Aktenzeichen: 3 Ss 319/06 OLG Hamm |
Leitsatz: Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im strafrechtlichen Ur¬teil bedarf grundsätzlich einer stichtagsbezogenen Gegenüberstellung der fälli¬gen Verbindlichkeiten sowie der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizu¬schaf¬fenden Mittel. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Insolvenzverschleppung; Geschäftsführer; Zahlungsunfähigkeit; Feststellungen; |
Normen: GmbHG 84 |
Beschluss: Strafsache gegen D.J. wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 31.01.2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 09. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 31.01.2006 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen. Gründe: I. Das Landgericht Essen hat den Angeklagten auf seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 11.05.2004 wegen Verschleppung des Insolvenzver¬fahrens zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20,- verurteilt. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Revision mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. II. Die zulässige Revision des Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils bereits im Schuldspruch mitsamt den zugrunde liegenden Feststellungen. Die Feststellungen des Berufungsurteils des Landgerichts Essen tragen den Schuld¬spruch wegen vorsätzlicher Verschleppung des Insolvenzantrages, Vergehen gemäß § 84 Abs. 1 Ziffer 2 GmbHG nicht. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer es als Geschäftsführer entgegen § 64 Abs. 1 GmbHG unterlässt, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Das Landgericht hat hier die Voraus¬setzungen sowohl der Zahlungsunfähigkeit als auch die der Überschuldung bejaht. Hierzu hat es im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: "Die GmbH meldete zum 14.02.2002 bei der AOK Westfalen-Lippe alle dort gemeldeten Arbeitnehmer ab. Zuletzt lag eine Überschuldung der GmbH in Form eines negativen Vermögenssaldo in Höhe von 80.396,96 vor. (...)" Nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der GmbH hat das Landgericht auch im Folgenden nicht getroffen. An mehreren Stellen der Urteils¬gründe wird hierzu allein ausgeführt, dass nach der Bekundung der Zeugin D. - das Landgericht lässt hierbei allerdings offen, ob es den Angaben dieser Zeugin auch folgen will - Schulden in Höhe von 150.000 bis 170.000,- DM bestanden, und zwar am 05.02.2002, als ein Gespräch zwischen dem Angeklagten, der Zeugin T.D. und der genannten Zeugin D. über die Übernahme der GmbH durch den Angeklagten stattfand. Für dieses Gespräch mit dem Angeklagten hätten die Zeugin D. und ihre Tochter, die Zeugin T.D., Geschäftsunter¬lagen, so Schreiben der AOK und des Finanzamtes, "zusammengesucht" und diese während des Gesprächs dem Angeklagten übergeben, der sich Notizen auf einem Zettel ge¬macht habe, der Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sei und auch in Au¬genschein genommen worden sei, Anlage 1 zum Protokoll vom 23.12.2005, Bl. 317 d.A. Bd. II. Aus diesem Zettel ergäben sich Verbindlichkeiten in Höhe von 100.000,- DM, von denen 63.000,- DM streitig seien. Nähere Angaben zu den Ver¬bindlichkeiten der GmbH enthält auch dieser vom Landgericht in Bezug genommene Zettel nicht. Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch gegen den Angeklagten hinsichtlich der Annahme von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung i.S.v. § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nicht. Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im strafrechtlichen Ur¬teil bedarf nämlich grundsätzlich einer stichtagsbezogenen Gegenüberstellung der fälli¬gen Verbindlichkeiten sowie der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizu¬schaf¬fenden Mittel (BGH, NJW 2000, 154, 156; BGH, NStZ 2003, 546, 547; OLG Düsseldorf, InVo 2005, 354; Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 84 GmbHG, Rdnr. 14 d). Eine solche Gegenüberstellung enthält das Urteil aber gerade nicht. Zwar können neben dieser betriebswirtschaftlichen Methode zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit auch wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen wie Häufigkeit der Wechsel- und Scheckproteste, fruchtlosen Pfändungen, Ableistungen der eides¬stattlichen Versicherung einen sicheren Schluss auf den Eintritt der Zahlungsun¬fähigkeit erlauben (BGH, NJW 2000, 154, 156 m.w.N.). Aber auch in dieser Hinsicht enthält das Urteil keine hinreichenden Angaben. Überschuldung liegt dagegen vor, wenn das Vermögen die Schulden nicht mehr deckt. Zur Ermittlung der Überschuldung bedarf es eines Überschuldungsstatus in Form einer Vermögensbilanz, die über die tatsächlichen Werte des Gesellschafts¬vermögens Auskunft gibt (BGH, NStZ 2003, 546, 547; Erbs/Kohlhaas, a.a.O., § 84 GmbHG Rdnr. 16 m.w.N.). Diese Überschuldungsbilanz ist eine Vermögens¬bilanz, in der über die wirklichen Gegenstandswerte des Schuldnervermögens Aus¬kunft gege¬ben wird. Bei ihr sind die wahren Werte, d.h. die Verkehrswerte, in Ansatz zu brin¬gen. Eine solche Überschuldungsbilanz enthält das angefochtene Urteil ebenfalls nicht. Es fehlt an jeder nachvollziehbaren Bewertung der der GmbH zur Verfügung stehenden Wirtschaftsgüter. Auch die sonstigen Urteilsgründe enthalten hierzu keine Erläuterungen. Damit ist auch Überschuldung nicht hinreichend belegt. Im Hinblick auf die subjektive Tatseite genügt es zwar, wenn der Handlungspflichtige aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Geschäftsunterlagen oder aufgrund an¬derer Umstände in der Lage ist, die Vermögenslage der Gesellschaft zu übersehen und nach einer auch gedanklichen Gegenüberstellung von Aktiven und Passiven zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gesellschaft überschuldet ist. Auch hierzu geben die dünnen Urteilsfeststellungen aber nichts Genügendes her. Die Bewertung der Straf¬kammer, dem Angeklagten wäre das Gesamtergebnis der vorliegenden Überschuldung bekannt gewesen, wenn er auch nicht alle Einzelposten der Überschuldung gekannt habe, entbehrt einer tatsächlichen Grundlage in den Urteilsfeststellungen. |
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