Aktenzeichen: 3 Ws 300/06 OLG Hamm |
Leitsatz: 1. Ein Anspruch des Angeschuldigten auf Bestellung des von ihm gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger besteht aber dann nicht, wenn der wei¬tere Zweck des Instituts der Pflichtverteidigung, einen ordnungsgemäßen Verfah¬rensablauf zu sichern, im Falle der Bestellung des Verteidigers des Vertrauens zum Pflichtverteidiger nicht mehr erreicht werden könnte. 2. Zur Ablehnung der Beiordnung eines rund 400 km vom Gerichtsort entfernt ansässigen Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Beschwerde |
Stichworte: Pflichtverteidiger; Beiordnung; Anwalt des Vertrauens; ortsansässiger Rechtsanwalt; weite Entfernung; |
Normen: StPO 142; StPO 140; MRK Art. 6 |
Beschluss: Strafsache gegen M.P. Betruges, (hier: Beschwerde des Angeschuldigten gegen die Ablehnung der Beiordnung seiner Wahlverteidigerin zur Pflichtverteidigerin). Auf die Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 1. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 23.05.2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07. 07. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen: Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen. Gründe: I. Dem Beschwerdeführer wird mit Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 31.03.2006 zur Last gelegt, vom 7. September 2001 bis zum 19. Juli 2003 in Herford, Bielefeld und anderen Orten durch 20 selbstständige Handlungen in wechselnder Tatbeteiligung mit gesondert verfolgten anderen Personen gemeinschaftlich han¬delnd gewerbsmäßig als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrugstaten verbunden hat, in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen da¬durch beschädigt zu haben, dass sie durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregten, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb. Im Einzelnen handelt es sich um Fälle des gewerbs- und bandenmäßigen Provisionsbetruges zum Nachteil der Gerling- und der Göttinger-Versicherungsgruppen. Der Angeschuldigte hat sich zur Sache bislang nicht eingelassen. Nachdem ihm die Anklageschrift am 22.04.2006 zugestellt worden war, meldete sich mit Schreiben vom 08.05.2006 Rechtsanwältin L. aus Berlin für den Ange¬schuldigten als Wahlverteidigerin und beantragte ihre Beiordnung als Pflichtverteidi¬gerin. Für diesen Fall kündigte sie die Niederlegung des Wahlmandates an. Zur Be¬gründung hat sie ausgeführt, dass zwischen dem Angeschuldigten und ihr ein be¬sonderes Vertrauensverhältnis bestünde. Dies gründe sich darauf, dass der Ange¬schuldigte schon seit längerem in anderen Angelegenheiten von ihr beraten bzw. vertreten worden sei und im letzten Jahr ein sechswöchiges Praktikum in ihrem Büro - der Angeschuldigte ist Student der Rechtswissenschaft - absolviert habe. Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Vorsitzende der 1. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Bielefeld die Bestellung der Wahlverteidigerin L. zur Pflichtverteidigerin abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass angesichts des Kanzleisitzes der Wahlverteidigerin in Berlin die große Entfernung zum Gerichtsort sowie zum Wohnort des Angeschuldigten in Herford von fast 400 Kilometern einer sachdienlichen Verteidigung für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens grundsätzlich hinderlich seien. Besondere Umstände, die gleich¬wohl eine Beiordnung rechtfertigen könnten, seien weder vorgetragen worden noch seien sie ersichtlich. Allein eine Beratung oder Vertretung des Angeschuldigten durch Frau Rechtsanwältin L. in anderen Angelegenheiten in der Vergangenheit ver¬möge ohne nähere Angabe ein besonderes Vertrauensverhältnis nicht zu begründen. Auch die Tatsache, dass der Angeschuldigte im letzten Jahr ein sechswöchiges Praktikum im Büro der Rechtsanwältin absolviert habe, gebiete eine Beiordnung nicht. Einem darauf beruhenden Vertrauensverhältnis könne in Anbetracht der sehr großen Entfernung nicht der Vorrang vor der Ortsnähe eingeräumt werden. Gegen diesen Beschluss hat die Wahlverteidigerin für den Angeschuldigten mit am 08.06.2006 bei dem Landgericht in Bielefeld eingegangenem Schreiben vom 01.06.2006 Beschwerde eingelegt. Sie wiederholt, dass sie die Verteidigerin des Vertrauens sei und dass deshalb sowohl der Grundsatz des fairen Verfahrens als auch das Gleichheitsgebot ihre Beiordnung verlangten. Zwar möge eine auswärtige Verteidigerin für das Gericht lästig sein, da dann im Falle der Eröffnung des Haupt¬verfahrens eine vorherige Abstimmung hinsichtlich des oder der Termine der Haupt¬verhandlung angezeigt sei. Dieser Umstand bliebe jedoch bestehen, da sie bereits als Wahlverteidigerin mandatiert sei, so dass das Gericht auch dann weiter mit einer auswärtigen Verteidigerin konfrontiert sein würde, wenn es nicht zu ihrer Beiordnung als Pflichtverteidigerin kommen sollte. Nähere Angaben zu dem besonderen Ver¬trauensverhältnis müsse der Angeschuldigte nicht machen. Ein solches sei bereits aufgrund der Beauftragung als Wahlverteidiger zu vermuten und könne nur bei kon¬kreten Anhaltspunkten widerlegt werden. Gerade die Beauftragung eines weder am Wohnsitz noch am Gerichtsort residierenden Verteidigers spreche dafür, dass ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe. Zudem habe sich der Angeschuldigte be¬reits durch die Wahlverteidigerin L. wegen der mit dem vorliegenden Verfahren zusammenhängenden Fragen anwaltlich beraten lassen. II. Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der Beschluss über die Ablehnung der Beiordnung eines bestimmten Verteidigers wegen seiner selbstständigen prozessualen Bedeutung und den damit verbundenen Eingriff in das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren auch nach § 305 Abs. 1 StPO statthaft (Senat, Beschluss vom 05.03.2004 - 3 Ws 95/04 OLG Hamm). Die zulässige Beschwerde ist in der Sache jedoch nicht begründet. Das Recht des Angeschuldigten auf ein faires Verfahren ist durch die Ablehnung der Bestellung von Rechtsanwältin L. als Pflichtverteidigerin nicht verletzt. Der Kammervorsitzende hat das ihm gemäß § 142 Abs. 1 StPO zustehende Auswahler¬messen zutreffend ausgeübt. Der Bestellung der von dem Angeschuldigten benann¬ten Rechtsanwältin L. aus Berlin als Pflichtverteidigerin stehen wichtige Gründe i.S.v. § 142 Abs. 1 S. 3 StPO entgegen. Hier gebieten nämlich die ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip verwurzelten Grundsätze der Sicherung eines ordnungsge¬mäßen Verfahrensablaufs und des Beschleunigungsgebotes in Strafsachen die Bei¬ordnung eines ortsansässigen Verteidigers als Pflichtverteidiger. Der Zweck des Instituts der Pflichtverteidigung besteht ausschließlich darin, im öf¬fentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Ver¬fahrensablauf gewährleistet wird. Der Zweckbestimmung des Instituts der Pflichtver¬teidigung entspricht es, dass die Auswahl des Pflichtverteidigers Sache des Ge¬richtsvorsitzenden ist (§§ 141, 142 StPO), der nach pflichtgemäßem Ermessen ent¬scheidet, ohne dass der Anwalt, der die Verteidigung führen will, seine Beiordnung durchsetzen könnte. Insbesondere verleiht das Institut der Pflichtverteidigung dem Rechtsanwalt keinen Anspruch darauf, in einer bestimmten Strafsache als Verteidi¬ger bestellt zu werden, eine ihm übertragene Pflichtverteidigung weiter zu führen oder seiner - drohenden oder vollzogenen - Abberufung entgegen zu treten. Sinn der Pflichtverteidigung ist es nämlich nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen (BVerfGE 39, 238, 242; BVerfGE 9, 36, 38; Senat, Beschlüsse vom 28.01.1999 - 3 Ws 27/99 - und vom 05.03.2004 - 3 Ws 95/04 -). Andererseits hat der Angeklagte einen Anspruch auf ein faires Verfahren bzw. ein Recht auf wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK). Der verfassungsmäßig verbürgte Anspruch auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren als Ausfluss des Rechts¬staatsprinzips umfasst das Recht des Angeklagten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfG NJW 2001, 3695, 3696 f; BVerfGE 39, 238, 243; BGH NJW 2001, 237; BGH NJW 1992, 849; Senat, Beschluss vom 05.04.2004 - 3 Ws 95/04 - m.w.N.). In Fällen der Pflichtverteidigung erfährt dieses Recht insoweit eine Einschränkung, als der Beschuldigte keinen unbedingten Anspruch auf Bestellung des von ihm ge¬wünschten Rechtsanwalts und Pflichtverteidiger hat, ihm andererseits aber der An¬walt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn dem nicht wich¬tige Gründe entgegen stehen (BVerfG, NJW 2001, 3695, 3696; Senat, Beschluss vom 05.03.2004 - 3 Ws 95/04 m.w.N.). Ein Anspruch des Angeschuldigten auf Bestellung des von ihm gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger besteht aber dann nicht mehr, wenn der wei¬tere Zweck des Instituts der Pflichtverteidigung, einen ordnungsgemäßen Verfah¬rensablauf zu sichern, im Falle der Bestellung des Verteidigers des Vertrauens zum Pflichtverteidiger nicht mehr erreicht werden könnte (Senat, Beschluss vom 05.03.2004 - 3 Ws 95/04 -; vgl. auch BGH NJW 1992, 849 und BGHSt 15, 306, 308 f). Dabei sind im Rahmen der Sicherung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs das Gebot der Verfahrensbeschleunigung, insbesondere die besondere Beschleuni¬gung in Haftsachen, sowie die Terminsplanung und Gesamtplanung des Gerichts zu berücksichtigen (Senat, a.a.O.; BGH StV 1998, 414; NJW 1992, 849; OLG Hamburg, NStZ 1997, 203, 204; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 304, 305; OLG Düsseldorf, StV 1997, 576; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 141 Rdnr. 1 a). Legt man diese Maßstäbe zugrunde, hat der Vorsitzende der Strafkammer die Bei¬ordnung von Rechtsanwältin L. aus Berlin zu Recht abgelehnt. Deren Beiord¬nung steht hier nämlich der Sicherung des weiteren Verfahrens im Sinne eines ord¬nungsgemäßen Verfahrensablaufs aufgrund der erheblichen Entfernung zwischen dem Kanzleisitz der Rechtsanwältin in Berlin und dem Gerichtsort in Bielefeld entge¬gen. Angesichts des Umstandes, dass die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 31.03.2006 neben umfangreichem Urkundenmaterial insgesamt 61 Zeugen benennt, ist hier gegen den nicht geständigen Angeschuldigten mit der Durchführung einer mehrtägigen Hauptverhandlung zu rechnen. Selbst wenn die Strafkammer täglich sechs Zeugen vernehmen wollte, würde allein für die Zeugen¬vernehmung ein Zeitraum von 10 Verhandlungstagen anfallen. Für jeden Hauptver¬handlungstermin würde die Fahrtstrecke der Wahlverteidigerin hin und zurück min¬destens 800 km betragen. Mit einem derart immensen Fahrtaufwand sind nach der Lebenserfahrung aber so viele Unwägbarkeiten bereits aufgrund der typischen Unsi¬cherheiten des Straßen- bzw. Schienenverkehrs verbunden, dass die erforderliche Verfahrenssicherung nicht mehr gewährleistet erscheint. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit dem vom Oberlandesgericht Zweibrücken (StV 2002, 238) entschiede¬nen vergleichbar, bei dem die Entfernung zwischen dem Kanzleisitz und dem Ge¬richtsort lediglich 238 km betrug und bei dem die Hauptverhandlung auch nur für einen Tag - möglicherweise einen weiteren Verlängerungstag - vorgesehen war. Damit gehen die Belastungen durch den von der Verteidigerin zu betreibenden Fahrtaufwand über die normalerweise mit der erforderlichen Terminsabsprache mit Verteidigern hinausgehenden Beeinträchtigungen der Terminsplanung des Gerichts hinaus. Ein früher Terminsbeginn etwa gegen 09.00 Uhr ließe sich nur realisieren, wenn die Wahlverteidigerin am Abend zuvor anreist und jeweils am Gerichtsort in einem Hotel übernachtet. Dem würde aber das durch die Regelung des § 142 Abs. 1 S. 1 StPO auch geschützte (vgl. OLG Zweibrücken, a.a.O.) Kosteninteresse des Staates zuwider laufen. Frau Rechtsanwältin L. könnte nämlich neben Fahrt¬kosten (lfd. Nr. 7003 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG) auch Tage- und Ab¬wesenheitsgelder und sonstige Auslagen (lfd. Nr. 7005 und 7006 des Vergütungs¬verzeichnisses) ersetzt verlangen, was zu einer erheblichen Zusatzbelastung für die öffentlichen Kassen führen würde, die nicht mehr hinnehmbar ist. Ein dem entgegenstehendes besonderes Vertrauensverhältnis des Angeschuldigten zu Rechtsanwältin L. ist bislang weder erkennbar noch dargetan. Die Durchfüh¬rung eines sechswöchigen Praktikums als Student dürfte nicht geeignet sein, ein be¬sonderes Vertrauensverhältnis im Hinblick auf die Strafverteidigung in einem um¬fangreichen Wirtschaftsstrafverfahren zu begründen. Im Übrigen hat der Angeschul¬digte konkret nichts vorgetragen, was ein solches Vertrauensverhältnis begründen könnte. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. |
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