsitz haben. Auch insoweit hat die Staatsanwaltschaft bei der Ausübung ihres Wahlrechts auf die nach Anklage bestehende Einbindung der Mitangeschuldigten in die Tätergruppe sowie ihren wesentlichen Tatbeitrag und damit nicht auf völlig sachfremde Erwägungen abgestellt. Ein dahingehender Grundsatz, dass die Gehilfen ohne die Haupttäter am Gerichtsstand des Tatorts der Beihilfehandlung oder des Wohnsitzes angeklagt werden müssten oder sie bei gemeinsamer Anklage mit den Haupttätern bei dem Gericht (mit)angeklagt werden müssten, das für die Haupttäter zuständig ist, findet in der gesetzlichen Regelung keine Stütze. Ebenso wenig ist dem Senat eine dahingehende praktische Übung bekannt. Für die Frage der Zuständigkeit nach § 13 StPO ist es vielmehr ohne Bedeutung, ob der jeweilige Gerichtsstand für einen Täter oder Teilnehmer begründet ist (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 3 Rn. 3; Scheuten, in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Auflage, § 13 Rn. 1 m. w. N.). Mit der Anklageerhebung beim Landgericht Dortmund ist auch nicht das „tatortfernste“ Gericht befasst worden. Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung zutreffend aufgezeigt hat, liegen die Tatorte der Haupttaten über ganz Nordrhein-Westfalen verteilt bzw. befinden sich in einem Fall in Niedersachsen und würden in den Zuständigkeitsbereich der Landgerichte Essen, Bochum, Münster, Duisburg, Kleve, Aachen, Paderborn und Lüneburg fallen, so dass auch bei Auswahl eines oder mehrerer dieser Gerichte weitere Anreisen durch die Geschädigten unvermeidlich wären.

Ob die Wahl eines anderen Gerichtsstands – etwa desjenigen des Tatorts einer der Haupttaten, des im Landgerichtsbezirk Essen liegenden Aufenthaltsorts der Angeschuldigten oder des ebenfalls dort liegenden Ergreifungsorts – ebenso zweckmäßig oder zweckmäßiger gewesen wäre, kann dahinstehen, denn dies ist nicht Gegenstand der auf Ermessensfehler beschränkten Überprüfung und rechtfertigt hinsichtlich der getroffenen Wahl nicht die Annahme von Willkür.

Da der im angefochtenen Beschluss zugleich vorgenommenen Abtrennung des Verfahrens gegen die Mitangeschuldigten die Annahme zugrundelag, die von der Staatsanwaltschaft getroffene Verbindungsentscheidung sei willkürlich, ist mit der Entscheidung des Senats auch die Grundlage für die mit dieser Begründung vorgenommene Abtrennung des Verfahrens entfallen. Der angefochtene Beschluss war deshalb insgesamt aufzuheben und die Sache an die 34. große Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzugeben. Die Kammer ist durch die Entscheidung des Senats allerdings nicht gehindert, im weiteren Verlauf des Verfahrens gegebenenfalls aus Zweckmäßigkeitsgründen im Sinne des § 2 Abs. 2 StPO erneut eine Abtrennung vorzunehmen.

III.
Die Kosten und Auslagen der Angeschuldigten für das Beschwerdeverfahren waren der Landeskasse aufzuerlegen. Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerde weder zugunsten noch zuungunsten (§ 473 Abs. 2 StPO) der Angeschuldigten eingelegt, sondern im Rahmen ihrer Aufgabe, Gerichtsentscheidungen ohne Rücksicht darauf, welche Wirkungen dies für den Angeschuldigten hat, mit dem Gesetz in Einklang zu bringen. In diesem Fall trägt die Staatskasse regelmäßig die Kosten und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 473 Rn. 17).


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