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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 5 RVs 125/17 OLG Hamm

Leitsatz: Wird ein Angeklagter nach einer rechtswidrigen Beschneidung eines Kindes wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt, hat das Tatgericht im Rahmen der Strafzumessung regelmäßig das Ausmaß der konkreten Verletzung und die Auswirkungen der Tat auf das geschädigte Kind aufzuklären.

Senat: 5

Gegenstand: Revision

Stichworte: Strafzumessung, Körperverletzung, Beschneidung eines Kindes

Normen: StGB 46; StGB 223

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 5. Strafsenat des OLG Hamm am 21.11.2017 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht – Schöffengericht – Essen hat den nicht vorbestraften Angeklagten am 01. September 2016 wegen Körperverletzung schuldig gesprochen und gegen ihn eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Nach Absprache mit der allein sorgeberechtigten Mutter verbrachten die Kinder W und L ihre Sommerferien des Jahres 2015 bei ihrem Vater, dem Angeklagten. In dieser Zeit fuhren sie am Mittwoch, 12.08.2015 mit dem Angeklagten und dessen Lebensgefährtin von ihrem Wohnort M nach F, und zwar zum dortigen Bescheidungszentrum D. Nach Terminabsprache wurde das 8-jährige Kind W dem dort praktizierenden Arzt L2 zur Begutachtung der Vorhaut des Kindes W vorgestellt. Zugleich wurde ein weiterer Termin für Freitagvormittag, den 14.08.2015 vereinbart. Zum Termin am 14.08.2015 reisten wiederum der Angeklagte, beide Kinder, die Lebensgefährtin des Angeklagten sowie die Mutter, ein Bruder und zwei Schwestern des Angeklagten mit Schwager nach F an, nachdem sich einige der berufstätigen Begleiter eigens für diesen Tag Urlaub genommen hatten. Wie von Anfang an geplant, wurde an dem Freitag, dem 14.08.2015 in der Praxis D die Vorhaut des W beschnitten. Der ärztliche Eingriff geschah ohne Einwilligung der Mutter. Diese wurde im Vorfeld auch nicht über das Ereignis informiert und war insoweit auch nicht zugegen.

Der Angeklagte unterzeichnete eine Erklärung über die Einwilligung zur ambulanten Beschneidung des W und versicherte zugleich, dass ihm das Sorgerecht allein zustehe bzw. dass soweit eine weitere Peron sorgeberechtigt sein sollte, diese mit dem Eingriff einverstanden sei.
Zur Tatzeit bestand keine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben des W, die durch den Eingriff abgewendet werden musste.“

Gegen das Urteil haben sowohl die Staatsanwaltschaft Essen als auch der Angeklagte Berufung eingelegt. Mit der Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft vom 08. Januar 2017 ist gerügt worden, die Strafe sei zu milde. Es sei eine höhere Freiheitsstrafe, die unter Umständen auch vollstreckbar ausfallen könne, zu verhängen. Die Berufung des Angeklagten ist unbegründet geblieben. In der Berufungshauptverhandlung vom 22. Mai 2017 haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte ihre jeweiligen Berufungen auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts als unbegründet verworfen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts im Strafausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, gleichsam mit Strafaussetzung zur Bewährung, verurteilt worden ist.

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht Folgendes ausgeführt:

§ 223 Abs. 1 StGB sieht die Verhängung von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor. Bei der konkreten Strafzumessung konnte zu Gunsten des Angeklagten sein nunmehr erfolgtes Geständnis und sein strafloses Vorleben berücksichtigt werden. Dabei war besonders bedeutsam, dass er so seinen beiden Kindern die für diese belastende Aussage vor Gericht erspart hat. Darüber hinaus fiel positiv ins Gewicht, dass er nicht beabsichtigte, seinen Sohn zu verletzen und ihm Schmerzen zuzufügen, sondern es ihm allein darum ging, einen in der islamischen Gesellschaft üblichen Ritus durchzuführen. Strafschärfend war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich rücksichtslos über die Meinung der allein sorgeberechtigten Mutter hinweggesetzt hat und die Zeit, in der sein Sohn seine Sommerferien bei ihm verbrachte, hierzu ausgenutzt hat. Ferner fiel strafschärfend ins Gewicht, dass W mit 8 Jahren bereits relativ alt war und er trotz seines Alters keine Möglichkeit hatte, an der Entscheidung über die Beschneidung mitzuwirken. Unter Berücksichtigung dieser für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt die Kammer die Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr für tat- und schuldangemessen.“

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie unter näheren Ausführungen die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhebt. Die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr werde dem Unrechtsgehalt der Tat nicht gerecht und eine Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung sei jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung unvertretbar.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft Essen beigetreten und hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückzuverweisen.

Der Verteidiger hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.
Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg.

Sie führt aufgrund der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch und in diesem Umfang zur Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen.

1. Gegen die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist nichts zu erinnern.

Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinen nicht angegriffenen Teilen rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60 Auflage 2017, § 318, Rn. 6 mit w. Nachw.). Schuld- und Strafausspruch sind grundsätzlich trennbar; ob eine Beschränkung statthaft ist oder nicht, hat das Rechtsmittelgericht nach der besonderen Lage des Einzelfalles zu entscheiden.

Die Tatsachenfeststellungen des amtsgerichtlichen Urteils sind vorliegend zwar sehr knapp gehalten, jedoch tragen sie noch den Schuldspruch wegen Körperverletzung.

2. Indes hält der Strafausspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Staatsanwaltschaft rügt zu Recht, dass die Strafzumessung gemäß § 46 StGB durch das Landgericht lückenhaft und damit fehlerhaft ist.

Es ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, die für und gegen einen Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte nach dem in der Hauptverhandlung gewonnenen Gesamteindruck abzuwägen. In dessen Strafzumessung kann das Revisionsgericht daher nur dann eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil sie einseitig, widersprüchlich oder unvollständig ist, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder - unter Berücksichtigung des weiten tatrichterlichen Ermessens - nicht mehr als gerechter Schuldausgleich angesehen werden kann. Nur in diesem Rahmen kann eine Verletzung des Gesetzes im Sinne von § 337 Abs. 1 StPO vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2013, - Az. 4 StR 467/12 –, m.w.N.; Urteil des erkennenden Senats vom 10. Juli 2017 in III-5 RVs 3/17). Liegt ein solcher Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die Strafzumessung des Tatrichters regelmäßig hinzunehmen. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle der tatrichterlichen Strafzumessung im Revisionsverfahren ist danach ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2007 – Az. 4 StR 5/07 -, wistra 2007, 341). Das Revisionsgericht kann nicht allein mit der Erwägung, ein strafzumessungserheblicher Umstand sei nicht genügend berücksichtigt worden, seine Bewertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen. Auch eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommender Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich (BGH, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 216/14 – zitiert nach beck-online). Ein Rechtsfehler liegt allerdings dann vor, wenn das Urteil nicht diejenigen Umstände anführt, die für das erkennende Gericht bei der Zumessung der Strafe bestimmend sein mussten (Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 267, Rn. 24; BGH, NStZ-RR 2009, 203 – zitiert nach beck-online). Bei einer Körperverletzung ist das Maß des Erfolgsunwertes wichtiges Strafzumessungskriterium, namentlich das Maß der Verletzung der körperlichen Integrität und Gesundheit, sowie das Alter eines Geschädigten und letztlich die zu erwartende Dauer des zugefügten Leids (Schäfer/Sander/Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Auflage 2017, Teil 5, Rn. 1649, 1180; BGH, Beschluss vom 26. April 2017 – 5 StR 90/17 – zitiert nach beck-online; BGH, Beschluss vom 11.November 2010 – 4 StR 489/10 – zitiert nach beck-online; BGH, NStZ-RR 2009, 203 – zitiert nach beck-online).

Unter Zugrundelegung dieser Begründungsanforderungen des § 267 Abs. 3 S. 1 StPO sind die für die Strafzumessung maßgeblichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil lückenhaft und unvollständig, denn zu dem eigentlichen Tathergang wird lediglich ausgeführt: „[…] Wie von Anfang an geplant, wurde an dem Freitag, dem 14.08.2015, in der Praxis C. die Vorhaut des B. beschnitten […].“ Weitere ergänzende Feststellungen hierzu hat das Landgericht – was auch bei einer Berufungsbeschränkung zulässig ist und hier erforderlich gewesen wäre – nicht getroffen. Es ergibt sich an keiner Stelle, wie der eigentliche „Beschneidungsvorgang“ abgelaufen ist und in welchem Ausmaß der Geschädigte bei der Operation, die regelmäßig mit Schmerzen verbunden sein dürfte, psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt war. Ebenso wenig finden sich Feststellungen dazu, ob und welche Auswirkungen die Tat auf die spätere Entwicklung des Geschädigten in körperlicher, aber auch psychischer Hinsicht im Sinne sogenannter nachhaltiger Tatfolgen haben kann.

Ein Anlass zu derartigen Ausführungen ergibt sich auch aus der Regelung des § 1631d BGB, wonach der oder die sorgeberechtigten Elternteil(e) den beabsichtigten Eingriff mit dem Kind in einer seinem Alter und seinem Entwicklungsstand entsprechenden Art und Weise zu besprechen hat/haben. Es ist in kindgerechter Weise zu versuchen, mit ihm Einvernehmen herzustellen (OLG Hamm, Beschluss vom 30. August 2013, II-3 UF 133/13). Auch wenn dem Angeklagten zu keiner Zeit das Sorgerecht zustand, hätte er doch ein solches Gespräch mit seinem Kind vor der Durchführung der Beschneidung führen müssen. Ob und wenn, inwieweit ein solches Gespräch stattgefunden hat, lässt sich den Ausführungen der Strafkammer nicht entnehmen. Bei der Strafzumessung ist insoweit auch die Frage eines kindgerechten Umgangs mit dem Geschädigten zu erörtern. Auch dazu finden sich keine tragfähigen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, denn es heißt dort lediglich, dass W „trotz seines Alters keine Möglichkeit hatte, an der Entscheidung über die Beschneidung mitzuwirken“.

Aufgrund der aufgezeigten Darstellungsmängel war das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Es ist nicht auszuschließen, dass die aufgezeigten Mängel Einfluss auf die Strafbemessung gehabt haben. Die Sache war an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels nach § 354 Abs. 2 StPO zurückzuverweisen.


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