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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 486/06 OLG Hamm

Leitsatz: Zum sexuellen Missbrauch von Jugendlichen bei Verknüpfung von Geldhingabe und der Duldung der sexuellen Handlungen.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: sexueller Missbrauch; Jugendlicher, Geldhingabe; Verknüpfung; Berufungsbeschränkung;

Normen: StGB 182

Beschluss:

Strafsache
gegen K.M
wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Hagen vom 01. Juni 2006 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Hamm am 06. 11. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:

Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Lüdenscheid hat den Angeklagten am 28. November 2005 wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit einem am 02. Dezember 2005 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz Rechtsmittel eingelegt, nachdem die Staatsanwaltschaft Hagen bereits unter dem 29. November 2005 Berufung eingelegt hatte. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Berufung in der Berufungshauptverhandlung vor der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Hagen vom 01. Juni 2006 zurückgenommen. Im Rahmen der Hauptverhandlung hat der Angeklagte sein Rechtsmittel auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt.

Die Kammer hat die Berufung des Angeklagten daraufhin mit Urteil vom 01. Juni 2006 verworfen. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz vom 02. Juni 2006, der am selben Tag bei Landgericht einging, Revision eingelegt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 08. August 2006 hat der Angeklagte seine Revision begründet, wobei er sich mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts mit näheren Ausführungen gegen seine Verurteilung wendet und geltend macht, es liege ein Fall unwirksamer Rechtsmittelbeschränkung vor, da nach den getroffenen Feststellungen keine Straftat gegeben sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.
Die zulässige Revision war antragsgemäß als unbegründet zu verwerfen. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Die Beschränkung der Berufung auf die Überprüfung des Rechtsfolgensausspruchs war zulässig. Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorausgegangenen amtsgerichtlichen Urteils befunden hat. Aus diesem Grund ist vom Revisionsgericht, wenn sich das Berufungsgericht wegen der vom Berufungsführer erklärten Berufungsbeschränkung (§ 318 StPO) nur mit einzelnen Teilen des Ersturteils befasst hat, auch nachzuprüfen, ob und inwieweit die Berufung rechtswirksam auf diese Teile beschränkt ist (vgl. BayObLGSt 1999, 99; Ruß in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 318 Rn. 1).
Grundsätzlich ist der Rechtsfolgenausspruch allein anfechtbar. Das gilt jedoch nur dann, wenn die Schuldfeststellungen eine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben. So ist es dem Berufungsgericht versagt, über die Rechtsfolgen einer Handlung zu befinden, die überhaupt nicht strafbar ist. Deshalb ist die Beschränkung eines Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam, wenn nach den Feststellungen zu dem nicht angefochtenen Schuldspruch eine Straftat nicht vorliegt (vgl. BayObLG NStZ 1994, 88 m.w.N.).

Ein solcher Fall unwirksamer Rechtsmittelbeschränkung scheidet hier jedoch aus. Die vom Revisionsgericht von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob der Angeklagte seine Berufung gemäß § 318 StPO wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, führt zu dem Ergebnis, dass die 1. große Jugendkammer des Landgerichts Hagen zutreffend von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen ist. Das Amtsgericht hat folgende Tatfeststellungen getroffen, die – entgegen der nunmehr vertretenen Ansicht des Verteidigers des Angeklagten – sehr wohl eine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden:

„Der Angeklagte war Leiter einer Naturschutzgruppe und lernte so etliche Mädchen aus der Umgebung des Ortsteils Lüdenscheid-Brügge kennen. Der Angeklagte machte sich bei den Mädchen u.a. auch dadurch beliebt, dass er ihnen Geschenke machte, sie zum Essen einlud und Ausflüge mit ihnen unternahm. Nachdem der Angeklagte sich das Vertrauen der Mädchen erschlichen hatte, nutzte er dieses Vertrauen auch zur Durchsetzung sexueller Ziele aus. Hierzu lud er u.a. die Zeuginnen A., B. und C. in die untere Etage seines ehemaligen Elternhauses ein. Er spielte mit den Mädchen ein Würfelspiel, bei dem es ihm letztlich darum ging, dass die Mädchen sich entkleideten und sexuelle Handlungen duldeten. Bei dem Würfelspiel musste derjenige, der eine 1 würfelte, einen Mitspieler küssen. Bei einer 3 musste er etwas trinken und bei einer 6 ein Kleidungsstück ablegen. Sobald ein Mitspieler kein Kleidungsstück mehr anhatte und eine weitere 6 würfelte, bekam er von dem Angeklagten 5,00 EUR, und der Angeklagte durfte sich eine sexuelle Handlung aussuchen.

An einem nicht mehr näher feststellbaren Tag im Jahr 2002 nach Juni 2002 spielte der Angeklagte mit der am 29.09.1987 geborenen Zeugin A. das Würfelspiel. Als das Spiel bereits so weit gespielt war, dass keiner der beiden mehr ein Kleidungsstück trug, wobei der Angeklagte sich einen Bademantel übergezogen hatte, bekam die Zeugin A. mehrfach 5,00 EUR für eine von ihr gewürfelte 6. Der Angeklagte durfte sich dann sexuelle Handlungen dafür aussuchen. Die Zeugin A. (ließ) es zu, dass der Angeklagte an ihrer entblößten Scheide leckte. An einem anderen Tag spielten der Angeklagte und die Geschädigte A. das genannte Würfelspiel erneut, bis beide entkleidet waren. Die Zeugin A. hatte wiederum bereits mehrfach 5,00 EUR erhalten. Der Angeklagte fasste dafür der auf der Couch liegenden Zeugin an ihre entblößten Brüste, knetete diese und fasste auch in den Scheidenbereich. Ferner führte er einen Finger in ihre Scheide ein und bewegte ihn dort. Dem Angeklagten war bei Durchführung der Spiele bewusst, dass ein Anreiz für die sexuellen Handlungen für die Zeugin in der Aussicht auf die zugesagten 5,00 EUR-Beträge bestand. Der Angeklagte hatte die Form des Spiels gewählt, weil die Zeugin gegen die direkte Hingabe von Geld keine sexuellen Handlungen an sich duldete. Im Übrigen musste die Geschädigte dem Angeklagten für eine gewürfelte 6 nichts zurückzahlen.“

Diese in sich widerspruchsfreien und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßenden Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gemäß §§ 182 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB. Die Auffassung des Verteidigers, es liege kein Fall des zweifachen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen vor, ist für den Senat nicht nachvollziehbar.

So hat die 1. große Jugendkammer des Landgerichts Hagen zu der von diesem angegriffenen Tatbestandvoraussetzung der kausalen Verbindung zwischen der Geldhingabe und der Duldung der sexuellen Handlungen u.a. ausgeführt:

„Im Übrigen ergibt sich der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem Entgelt und der Duldung der sexuellen Handlung auch aus den vom Amtsgericht festgestellten Spielregeln des Würfelspiels, die der Angeklagte – wie das Amtsgericht darüber hinaus feststellte – selbst vorgegeben hat: Nach den Spielregeln war bei einer nicht nur ganz kurzen Spieldauer zunächst unausweichlich, dass alle Mitspieler nach einiger Zeit nackt sein würden, da das Würfeln einer „6“ kaum vermeidbar sein wird. Darüber hinaus war bei weiterem Fortgang des Spieles ebenfalls unvermeidlich, dass bei Würfeln einer „6“ und bei Zahlung von 5,00 EUR das Recht des Angeklagten entstand, sich eine sexuelle Handlung aussuchen zu dürfen. Dass nach den Spielregeln die Zahlung der 5,00 EUR nicht etwa nur für das Würfeln der „6“ erfolgen sollte, sondern zumindest auch dazu dienen sollte, das Dulden von sexuellen Handlungen abzugelten, folgt auch daraus, dass die Mitspielerinnen ihrerseits keine 5,00 EUR zu zahlen hatten, wenn der Angeklagte eine „6“ würfelte. Letztlich stellt sich das vom Angeklagten erfundene Würfelspiel und das hierbei festgelegte Regelwerk als ein „Paket“ dar, bei dem es von vornherein nur von der Spieldauer und „Spielglück“ abhängig war, wann es zum Entkleiden und der Vornahme bzw. Hinnahme sexueller Handlungen kommt, und zwar entsprechend den Spielregeln im Austausch gegen – wenn auch jeweils geringe – Geldbeträge. Die Gestaltung des Austauschverhältnisses durch die Spielregeln und den Spielverlauf stellt sich damit nur als eine das „Freier“-/Prostituiertenverhältnis spielerisch verklärende und verschleiernde Abwicklung des von beiden Seiten letztlich erwarteten Spielergebnisses dar.“

Diese rechtliche Beurteilung ist nicht zu beanstanden. Lediglich ergänzend ist festzustellen, dass sich die in der Revisionsbegründung des Angeklagten aufgestellte Behauptung, es sei nur für das Würfeln einer „6“, nicht aber für das Überreichen von 5,00 € die Duldung einer sexuellen Handlung vereinbart gewesen, nicht mit den im Urteil getroffenen Feststellungen deckt. Danach bekam die Zeugin für eine von ihr gewürfelte „6“ jeweils 5,00 € und der Angeklagte durfte sich dann eine sexuelle Handlung aussuchen. Das Spiel war vom Angeklagten also so konzipiert worden, dass das Würfeln der Zahl „6“ allein nicht ausreichte, um die Geschädigte zur Duldung der sexuellen Handlung zu veranlassen. Vielmehr war das Würfeln der Zahl „6“ nur in Verbindung mit der Zahlung des Geldes – so die Spielregeln des Angeklagten – die Bedingung dafür, dass sich der Angeklagte eine sexuelle Handlung aussuchen durfte.
Unabhängig davon reicht für die Verwirklichung des Tatbestandes das Einigsein von Täter und Opfer aus, dass der Vermögensvorteil die Gegenleistung für das Sexualverhalten der Jugendlichen sein soll. Hierbei ist es unerheblich, ob die Vereinbarung zivilrechtlich wirksam ist (vgl. BGH NStZ 2004, 683 m.w.N.). Es genügt, wenn die Jugendliche zur Duldung der sexuellen Handlung durch die Entgeltvereinbarung zumindest mitmotiviert wird, da sie schon hierdurch die Erfahrung der Käuflichkeit sexueller Handlungen macht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage, § 182 Rn. 10 m.w.N.). Aus diesem Grund ist es irrelevant, ob der Reiz des Spiels bei der Entscheidung der Geschädigten, die sexuellen Handlungen an sich zu dulden, ebenfalls eine Rolle spielte.

Die in der Revisionsbegründung weiterhin geäußerte Ansicht des Verteidigers, das Würfelspiel des Angeklagten habe für alle Beteiligten nicht den Charakter einer Prostitution, sondern eines unter Jugendlichen üblichen „Pfänderspiels“ gehabt, liegt ebenso neben der Sache. Nach dem Schutzzweck des § 182 StGB sollen Jugendliche angesichts ihres noch nicht abgeschlossenen Reifeprozesses vor dem Abgleiten in die Prostitution und den damit verbundenen nachteiligen Folgen in ihrer sexuellen Entwicklung geschützt werden. Gerade die Erfahrung der Käuflichkeit sexueller Handlungen beeinflusst die ungestörte sexuelle Entwicklung nachhaltig negativ (vgl. BGH NJW 2000, 3726).
Dass das vom Angeklagten erdachte Würfelspiel eine Verletzung des durch § 182 StGB geschützten Rechtsgutes darstellt, unterliegt deshalb nicht einem Zweifel. Der zum Zeitpunkt der Taten 67 Jahre alte Angeklagte hat der 14 Jahre alten Geschädigten auf besonders perfide Weise spielerisch nahegebracht, dass die Entgegennahme von Geld als Gegenleistung für sexuelle Handlungen nicht verwerflich sei. Durch das Spiel und die damit verbundene Hingabe des Geldes hat er der Geschädigten das Erlebnis von Sexualität als käuflicher Ware vermittelt. Er hat der Jugendlichen, die gegen eine direkte Hingabe von Geld keine sexuellen Handlungen an sich duldete, gezielt ihre Hemmungen durch die von ihm erdachten Spielregeln genommen und ihr wahres Ziel des Spiels verschleiert und verharmlost. Auf diese Weise hat er die Geschädigte so manipuliert, dass sie die Zahlungen schließlich doch annahm und die sexuellen Handlungen des Angeklagten an sich duldete.

Die Revision war daher gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.



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