Aktenzeichen: 1 VAs 64-66/05 OLG Hamm |
Gericht: |
Leitsatz: Ein Therapieversagen in der Vergangenheit schließt eine erneute Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG nicht grundsätzlich aus. |
Senat: 1 |
Fundstelle: |
Gegenstand: Justizverwaltungssache |
Stichworte: Therapieabbruch; neue Therapie |
Normen: BtmG 35 |
Anmerkung: -nichts- |
Beschluss: 1 VAs 64 - 66/05 OLG Hamm Justizverwaltungssache betreffend M.H. wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, hier: Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG). Auf den Antrag des Betroffenen vom 4. Oktober 2005 auf gerichtliche Entschei¬dung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen die Bescheide der Staatsanwaltschaft Köln vom 25. April und 4. Mai 2005 in der Form der Beschwerdebescheide des General¬staatsanwalts in Köln vom 25. August und 1. September 2005 hat der 1. Strafsenat des Ober¬landesgerichts Hamm am 23. 11. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm beschlossen: Die angefochtenen Entscheidungen werden aufgehoben. Der Zurückstellung der Strafvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 7. November 2002 zur Durchführung einer Drogenentwöhnungs¬therapie wird zu¬gestimmt. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Behandlung und Entscheidung an die Staatsanwaltschaft Köln zurückverwiesen. Der Geschäftswert wird auf 2.500,- festgesetzt. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen. Gründe: I. Der bereits mehrfach vorbestrafte - er verbrachte bereits vor der vorliegenden Ver¬urteilung 14 Jahre in Strafhaft - Antragsteller ist durch Urteil des Landgerichts Köln vom 7. November 2002 wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Darüber hinaus wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten beruhten - ebenso wie seine Vorstrafen - auf der Drogenabhängigkeit des Betroffenen. Nach den Urteilsfeststellungen konsumiert der Antragsteller bereits seit seiner frühen Jugend Betäubungsmittel. Im Alter von 13 Jahren begann er zunächst Haschisch zu rauchen, später Heroin. In der Folgezeit spritzte er sowohl Kokain als auch Heroin. Bis 1998 unternahm er insgesamt vier oder fünf Entgiftungen, ohne dass er den Heroinkonsum dauerhaft beenden konnte. Hintergrund der vorliegenden Verurteilung war, dass der Antragsteller gemeinsam mit einem Mittäter auf der Suche nach Betäubungsmitteln die Zeugen S. und Z., die nach ihrer Kenntnis im Besitz von Betäubungsmitteln waren, mit Gewalt und mit Drohung mit Gewalt veranlassten, ihnen den Aufbewahrungsort von in ihrem Besitz befindlichen Betäubungsmitteln mitzuteilen, worauf sie diese an sich nahmen. Im Rahmen der Maßregel nach § 64 StGB befand sich der Antragsteller vom 07. Februar 2003 bis zum 14. Januar 2004 in der Maßregelklinik Schloß Haldem. Er wurde so¬dann in das Westfälische Therapiezentrum Marsberg "Bilstein" verlegt, weil es zu Konflikten mit Mitpatienten kam. Mit Schreiben vom 3. Mai 2004 regte die Klinik an, die Maßnahme für erledigt zu erklären, weil es dem Antragsteller aufgrund seiner paranoiden Grundeinstellung nicht gelinge, die angebotenen Rahmenbedingungen und Therapieinhalte zu akzeptieren und sich wichtigen Problemen zuzuwenden. Die weitere Therapie sei daher sinnlos. Mit Beschluss vom 17. Mai 2004 hat daraufhin die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg beschlossen, die ange¬ordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei gemäß § 67 d Abs. 5 StGB nicht weiter zu vollziehen. Der Antragsteller befand sich daraufhin seit dem 21. Juni 2004 in Strafhaft. Mit Schreiben vom 16. März 2005 hat der Betroffene beantragt, die weitere Voll¬streckung der Strafe gemäß § 35 BtMG zur Absolvierung einer Drogenent¬wöhnungstherapie in der Einrichtung "Quellwasser" zurückzustellen. Mit Beschluss vom 11. April 2005 hat das Landgericht Köln die Zustimmung zur Zurückstellung der weiteren Voll¬streckung der Freiheitsstrafe versagt. Zur Begründung hat das Landgericht Köln ausgeführt, die Zurückstellung könne unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allge¬meinheit nicht verantwortet werden, da angesichts der von der Maßregelvollzugsan¬stalt bescheinigten Persönlichkeitsstörung des Verur¬teilten mit hoher Wahrschein¬lichkeit davon auszugehen sei, dass er auch eine freiwillige Therapie nicht durch¬stehe und erneut schwerste Gewalttaten begehen werde. Eine Beschwerde gegen den Beschluss wurde seitens der Staatsanwaltschaft nicht eingelegt, da nach ihrer Auffassung die Begründung des Landgerichts Köln nachvollziehbar sei. Mit Verfü¬gung vom 25. April 2005 hat die Staatsanwaltschaft Köln daher den Antrag auf Zu¬rückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG abgelehnt, da die erforderliche Zustimmung des Gerichts im vorliegenden Verfahren nicht erteilt worden sei. Gegen die Ablehnung der Zurückstellung der Strafvollstreckung durch die Staatsan¬waltschaft Köln hat der Betroffene unter dem 13. Juli 2005 Beschwerde eingelegt. In zwei weiteren Verfahren (188 AR 52/05 StA Köln und 188 AR 53/05 StA Köln) hatte das Amtsgericht Köln die Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG gegeben. Mit Bescheid vom 4. Mai 2005 hat die Staatsanwalt¬schaft Köln die Zurückstellung der Strafvollstreckung in diesen Verfahren abgelehnt, da dem die zu verbüßende Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 5. November 2002 gemäß § 35 Abs. 6 BtMG entgegenstehe. Auch gegen diese Verfügung hat der Be¬troffene unter dem 13. Juli 2005 Beschwerde eingelegt. Mit Entschließung vom 25. August 2005 hat der Generalstaatsanwalt in Köln in dem Verfahren 188 AR 51/05 die Einwendungen des Betroffenen gegen die Ablehnung der Zurückstellung durch die Staatsanwaltschaft Köln zurückgewiesen. Er hat in seiner Entscheidung darauf hin¬gewiesen, dass es wegen der fehlenden Zustimmung des Gerichts bereits an einer gesetzlichen Voraussetzung für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung fehle. Die Beschwerden in den Verfahren 188 AR 52/05 und 188 AR 53/05 hat der General¬staatsanwalt in Köln mit Bescheid vom 1. September 2005 ebenfalls zurückgewie¬sen. Gegen den dem Betroffenen am 1. September 2005 zugestellten Bescheid des Ge¬neralstaatsanwalts in Köln vom 25. August 2005 richtet sich der am 4. Oktober 2005 eingegangene Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entschei¬dung vom selben Tag, mit dem er sich sowohl gegen die Verweigerung der Zustimmung zur Zurück¬stellung durch das Landgericht Köln als auch die ablehnenden Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde wendet. Er bezieht sich in seinem Antrag auf eine Stellung¬nahme der Bewährungshelferin vom 21. April 2005 an die Staatsanwaltschaft Köln. Die Bewährungshelferin führt in diesem Schreiben aus, der Antragsteller sei in per¬sönlichen Gesprächen und Briefen in deutlichem Maße an einer Auseinandersetzung mit seiner Person interessiert. Er lege sehr viel Wert auf ihre Reflexion und kritische Interventionen. Auch das mache sein Interesse an einer Therapie deutlich. Ein the¬rapieresistenter Mensch sei hierzu nicht in der Lage. Im Übrigen kenne sie den An¬tragsteller seit 20 Jahren und habe ihn - mit Unterbrechungen - sein ganzes Leben begleitet. Nach ihrem Da¬fürhalten sollte der Antragsteller die Chance zur Therapie erhalten. Weiterhin wird Bezug genommen auf eine Stellungnahme des Sozialdienstes der Justizvollzugsan¬stalt Köln vom 18. April 2005. Danach hat sich der Antragsteller bereits zu Beginn seiner Inhaftierung sehr intensiv um die Betreuung durch eine externe Drogenbera¬tungsstelle bemüht. Er habe hierfür mehrfach schriftlichen Kontakt zur Drogenhilfe Köln e.V. bzw. zum Sozialdienst Katholischer Männer e.V. aufgenommen. Seit dem 6. September 2004 werde er vom SKM Köln in regel¬mäßigen Einzelgesprächen auf eine stationäre Therapie vorbereitet. Weiterhin habe er sich für das "Soziale Training" mit dem Schwerpunkt "Therapievorbereitung für Drogenabhängige" in der Justizvollzugsanstalt beworben. Das zeige seine große Bereit¬schaft, sich weiterhin mit seinem Drogenproblem auseinanderzusetzen. Der Sozial¬dienst ist der Auffassung, dass der Antragsteller gute Chancen habe, drogen- und somit straffrei zu leben, wenn er weiterhin bereit sei, sich mit seiner Sucht so intensiv auseinanderzusetzen wie bisher, und er sich nochmals einer therapeu¬tischen Lang¬zeittherapie mit anschließender qualifizierter Adaption unterziehe. Deshalb sollte man ihm diese Chance jetzt, da er genügend motiviert und bereit sei, diese schwie¬rige Phase seines Lebens zu absolvieren, nicht seitens der Justiz verbauen. Darüber hinaus wird der Antragsteller seitens der Drogenberatung des Sozialdienstes Katholischer Männer e.V. Köln innerhalb der Justizvollzugsanstalt Köln seit September 2004 in regelmäßigen Einzelgesprächen auf die Drogenbe¬ratung vorbe¬reitet. Ihm wird im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer Therapie bescheinigt, dass er die "notwendige Haltung zur Veränderung seiner Lebenslage mitbringe". Er habe seine Persönlichkeit und seine charakterliche Einstellung zu seiner Vergangenheit wesentlich verändert. Ihm wird eine günstige Prognose für den Abschluss der medizinischen Rehabilitation gestellt. II. Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 35 Abs. 2 BtMG statthaft, soweit er sich sowohl gegen die ablehnenden staatsanwaltschaftli¬chen Verfügungen als auch gegen die Ablehnung der Zustimmung zur Zurückstel¬lung durch das Landgericht Köln richtet. Aufgrund der zugleich erfolgten Anfechtung der Zustimmungsverweigerung durch den Betroffenen nach § 35 Abs. 2 S. 2 BtMG war bereits die Verweigerung der Zu¬stimmung durch das Landgericht Köln aufzuheben. Unter Abwägung aller für und gegen den Betroffenen sprechenden Umstände erscheint die Verweigerung der Zu¬stimmung ermessensfehlerhaft. Die dafür vom Landgericht vorgetragenen Gründe rechtfertigen die getroffene Entscheidung nicht. Der Senat verkennt nicht, dass der Betroffene hochgradig drogenabhängig ist und - wie eingangs dargestellt - die Therapiemaßnahmen der Maßregelanordnung ge¬mäß § 64 StGB nicht erfolgreich abgeschlossen hat. Gleichwohl sprechen auch gewichtige Umstände dafür, dass der jetzige Therapie¬wunsch des Betroffenen echt ist und nunmehr eine vernünftige Chance für den Erfolg einer Behandlung besteht. Die gescheiterten Therapieversuche in der Vergangenheit rechtfertigen nicht zwingend die Schlussfolgerung, weitere Therapieversuche ver¬sprächen keinen hinreichenden Erfolg. Das Therapieversagen in der Vergangenheit schließt eine erneute Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG nicht aus. Vielmehr kann die Zurückstellung der Strafvollstreckung gerade auch dann in Betracht kommen, wenn dem Verurteilten aufgrund von gescheiterten Therapien keine uneingeschränkt günstige Prognose gestellt werden kann. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass es ein wesentlicher Grundgedanke des heutigen Betäu¬bungsmittelrechts ist, drogenabhängige Straftäter nach Möglichkeit durch Therapie zu resozialisieren. Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass in der Regel auch mehrere Therapieversuche erforderlich sind, um einen Therapieerfolg zu erzielen. Deshalb kann die wiederholte Zurückstellung gemäß § 35 BtMG auch nach ge¬scheiterten Therapieversuchen dann erneut gewährt werden, wenn sich der Täter therapiewillig zeigt und die übrigen dafür erforderlichen Voraussetzungen vorliegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. April 2001 - 1 VAs 10/01 - und vom 14. Juli 2005 - 1 VAs 19/05 -). Der Weg aus der Sucht verläuft niemals geradlinig nach einem festen Therapieplan, sondern ist ein langes prozesshaftes Geschehen, in dem es darum geht, Rückfälle therapeutisch zu verarbeiten, drogen¬freie Intervalle zu vergrößern und Erfolge in kleinen Schritten anzustreben (vgl. Körner, BtMG, 5. Aufl., § 35 BtMG Rdnr. 125). Von wesentlicher Bedeutung ist, ob der Antragsteller derzeit erneut therapiewillig ist. Dies kann aber nicht allein im Hin¬blick auf Therapieabbrüche verneint werden. Maßgeblich ist vorliegend zu berück¬sichtigen, dass die den Be¬troffenen begleitenden fachlich geschulten Mitarbeiter des Sozialdienstes der Justizvollzugsanstalt Köln, des Sozialdienstes Katholischer Män¬ner e.V. sowie die Bewährungshelferin dem Betroffenen aufgrund nachvollziehbarer Erwägungen in ihren Stellungnahmen eine echte Therapiewilligkeit und -bereitschaft bescheinigen. Diese befürwortenden Stellungnahmen lagen dem Landgericht Köln im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht vor. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Strafkammer des Landgerichts Köln seit der Hauptverhandlung im Jahre 2002 mit dem Betroffenen im Gegensatz zu seinen Betreuern keinen persönlichen Kontakt mehr hatte. Der Senat übersieht dabei nicht, dass trotz der po¬sitiven Stellungnahmen ein Restrisiko verbleibt. Er geht jedoch davon aus, dass der Betroffene weiß, dass ein neuer Therapieversuch wohl für ihn die letzte Chance sein dürfte. Diese Erwä¬gungen haben den Senat dazu veranlasst, die ablehnende Verfü¬gung des Land¬gerichts aufzuheben und die Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung auszusprechen. Da somit die Begründung, mit der die Strafvollstreckungsbehörden die Zurück¬stellung der Strafvollstreckung abgelehnt haben, hinfällig ist, waren auch deren Entscheidungen aufzuheben. Der Senat hat davon abgesehen, die abschließende Entscheidung über die Zurück¬stellung der Strafvollstreckung selbst zu treffen, da nach der Mitteilung des Verteidigers im Schriftsatz vom 3. November 2005 derzeit ein Therapieplatz nicht zur Verfü¬gung steht. Es lag lediglich ein Aufnahmetermin in der Fachklinik "Quellwasser" für den 16. November 2005 vor. Insoweit fehlt es derzeit an einer Voraussetzung für die Zurückstellung der Strafvollstreckung. Über die Zurückstellung der Strafvollstreckung hat daher die Vollstreckungsbehörde nach Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Sache war daher an die Staatsanwaltschaft Köln zurückzuverweisen. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO. |
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