Aktenzeichen: 1 RVs 12/18 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Ort der Tathandlung im Sinne des § 9 Abs. 1 StGB ist bei einer im Internet verbreiteten Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 StGB der Aufenthaltsort des Täters und weder der Ort, an dem die durch mediale Übertragung transportierte Handlung ihre Wirkung entfaltet, noch der Standort des vom Täter angewählten Servers (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19.08.2014 - 3 StR 88/14 - ). Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nach §§ 3 und 9 Abs. 1 StGB kann bei einer im Ausland begangenen Volksverhetzung nicht durch die bloße Möglichkeit gerechtfertigt werden, dass diese Volksverhetzung Auswirkungen auf den öffentlichen Frieden im Inland zeitigt (Anschluss an BGH, Beschluss vom 03.05.2016 - 3 StR 449/15 -).
2. Bei der Beurteilung von gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB nach dem Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland verfolgbaren Taten muss das Gericht bei der Strafzumessung regelmäßig Rücksicht auf Art und Maß des am ausländischen Tatort geltenden Strafrechts nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2016, a.a.O.).
Senat: 1
Gegenstand: Revision
Stichworte: Ort der Tat, Volksverhetzung, Strafzumessung
Normen: StGB 130; StGb 46
Beschluss:
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 01.03.2018 beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Unna hat den Angeklagten am 11.10.2016 wegen Volksverhetzung sowie wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Dieses Urteil hat das Landgericht auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 04.10.2017 unter Verwerfung der Berufung im Übrigen dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung wiederum zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Hierbei hat das Landgericht zur Sache folgende Feststellungen getroffen:
Am 23.06.2014 veröffentlichte der Angeklagte unter Verwendung seines Facebook-Profils, welches nebenstehend auch ein Porträtfoto von ihm beinhaltete, im Internet für jedermann einsehbar folgenden Text unter Nennung seines Namens H:
Wenn man für jeden von den Zionisten ermordeten Palästinenser 10 Juden töten würde, hätte sich das Nahostproblem schon lange erledigt und die Völker der Welt wären glücklich
Unter diesem Satz stand in englischer Sprache folgendes Datum:
June 23 at 3:25 pm.
Weiter ergibt sich aus den schriftlichen Urteilsgründen, dass der Angeklagte sich insbesondere dahingehend eingelassen und ein Zeuge bestätigt hat, dass der Angeklagte sich am Tattag in den Niederlanden aufgehalten habe und deshalb den ganzen Tag nicht im Internet gewesen sei, und dass das Landgericht sich gleichwohl davon überzeugt hat, dass der Angeklagte die in Rede stehende Botschaft verfasst und ins Netz gestellt hat; denn der Angeklagte konnte dies - worauf bereits das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat - von jedem internetfähigen Computer oder Smartphone getan haben, egal ob er sich in Holland oder in Deutschland aufhielt.
Gegen das Urteil des Landgerichts wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben sowie den Angeklagten freizusprechen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat im Hinblick auf den Rechtsfolgenausspruch - im Übrigen ist die Revision offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO - vorläufig Erfolg. Im Umfang der Aufhebung war die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen.
1. Hinsichtlich des Schuldspruchs bedarf näherer Begründung lediglich die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts, da sich dem Urteil keine konkrete Feststellung dazu entnehmen lässt - nämlich für die Strafkammer ersichtlich unerheblich war -, ob sich der Angeklagte bei Begehung der Tat im Bundesgebiet aufgehalten hat (und dann unproblematisch nach deutschem Recht abzuurteilen wäre), oder ob er sich in den Niederlanden befunden hat:
a) Sollte sich der Angeklagte in den Niederlanden aufgehalten haben - Ort der Tathandlung ist insofern der Aufenthaltsort des Täters und weder der Ort, an dem die durch mediale Übertragung transportierte Handlung ihre Wirkung entfaltet, noch der Standort des vom Täter angewählten Servers (vgl. BGH, Beschluss vom 19.08.2014 - 3 StR 88/14 -, m.w.N., juris; krit. Becker, NStZ 2015, 83; Hecker, JuS 2015, 274) - folgt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht bereits aus § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB. Denn in Abgrenzung zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.12.2000 - 1 StR 184/00 - (juris), nach dem bei der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1, Abs. 3 StGB ein Taterfolg im Sinne von § 9 StGB auch dort eintrat, wo die Tat ihre Gefährlichkeit entfalten konnte, umschreibt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne von § 130 Abs. 1, Abs. 3 StGB, das zur Einstufung der Vorschrift als einem potentiellen, abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt führt (vgl. Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 130 Rdn. 1a m.w.N.), gerade keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg, so dass eine diesbezügliche Inlandstat nicht über die dritte oder vierte Alternative des § 9 Abs. 1 StGB begründet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2016 - 3 StR 449/15 -, juris; Handel, MMR 2017, 227, 228 f.; Schwiddessen, CR 2017, 443, 447; Schäfer in: MK-StGB, 3. Aufl., § 130 Rn. 122).
b) Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts folgt für den Fall, dass der Angeklagte sich in den Niederlanden aufgehalten hat, aber aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, da der Angeklagte Deutscher ist und die Tat am in dieser Konstellation anzunehmenden Tatort mit Strafe bedroht war. Denn nach Art. 137d Abs. 1 des Niederländischen Strafgesetzbuchs (Wetboek van Strafrecht) wird auch in den Niederlanden - und zwar mit Geldstrafe oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr - bestraft, wer in der Öffentlichkeit mündlich oder durch eine Schrift oder Abbildung zum Hass gegen oder zur Diskrimination von Menschen oder zum gewalttätigen Auftreten gegen Menschen oder ihren Besitz insbesondere wegen ihrer Religion antreibt; ferner wird nach Art. 137e Abs. 1 des Niederländischen Strafgesetzbuchs mit Geldstrafe oder Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten bestraft, wer mit einem anderem als dem Ziel sachlicher Berichterstattung eine Äußerung veröffentlicht, die, wie er weiß oder vernünftigerweise annehmen muss, für eine Gruppe von Menschen insbesondere wegen ihrer Religion beleidigend ist oder zum Hass gegen oder zur Diskrimination von Menschen oder zum gewalttätigen Auftreten gegen Menschen oder ihren Besitz insbesondere wegen ihrer Religion antreibt (vgl. http://wetten.overheid.nl/BWBR0001854/2018-01-01#BoekTweede_TiteldeelV; Schaffmeister (Hrsg.): Das niederländische Strafgesetzbuch vom 3. März 1881).
c) Die Anwendung deutschen Strafrechts ist somit unabhängig davon zu bejahen, ob der Angeklagte sich - was das Landgericht letztlich offen gelassen hat - bei Begehung der Tat in der Bundesrepublik Deutschland oder in den Niederlanden aufgehalten hat.
2. Der Aufhebung unterliegt hingegen der Strafausspruch. Denn die Strafkammer hat ohne nähere Ausführungen den Strafrahmen des § 130 Abs. 1 StGB zur Anwendung gebracht und dabei nicht in den Blick genommen, dass das Recht am möglicherweise anzunehmenden - bzw. bislang nicht ausgeschlossenen - niederländischen Tatort in Art. 137d Abs. 1 des Niederländischen Strafgesetzbuchs (Wetboek van Strafrecht) einen milderen Strafrahmen vorsieht.
Zwar stellt sich die Anwendung des deutschen Strafrechts auch im Fall des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB als originäre Aufgabe der deutschen Gerichte und Strafverfolgungsbehörden und nicht etwa als - stellvertretend wahrgenommene - Aufgabe der Tatortgerichte dar. Gleichwohl kann das Tatortrecht bei der Beurteilung von gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB nach dem Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland verfolgbaren Taten grundsätzlich zugunsten des Täters berücksichtigt werden; insbesondere muss das Tatgericht bei der Strafzumessung regelmäßig Rücksicht auf Art und Maß des Tatortrechts nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2016, a.a.O., m.w.N.). Dies hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht. Der Senat kann auch nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei der gebotenen Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze und insbesondere der nach dem niederländischen Strafrecht maßgeblichen Strafobergrenze von einem Jahr Gefängnisstrafe zu einer niedrigeren als der tatsächlich verhängten siebenmonatigen Freiheitsstrafe gelangt wäre.
Somit war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache insofern zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision zu befinden hat. Die zum Strafausspruch getroffenen Feststellungen werden von dem vorgenannten Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2016, a.a.O.). Für das weitere Verfahren weist der Senat klarstellend darauf hin, dass ergänzende Feststellungen zu der bislang ungeklärten Frage möglich sind, ob sich der Angeklagte bei Begehung der Tat in der Bundesrepublik Deutschland oder in den Niederlanden aufgehalten hat.
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