Aktenzeichen: 1 RVs 8/17 OLG Hamm
Leitsatz: Eine dem Angeklagten anlässlich einer früheren Verurteilung gemäß § 56c Abs. 1 StGB erteilte und auch nicht nachträglich konkretisierte Weisung, innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft des Urteils mit einer Sexualtherapie zu beginnen, entspricht nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz und ist daher unzulässig. Es begegnet daher durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn bei einer erneuten Verurteilung des Angeklagten zu seinen Lasten berücksichtigt wird, dass er dieser Weisung nur schleppend bzw. nicht unverzüglich nachgekommen ist.
Senat: 1
Gegenstand: Revision
Stichworte: Strafzumessung; straferschwerende Berücksichtigung des Verstoßes gegen eine unzulässige Bewährungsweisung
Normen: StGB 46; StGB 56c
Beschluss:
Strafsache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.02.2017 beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
I.
1. Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten am 13.06.2016 wegen Verbreitens kinderpornographischer Medien in vier Fällen sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Medien zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten, die nachträglich auf das Strafmaß beschränkt wurde (wobei später die Nichtanordnung einer Unterbringung in der Psychiatrie gemäß § 63 StGB von dem Berufungsangriff ausgenommen wurde), hat das Landgericht mit Urteil vom 22.09.2016 verworfen. Für die vier Fälle des Verbreitens kinderpornographischer Medien hat das Landgericht jeweils Einzelstrafen von sechs Monaten und hinsichtlich des Besitzes kinderpornographischer Medien eine Einzelstrafe von einem Jahr und vier Monaten verhängt.
Nach den vom Landgericht als bindend angesehenen Feststellungen des Amtsgerichts Dortmund vom 13.06.2016 machte der Angeklagte bei vier Gelegenheiten im September 2015 über die Internet-Tauschbörse # ##### #### kinderpornographische Videodateien auch anderen interessierten Internetteilnehmern über seinen Computer zugänglich, indem er diese Dateien auf seinen Rechner herunterlud. Bei einer am 23.09.2015 erfolgten polizeilichen Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten wurde insbesondere eine externe Festplatte aufgefunden, auf der insgesamt 29.993 kinderpornographische Bilddateien sowie 4.053 kinderpornographische Videodateien gespeichert worden waren.
Bereits zuvor, nämlich am 12.02.2015 (rechtskräftig seit dem 20.02.2015) hatte das Amtsgericht Dortmund gegen den Angeklagten wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften in sechs Fällen (jeweils geahndet mit Einzelstrafen von drei Monaten) und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften (geahndet mit einer Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten) eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem Angeklagten wurden eine Zahlungsauflage sowie - so die Feststellungen des Landgerichts - die Weisung erteilt, innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft des Urteils mit einer Sexualtherapie zu beginnen. Der Verurteilung wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften lag zugrunde, dass der Angeklagte auf Speichermedien mehr als 114.000 ungelöschte kinderpornographische Bilddateien und mehr als 2.339 ungelöschte kinderpornographische Videodateien gespeichert hatte. Gelöscht worden waren mehr als 63.000 kinderpornographische Bilddateien und mehr als 2.300 kinderpornographische Videodateien.
Aus den Feststellungen des Landgerichts ergibt sich zudem, dass sich - von den Ermittlungsbehörden anscheinend unbemerkt - die vorgenannte externe Festplatte bereits im Zeitpunkt der Verurteilung vom 12.02.2015 im Besitz des Angeklagten befunden hatte und dort damals bereits 29.389 kinderpornographische Bilddateien und 3.677 kinderpornographische Videodateien gespeichert worden waren; nach der Verurteilung vom 12.02.2015 kamen bis zum 18.09.2015 noch insgesamt 604 kinderpornographische Bilddateien und 376 kinderpornographische Videodateien hinzu.
2. Gegen das Urteil des Landgerichts wendet sich der Angeklagte mit der auf den Rechtsfolgenausspruch mit Ausnahme der Nichtanordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB beschränkten Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch (zu der Nichtanordnung der Unterbringung nachfolgend Ziff. III.2.) beschränkte Revision des Angeklagten ist zulässig und hat - zumindest vorläufig - Erfolg. Im Umfang der Aufhebung war die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen.
1. Zwar beschwert es den Angeklagten nicht, dass das Landgericht hinsichtlich des Besitzes kinderpornographischer Dateien ersichtlich den im Höchstmaß milderen Strafrahmen des § 184 b Abs. 4 S. 2 StGB in der bis zum 26.01.2015 geltenden Fassung statt der seither - gemäß § 2 Abs. 2 StGB auch für den bereits zuvor erlangten Besitz - maßgeblichen Neufassung des § 184 Abs. 3 StGB angewandt hat.
Auch begegnet es entgegen dem Revisionsvorbringen keinen rechtlichen Bedenken, dass die Strafkammer, die sich der Bedeutung des Alters des Angeklagten und seiner bis zur Verurteilung vom 12.02.2015 gegebenen Straflosigkeit für die Strafzumessung erkennbar bewusst war, zu dem Ergebnis gelangt ist, dass Umstände für eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nicht ersichtlich sind. Eine hiergegen gerichtete Aufklärungsrüge ist nicht erhoben. Besonderheiten, die diese Bewertung schon aus sachlich-rechtlichen Gründen als unzureichend erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, NStZ 2007, 328 m.w.N.).
Schließlich stellt - worauf bereits die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 13.01.2017 zutreffend hingewiesen hat - die Überlegung des Landgerichts, dass auch im Falle der Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht gekommen wäre, keine unzulässige hypothetische Strafzumessungserwägung dar (hierzu vgl. Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, 59. Aufl., § 337 Rdn. 35 m.w.N.). Ohnehin würde eine unzulässige Hilfserwägung den Strafausspruch nur gefährden, wenn das Revisionsgericht im Gegensatz zu der rechtlichen Beurteilung des Tatrichters die Sach- oder Rechtslage für gegeben hält, für die diese Hilfserwägung gelten soll (vgl. BGHSt 7, 359, BeckRS 9998, 121411).
2. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält der rechtlichen Nachprüfung jedoch insofern nicht stand, als die Kammer bei der Bemessung sämtlicher Einzelstrafen nicht nur - rechtsfehlerfrei - berücksichtigt hat, dass der Angeklagte schon kurz nach der einschlägigen Verurteilung vom 12.02.2015 und der damals gewährten Strafaussetzung zur Bewährung erneut straffällig geworden ist, sondern sie überdies auf die dem Angeklagten in diesem Zusammenhang erteilte Therapieweisung abgestellt hat.
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte am 20.05.2015 einen Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie mit der vergeblichen Bitte um eine entsprechende Therapie kontaktiert und sich dann erst wieder am 11.01.2016 - erfolglos - an eine therapeutische Einrichtung in Bochum sowie am 01.02.2016 an eine Einrichtung in Dortmund gewandt hat, wo er vom 24.06.2016 bis zum 22.09.2016 sieben Einzelgespräche absolviert hat.
Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer hierzu ausgeführt, dass sie in allen Fällen zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass dieser sich sowohl um eine therapeutische Aufarbeitung als auch um Erledigung der Zahlungsauflage aus der Verurteilung erster Instanz bemüht hat, wenngleich beides eher schleppend erfolgt ist. Zu Lasten des Angeklagten ist unter anderem gewertet worden, dass er sich die zur Bewährung ausgesetzte Strafe nicht ausreichend zur Warnung hat dienen lassen, obwohl ihm unmissverständlich klar gemacht worden war, dass er unverzüglich und nachdrücklich gegen seine Neigung, Kinderpornographie zu konsumieren, vorzugehen hat.
Sowohl die die strafmildernde Wirkung der therapeutischen Bemühungen des Angeklagten relativierende Einschätzung, dass diese eher schleppend erfolgt sind, als auch die strafschärfende Überlegung, dass dem Angeklagten bei seiner Verurteilung vom 12.02.2015 unmissverständlich klar gemacht worden sei, dass er unverzüglich und nachdrücklich gegen seine Neigung vorzugehen habe, Kinderpornographie zu konsumieren, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die gemäß § 56c Abs. 1 StGB erteilte und auch nicht nachträglich (§ 56e StGB) konkretisierte Weisung, innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft des Urteils mit einer Sexualtherapie zu beginnen, entspricht nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz und ist daher unzulässig. Bewährungsweisungen müssen klar, bestimmt und in ihrer Einhaltung überprüfbar sein, wobei die inhaltliche, dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechende Ausgestaltung von Auflagen und Weisungen ausschließlich dem Gericht obliegt. Deshalb darf sich das Gericht grundsätzlich nicht darauf beschränken, nur die - hier zudem nicht ausdrücklich bestimmte - Art einer abzuleistenden Therapie (ambulant oder stationär) und deren Beginn festzulegen. Vielmehr bedarf es insbesondere bei einer ambulanten Therapie zumindest hinsichtlich der Bestimmung der Therapieeinrichtung sowie der Art und Häufigkeit der wahrzunehmenden Termine einer näheren Ausgestaltung der Weisung durch das Gericht (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2003, 199; OLG Rostock, Beschluss vom 06.12.2011 - I Ws 373/11 -, jew. m.w.N., zit. n. juris; allg. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 56c Rn. 2).
Da die dem Angeklagten erteilte Weisung diesen Anforderungen ersichtlich nicht genügt, durfte ihm vorliegend auch nicht angelastet werden, dass er ihr nur schleppend bzw. nicht unverzüglich nachgekommen ist. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Kammer bei rechtsfehlerfreier Bewertung dieses Umstands geringere Einzelstrafen verhängt hätte.
3. Die daher gebotene Aufhebung der Einzelstrafaussprüche zieht die Aufhebung auch des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Somit war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den hierzu getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache insofern zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision zu befinden hat.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgende Aspekte hin:
1. Bei der Strafzumessung hinsichtlich des Besitzes kinderpornographischer Dateien wird die Kammer auch abzuwägen haben, dass lediglich ein Bruchteil der am 23.09.2015 auf der externen Festplatte des Angeklagten befindlichen kinderpornographischen Bilddateien (604 von 29.993 Dateien) und Videodateien (376 von 4.053 Dateien) nach der Verurteilung vom 12.02.2015 in seinen Besitz gelangt sind, bei welcher der Besitz von mehr als 114.000 ungelöschten (bei mehr als 63.000 gelöschten) kinderpornographischen Bilddateien und mehr als 2.339 ungelöschten (bei mehr als 2.300 gelöschten) kinderpornographischen Videodateien mit einer Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten geahndet worden ist.
Trotz des Bewährungsversagens des Angeklagten sowie des im Höchstmaß erhöhten Strafrahmens des § 184 Abs. 3 StGB n.F. - wobei den vor dieser Gesetzesänderung liegenden Teilakten des Dauerdelikts nur das Gewicht beigemessen werden darf, dass ihnen bereits früher zukam (vgl. BayObLG, NJW 1996, 1422 m.w.N.) - erscheint es dem Senat nicht ohne weiteres angemessen und schon rechtlich bedenklich, die zum ganz überwiegenden Teil bloße Aufrechterhaltung des im Zeitpunkt des Urteils vom 12.02.2015 bereits erlangten Besitzes von 29.389 kinderpornographischen Bilddateien und 3.677 kinderpornographischen Videodateien mit einer im Verhältnis zur vorgenannten Einzelstrafe nur um zwei Monate milderen Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten zu belegen. Denn zum einen hätte die Aburteilung auch dieses Besitzes bereits am 12.02.2015 mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer im Verhältnis hierzu lediglich geringfügigen Erhöhung der diesbezüglichen Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten geführt. Zum anderen ist zu bedenken, dass der Angeklagte nicht dazu verpflichtet war, die Dateien den Ermittlungsbehörden im Rahmen des ersten Strafverfahrens auszuhändigen und sich so selbst zu belasten, und dass z.B. eine nur unzulängliche Löschung dieser Dateien nicht ohne weiteres zu einer Beendigung des strafbaren Besitzes geführt und ein unsachgemäßes Wegwerfen des Datenträgers sogar das Risiko einer Strafbarkeit wegen des Verbreitens kinderpornographischer Medien (§ 184a Abs. 1 Nr. 1 StGB) begründet hätte (vgl. Ziemann/Ziethen, JR 2011, 65; Schroeder, ZIS 2007, 444, 449, jew. m.w.N.). Auch wenn eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB hier schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil der vorliegend abgeurteilte Besitz im Zeitpunkt der Verurteilung vom 12.02.2015 noch nicht beendet gewesen ist (vgl. Fischer, a.a.O., § 55 Rn. 7), wird die neu entscheidende Strafkammer daher besonders zu beachten haben, dass - bezogen auf den vorliegend sowie den am 12.02.2015 abgeurteilten Besitz - das Gesamtstrafübel den Schuldgehalt der diesbezüglichen Taten insgesamt nicht übersteigt (ähnl. BGH, NJW 1997, 750, zu einer wegen der Zäsurwirkung einer früheren Verurteilung nicht gesamtstrafenfähigen Einzelstrafe).
2. Für den Fall, dass das Gericht bei der gebotenen Aufklärung der für die Entscheidung bedeutsamen Tatsachen (§ 244 Abs. 2 StPO) in der neuen Hauptverhandlung ergänzende Erkenntnisse etwa zu der Tatmotivation des Angeklagten gewinnen kann und sich hierbei konkrete Anhaltspunkte für dessen verminderte Schuldfähigkeit ergeben - neue Feststellungen hierzu sind wegen der Aufhebung des angefochtenen Urteils im Strafausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen veranlasst (vgl. Gericke in: KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rdn. 29 m.w.N.) -, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass das Gericht angesichts des dann möglicherweise nicht auszuschließenden engen Zusammenhangs von verminderter Schuldfähigkeit, Strafausspruch und einer Maßregel nach § 63 StGB trotz der Ausnahme der Nichtanwendung dieser Maßregel von den Rechtsmittelangriffen des Angeklagten nicht an der Prüfung einer - wenn auch nach Auffassung des Senats derzeit wenig naheliegenden - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehindert wäre (vgl. Paul in: KK-StPO, a.a.O., § 331 Rn. 8f.; Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 331 Rdn. 21, § 328 Rn. 9 (zur gerichtlichen Zuständigkeit), m.w.N.).
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