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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ws 413/06 (4 OBL 83/06) OLG Hamm

Leitsatz: Eine Zeit¬spanne von fünf Monaten zwischen Eingang der Akten beim Landgericht und dem geplanten Beginn der Hauptverhandlung ist in aller Regel nicht hinnehmbar, es sei denn er ist durch den Verfahrensumfang, besondere Schwierigkeiten oder verfahrensfördernde Maßnahme gerechtfertigt.


Senat: 4

Gegenstand: Haftprüfung durch das OLG

Stichworte: Haftprüfung durch das OLG; Verfahrensverzögerung; Eingang der Anklage; Terminierung; Frist; verfahrensfördernde Maßnahme; Belastung;

Normen: StPO 121; StPO 122

Beschluss:

Strafsache
gegen M.S.
wegen besonders schwerer Brandstiftung, (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der (Doppel-) Akten zur Entscheidung gem. §§ 121, 122 StPO hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 09. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeklagten und seiner Verteidi¬ger beschlossen:

Der Haftbefehl der II. Strafkammer des Landgerichts Arnsberg vom 17. August 2006 - 2 KLs 242 Js 95/06 (35/06 a) - wird aufgehoben.

Gründe:
I.
Dem Angeklagten, der sich seit seiner vorläufigen Festnahme am 06. März 2006 seitdem in Untersuchungshaft befindet, wird mit dem neu gefassten Haftbefehl des Landgerichts Arnsberg vom 17. August 2006 zur Last gelegt, in der Nacht vom 02.02.2006 zum 03.02.2006 eine in einem Wohn- und Geschäftshaus gelegene und von ihm und seiner Mutter betriebene Pizzeria in Brilon-Alme in Brand gesetzt zu haben, wobei er andere Menschen durch die Tat in die Gefahr des Todes brachte und in der Absicht handelte, eine andere Straftat (Versicherungsbetrug) zu ermöglichen, §§ 306, 306 a Abs. 1 Nr. 1, 306 b Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB.

Die mit dem Haftbefehl übereinstimmende Anklage der Staatsanwaltschaft Arnsberg vom 02. Juni 2006 ist durch Beschluss der Strafkammer vom 17. August 2006 zur Hauptverhandlung zugelassen worden. Wegen des Tatvorwurfs im Einzelnen wird auf den Haftbefehl und die Anklageschrift Bezug genommen, die das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zutreffend zu¬sammenfasst.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen.Der Wahlverteidiger des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 01. September 2006 die Aufhebung des Haftbefehls beantragt.

II.
Der Haftbefehl des Landgerichts Arnsberg vom 17. August 2006 unterliegt der Auf¬hebung, weil die Voraussetzungen, unter denen Untersuchungshaft über sechs Mo¬nate hinaus gem. § 121 Abs. 1 StPO angeordnet werden kann, nicht vorliegen.

Zwar ist der Angeklagte der ihm zur Last gelegten Tat aufgrund der durchgeführten Ermittlungen dringend verdächtig. Auch die Annahme des Haftgrundes der Flucht¬gefahr begegnet keinen Bedenken.

Gleichwohl kann der an sich gerechtfertigte Haftbefehl keinen Bestand haben, da das Verfahren nicht die in Haftsachen gebotene, auf dem Freiheitsanspruch gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 2 MRK beruhende Beschleunigung erfährt bzw. erfahren hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten bzw. Angeklagten den vom Standpunkt der Strafverfolgungsorgane aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen stets als Korrektiv entgegen zu halten ist und sich sein Ge¬wicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Unter¬suchungshaft vergrößert (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 121 Rdnr. 1). Dem trägt die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO Rechnung, wonach der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen der selben Tat über sechs Mo¬nate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO lässt also nur in begrenztem Umfange eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus zu und ist eng auszulegen (vgl. BVerfGE 20, 45, 50; 36, 264, 271). Dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen wird daher nur dann Genüge getan, wenn die Strafverfolgungsbehörden und das mit der Sache befasste Gericht alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen.

Diesen Erfordernissen wird der Verfahrensgang vorliegend nicht gerecht.

Zwar sind die Ermittlungen mit dem nötigen Nachdruck geführt und mit der Erhebung der Anklage am 02. Juni 2006 in angemessener Zeit ohne vorwerfbare Verzögerun¬gen zum Abschluss gebracht worden.

Die weitere Sachbehandlung durch das Landgericht trägt dem in Haftsachen gelten¬den Beschleunigungsgebot jedoch nur unzureichend Rechnung.

Die Anklage ist bereits am 07. Juni 2006 beim Landgericht eingegangen. Die Haupt¬verhandlung s o l l - nach Absprache mit den Verteidigern und dem Brandsachver¬ständigen - am 07. November 2006 beginnen. Eine Terminierung ist ausweislich der dem Senat vorliegenden Doppelakten allerdings noch nicht erfolgt, so dass der tat¬sächliche Beginn der Hauptverhandlung noch ungewiss ist. Eine derart lange Zeit¬spanne von fünf Monaten zwischen Eingang der Akten beim Landgericht und dem geplanten Beginn der Hauptverhandlung ist in aller Regel nicht hinnehmbar und im vorliegenden Fall weder durch den Verfahrensumfang, besondere Schwierigkeiten noch die von der Strafkammer vorgenommenen verfahrensfördernden Maßnahmen gerechtfertigt. Die geltend gemachte Überlastung, die im übrigen trotz eines entspre¬chenden Hinweises seitens der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift an die Staatsanwaltschaft Arnsberg vom 16. August 2006 nicht konkret genug im Hinblick auf bereits terminierte H a f tsachen belegt worden ist, wäre nur dann ein wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO, wenn es sich lediglich um eine vorüberge¬hende Überlastung handeln würde. Die Überlastung infolge Häufung anhängiger (Haft-) Sachen, die schon länger andauert, ist kein wichtiger Grund im Sinne dieser Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 121 Rdnr. 22 m. w. N.).
Dem Senat ist die angespannte Geschäftslage der II. Strafkammer des Landgerichts Arnsberg bereits aus früheren Verfahren, in denen über die Haftfortdauer gem. §§ 121, 122 StPO zu entscheiden war, bekannt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Okto¬ber 2005 - 4 OBL 53/05 -, 17. November 2005 - 4 OBL 69/05 -, 02. Februar 2006 - 4 Ws 36/06 (4 OBL 4/06) - und 08. Juni 2006 - 4 Ws 249/06 (4 OBL 30/06) -). Seiner¬zeit ist der Senat allerdings noch von einer vorübergehenden Überlastung ausge¬gangen, nach der nunmehrigen Erkenntnislage kann davon jedoch keine Rede mehr sein. Rechtzeitige gerichtsorganisatorische Maßnahmen, etwa die Einrichtung einer Hilfsstrafkammer, wobei u. U. auch auf Richter außerhalb der Strafgerichtsbarkeit zurückzugreifen ist (vgl. BVerfGE 36, 264, 273), sind bislang versäumt worden.

Da ein Verfahrensabschluss innerhalb einer Frist, die dem grundsätzlichen Freiheits¬anspruch des Gefangenen Rechnung trägt, offensichtlich nicht zu erwarten ist und die - hier erheblichen - Verzögerungen auf Umständen beruhen, die die Justiz bzw. der Staat zu verantworten haben, ist der Senat nach alledem von Gesetzes wegen gehalten, den Haftbefehl des Landgerichts Arnsberg vom 17. August 2006 aufzuhe¬ben.



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