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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 390/06 OLG Hamm

Leitsatz: Zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr i.S. von § 112 a StPO. Dieser setzt voraus, dass jede einzelne Tat ihrem konkreten Erscheinungsbild nach die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Wiederholungsgefahr; Anlasstat; schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsodnung;

Normen: StPO 112a

Beschluss:

Strafsache
gegen T.S.
wegen Diebstahls u. a. (hier: weitere Haftbeschwerde des Angeschuldigten).

Auf die weitere Haftbeschwerde des Angeschuldigten vom 10. Juli 2006 gegen den Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 27. Juni 2006 hat der
3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 08. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Gladbeck vom 29. Mai 2006 (6 Gs 150/06) und der Beschluss des Landgerichts Essen vom 27. Juni 2006 werden aufge¬hoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
I.
Der Angeschuldigte befindet sich nach seiner vorläufigen Festnahme am 28.05.2006 seit dem 29.05.2006 auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Gladbeck vom sel¬ben Tage (6 Gs 150/06) in dieser Sache in Untersuchungshaft in der Justizvollzugs¬anstalt Essen. In dem Haftbefehl wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, am 28.05.2006 in Gladbeck durch zwei selbständige Handlungen fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sachen sich rechtswidrig zuzueignen und dabei einmal zur Ausführung der Tat in einen Ge¬schäftsraum eingebrochen zu sein und im anderen Fall eine Sache gestohlen zu ha¬ben, die durch eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme gesondert gesichert war. Im Einzelnen soll er am 28.05.2006 in die Kantine des St. Barbara Hospitals in Gladbeck eingebrochen sein und mehrere Zigaretten, Einwegfeuerzeuge und Scho¬koriegel entwendet haben. Anschließend soll er auf dem Parkplatz des Krankenhau¬ses ein Fahrrad entwendet haben, indem er den Sicherungsbügel durchtrennte; die Handlungen sind mit Strafe bedroht nach §§ 242, 243 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, 53 StGB. Der Haftbefehl stützt sich auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gem. § 112 a Abs. 1 Ziff. 2 StPO und führt insoweit aus, dass der Beschuldigte die Tat begangen habe, obwohl gegen ihn wegen eines am 16.03.2006 begangenen Einbruchsdieb¬stahls ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl bestand und wegen weiterer Taten am 30.05.2006 gegen ihn Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht Gladbeck anbe¬raumt war.

In jenem Verfahren ist gegen den Angeschuldigten inzwischen unter dem 08.06.2006 – nach einem weiteren Sitzungstag am 30.05.2006 – ein – nicht rechtskräftiges – Urteil ergangen, in dem der Angeschuldigte unter Freisprechung im übrigen wegen versuchten schweren Diebstahls in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Sach¬beschädigung, und wegen Widerstandes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden ist. Die Taten wurden auf Grund von Betäubungsmittelabhängigkeit begangen.

Ebenfalls unter dem 08.06.2006 hat das Amtsgericht Termin zur Haftprüfung durch¬geführt und beschlossen, dass der Haftbefehl aus den Gründen seiner Anordnung aufrechterhalten werde. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Angeschuldigten vom 12.06.2006 hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 14.06.2006 nicht abge¬holfen und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Das Landgericht Essen – II. Strafkammer – hat durch den angefochtenen Beschluss vom 27.06.2006 die Be¬schwerde gegen den Haftfortdauerbeschluss des Amtsgerichts Gladbeck vom 08.06.2006 als unbegründet verworfen. Die Strafkammer hat in den Gründen des Beschlusses u. a. ausgeführt, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr wegen erheblicher Straftaten gegen § 243 StGB fortbestehe und im Hinblick darauf, dass mit der Strafe aus dem noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 08.06.2006 eine Ge¬samtstrafe zu bilden sei, von einer Straferwartung von mehr als einem Jahr auszu¬gehen sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeschuldigte durch seinen Verteidiger mit seiner Beschwerde vom 10.07.2006, der die Strafkammer durch Beschluss vom 31.07.2006 nicht abgeholfen hat.

II.
Die weitere Haftbeschwerde des Angeschuldigten ist gem. § 310 Abs. 1 StPO zuläs¬sig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Haftanordnung durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Gladbeck vom 29.05.2006 und durch den ange¬fochtenen Beschluss des Landgerichts Essen vom 27.06.2006.

Zwar ist der Angeschuldigte der ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Taten, die in¬zwischen auch Gegenstand der Anklage der Staatsanwaltschaft Essen vom 07.06.2006 gegen den Angeschuldigten geworden sind, dringend verdächtig, insbe¬sondere auf Grund seiner eigenen geständigen Angaben beim Haftrichter. Die Vor¬aussetzungen des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr gem. § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO können vorliegend jedoch nicht festgestellt werden. Zwar ist der Angeschul¬digte der wiederholten Begehung von Straftaten nach § 243 StGB dringend verdäch¬tig, weil er mindestens zwei mal durch verschiedene Taten dasselbe Strafgesetz verletzt hat. Insoweit besteht dringender Tatverdacht für die im Haftbefehl genannten Anlasstaten, die in beiden Fällen Diebstähle im besonders schweren Fall darstellen, sowie hinsichtlich der Bezugstaten, nämlich der Taten, die Gegenstand der Verurtei¬lung durch das Amtsgericht – Schöffengericht – Essen vom 08.06.2006 geworden sind. Hier ist der Angeschuldigte wegen versuchten schweren Diebstahls in drei Fäl¬len, in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung wie oben ausgeführt verurteilt worden. Weiter verlangt das Gesetz, dass die wiederholt begangene Anlasstat – insoweit muss min¬destens eine Tat vorliegen – nach § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt hat. Bei dem wiederholt oder fortge¬setzt begangenen Anlassdelikt muss es sich um eine Straftat handeln, die schon nach ihrem gesetzli¬chen Tatbestand einen erheblichen, in der Höhe der Straf¬androhung zum Ausdruck kommenden Unrechtsgehalt aufweist und den Rechts¬frieden erheblich stört. Darüber hinaus muss verlangt werden, dass die Tat, deren der Beschuldigte dringend ver¬dächtig ist, auch in ihrer konkreten Gestalt, ins¬besondere nach Art und Ausmaß des angerichteten Schadens, die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt hat und im Einzelfalle eine hohe Straferwartung von mehr als einem Jahr begründet (vgl. BverfGE 35, 185 – 192; KK-Boujong, 5. Aufl., Rdnr. 13 zu § 112 a). Da die in den Ka¬talog der Nr. 2 aufgenommenen Straftaten schon generell schwerwiegender Natur sind und der Kreis der Delikte durch das Merkmal der schwerwiegenden Beeinträch¬tigung aber noch weiter eingeschränkt werden soll, sind nur Taten überdurchschnitt¬lichen Schweregrades als Anlasstaten einzustufen (vgl. KK-Boujong, a.a.O.; OLG Frankfurt StV 2000, 209; OLG Köln StV 1995, 475; StV 1996, 158; OLG Karlsruhe StV 2002, 147). Danach setzt der Haftgrund der Wiederholungsgefahr voraus, dass jede einzelne Tat ihrem konkreten Erscheinungsbild nach die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.; KK-Boujong a.a. O.). Wenn¬gleich die Tatschwere nicht allein nach dem Gesamtschaden zu bemessen ist, sind Art und Umfang des jeweils angerich¬teten Schadens zu berücksichtigen. Dieser liegt bei den hier betreffenden Anlass¬taten im Falle des Einbruchs in die Krankenhaus¬kantine bei ca. 850,00 € (die Anklage geht von 7 Standen Zigaretten, 122 losen Schachteln Zigaretten, 35 Einwegfeuerzeugen und 63 Schokoriegeln als Beute aus, die überschlägig mit Werten von 280,00 €, 488,00 €, 35,00 € und 44,00 € = 847,00 € veranschlagt werden können). Bei dem Diebstahl des Fahrrades betrug der Ge¬samtwert des erlangten Gutes nach Aktenlage 500,00 €. In beiden Fallen ist indes zu berücksichtigen, dass die Beute an die Eigentümer, im Falle des Fahrraddiebstahls vollständig, im Falle des Einbruchs in die Krankenhauskantine weitestgehend oder sogar vollständig zurückgelangt sind. Angesichts dieser eher geringen tatsächlich eingetretenen Schäden, die im Falle des Kantineneinbruchs lediglich in dem eigentli¬chen Einbruchsschaden und im Falle des Fahrraddiebstahls im Schaden durch das beschädigte Schloss bestehen, sind diese Taten als jedenfalls nicht überdurch¬schnittlich schwerwiegend einzustufen. Zwar erhalten diese Taten ein gravierenderes Gepräge dadurch, dass der Angeschuldigte zum Zeitpunkt der Begehung der Taten haftverschont war, nachdem ein Haftbefehl des Amtsgerichts Gladbeck wegen der in dem Verfahren 57 Js 142/06 StA Essen gegen ihn außer Vollzug ge¬setzt worden war und er sich am 30.05.2006, mithin nur zwei Tage nach den neuerlichen Taten wegen der vorangegangenen Taten vor Gericht zu verantworten hatte. Auch fällt insoweit ins Gewicht, dass er zum Zeitpunkt der Begehung der ihm vorgeworfe¬nen Anlass¬taten unter laufender Bewährung in zwei Verfahren stand und bereits vielfach einschlägig vorbestraft ist und auch – zum Teil längere – Freiheitsstrafen verbüßt hat. Bei der gebotenen Gesamtschau ist jedoch letztlich nicht festzustellen, dass auch nur eine der Anlasstaten einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt aufweist, der mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegt, die als Anlasstaten nach § 243 StGB in Betracht kommen. Ins Ge¬wicht fällt insoweit letztlich zu Gunsten des Angeklagten, dass bei der gegebenen schweren Drogenabhängigkeit die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen dürf¬ten, der zu einer Milderung des Strafrahmens führt. Beide Anlasstaten des Ange¬schuldigten sind allenfalls mit einem durchschnittlichen Schweregrad und Unrechts¬gehalt zu bewerten und reichen daher für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht aus.

Abgesehen von der mangelnden Eignung der Anlasstaten für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, handelt es sich aber auch bei den Bezugstaten nicht um sol¬che die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftaten. Die Taten, die Gegenstand der Verurteilung des Amtsgerichts Gladbeck vom 08.06.2006 geworden sind, sind mit Einsatzstrafen von sechs, neun und zehn Monaten geahndet worden. Bei der schwersten Tat vom 01.01.2006, bei der der Angeschuldigte versuchte, den im Vorraum einer Bank befindlichen Geldautomaten aufzubrechen, wobei er das Metallgehäuse aufhebelte ohne dass es ihm gelang an das Geld heranzukommen, richtete er zwar einen erheblichen Sachschaden an, es gelang ihm jedoch nicht an das Geld heranzukommen. Bei der Tat war er mit 1,38 Promille erheblich alkoholi¬siert und stand darüber hinaus unter dem Einfluss von Methadon und Kokain sowie erheblich unter dem Einfluss von Diazepam und Desmethyldiazepam. Auch hat er sich später geständig gezeigt. Angesichts dieser Umstände ist das Gericht lediglich zu einer Einsatzstrafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe gelangt, die für die Fest¬stellung eines überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes letztlich nicht ausreichen. Entsprechendes gilt für die beiden mitabgeurteilten weiteren ver¬suchten Diebstähle.

Soweit es teilweise für ausreichend erachtet wird, dass die Bezugstat bei der Wiederho¬lungsgefahr auch in einer Straftat bestehen kann, die bereits rechtskräftig abgeurteilt und verbüßt sein kann (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 12.12.2002, Az.: I Ws 532/02; OLG Schleswig, NSTZ 2002, 276) fehlt es an einer entsprechen¬den Be¬zugstat im Strafregister des Angeschuldigten. Zwar ist der Angeschuldigte vielfach verurteilt worden; wegen eines Diebstahls im besonders schweren Fall zuletzt am 18.12.2001 durch das Amtsgericht Wuppertal, das gegen ihn wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängte, die nach Teilverbüßung mit einem Rest zur Bewährung ausgesetzt ist. Diese Taten sind ebenfalls auf Grund der Höhe der verhängten Freiheitsstrafen als Bezugstaten im Rahmen der Wiederholungsgefahr nicht ausreichend. Soweit der Verurteilte durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 21.03.1995 wegen schweren Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt wor¬den ist, scheidet die hier zu Grunde liegende Straftat bereits wegen des erheblichen Zeitraums von etwa elf Jahren seit Begehung der neuerlichen Anlasstaten aus.

Eine Umstellung des Haftbefehls auf den Haftgrund der Fluchtgefahr kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Akteninhalt dafür keinerlei konkrete Anhaltspunkte erkennen lässt.

Der Haftbefehl und der angefochtene Beschluss der Strafkammer vom 27.06.2006 waren daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO analog.



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