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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 69/18 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Strafbarkeit wegen Verwendens von Kennzeichen eines verbotenen Vereins durch das Tragen einer sog. Rockerkutte, die mit der Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen "Chapters" versehen ist, nach dem Vereinsgesetz in der seit dem 16.03.2017 geltenden (Neu-)Fassung.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Rockerkutte, Bandidos, VereinsG

Normen: VereinsG 20

Beschluss:

Strafsache
In pp.

hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 12.07.2018 beschlossen:


Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 25.10.2017 – 47 Js 248/17 – wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten vor dem Landgericht Bochum – 1. große Strafkammer – eröffnet.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Bochum hat mit Anklageschrift vom 25.10.2017 Anklage gegen den Angeschuldigten wegen öffentlicher Verwendung von Kennzeichen eines verbotenen Vereins zum Landgericht Bochum – große Strafkammer – erhoben.

Mit Beschluss vom 22.3.2018 – Aktenzeichen II-1 KLs 47 Js 248/17-22/17 – hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts Bochum die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Gegen diesen, der Staatsanwaltschaft am 26.3.2018 zugestellten Beschluss richtet sich die am 27.3.2018 bei dem Landgericht Bochum eingegangene sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom selben Tag, die die Staatsanwaltschaft unter dem 4.4.2018 begründet hat.

II.

1. Mit der Anklageschrift wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, im räumlichen Geltungsbereich des VereinsG Kennzeichen einer der in den Nr. 1 und 2 des § 20 Abs. 1 VereinsG bezeichneten Vereine während der Vollziehbarkeit des (Vereins-) Verbotes öffentlich verwendet zu haben, Vergehen strafbar gemäß §§ 9 Abs. 3, 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 5, Abs. 3 VereinsG.

Konkret wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, am Donnerstag, den 19.10.2017, auf dem Vorplatz der Polizeiinspektion C Mitte, T-Straße, im Einmündungsbereich V-Straße, erschienen zu sein und hierbei eine ärmellose Lederweste, eine so genannte „Kutte“ des „MC Bandidos C“ getragen zu haben. Auf der Rückseite der Kutte sei als Mittelabzeichen der „Fat Mexican“, eine dickliche, mit einem Revolver und einer Machete bewaffnete und mit einem Poncho und einem zum Sombrero bekleidete männliche Gestalt, sowie darüber als sogenannter „Bandidos Top Rocker“ der Schriftzug „Bandidos“ als nach unten halbkreisförmig gebogener Aufnäher mit rotem Großbuchstaben auf gelbem Grund angebracht. Unterhalb des Mittelabzeichens befinde sich als untere Abgrenzung ein weiterer Aufnäher, der halbkreisförmig nach oben gebogen in gleicher Farbgebung in einem weiteren Schriftzug „C“ darstelle. Die obere und untere Abgrenzung bildeten zusammen einen nicht geschlossenen Kreis um den „Fat Mexican“. Rechts und links von diesem befinde sich – wiederum in roter Schrift auf gelbem Grund – eine rechteckiger Aufnäher mit der Aufschrift „MC“ und ein rautenförmiger Aufnäher mit der Bezeichnung „1%“.

Mit bestandskräftigem Erlass vom 21.4.2010 – 212 – 1.1142-4 – habe das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein verfügt, dass der Verein „Bandidos MC Probationary Chapter O“ verboten sei und seine Kennzeichen weder verbreitet noch öffentlich oder in einer Versammlung verwendet werden dürften. Durch unanfechtbaren Erlass vom 23.4.2012 – 402 – 57.07.12 – habe das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen den Verein „Bandidos MC Chapter B“ einschließlich der Teilorganisationen verboten und aufgelöst. Weiter sei verboten worden, in einer Versammlung oder in Schriften, Ton- und Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden können oder zur Verbreitung bestimmt sind, zu verwenden.

Bis auf den auf der Rückseite befindlichen Schriftzug „C“ sei die von dem Angeschuldigten getragene Weste mit denen der verbotene Vereine „Bandidos MC Probationary Chapter O“ und „Bandidos MC Chapter B“ identisch.

2. Das Landgericht Bochum hat in seinem Nichteröffnungsbeschluss vom 22.3.2018 ausgeführt, dass die angeklagte Handlung des Angeschuldigten weder den Tatbestand des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 StGB noch den Tatbestand der Verwendung von Kennzeichen eines verbotenen Vereins gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG i.V.m. Nr. 1 oder Nr. 2 und § 9 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 VereinsG erfülle.

Weiter hat das Landgericht Bochum ausgeführt, dass der Angeschuldigte durch das Tragen der Lederkutte auch nicht den Straftatbestand des § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG i.V.m. § 9 Abs. 3 VereinsG erfüllt habe. Denn der Angeschuldigte habe die Kennzeichen „Bandidos Top Rocker“ sowie „Fat Mexican“ unter Hinzufügung der Ortsbezeichnung „C“ nicht in im Wesentlichen gleicher Form im Sinne der § 20 Abs. 1 S. 2, § 9 Abs. 3 VereinsG verwendet.

2.1.a) Ein Verwenden in „im Wesentlichen gleicher Form“ läge nicht vor. Durch das Verbot solle vermieden werden, dass selbstständige Schwestervereine die Kennzeichen eines verbotenen Vereins weiter nutzen und das Kennzeichenverbot lediglich dadurch umgehen, dass sie eine andere Ortsbezeichnung hinzufügen. Wenn der selbständige Schwesterverein das Kennzeichen in der gleichen Weise, also bereits unter Hinzufügung der eigenen Ortsbezeichnung, schon vor dem Verbot des von ihm selbstständigen, nunmehr verbotenen Chapters verwandt habe, sei es indes nicht zum Zwecke der Umgehung des Kennzeichenverbots nach § 9 Abs. 1 VereinsG hinzugefügt, insbesondere nicht „ausgetauscht“ worden. Aus dem Umstand, dass nur einzelne Ortsgruppen verboten worden seien, könne die Öffentlichkeit erkennbar darauf schließen, dass nur bei diesen Vereinen die Voraussetzungen eines Verbots gemäß § 3 VereinsG vorlägen. Da die Mutterorganisation der „Bandidos“ nicht verboten sei, sei davon auszugehen, dass es sich bei dieser und bei den zahlreichen nicht verbotenen Ortsgruppen um gesetzestreue Vereine handele. Nach dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzesbegründung sowie dem Sinn und Zweck der Regelung erfasse § 9 Abs. 3 S. 2 VereinsG nicht die Fälle, in denen von Schwestervereinen genutzte Kennzeichen bereits vor dem Verbot eines anderen Chapters mit ihrer Ortsbezeichnung versehen worden seien. Es sei dem Landgericht Bochum gerichtsbekannt, dass die hier in Rede stehenden Lederwesten bereits seit einigen Jahren vor Neuregelung des § 9 VereinsG, dem i.V.m. § 20 VereinsG in seiner Eigenschaft als Strafvorschrift mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG eine Rückwirkung nicht zukomme, mit einem derartigen Ortszusatz versehen seien.

2.1.b)

Ein „Verwenden“ läge ebenfalls nicht vor. Dieses Tatbestandsmerkmal sei im Wege einer verfassungskonformen Auslegung unter Berücksichtigung des Schutzzweckes einschränkend auszulegen. Schutzzweck des § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG i.V.m. § 9 Abs. 3 S. 1 VereinsG sei es, Kennzeichen, „die mit denen eines bereits verbotenen Vereins im Zusammenhang stehen, effektiv aus der Öffentlichkeit zu verbannen“ (BT-Drucks 18/9758 S. 6). Im Hinblick auf das in § 152 Abs. 2 StPO verankerte Legalitätsprinzip sei das Merkmal „Verwenden“ im Sinne des § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG enger auszulegen als in der polizeirechtlichen Norm des § 9 Abs. 3 VereinsG. Bei Anwendung dieses strengen Maßstabes bestehe durch das Tragen einer Kutte mit Kennzeichen eines verbotenen Vereins keine Gefahr für das Sicherheitsgefühl der Öffentlichkeit, wenn diese schon vor dem Verbot oder zumindest vor der in Rede stehenden Änderung des VereinsG verwendet worden sei, durch das Hinzufügen einer Ortsbezeichnung jedoch von vornherein einen ausdrücklichen Verweis auf die Selbstständigkeit der Ortsgruppe erfahren habe. In diesem Fall könne auch nicht der Eindruck entstehen, durch das nachträgliche Hinzufügen einer Ortsbezeichnung werde das Kennzeichenverbot umgangen.
3.

Die Staatsanwaltschaft Bochum hat in ihrer sofortigen Beschwerde auf die ab dem 16.3.2017 geltenden Fassung des § 9 Abs. 3 VereinsG, auf die § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG n.F. ausdrücklich Bezug nimmt, hingewiesen, die bestimmt:

„Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.“

Mit der Änderung habe der Gesetzgeber gerade das Tragen von Rockerkutten grundsätzlich mit Strafe belegen wollen. Ob das konkrete Chapter bzw. der konkrete Ortsverein verboten sei, sei dafür ohne Belang. Die einschränkende Auslegung der Strafkammer in dem angefochtenen Beschluss widerspreche dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm ist der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum beigetreten. Sie hat darauf hingewiesen, dass die einschränkende Auslegung des § 9 Abs. 3 VereinsG keine Stütze im Gesetz finde und auch nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Insbesondere die von der Kammer vorgenommene zeitliche Einschränkung sei durch den Wortlaut des § 9 Abs. 3 VereinsG nicht vorgegeben. Denn S. 2 stelle eine lediglich beispielhafte Konkretisierung der in § 9 Abs. 3 S. 1 VereinsG grundsätzlich geregelten Ausweitung dar, die wiederum mit der Formulierung „verwendet werden“ eine derartige zeitliche Einschränkung nicht erkennen lasse.

Nach dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des VereinsG (BT-Drucks 18/9758) sollen „Kennzeichen verbotener Vereinigungen sowie solche, die mit denen eines bereits verbotenen Vereins im Zusammenhang stehen, von anderen Gruppierungen im Bundesgebiet nicht mehr weiter genutzt werden.“ Der Gesetzgeber habe erkennbar gerade die Weiterbenutzung derselben Kennzeichen durch andere Gruppierungen in den Blick nehmen wollen, so dass auch bereits vor dem Eingreifen des Verbots eines anderen Ortsvereins gefertigte Kutten anderer Schwestervereine von der Neuregelung erfasst werden sollten.

Auch die Begründung der Kammer, es sei nicht ersichtlich, dass das Kennzeichenverbot nach dem Eindruck der Öffentlichkeit nicht effektiv durchgesetzt werde, und der Verweis der Kammer auf die Eigenständigkeit der verschiedenen Ortsvereine sei nicht überzeugend. Der Gesetzgeber habe den Zusatz „die Zielrichtung des verbotenen Vereins teilenden (Schwestervereine)“ explizit gestrichen und dies mit einer effektiven Durchsetzung des Kennzeichnungsverbots begründet.

Auch die von der Kammer geäußerten Bedenken hinsichtlich einer Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG seien nicht durchgreifend. Denn die Strafbarkeit setze bei dem Merkmal des „Verwendens“ des verbotenen Kennzeichens an. Für die Strafbarkeit entscheidend sei nicht das gegebenenfalls in der Vergangenheit liegende „Versehen“ der – zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht verbotenen – Kennzeichen mit dem eigenen Ortsnamen oder das sich hieran und vor dem Verbot anschließende Verwenden der Kennzeichen durch Tragen der Kutte. Dem strafbewehrten Kennzeichnungsverbot unterliege vielmehr die Ausführung des nach Kenntnisnahme des Verbots des weiteren Ortsvereins neu gefassten Entschlusses, die Kennzeichen der öffentlichen Wahrnehmung auszusetzen. Da der Tatentschluss des Angeschuldigten erkennbar nach Inkrafttreten der Neuregelung gefasst und ausgeführt worden sei, liege ein Verstoß gegen Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht vor.

Auch sei der Begriff des „Verwendens“ bei § 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG entgegen der Auffassung der Kammer nicht restriktiv auszulegen. Eine einschränkende Auslegung würde den Anwendungsbereich des Straftatbestandes ganz erheblich beschneiden, was erkennbar nicht gewollt sei. Denn die Gesetzesbegründung selbst weise bereits darauf hin, dass insbesondere bei sog. Rockergruppierungen die Nutzung von Kutten und der darauf abgebildeten Kennzeichen einer genauen Reglementierung unterliege. Selbst wenn man der Ausgangsüberlegung der Kammer folge und eine Einschränkung des Tatbestandes für notwendig erachten sollte, wäre jedenfalls nicht ersichtlich, warum diese – wie von der Kammer angenommen – zeitlicher Natur zu sein hätte. Die Erwägungen des Gesetzgebers zielten allenfalls auf ein ausnahmsweise versehentliches und mithin irrtümliches Handeln ab. Hierfür gebe es jedoch vorliegend keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Denn der Angeschuldigte habe erkennbar gerade anlässlich des erfolgten Verbots und mithin bewusst die Kutte mit den fraglichen Kennzeichen vor einem Polizeigebäude getragen.

Verfassungsrechtliche Bedenken griffen nicht durch.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 22.3.2018, der Begründung der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 4.4.2018 sowie die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom 18.5.2018 Bezug genommen.

Zur angeklagten Tat hat sich der Angeschuldigte bislang nicht eingelassen.

III.

Die gem. § 210 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist form- und fristgemäß erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO), mithin zulässig.

Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet.

Gegen den Angeschuldigten besteht hinreichender Tatverdacht hinsichtlich einer Straftat des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, S. 2 VereinsG i.V.m. § 9 Abs. 3 VereinsG.

Danach handelt strafbar, wer im räumlichen Geltungsbereich des VereinsG Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 des § 20 Abs. 1 S. 1 VereinsG bezeichneten verbotenen Vereine während der Vollziehbarkeit des Verbots öffentlich verwendet, wobei § 9 Abs. 3 VereinsG entsprechend gilt. Nach § 9 Abs. 3 VereinsG gilt das Verwendungsverbot des § 9 Abs. 1 VereinsG entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird gemäß § 9 Abs. 3 Satz 2 VereinsG insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

3.1.

Bei den auf der Rückseite der vom Angeschuldigten am 19.10.2017 auf dem Vorplatz der Polizeiinspektion Mitte in C ausweislich der von dem Zeugen KHK Q gefertigten und bei den Akten (Bl. 3-5 d.A.) befindlichen Lichtbilder getragenen „Rockerkutte“ abgebildeten Symbolen handelt es sich um (mehrere) verbotene Kennzeichen.

Auf der Kutte des Angeschuldigten war als Mittelabzeichen der „Fat Mexican“ sowie darüber als sogenannter „Bandidos Top Rocker“ der Schriftzug „Bandidos“ abgebildet. Beide Abzeichen stellen nach der Einzelbetrachtungslehre des BGH (vgl. Urteil vom 9.7.2015 – 3 StR 33/15BGHSt 61, 1) jeweils für sich genommen Kennzeichen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG dar. Auf eine Wechselwirkung der Kennzeichen oder eine Verwechslungsgefahr der Gesamtabbildung mit verbotenen Kennzeichen kommt es nicht an.

Der Begriff des Kennzeichens im Sinne des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG ist nicht legal definiert. § 9 Abs. 2 S. 1 VereinsG zählt insoweit lediglich beispielhafte Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen als Kennzeichen auf.

Der „Bandidos Top Rocker“ sowie der „Fat Mexican“ sind sowohl zur Identifikation der Mitglieder durch Dritte als auch zu ihrer Erkennung untereinander geeignet und bestimmt. Die Abzeichen verkörpern eine Zugehörigkeit zu der jeweiligen Ortsgruppe, aber auch zur überregionalen Bandidosbewegung, die optisch deutlich wahrgenommen werden kann. Bei dem „Bandidos Top Rocker“ handelt es sich anders als bei dem „Fat Mexican“ zwar nicht um ein Bildabzeichen, sondern um einen Schriftzug. Aber auch Schriftzüge sind als Kennzeichen einzuordnen, wenn sie eine bestimmte Formgebung erfahren haben, die einen entsprechenden Symbolcharakter aufweist. Der „Bandidos Top Rocker“ hat durch die nach unten gebogenen Aufnäher mit roten Großbuchstaben auf gelbem Grund – den Vereinsfarben der Bandidos – eine derartige Formgebung erfahren. Sowohl die Farbgebung als ob die Schriftgestaltung ist darauf ausgelegt, eine Identifikation eindeutig vornehmen zu können.

Bei dem „Bandidos Top Rocker“ sowie dem „Fat Mexican“ handelt es sich auch jeweils um Kennzeichen im Sinne des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG. Der „Bandidos Top Rocker“ sowie der „Fat Mexican“ sind jeweils eigenständige Aufnäher. Bereits nach den tatsächlichen Gegebenheiten handelt es sich um voneinander unabhängige Abzeichen, die gemäß der nicht abschließenden Aufzählung in § 9 Abs. 2 VereinsG jeweils selbständige Kennzeichen darstellen.

Diese Bewertung des Kennzeichenbegriffs und insbesondere die Einzelbetrachtungslehre ist auch nach der Gesetzesänderung der §§ 9 Abs. 3, 20 Abs. 1 S. 2 VereinsG zum 16.3.2017 weiterhin gültig. Denn der Kennzeichenbegriff war vor und nach der Gesetzesänderung nicht legal definiert. Insoweit hat das Gesetz keine Änderung erfahren.

Durch die Gesetzesänderung sollte das Kennzeichenverbot praxistauglich ausgestaltet werden. Die sogenannte Einheitslösung, bei der jedes Abzeichen für sich und insbesondere unabhängig von außerhalb des Kennzeichens liegenden Umständen bewertet wird, steht mit dieser Zielrichtung in Einklang. Greift das Kennzeichenverbot nach § 9 Abs. 1 VereinsG nicht, kann – im Sinne einer effektiven „Verbannung“ verbotener Kennzeichen – § 9 Abs. 3 VereinsG durch die „Verwendung in im wesentlichen gleicher Form“ einschlägig sein, so dass die Norm bei Anwendung der Einheitslösung nicht ihres Anwendungsbereiches beraubt ist. Auch nach der Gesetzesänderung behält die Einzelbetrachtungslehre weiterhin ihren Sinn, da auch nach dieser Lehre ein Anwendungsbereich des § 9 Abs. 3 VereinsG verbleibt.

§ 9 Abs. 3 VereinsG erfasst den im Wesentlichen gleichen äußeren Auftritt eines nicht verbotenen Vereins, der in den Augen der Öffentlichkeit für Tendenzen steht, wegen derer ein anderer Verein verboten wurde (BT-Drucks. 14/7386 (neu) S. 49, BT-Drucks. 18/9758 S. 7). Zum einen ist die Norm daher in Fällen einschlägig, in denen ein Kennzeichen weder mit dem Kennzeichen eines verbotenen Vereins identisch noch zum Verwechseln ähnlich ist, diesem aber so stark ähnelt, dass der äußere Auftritt im Wesentlichen gleich ist. § 9 Abs. 3 VereinsG ist außerdem einschlägig, wenn ein mit einem verbotenen Verein identisches Kennzeichen so gebraucht wird, dass – anknüpfend an das Tatbestandsmerkmal des „Verwendens“ – in den Augen der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, der Verein stehe für Tendenzen, wegen derer das Verbot gegen einen anderen Verein verhängt wurde. Im Falle des § 9 Abs. 3 VereinsG ist bei Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Verwendens“ weitergehend als bei Abs. 1 insbesondere der Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen, die Verwendung von Kennzeichen verbotener Vereine durch selbstständige „Schwestervereinen“ zu erfassen, „bei denen lediglich die jeweilige Orts- oder Untergliederungsbezeichnung ausgetauscht wird“ (vgl. BT-Drucks. 18/9758 S. 7).

Diese Kennzeichen („Fat Mexican“ sowie der Schriftzug „Bandidos“) sind verboten. Mit bestandskräftigem Erlass vom 21.4.2010 – 212 – 1.1142-4 – des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein und durch unanfechtbaren Erlass vom 23.4.2012 – 402 – 57.07.12 – des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen wurden die Vereine „Bandidos MC Probationary Chapter O“ und „Bandidos MC Chapter B“ verboten und aufgelöst. Die Verwendung der Kennzeichen dieser Vereine wurde ebenfalls verboten.

3.2. Durch das Tragen der beschriebenen Weste hat der Angeschuldigte die Kennzeichen „Bandidos Top Rocker“ und „Fat Mexican“ im Sinne des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG in „im Wesentlichen gleicher Form verwendet“.

Das Tatbestandsmerkmal des „Verwendens“ des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG ist ebenso wie bei § 86a StGB wegen des weiten Kennzeichenbegriffs und der Grundrechte der Meinungsfreiheit und der allgemeinen Handlungsfreiheit, gleichsam aus Gründen der Verfassungskonformität, einschränkend auszulegen. Ein tatbestandliches "Verwenden" des Kennzeichens einer verbotenen Organisation scheidet aus, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Benutzung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck der Norm nicht zuwider läuft (BGH, Beschluss vom 1.10.2008 – 3 StR 164/08BGHSt 52, 364). Bei der Prüfung, ob die Verwendung eines Kennzeichens auch einer verbotenen Organisation dem Schutzzweck eindeutig nicht zuwiderläuft, kann in der Regel nicht allein auf die Darstellung des Symbols selbst zurückgegriffen werden; denn dieses lässt bei isoliertem Gebrauch meist gerade nicht erkennen, ob es als Kennzeichen der verbotenen Organisation oder zu anderen, nicht zu beanstandenden Zwecken verwendet wird. Vielmehr ist den Anforderungen, die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm in seinen oben dargestellten Ausprägungen eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens, da dieses nicht als solches der verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, so ist der objektive Tatbestand der Norm erfüllt (BGH, Urteil vom 9.7.2015 – 3 StR 33/15BGHSt 61, 1).

a) Die vom Landgericht vorgenommene Einschränkung des Tatbestandsmerkmals des Verwendens in zeitlicher Hinsicht überzeugt nicht. Das Landgericht hat ausgeführt, dass der Angeschuldigte nicht die Kennzeichen der verbotenen regionalen Unterabteilungen B und O habe verwenden wollen. Dadurch, dass auf der Weste des Angeschuldigten den in Rede stehenden, (auch) von den verbundenen Chaptern B und O verwendeten Kennzeichen der Ortszusatz „C“ hinzugefügt worden sei, ergebe sich aus dem Gesamtzusammenhang des Kennzeichengebrauchs deutlich, dass der Angeschuldigte den „Bandidos Top Rocker“ und den „Fat Mexican“ nicht als Kennzeichen der verbotenen Vereine, sondern als Kennzeichen für die nicht verbotene Regionalgruppe C trage. Denn die Regionalgruppe habe ihr Kennzeichen mit ihrem Zusatz für ihre Regionalgruppe bereits vor dem Verbot der Chapter B und O verwendet.
53

Eine Stütze im Gesetz findet diese einschränkende Auslegung durch das Landgericht nicht. Es ist unerheblich, ob der Angeschuldigte ein Kennzeichen einer verbotenen regionalen Unterabteilung verwenden wollte. Der Begriff des „Verwendens“ beinhaltet kein subjektives Merkmal (mehr). Nach der neuen Rechtslage zum 16.3.2017 ist das bis dahin erforderliche Tatbestandsmerkmal in § 9 Abs. 3 VereinsG a.F. weggefallen, nach welchem ein Kennzeichenverbot für einen verbotenen Verein auch für selbständige, die Zielrichtung des verbotenen Vereins teilende Vereine, galt; es ist nicht mehr erforderlich, dass die Zielrichtung des verbotenen Vereins geteilt wird.

Soweit in § 9 Abs. 3 S. 2 VereinsG davon die Rede ist, dass bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des „verbotenen“ Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung „versehen wird“, könnte die Formulierung zwar dafür sprechen, dass zunächst ein Verbot ausgesprochen worden sein muss und dann das Versehen mit einer anderen Ortsbezeichnung im Nachgang zu erfolgen hat. Eine solche Auslegung würde allerdings die Regelung aus ihrem systematischen Zusammenhang reißen. Denn § 9 Abs. 3 S. 2 VereinsG stellt eine lediglich beispielhafte Konkretisierung der in § 9 Abs. 3 S. 1 VereinsG grundsätzlich geregelten Ausweitung dar, die wiederum mit der Formulierung „verwendet werden“ eine derartige zeitliche Einschränkung nicht erkennen lässt.

b) Auch wird die einschränkende Auslegung dem Willen des Gesetzgebers, wie er in der Begründung des Entwurfs des Zweiten Gesetzes zur Änderung des VereinsG zu Tage tritt, nicht gerecht. Im Gegenteil verkürzt die Kammer die Reichweite des Straftatbestandes entgegen der gesetzgeberischen Intention in erheblicher Weise.

Insoweit führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 18.5.2018 aus:

„Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes (BT-Drucks. 18/9758) sieht den Ausgangspunkt für das gesetzgeberische Handeln darin, dass Vereinigungen, insbesondere im Bereich der kriminellen Rockergruppierungen, einen Deckmantel für vielfältige Formen auch schwerer und organisierter Kriminalität bieten. Dem wollte der Gesetzgeber mit der „Verschärfung“ des VereinsG entgegentreten. „Kennzeichen verbotener Vereinigungen sowie solche, die mit denen eines bereits verbotenen Vereins im Zusammenhang stehen, sollen von anderen Gruppierungen im Bundesgebiet nicht mehr weitergenutzt werden.“ Dementsprechend hat der Gesetzgeber erkennbar gerade die Weiterbenutzung derselben Kennzeichen durch andere Gruppierungen in den Blick nehmen wollen, so dass auch bereits vor dem Eingreifen des Verbots eines anderen Ortsvereins gefertigte Kutten anderer Schwestervereine von der Neuregelung erfasst werden sollten. Hierfür spricht zudem, dass Anlass der Gesetzesänderung das vorbezeichnete Urteil des BGH vom 9.7.2015 – 3 StR 33/15 – gewesen ist, dem eine in tatsächlicher Hinsicht entsprechende Sachverhaltskonstellation zu Grunde lag (zu vgl. die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum vom 11.8.2014 – 47 Js 176/14 -, Bl. 22, 22 R Bd. I d.A. 47 Js 176/14 StA Bochum). Die Gesetzesbegründung weist unter expliziter Bezugnahme auf diese Entscheidung darauf hin, dass die einschränkende gerichtliche Auslegung dem vom Gesetzgeber intendierten Zweck nicht entsprochen habe, ist deswegen erneutes legislatives Handeln erforderlich sei.

Ausweislich der Begründung der Gesetzesänderung zielt die Änderung – wie von der Kammer zutreffend ausgeführt – zwar „vor allem“ auf solche Fälle der Verwendung von Kennzeichen verbotener Vereine durch selbstständige Schwestervereine ab, bei denen lediglich die jeweilige Orts- oder Untergliederungsbezeichnung „ausgetauscht“ wird. Die Fallgestaltung ist jedoch erkennbar nicht abschließend gemeint. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen ist daher der Gesetzesbegründung in ihrer Gesamtheit nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber Schwestervereine, die die fraglichen Kennzeichen bereits vor dem Verbot eines anderen Ortsvereins mit ihrem Ortszusatz versehen hatten, ausnehmen wollte.

Soweit die Kammer darüber hinaus darauf abstellt, es sei nicht ersichtlich, dass das Kennzeichenverbot nach dem Eindruck der Öffentlichkeit nicht effektiv durchgesetzt werde, und zudem auf die Eigenständigkeit der verschiedenen Ortsvereine verweist, verfängt dies ebenfalls nicht. Zum einen hat der Gesetzgeber den Zusatz „die Zielrichtung des verbotenen Vereins teilenden (Schwestervereine)“ explizit gestrichen und dies mit einer effektiven Durchsetzung des Kennzeichnungsverbots begründet. Es ist nicht Sache der Kammer, diese Bewertung des Gesetzgebers durch eine eigene Einschätzung der öffentlichen Wahrnehmung zu ersetzen. Zudem dient ausweislich der Gesetzesbegründung das in § 9 VereinsG geregelte Kennzeichenverbot der Abwehr von Gefahren, die „allein mit dem äußeren Erscheinungsbild solcher Kennzeichen verbunden sind“. Dieses äußere Erscheinungsbild steht allerdings unabhängig von der seitens der Kammer gemachten zeitlichen Differenzierung.

Den der Verschärfung des Vereinsgesetzes und der Schließung von Strafbarkeitslücken dienenden Regelungen wird die einschränkende Auslegung der Kammer demgemäß insgesamt nicht gerecht. Letztlich wollte der Gesetzgeber die Regelungen praxistauglicher machen und eine Feststellung allein anhand objektiver Kriterien ermöglichen. Die von der Kammer vertretene zeitliche Begrenzung führt indes zu nicht unerheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten und erfasst den Sinn und Zweck der Regelung gerade nicht.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

Der Begriff des „Verwendens“ ist objektiv auszulegen. Bei der in Rede stehenden Handlung des Angeschuldigten ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Benutzung der Kutte gerade nicht, dass diese dem Schutzzweck der Norm nicht zuwider lief. Schutzzweck der Norm des Kennzeichenverbots gemäß §§ 20 Abs. 1 S. 2, 9 Abs. 3 VereinsG ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/9758), das Kennzeichenverbot praxistauglich auszugestalten. Es sollen die Kennzeichen verbotener Vereine effektiv aus der Öffentlichkeit verbannt werden. Den Gefahren, die aus der Verwendung verbotener Kennzeichen erwachsen, die auf strafbare Aktivitäten oder verfassungsfeindliche Bestrebungen hindeuten, soll wirksam entgegengetreten werden können. Ein Verein, der im Wesentlichen gleiche Kennzeichen wie der verbotene Verein verwendet, erweckt in der Öffentlichkeit zumindest den Eindruck, er stehe gleichermaßen für die strafbaren Aktivitäten oder verfassungswidrigen Bestrebungen des verbotenen Vereins.

Der Angeschuldigte verwendete die Kennzeichen nach dem Ergebnis der Ermittlungen demonstrativ und öffentlich vor einer Polizeiwache, um die Strafbarkeit dieses Handelns „auszutesten“. Er trug dabei bewusst die beiden verbotenen Kennzeichen „Bandidos Top Rocker“ und „Fat Mexican“ zur Schau. Ihm ging es gerade um die Abgrenzung der Strafbarkeit durch die zusätzliche Verwendung des Namens einer nicht verbotenen Teilorganisation.

Der Angeschuldigte trug die Kennzeichen zur Schau, um die effektive Verbannung dieser beiden Kennzeichen gerade zu verhindern. Sein Handeln betrifft damit den Schutzbereich der Norm; er zielt auf den Kern des Schutzbereichs.

Er kannte bei Begehung der Tat alle Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören (vgl. § 16 StGB). Konkrete Anhaltspunkte für einen Verbotsirrtum i.S.d § 17 StGB, der jedenfalls nicht unvermeidbar gewesen wäre, liegen nicht vor.

3. Durchgreifende Bedenken gegen die Vereinbarkeit der gesetzlichen Neuregelung mit Verfassungsrecht bestehen nicht.

Insoweit führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 18.5.2018 aus:

„Soweit die Kammer im Falle einer wortlautgemäßen Anwendung eine mögliche Rückwirkung und damit einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG anführt, vermag dies nicht zu überzeugen. Dagegen ist einzuwenden, dass § 9 VereinsG – und damit die Strafbarkeit des § 20 Abs. 1 VereinsG – letztlich an dem Merkmal des „Verwendens“ des verbotenen Kennzeichens ansetzt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass „Verwenden“ jeder Gebrauch ist, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht, z.B. das Tragen, Zeigen, Ausstellen, Vorführen, Vorsprechen, Ausrufen. Die Verwendung des verbotenen Kennzeichens im privaten Kreis ist nicht untersagt. Sie darf nur nicht öffentlich geschehen. Öffentlich wird das Kennzeichen verwendet, wenn es von unbestimmt vielen Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen verbunden sind, oder von einem bestimmten größeren Personenkreis wahrgenommen werden kann (zu vgl., Wache in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze, 210. Erg.Lfg., § 9 Rn. 5 f. VereinsG). Für die Strafbarkeit entscheidet es daher entgegen der Kammer nicht das – ggfls. in der Vergangenheit liegende – „Versehen“ der – zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht verbotenen – Kennzeichen mit dem eigenen Ortsnamen oder das sich hieran und vor dem Verbot anschließende Verwenden der Kennzeichen durch Tragen der Kutte. Dem strafbewehrten Kennzeichenverbot unterliegt vielmehr die Ausführung des nach Kenntnisnahme des Verbots des weiteren Ortsvereins neu gefassten Entschlusses, die Kennzeichen gleichwohl über den privaten Bereich hinaus zur Schau zu stellen und mithin der öffentlichen Wahrnehmung auszusetzen.

Da dieser Tatentschluss vorliegend in tatsächlicher Hinsicht erkennbar nach Inkrafttreten der Neuregelung gefasst und ausgeführt worden ist, liegt ein Verstoß gegen Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht vor.

Die Kammer verweist im Übrigen darauf, dass die Regelung des § 9 Abs. 3 VereinsG eine polizeirechtliche Norm darstelle, die grds. ein Einschreiten zum Zwecke der Gefahrenabwehr erlaube, aber auch ein ausnahmsweises Absehen aus Gründen des konkreten Einzelfalls bzw. der Verhältnismäßigkeit. Bei § 20 Abs. 1 VereinsG handele es sich hingegen um einen Straftatbestand, der im Hinblick auf das Legalitätsprinzip derartige Ermessenserwägungen nicht zulasse. Daher sei der Begriff des „Verwendens“ § 20 Abs.1 S. 2 VereinsG restriktiver auszulegen.

Auch dies vermag nicht zu überzeugen. Angesichts der unterschiedlichen Zielrichtung polizeipräventiver Erwägungen einerseits und der repressiven Tätigkeit der Verfolgungsbehörden andererseits sind die Rückschlüsse der Kammer von vornherein nicht zwingend. Zudem enthält auch das Strafprozessrecht – wie bei allen anderen Straftatbeständen – ausreichende prozessuale Regelungen wie beispielsweise in §§ 153 ff. StPO, durch welche das grundsätzlich geltende Legalitätsprinzip eine für den konkreten Sachverhalt in Ansehung der jeweiligen Tat und des Täters handhabbare Anwendung findet. Auch würde hierdurch – wie bereits dargestellt – die von dem Gesetzgeber gerade bezweckte Ausweitung des Straftatbestandes und Schließung von Strafbarkeitslücken konterkariert. Die einschränkende Auslegung würde den Anwendungsbereich des Straftatbestandes ganz erheblich beschneiden, was erkennbar nicht gewollt ist. Denn die Gesetzesbegründung weist bereits selbst darauf hin, dass insbesondere bei sog. Rockergruppierungen die Nutzung von Kutten und der darauf abgebildeten Kennzeichen einer genauen Reglementierung unterliegen. Kaum denkbar sei daher, dass ein gesetzestreuer Verein „rein versehentlich“ ein ähnliches Kennzeichen verwendet und in der Folge durch ein Kennzeichenverbot betroffen wäre.

Selbst wenn man daher der Ausgangsüberlegung der Kammer folgte und eine Einschränkung des Tatbestandes für notwendig erachten sollte, wäre jedenfalls nicht ersichtlich, warum diese – wie von der Kammer angenommen – zeitlicher Natur zu sein hätte. Die vorgenannten Erwägungen des Gesetzgebers zielen allenfalls auf ein ausnahmsweise versehentliches und mithin irrtümliches Handeln ab. Hierfür gibt es jedoch vorliegend keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Denn der Angeschuldigte hat erkennbar gerade anlässlich des erfolgten Verbots und mithin bewusst die Kutte mit den fraglichen Kennzeichen vor einem Polizeigebäude getragen.“

Auch diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

Eine Kollision der gesetzlichen Tatbestandsausweitung mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegt ebenfalls nicht vor.

Dem steht nicht entgegen, dass der Strafrichter an die Verbotsverfügung gebunden ist und die Strafbarkeit damit an den Verwaltungsakt anknüpft, den Mitgliedern von Orts- oder Regionalorganisationen aber kein Rechtsmittel gegen eine Verbotsverfügung zur Verfügung steht, die sich gegen eine andere Orts- oder Regionalorganisationen richtet (vgl. El-Ghazi, StV 2018, 116). Denn die weltweite bekannte Organisation der Bandidos legt gerade Wert auf ihre überregional bekannten Kennzeichen und Symbole und ihre Teilorganisationen sind über diese miteinander verbunden. Durch die Verwendung eines einheitlichen Namens, einheitlicher Symbole und grundsätzlicher gleicher Zweckrichtung ihrer Orts- und Regionalvereine sind sie miteinander verbunden. Diese sind gerade keine vollständig voneinander unabhängigen, selbständigen Vereine, die zufällig identische Kennzeichen verwenden. Wollen sich einzelne (oder eine Vielzahl von) Orts- und Regionalvereine von dem verbotenen Inhalt anderer Orts- und Regionalvereine distanzieren, so steht ihnen dies frei durch eine klare und eindeutige Positionierung – entweder durch eine Einflussnahme über ihre Mutterorganisation auf einzelne Orts- und Regionalgliederungen, sich gesetzeskonform zu verhalten, oder durch eine nachträgliche Distanzierung in Form einer Kennzeichenabwandlung. Ihr Grundrecht insbesondere der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG) wird damit nicht übermäßig beeinträchtigt.

III.

Die Anklageerhebung beim Landgericht wegen der besonderen Bedeutung des Falls (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Durch die dem Angeschuldigten vorgeworfene Tat werden schwerwiegende öffentliche Interessen berührt. Zudem besteht ein besonderes Bedürfnis für die rasche Klärung einer grundsätzlichen, für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle bedeutsamen Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof.

Die Entscheidung über die Besetzung in der Hauptverhandlung hat das Gesetz der Strafkammer zugewiesen (§ 76 Abs. 2 GVG). Diese Entscheidung bleibt auch dann der Strafkammer vorbehalten, wenn das Hauptverfahren in der Beschwerdeinstanz durch das Oberlandesgericht eröffnet wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.4.2017 – III-2 Ws 528 - 577/16 m.w.N.), denn andernfalls würde der Beurteilungsspielraum der Kammer übergangen. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG wird die 1. große Strafkammer des Landgerichts Bochum bei der Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung über die Besetzung zu entscheiden haben.

Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist bei der Eröffnung des Hauptverfahrens in der Beschwerdeinstanz nicht veranlasst und bleibt der abschließenden Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.



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