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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 294/06 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Frage, welches Gericht bei öffentlichen Zustellungen an den Beschul¬digten bzw. Angeklagten im Strafverfahren als „Prozessgericht“ im Sinne des § 186 Abs. 1 ZPO anzusehen ist.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Öffentliche Zustellung; Wirksamkeit; Prozessgericht; Begriff

Normen: StPO 40

Beschluss:

Strafsache
gegen pp.
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 26.04.2006 gegen den Be¬schluss der 7. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 19.04.2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 09. 2006 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung am 29.06.2005 vor dem Landgericht Bielefeld in dem Verfahren 7 Ns 32 Js 524/04 - J 1/05 VII gewährt.

Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 25.08.2004 wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Mit Schreiben vom selben Tag legte der Angeklagte gegen dieses Urteil Berufung ein. Durch Beschluss der 7. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 04.04.2005 wurde die öffentliche Zustellung der Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung am 29.06.2005 gemäß § 40 Abs. 3 StPO angeordnet, da eine Zustellung der Ladung unter der Anschrift "S.weg 14, 33659 Bielefeld", die der Angeklagte zuletzt ange¬geben habe und unter der letztmals zugestellt worden sei, nicht möglich und eine neue Anschrift nicht bekannt sei. Die öffentliche Zustellung erfolgte durch Aushang an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Bielefeld während des Zeitraumes vom 07.04.2005 bis zum 25.04.2005. In der Berufungshauptverhandlung am 29.06.2005 war der Angeklagte nicht erschienen. Seine Berufung wurde daraufhin durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom selben Tage nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Durch Beschluss der Strafkammer vom 05.07.2004 wurde auch die öffentliche Zu¬stellung dieses Urteils gemäß § 40 Abs. 3 StPO angeordnet. Sie erfolgte ebenfalls durch Aushang an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Bielefeld, und zwar während des Zeitraumes vom 11.07.2005 bis zum 01.08.2005.

Mit Schreiben vom 16.03.2006 legte der Angeklagte gegen "das Urteil vom 09.09.2005" - ein solches Urteil existiert nicht, bei dem angegebenen Datum handelt es sich vielmehr um das Datum des Rechtskraftvermerkes auf dem Urteil des Amts¬gerichts Bielefeld vom 25.08.2004 - Beschwerde ein und beantragte Wiedereinset¬zung in den vorigen Stand. Zur Begründung führte er u.a. aus, den Bielefelder Jus¬tizbehörden habe ständig eine Anschrift für Postzustellungsurkunden vorgelegen. Dennoch habe das Amtsgericht Bielefeld offensichtlich die Ladung zum neuen Ter¬min an der Gerichtstafel ausgeschrieben. Dem Amtsgericht sei bekannt gewesen, dass er sich überwiegend an seinem neuen Wohnsitz in Südfrankreich aufhalte. Mit weiterem Schreiben vom 18.04.2006 beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen „das Urteil vom ? 2005“ und vertrat aus den bereits in seinem Schrei¬ben vom 16.03.2006 mitgeteilten Gründen die Ansicht, die öffentliche Zustellung zur Berufungshauptverhandlung sei unwirksam gewesen.

Das Landgericht Bielefeld hat durch Beschluss vom 19.04.2006 den Antrag auf Wie¬dereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptver¬handlung als unzulässig verworfen und gleichzeitig die öffentliche Zustellung des vorgenannten Beschlusses angeordnet. Zur Begründung führte die Strafkammer u.a. aus, der Angeklagte habe entgegen § 45 Abs. 2 StPO nicht vorgetragen und erst recht nicht glaubhaft gemacht, wann und auf welche Weise er von dem angefochte¬nen Urteil erfahren habe. Infolgedessen könne nicht überprüft werden, ob die Wochenfrist des § 45 Abs. 2 StPO eingehalten worden sei. Der Angeklagte könne sich nicht darauf berufen, die Justiz verfüge über eine für Zustellungen vorgesehene Anschrift. Denn jegliche Bemühungen, unter dieser Anschrift Zustellungen durchzu¬führen, hätten sich als erfolglos erwiesen, so dass die öffentliche Zustellung sowohl des erstinstanzlichen Urteils als auch der Ladung zur Berufungshauptverhandlung zu Recht erfolgt sei. Nach wie vor habe der Angeklagte keine zustellungsfähige An¬schrift mitgeteilt. Bekannt seien lediglich eine für amtliche Zustellungen ungeeignete Postfachanschrift sowie eine E-Mail-Adresse. Die öffentliche Zustellung des Be¬schlusses vom 19.04.2006 erfolgte wiederum durch Aushang an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Bielefeld, und zwar während des Zeitraumes vom 21.04.2006 bis zum 09.05.2006. Neben der öffentlichen Zustellung des Beschlusses des Landge¬richts Bielefeld vom 19.04.2006 wurde durch den Strafkammervorsitzenden dessen Übersendung mit Rechtsmittelbelehrung an die Postfachanschrift des Angeklagten angeordnet.

Mit Schriftsatz vom 26.04.2006 legte der Angeklagte gegen den vorgenannten Beschluss sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung trug er u.a. vor, die im erstin¬stanzlichen Verfahren zuständige Amtsrichterin habe gewusst, dass er sich ab dem 01.09.2004 in Südfrankreich aufhalte. Seine dortige vorläufige Anschrift XXXXXXXXXXXXXXXXX sei der Bielefelder Justiz bekannt, ebenso die Anschrift seiner Schwester und Zustellungsbevollmächtigten Frau B.

II.
Die sofortige Beschwerde führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Gewährung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere ist es fristgerecht eingelegt worden. Die Ausführung der öffentlichen Zustellung des angefochtenen Beschlusses durch den Aushang einer entsprechenden Benachrichtigung an der Gerichtstafel des Amtsge¬richts Bielefeld entsprach nicht den Vorschriften der §§ 37 Abs. 1 StPO, 186 ZPO und war daher unwirksam. Die öffentliche Zustellung hätte vielmehr durch einen Aushang an der Gerichtstafel des Landgerichts Bielefeld erfolgen müssen. Zur nähe¬ren Begründung wird auf die nachfolgenden Ausführungen unter 2. b) Bezug genom¬men. Die Unwirksamkeit der Zustellung hat zur Folge, dass die einwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde, die gemäß § 311 Abs. 2 StPO mit der Zu¬stellung der angefochtenen Entscheidung beginnt, vorliegend überhaupt noch nicht in Gang gesetzt worden ist.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch in vollem Umfang begründet, so dass der Um¬stand, dass die Rechtsmittelfrist hier noch nicht abgelaufen ist, einer Entscheidung des Senates nicht entgegensteht.

a) Nicht nur die öffentliche Zustellung des angefochtenen Beschlusses, sondern auch die öffentlichen Zustellungen des Berufungsurteils vom 29.06.2005 und der Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung am selben Tage, die ebenfalls je¬weils durch einen Aushang an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Bielefeld ausge¬führt worden sind, waren im vorliegenden Verfahren unwirksam.

Der angefochtene Beschluss erweist sich infolgedessen bereits deshalb als verfah¬rensfehlerhaft, weil das Landgericht Bielefeld das Wiedereinsetzungsgesuch des An¬geklagten als unzulässig verworfen hat, obwohl zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses die einwöchige Frist für die Anbringung des Wiedereinsetzungsantrages noch nicht in Gang gesetzt worden war. Diese Frist beginnt entgegen der Ansicht des Landgerichts Bielefeld in seinem Beschluss vom 19.04.2006 nicht gemäß § 45 Abs. 2 StPO mit dem Wegfall des Hindernisses, auf dem die Fristversäumnis beruht, sondern gemäß § 329 Abs. 3 StPO mit der Zustellung des Verwerfungsurteils gemäß § 329 Abs. 1 StPO. Die Ablehnung eines Wiedereinsetzungsgesuches gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung darf erst nach Ablauf einer Woche seit Zustellung des Urteils erfolgen, da dem Angeklagten die Möglichkeit zu einem frist¬gerechten ergänzenden Sachvortrag nicht durch eine vorzeitige Entscheidung vor Fristablauf abgeschnitten werden darf (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1998, 637).

Darüber hinaus ist die sofortige Beschwerde auch deshalb begründet, weil das Fehlen einer ordnungsgemäßen Ladung zur Berufungshauptverhandlung zur Folge hat, dass der Angeklagte nicht als säumig i.S.d. § 329 Abs. 1 StPO anzusehen ist. Bei einer solchen Fallgestaltung ist nach herrschender Meinung dem nicht erschie¬nenen Angeklagten ohne Rücksicht auf ein Verschulden seinerseits in entsprechen¬der Anwendung des § 329 Abs. 3 StPO i.V.m. §§ 44 und 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil derjenige, der zu Unrecht als säumig behan¬delt worden ist, einem Säumigen gleichgestellt werden muss (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 329 Rdnr. 41 m.w.N.). Infolge dessen bedurfte es im vorliegenden Verfahren keiner Zurückverweisung an das Landgericht Bielefeld zur erneuten Ent¬scheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten. Vielmehr konnte der Senat selbst über das Gesuch entscheiden.

b) Die Anordnung der öffentlichen Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhand¬lung, des Urteils vom 29.06.2005 und auch des angefochtenen Beschlusses war im vorliegenden Verfahren jeweils gemäß § 40 Abs. 3 StPO zulässig. Danach kann die öffentliche Zustellung im Verfahren über eine von dem Angeklagten eingelegte Be¬rufung ohne weitere Nachforschungen nach dessen Aufenthalt bereits dann in zu¬lässiger Weise angeordnet werden, wenn eine Zustellung nicht unter einer Anschrift möglich ist, unter der letztmals zugestellt wurde oder die der Angeklagte zuletzt an¬gegeben hat.

Der Angeklagte hatte als letzte Postanschrift die eingangs im Beschlusstenor ge¬nannte Adresse seines letzten Wohnsitzes in Bielefeld angegeben. Unter dieser An¬schrift war er aber nicht mehr wohnhaft, sondern er war, wie das Einwohnermelde¬amt der Stadt Bielefeld dem Amtsgericht Bielefeld auf Anfrage am 27.01.2005 mit¬geteilt hatte, dort von Amts wegen abgemeldet worden. Er hatte entgegen seinem Vorbringen zum Zeitpunkt der Anordnungen der hier in Rede stehenden öffentlichen Zustellungen auch nicht seine in Bielefeld wohnhafte Schwester als Zustellungsbe¬vollmächtigte benannt. Eine diesbezügliche ausdrückliche Anfrage des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.12.2004 an den Angeklagten unter der Adresse seiner Schwester ist nämlich unbeantwortet geblieben.

Die Ausführung der öffentlichen Zustellungen jeweils durch den Aushang einer ent¬sprechenden Benachrichtigung an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Bielefeld ist aber nicht ordnungsgemäß erfolgt.

Die in § 40 Abs. 1 StPO in der bis zum 30.08.2004 gültigen Fassung enthaltene Be¬stimmung, dass die öffentlichen Zustellung als erfolgt gilt, wenn das zuzustellende Schriftstück 2 Wochen an der Gerichtstafel des Gerichts des 1. Rechtszuges an¬geheftet gewesen ist, ist in der durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004 (BGBl. I Nr. 45) abgeänderten und ab dem 01.09.2004 gültigen Fassung des § 40 Abs. 1 StPO nicht mehr enthalten. Nach der Neufassung der Vorschrift gilt Zustellung als erfolgt, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind.

In der Begründung zu dem Entwurf des 1. Justizmodernisierungsgesetzes der Bun¬desregierung wird zu der teilweisen Neufassung des § 40 StPO ausgeführt (Bun¬destagsdrucksache 15/3482 S. 20 f), auch im Strafverfahren solle künftig über die Verweisung in § 37 Abs. 1 StPO die Regelung der §§ 186, 187 ZPO über die Aus¬führung der öffentlichen Zustellung von Schriftstücken gelten soll. In § 40 StPO bei¬behalten würden die abgestuften Regelungen zur Zulässigkeit der öffentlichen Zu¬stellung und zur Dauer des Aushangs, die von den §§ 185, 188 ZPO abwichen. Durch die Streichung der Sonderregelungen zur Ausführung der Zustellung in § 40 Abs. 1 und 2 StPO gelte künftig die Verweisung auf die §§ 186, 187 ZPO auch für die öffentliche Zustellung an Beschuldigte und Einziehungsbeteiligte.

Durch Anwendung des § 186 Abs. 2 ZPO in der ab dem 01.07.2002 gültigen Fassung, wonach - abweichend von § 40 StPO a. F. – nicht das zuzustellende Schriftstück, sondern einer Benachrichtigung über die Zustellung an der Gerichtstafel auszuhängen ist, soll nach der Begründung des Gesetzentwurfes auch im Strafver¬fahren künftig eine "Prangerwirkung" durch den Aushang des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen entfallen. Weiterer Zweck ist eine deutliche Vereinfachung der Ar¬beit der Gerichte bei der Ausführung der öffentlichen Zustellung.

Die Ausführung einer gemäß § 40 StPO angeordneten öffentlichen Zustellung richtet sich daher - mit Ausnahme der Dauer des Aushangs - nach § 37 Abs. 1 StPO i. V. m. §§ 186, 187 ZPO.

Nach § 186 Abs. 1 ZPO entscheidet über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung das Prozessgericht. Das ist dasjenige Gericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist. In der Zwangsvollstreckung ist „Prozessgericht“ im Sinne der Vorschrift das Voll¬streckungsgericht (vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 186, Rdnr. 3; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 186, Rdnr. 4). Bei welchem Gericht der Aushang der Benachrichtigung zu erfolgen hat, ist in den § 186 ff ZPO zwar nicht ausdrücklich bestimmt. Nach der Auffassung des Senats kommt aber nur die Gerichtstafel des Prozessgerichts in Betracht. Dies folgt bereits aus der Vorschrift selbst, die nicht nur die Bewilligung, sondern auch die Ausführung der öffentlichen Zustellung regelt, in Bezug auf das Gericht, an dessen Tafel die er¬forderliche Benachrichtigung anzuheften ist, aber keine von Absatz 1 abweichende Bestimmung trifft, wie es der Gesetzgeber etwa in § 699 Abs. 4 S. 3 ZPO für den Fall der Bewilligung und Ausführung der öffentlichen Zustellung eines Vollstreckungsbe¬scheides durch das mit dem Mahnverfahren befassten Gericht – Anheftung nicht an der Tafel dieses, sondern an der des in dem Mahnbescheid gemäß § 692 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bezeichneten Gerichts - geschehen ist.

Für diese Auslegung spricht auch die Begründung der Bundesregierung zu Artikel 1 Nr. 14 des Entwurfs eines Gesetzes über die Verwendung elektronischer Kommuni¬kationsformen in der Justiz vom 28.10.2004 (Bundestagsdrucksache 15/4067, S. 32), in Kraft seit dem 01.04.2005, zu der entsprechend diesem Entwurf in § 186 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorgenommenen Ergänzung, dass die Benachrichtigung zusätzlich in einem von dem Gericht für Bekanntmachungen bestimmten elektronischen Informa¬tions- und Kommunikationssystem erfolgen könne. Die Ergänzung – so die amtliche Begründung - schaffe die zusätzliche Möglichkeit einer öffentlichen Zustellung durch Einstellung in das Internet auf der Homepage des Prozessgerichts.

Auch in der einschlägigen Kommentarliteratur wird es offensichtlich als selbstver¬ständlich angesehen, dass die öffentliche Zustellung nach § 186 Abs. 2 ZPO durch einen Aushang an der Tafel des Prozessgerichts auszuführen ist.

In den gängigen Kommentaren zur ZPO (vgl. Zöller, 25. Aufl.; Stein/Jonas, 22. Aufl.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 64. Aufl. ; Thomas/Putzo, 27. Aufl.; Münchener Kommentar, 2. Aufl., Aktualisierungsband ZPO-Reform 2002 und weitere Reformgesetze; Musielak, 4. Aufl. ) wird nämlich im Rahmen der Kommentierungen zu § 186 ZPO die Frage, bei welchem Gericht die Anheftung der Benachrichtigung an die Gerichtstafel zu erfolgen hat, nicht gesondert erörtert, was den Rückschluss zulässt, dass diesbezüglich die gesetzliche Regelung als eindeutig in dem Sinne angesehen wird, dass nur die Gerichtstafel des Prozessgerichts gemeint sein kann. Lediglich in einem dieser Kommentare (Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl.) wird im Rahmen der Kommentie¬rung zu § 188 ZPO (Rdnr. 1), die Frage, bei welchem Gericht die Benachrichtigung auszuhängen ist, insoweit - indirekt - beantwortet, als ausgeführt wird, dass als Ort der (öffentlichen) Zustellung im Sinne des § 604 ZPO der Sitz des Prozessgerichts gilt.

Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen hat die nunmehr auch für die Aus¬führung öffentlicher Zustellungen an den Beschuldigten (Angeklagten) geltende Ver¬weisung gemäß § 37 Abs. 1 StPO auf die §§ 186, 187 ZPO nach Auffassung des Se¬nats zur Folge, dass bei einer Zustellung nach § 40 StPO der Aushang der Benach¬richtigung an der Gerichtstafel desjenigen Gerichtes zu erfolgen hat, das für die Be¬willigung der öffentlichen Zustellung zuständig ist. Das ist das Gericht, bei dem das Straf- oder Strafvollstreckungsverfahren anhängig ist, in dem die öffentliche Zustel¬lung erfolgen soll. Dieses Gericht ist bei öffentlichen Zustellungen an den Beschul¬digten bzw. Angeklagten im Strafverfahren als „Prozessgericht“ im Sinne des § 186 Abs. 1 ZPO anzusehen (im Ergebnis ebenso OLG Stuttgart, Justiz 2006, 235, wo¬nach die Benachrichtigung nach §§ 40 Abs. 1, 37 StPO, § 186 ZPO an der Gerichts¬tafel des die öffentliche Zustellung anordnenden Gerichts auszuhängen ist; a. A. der hiesige 2. Strafsenat in seinem Beschluss vom 04.05.2006 – 2 Ws 113/06 - , der den Vorschriften über die öffentlichen Zustellung nach der StPO und ZPO jedenfalls nicht eindeutig zu entnehmen vermag, welches Gericht im Strafverfahren und insbeson¬dere im Strafvollstreckungsverfahren mit "Prozessgericht" gemeint ist sowie, dass der Aushang immer an der Gerichtstafel desjenigen Gerichts zu erfolgen hat, das auch für die Anordnung der öffentlichen Zustellung zuständig ist).

Zu berücksichtigen ist außerdem, dass gemäß § 186 Abs. 2 Nr. 4 ZPO dem Zu¬stellungsadressaten ein Recht auf Einsichtnahme in das zuzustellende Schriftstück eingeräumt wird, wobei sich aus der an der Gerichtstafel ausgehängten Benachrichti¬gung ergeben muss, an welcher Stelle die Einsicht erfolgen kann. Nach der amt¬lichen Begründung betreffend die Änderung des § 40 StPO kann der Berechtigte sein Einsichtsrecht regelmäßig auf der Geschäftsstelle des Gerichts ausüben (vgl. Bun¬destagsdrucksache 15/3482, S. 20). Die Einsichtsmöglichkeit wird vernünftigerweise auf der Geschäftsstelle des Gerichts, bei dem das Verfahren, in dem die öffentliche Zustellung erfolgen soll, anhängig ist, bestehen, da sich dort die Verfahrensakten befinden und auf diese Weise die durch die Änderung des § 40 StPO auch beabsich¬tigte Vereinfachung des gerichtlichen Arbeitsaufwandes bei der Ausführung öffent¬licher Zustellungen erreicht werden kann. Schon unter Berücksichtigung dieser Ziel¬richtung hat auch der Aushang der Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung bei diesem Gericht, also dem Prozessgericht, zu erfolgen. Hinzu kommt, dass es, wie auch der hiesige 2. Strafsenat in der oben genannten Entscheidung zutreffend ange¬merkt hat, nur dann sinnvoll ist, statt des zuzustellenden Schriftstücks selbst lediglich eine Benachrichtigung an die Gerichtstafel anzuheften, wenn die Einsichtsmöglich¬keit dort gegeben ist, wo auch der Aushang erfolgt.

Die im vorliegenden Verfahren angeordneten öffentlichen Zustellungen der Ladung zur Berufungshauptverhandlung, des Urteils des Landgerichts Bielefeld vom 29.06.2005 und des angefochtenen Beschlusses hätten daher durch den Aushang entsprechender Benachrichtigungen an der Gerichtstafel des Landgerichts Bielefeld ausgeführt werden müssen. Der hier erfolgte Aushang jeweils an der Gerichtstafel eines falschen Gerichts hat die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung zur Folge (vgl. Weßlau in SK-StPO, Stand Juli 2004, § 40 Rdnr. 17).

Mangels einer wirksamen Ladung war eine Säumnis des Angeklagten in der Beru¬fungshauptverhandlung nicht gegeben. In entsprechender Anwendung der §§ 329 Abs. 3 , 44, 45 StPO war ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Ver¬säumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren.

III.
Als Folge der Wiedereinsetzung wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 29.06.2005 beseitigt, ohne dass es ausdrücklich aufgehoben zu werden braucht (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 329, Rdnr. 44).

IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 7 StPO.



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