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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 RVs 127/17 OLG Hamm

Leitsatz: Die unberechtigte Verweigerung des Zeugnisses kann zur Strafbarkeit wegen Strafvereitelung durch Unterlassen (§13 StGB) führen, weil der Zeuge in dieser Eigenschaft Garant für die staatliche Strafrechtspflege ist, was aus seiner besonderen strafprozessualen Pflichtenstellung folgt.

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Strafvereitelung, Zeuge, unberechtigte Zeugnisverweigerung

Normen: StGB 13

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.11.2017 beschlossen:


Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).

Gründe
I.
Das Amtsgericht Coesfeld hat gegen den Angeklagten wegen Strafvereitelung eine Freiheitsstrafe von vier Monaten verhängt. Seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Münster mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Coesfeld gegen X in der dortigen Hauptverhandlung vom 03.09.2015 als Zeuge vernommen. X wurde seinerzeit vorgeworfen, zusammen mit dem Angeklagten eine Cannabis-Indoorplantage betrieben zu haben. Der Angeklagte war bereits Ende 2014 wegen dieser Tat rechtskräftig verurteilt worden. Im Rahmen seiner Zeugenaussage gab der Angeklagte nach Belehrung über seine Rechte und Pflichten an, dass nicht X, sondern ein anderer Mittäter zusammen mit ihm (dem Angeklagten) die Plantage betrieben habe. Die Mitteilung des Namens dieses Mittäters verweigerte der Angeklagte aus angeblicher Angst vor Repressalien gegen sich und seine Familie. Auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berief sich der Angeklagte seinerzeit nicht. X wurde schließlich freigesprochen. Eine Strafverfolgung gegen den unbekannten Mittäter konnte bisher – was dem Angeklagten bewusst war – nicht eingeleitet werden. Weder im Nachgang zum Strafverfahren gegen X noch in dem hiesigen Verfahren hat der Angeklagte den Namen des Mittäters preisgegeben. Dass der Angeklagte oder seine Familie tatsächlich Bedrohungen seitens des unbekannten Mittäters ausgesetzt gewesen seien, verneinte das Landgericht. Rechtlich wertete das Landgericht das Verhalten des Angeklagten als Strafvereitelung durch Unterlassen. Den Angeklagten habe als Zeuge in dem Verfahren gegen X eine Garantenstellung für die staatliche Strafrechtspflege getroffen.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Er meint, er sei als Zeuge nicht Garant für die staatliche Strafrechtspflege gewesen. Auch hält er die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe für rechtsfehlerhaft.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Rechtsmittels gem. § 349 Abs. 2 StPO beantragt.

II.
Die zulässige Revision des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist offensichtlich unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

Näherer Erörterung bedarf nur die Frage, ob den Angeklagten eine die Unterlassensstrafbarkeit begründende Garantenstellung traf.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die unberechtigte Verweigerung des Zeugnisses zur Strafbarkeit wegen Strafvereitelung durch Unterlassen (§ 13 StGB) führen kann, weil der Zeuge in dieser Eigenschaft Garant für die staatliche Strafrechtspflege ist, was aus seiner besonderen strafprozessualen Pflichtenstellung folge (OLG Köln, Beschl. v. 11.12.2009 – 2 Ws 588/09 – juris; vgl. auch: OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.04.1998 – 3 Ss 117/98 – juris; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 13.01.1993 – 1 Ss 214/92 – juris; ebenso u.a. auch: Altenhain NK, 4. Aufl., § 258 Rdn. 46; Schönke/Schröder/Stree/Hecker StGB, 29. Aufl., § 258 Rdn. 17; Hoyer in SK-StGB, 8. Aufl., § 258 Rdn. 32; Walter in: LK-StGB, 12. Aufl., § 258 Rdn. 104; Klein StV 2006, 338, 339; Weidemann JA 2008, 532, 533).

Die Gegenauffassung verneint eine solche Garantenpflicht. Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Unterlassens sei nach § 13 StGB eine Garantenpflicht, die sich konkret auf das Rechtsgut der Strafvereitelung beziehen müsse und dieses Rechtsgut sei die staatliche Strafrechtspflege. Eine Garantenpflicht könne daher nur solche Personen treffen, denen das Recht die Aufgabe zuweise, an der Strafver-folgung konkret mitzuwirken und in irgendeiner Weise dazu beizutragen, dass Straftäter einer Sanktion zugeführt werden. Die Pflicht zur (wahrheitsgemäßen) Aussage folge aber (nur) aus einer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht. Durch die Aussagepflicht solle in erster Linie ermöglicht werden, grundsätzlich in gerichtlichen Verfahren Beweis über Tatsachen erheben zu können. Ansonsten würde der Bürger aufgrund seiner (zufälligen) Stellung als Zeuge im Strafverfahren gleichermaßen in die strafrechtliche Verantwortung genommen, wie ein von Gesetzes wegen zur Strafverfolgung ausdrücklich Berufener (LG Itzehoe, Beschl. v. 20.07.2009 – 1 Qs 27/09 – juris; Deutscher jurisPR-StrafR 13/2010 Anm. 1; vgl. auch Cramer MK-StGB, 3. Aufl., § 258 Rdn. 22; Reichling/Döring StraFo 2011, 82, 84). Die Zeugenpflichten sollten nicht allein sanktionierende, sondern ganz generell richtige Entscheidungen absichern helfen. Sie dienten also ganz allgemein der prozessförmigen Ermittlung des Sachverhalts. Im Zivilprozess sei anerkannt, dass den (teilweise) schweigenden Zeugen gerade keine Garantenpflicht zugunsten der davon in ihrem Vermögen betroffenen Partei treffe (Popp JR 2014, 418, 419). Insbesondere sei der Zeuge nicht vergleichbar einem Sonderverantwortlichen, wie etwa einem Polizisten oder Staatsanwalt. Eine besondere Verantwortung für die Strafverfolgung habe er zu keiner Zeit selbst gewählt oder übernommen. Eine besondere Pflichtenstellung liege nur in der allgemeinen Pflicht zur Kooperation. Auch bedürfe es einer strafrechtlichen Sanktionierung des Zeugen in solchen Fällen nicht. Es genüge das Instrumentarium des § 70 StPO (Popp a.a.O. S. 423 f.).

Der Senat teilt die oben geschilderte obergerichtliche Auffassung. Für die Abwen-dung des Vereitelungserfolgs muss einstehen, wer von Rechts wegen dazu berufen ist, an der Strafverfolgung mitzuwirken, also in irgendeiner Weise dafür zu sorgen oder dazu beizutragen, dass Straftäter nach Maßgabe des geltenden Rechts ihrer Bestrafung oder sonstigen strafrechtlichen Maßnahmen zugeführt werden (BGH, Urt. v. 30.04.1997 – 2 StR 670/96 – juris = BGHSt 43, 82). Das ist bei einem Zeugen, der sich – wie hier – nicht auf gesetzliche Zeugnis – oder Auskunftsverweigerungsrechte oder eine Notstandssituation berufen kann, der Fall. Zwar befinden sich Zeugen nicht in einer institutionellen Stellung als Garant (wie etwa ein Staatsanwalt oder seine Hilfspersonen) und ihnen ist eine Verantwortung für die Sanktionierung von Rechts-brechern auch nicht durch eine ausdrückliche Gesetzesvorschrift übertragen. Der Zeuge ist aber gleichwohl nicht bloße Privatperson, die eine solche Garantenstellung nicht trifft (vgl. Schönke/Schröder/Stree/Hecker StGB, 29. Aufl., § 258 Rdn. 17). Der Zeuge ist vielmehr einerseits verpflichtet, überhaupt eine Aussage zu machen, wenn kein gesetzlicher Weigerungsgrund vorliegt (§ 70 StPO). Darüber hinaus ist er auch verpflichtet, seine Angaben wahrheitsgemäß und vollständig auszusagen (vgl. §§ 153 ff. StGB). Die Pflicht zur (wahrheitsgemäßen) Aussage beinhaltet also in dem Fall, dass der Zeuge Belastendes bekunden kann, automatisch die Pflicht, (im Rahmen seiner Zeugenstellung) an der Sanktionierung des Angeklagten mitzuwirken (vgl. LG Ravensburg, Beschl. v. 19.11.2007 – 2 Qs 194/07 – juris). Genauso trifft den Zeugen, der Entlastendes bekunden kann, damit automatisch die Pflicht, zu der Entlastung des Angeklagten und mithin zu einer milderen Bestrafung bzw. zu dessen Straffreiheit beizutragen. Die Materie des pflichtwidrig nicht aussagenden Zeugen ist auch nicht abschließend in § 70 StPO geregelt. Dieser hat keine Sperrwirkung (Altenhain NK, 4. Aufl., § 258 Rdn. 46; Schönke/Schröder/Stree/Hecker a.a.O.). Vielmehr geht es in § 70 StPO um die Erzwingung der Aussage- und Eidespflicht (Maier in: MK-StPO, 2014, § 70 Rdn. 1), also letztlich um ein Druckmittel, die Aussage doch noch herbeizuführen. Bei § 258 StGB geht es hingegen um die repressive Ahndung eines eingetretenen Vereitelungserfolgs (Hecker JuS 2010, 549, 551).

Im vorliegenden Fall liegt nach Auffassung des Senats neben der gesetzlich begründeten Garantenstellung allerdings auch eine Garantenstellung aus der tatsächlichen Herbeiführung einer Gefahrenlage (Ingerenz) vor. Wer durch sein Verhalten die nahe Gefahr des Eintritts eines strafrechtlich missbilligen Erfolges herbeiführt, ist rechtlich gehalten, den Eintritt dieses Erfolges zu verhindern. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde im Hinblick hierauf sogar eine Unterlassenstrafbarkeit (im konkreten Fall wegen Begünstigung) durch Unterlassen der Offenbarung von Zeugenwissen auch ungefragt für möglich gehalten (BGH MDR 1956, 271). Durch die erstmalige Angabe in der Hauptverhandlung, es habe zwar einen Mittäter gegeben, dieses sei aber nicht der dortige Angeklagte X sondern ein Dritter, bei gleichzeitiger Weigerung, diesen zu benennen, unter Berufung auf die nicht verifizierbare Möglichkeit von „Repressalien“, hat der Angeklagte die Gefahr erhöht, dass eben dieser Dritte wegen der Betäubungsmittelstraftat nicht bestraft werden kann. Die Pflichtwidrigkeit dieses Verhaltens ergibt sich daraus, dass Gründe für ein Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht nicht vorlagen, der Angeklagte also einer Aussagepflicht unterlag. Jedenfalls in dem Augenblick, als der Angeklagte dann im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung – so die Feststellungen des Landgerichts – trotz weiteren Nachfragens und offensichtlich fehlender weiterer Erkenntnisquellen für die Strafverfolgungsbehörden an seiner Weigerung, den Dritten zu benennen, festgehalten hat, hat er sich der Strafvereitelung durch Unterlassen schuldig gemacht. Er war spätestens zu diesem Zeitpunkt verpflichtet, die in seinem Wissen liegenden Kenntnisse zu offenbaren. Einen Grund, warum dies – wie der Angeklagte meint - allenfalls dann gelten soll, wenn zunächst versucht wurde, mit den Mitteln des § 70 StPO auf den Angeklagten einzuwirken, sieht der Senat nicht. Hätte der Angeklagte einem solchen Druck widerstanden und wäre bei seiner Nichtaussage geblieben, so wäre dies allenfalls ein strafzumessungsrelevanter Umstand, weil er das Maß der Pflichtwidrigkeit erhöht hätte.



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