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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 352 u. 353/05 OLG Hamm

Leitsatz: Hat während des Vollstreckungsverfahrens die Strafvollstreckungskammer zunächst die bedingte Entlassung angeordnet und später über den Widerruf entschieden, so ist sie erstinstanzliches Gericht i.S. des § 40 Abs. 1 StPO.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Vollstreckungsverfahren; erstinstanzliches Gericht; öffentliche Zustellung;

Normen: StPO 40; StPO 462a

Beschluss:

3 Ws 351 u. 353/05 OLG Hamm
Strafsache
gegen
wegen
I.L.
wegen Diebstahls u.a.
(hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Widerruf der bedingten Entlassung).
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 28. Juni 2005 gegen den Beschluss der 20. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 7. Mai 1999 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 08. 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.
Gründe:
Der Beschwerdeführer wurde
a) durch Urteil des AG Kamen vom 12.5.1993 - 27 VRs 9789/94 StA Dortmund - wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und
b} durch Urteil des AG Kamen vom 7.9.1994 wegen Diebstahls -66 VRs 9731193 StA Dortmund -
jeweils zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, deren Vollstreckungen zur Bewährung ausgesetzt wurden:
Durch Beschlüsse des AG Kamen vom 19. 2. bzw. 23. 4. 1996 wurden die Strafaussetzungen rechtskräftig widerrufen.
Nach Verbüßung von 2/3 der Strafhaft setzte die Strafvollstreckungskammer Bielefeld die Reststrafen durch Beschluss vom 26.11.1996 zur Bewährung aus.
Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer Bielefeld vom 7.5.1999 widerrief das Landgericht die bedingte Entlassung des Verurteilten.
Nach vergeblichem Zustellungsversuch unter der Wohnanschrift und vergeblicher Aufenthaltsermittlung hat die Strafvollstreckungskammer durch Beschluss vom 9.5.2003 die öffentliche Zustellung des Widerrufbeschlusses angeordnet, welche in der Folgezeit beim AG Kamen durch Aushang erfolgte.
Am 13.6.2005 wurde der Verurteilte festgenommen und befindet sich seitdem in Strafhaft.
Mit seiner sofortigen Beschwerde vom 28.6.2005 wendet sich der Verurteilte gegen die Entscheidung des Landgerichts Bielefeld vom 7.5.1999.
Die Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des AG Kamen vom 7.9.1994 hatte der Verurteilte am 30.7.2005 vollständig verbüßt. Die Restfreiheitsstrafe aus der Verurteilung des AG Kamen vom 12.5.1993 wird am 9.9.2005 verbüßt sein.
fl.
Die gemäß 454 Abs. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt, in der Sache selbst aber nicht begründet.
a) Zwar ist gemäß § 311 Abs. 2 StPO die sofortige Beschwerde innerhalb einer Woche nach Zustellung einzulegen, mithin wäre sie vorliegend verspätet erfolgt. Allerdings wird die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO nur durch eine förmliche Zustellung in Gang gesetzt.
Vorliegend kann eine ordnungsgemäße öffentliche Zustellung nicht festgestellt werden, denn die öffentliche Zustellung ist unwirksam, weil der Beschluss nicht - wie im § 40 Abs. 2 Satz 1 StPO vorgeschrieben - an der Gerichtstafel des Gerichts des ersten Rechtszuges angeheftet worden ist. Dies war nämlich die Gerichtstafel des Landgerichts Bielefeld und nicht die des Amtsgerichts Kamen.
In der Fallkonstellation, in der- wie hier - während des Vollstreckungsverfahrens die Strafvollstreckungskammer zunächst die bedingte Entlassung des Verurteilten anordnet, später aber über deren Widerruf zu entscheiden hat, ist es gerechtfertigt, das Landgericht als erstinstanzliches Gericht im Sinne des § 40 Abs. 1 StPO anzusehen (OLG Hamm Beschluss vom 19.8.2004 - 3 Ws 417-419/04- unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtssprechung, OLG Köln, NStZ-RR 2000, 83f.).
Bei der öffentlichen Zustellung soll dem Adressaten, der anders nicht erreichbar ist, eine denkbar weitgehende Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet werden. Dazu soll nach der gesetzlichen Regelung der Aushang des zuzustellenden Schriftstücks bei dem Gericht des ersten Rechtszugs am Ehesten geeignet sein, weil es sich dabei um den Ort handelt, der dem Adressaten als Ausgangspunkt des gerichtlichen
Verfahrens, in dem Zustellungen erfolgen können, bekannt ist, und weil er dort auch vernünftigerweise zunächst Nachforschungen anstellen wird (OLG Karlsruhe, MDR 1991, 159).
Dieses Ziel wird aber nur erreicht, soweit der Verurteilte (noch) mit Verlautbarungen des Gerichts zu rechnen hat. Ein Verurteilter, gegen den von verschiedenen Gerichten in rechtskräftig abgeschlossenen Erkenntnisverfahren Freiheitsstrafen verhängt worden sind, die er anschließend teilweise verbüßt hat, bis die Reststrafen durch die Strafvollstreckungskammer zur Bewährung ausgesetzt worden sind, und dem eine Belehrung dahingehend erteilt wird, die Strafvollstreckungskammer widerrufe bei einem Auflagen- oder Weisungsverstoß die bedingte Entlassung, wird eine mögliche Entscheidung in Bezug auf die Reststrafenaussetzungen nicht dem ursprünglichen Tatrichter zuordnen und deren Verlautbarung auch nicht bei den verurteilenden Gerichten erwarten (OLG Hamm aa0).
b) Die sofortige Beschwerde hat in der Sache selbst aber keinen Erfolg. Gemäß §§ 57 Abs. 3, 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die der Strafaussetzung zugrunde liegende Erwartung sich nicht erfüllt hat. Dabei reicht die Begehung einer neuen Straftat allein zum Widerruf nicht aus. Das entscheidende Gericht hat vielmehr eine neue Sozialprognose zu stellen, ob sich der Verurteilte künftig straffrei führen wird (vgl. OLG Düsseldorf, Strafverteidiger 1998, 214; LK, StGB, § 56 f, Rn. 13). Die Strafaussetzung ist danach dann zu widerrufen, wenn die frühere günstige Prognose nicht aufrechterhalten werden kann. Voraussetzung eines Widerrufs ist dabei nicht, dass zwischen der früheren und der neuen Tat ein kriminologischer Zusammenhang besteht oder die Taten nach Art und Schwere miteinander vergleichbar sind (LK, a.a.O.).
Im Hinblick hierauf ist der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht zu beanstanden.
Der Verurteilte ist innerhalb der Bewährungszeit strafrechtlich erneut, wenn auch nicht einschlägig, in Erscheinung getreten und durch Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 18.5.1999 rechtskräftig wegen gemeinschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 5 Fällen, wegen Beihilfe zum
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen gemeinschaftlicher Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen in 3 Fällen, wobei er in zwei Fällen gewerbsmäßig handelte, und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Durch seine während der Bewährungszeit begangenen Straftaten (Ende 1997 - April 1998) hat der Verurteilte gezeigt, dass die ursprünglich getroffene günstige Prognose unrichtig war.
Eine andere Beurteilung ergibt sich entgegen der Auffassung der Verteidigung nicht daraus, dass dem Verurteilten in der Verurteilung des AG Oberhausen vom 18.5.1999 noch einmal Bewährung gewährt worden ist. Zwar ist es nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. Tröndle-Fischer, StGB, 52. Aufl.,
§ 56 f StGB Rn.8 b), die der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht, in der Regel geboten, dass das über einen Bewährungswiderruf entscheidende Gericht sich der sachnäheren Prognose des eine neue Tat aburteilenden Richters anschließt. Dieser hat in der Hauptverhandlung einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten gewinnen können; diesem Eindruck kommt in der Regel bei der Frage, ob eine Strafaussetzung zu widerrufen ist, (mit-)entscheidende Bedeutung zu.
Dies kann jedoch nur dann der Fall sein, wenn die Prognose auf einer nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit den Gründen, die zur erneuten Strafaussetzung zur Bewährung geführt haben, beruht (Tröndle-Fischer, a.a.0.).
Das ist vorliegend nicht der Fall. Das Amtsgericht Oberhausen hat in seinem Urteil nichts zur Begründung seiner Bewährungsentscheidung dargelegt.
Insbesondere lässt es eine Auseinandersetzung damit, dass der Verurteilte in zwei Verfahren, nämlich den vorliegenden, unter Bewährung stand, als er die neuen Straftaten Ende 1997 J Anfang 1998 beging, vermissen. Das Amtsgericht setzt sich auch nicht im einzelnen mit den übrigen zahlreichen Vorverurteilungen des Verurteilten auseinander. Nach allem ist die Bewährungsentscheidung des Amtsgerichts vom 18. 5.1999 daher nicht nachvollziehbar.

Damit kommt ihr im Widerrufsverfahren keine entscheidende Bedeutung zu.
Vielmehr ist allein schon aufgrund der schnellen Rückfallgeschwindigkeit nach Haftentlassung und des Umstandes, dass der Verurteilte die der Verurteilung durch das Amtsgericht Oberhausen vom 18.5.1999 zugrunde, liegenden Taten während zwei laufender Bewährungen beging, die Annahme gerechtfertigt, dass der Verurteilte - wenn überhaupt - nur noch durch konsequente Vollstreckung der gegen ihn verhängten Strafen zu beeindrucken ist.
Bei dieser Sachlage kamen auch mildere Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB nicht in Betracht.
Da nach allem die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu Recht widerrufen worden ist, war die sofortige Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.



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