Aktenzeichen: 1 Ws 734/06 OLG Hamm |
Leitsatz: Zur Anordnung bzw. Aufrechterhaltung einer akustischen Besuchsüberwachung. |
Senat: 1 |
Gegenstand: Beschwerde |
Stichworte: Akustische Besuchsübewachung; Aufrechterhaltung der Ordnung in der Vollzugsanstalt; Begründung der Entscheidung |
Normen: StPO 199 |
Beschluss: Strafsache G.C. wegen schweren Raubes u.a., (hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Aufhebung der Besuchsüberwachung). Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 9. Oktober 2006 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der V. Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 28. September 2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 31. 10. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht., die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen: Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerde - an den Vorsitzenden der V. Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen. G r ü n d e : I. Die V. große Strafkammer des Landgerichts Dortmund hat den Angeklagten mit Urteil vom 5. September 2006 - unter Freisprechung im Übrigen - wegen schweren Raubes in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, sowie wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt und zugleich die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da der Angeklagte gegen die Entscheidung Revision eingelegt hat. In dem vorliegenden Verfahren befindet sich der Angeklagte seit dem 20. Februar 2006 in Untersuchungs-haft, deren Fortdauer die Strafkammer mit Beschluss vom 5. September 2006 nach Maßgabe des Urteilstenors wegen Fluchtgefahr angeordnet hat. Mit Schreiben vom 21. September 2006 hat der Angeklagte die Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe die ihm vorgeworfenen Straftaten eingeräumt und die Revision nur wegen der "hohen Strafe" eingelegt. Weil er gegenwärtig nur "eine halbe Stunde akustischen Besuch habe", bitte er, diese Maßnahme aufzuheben. Der Vorsitzende der Strafkammer hat diesen Antrag mit Beschluss vom 28. September 2006 zurückgewiesen und dazu ausgeführt, dass Besuche von Untersuchungsgefangenen "grundsätzlich nach Ziffer 27 der Untersuchungshaftvollzugsordnung überwacht" würden. Ein Ausnahmefall sei nicht ersichtlich. Der Haftbefehl sei im Übrigen nicht wegen Verdunkelungsgefahr, sondern wegen Fluchtgefahr aufrechterhalten worden. Bei dem Angeklagten, der zu einer hohen Freiheitsstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden sei, bestehe ein hoher Fluchtanreiz, so dass die Überwachung aller Gespräche weiterhin erforderlich sei. Gegen diese Entscheidung des Vorsitzenden der V. Strafkammer wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde vom 9. Oktober 2006. Zur Begründung hat er angegeben, dass ihm auch "als Verurteilter mit Sicherungsverwahrung ... der normale Besuch" zustehe. Sollte dies in der Justizvollzugsanstalt Dortmund aus Sicherheitsgründen nicht möglich sein, bitte er um Verlegung in eine dafür geeignete Anstalt. Der Vorsitzende der V. Strafkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 13. Oktober 2006 ohne weitere Begründung nicht abgeholfen. II. Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO i.V.m. Nr. 74 Abs. 1 Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Der Vorsitzende der Strafkammer hat mit der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht die Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung abgelehnt. Gesetzliche Grundlage der Besuchsüberwachung im Vollzug der Untersuchungshaft ist § 119 Abs. 3 StPO i.Vm. Nr. 27 der UVollzO. Nach dieser Bestimmung dürfen einem Untersuchungsgefangenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordern. Bei der Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung handelt es sich, wie auch die in § 27 Abs. 1 StVollzG vorgenommene Differenzierung zwischen der akustischen Überwachung und anderen Formen der Besuchsüberwachung zeigt, um einen erheblichen Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch seines Besuchers (BVerfG NStZ 1994, S. 52). § 119 Abs. 3 StPO stellt sich damit als grundrechtseinschränkende Gesetzesbestimmung dar, bei deren Auslegung der Tatsache Rechnung zu tragen ist, dass ein Untersuchungsgefangener (noch) nicht rechtskräftig verurteilt worden ist und deshalb nur unvermeidlichen Freiheitsbeschränkungen unterworfen werden darf (BVerfGE 42 S. 95, 100; NStZ 1994, S. 52). Diese Grundsätze gelten auch für die Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung. Der für die Haftentscheidungen zuständige Richter hat daher stets zu prüfen, ob im Einzelfall überhaupt konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein nicht akustisch überwachter Besuch eine Gefährdung von Haftzweck oder Ordnung der Anstalt mit sich brächte; der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechtes nicht völlig auszuschließen ist, reicht bei einer grundrechtskonformen Auslegung des § 119 Abs. 3 StPO dagegen nicht aus, um dem Untersuchungsgefangenen Beschränkungen aufzuerlegen (BVerfG a.a.O., Senatsbeschluss vom 2. Juni 2004 - 1 Ws 254/04 -; Senatsbeschluss vom 3. August 2004 - 1 Ws 227/04 -; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2003, S. 126). Dass eine Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung die Ordnung der Anstalt gefährden würde, ist in der angefochtenen Entscheidung weder dargetan noch sonst ersichtlich. Der Strafkammervorsitzende hat sich in seiner knapp und lediglich formelhaft begründeten abschlägigen Entscheidung allein auf die Höhe der erkannten Freiheitsstrafe und die Anordnung der Sicherungsverwahrung bezogen und im übrigen keine konkreten Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass akustisch nicht überwachte Besuche den Zweck der Untersuchungshaft, nämlich die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens, gefährden würden. Auch dem Akteninhalt im Übrigen lassen sich keine konkreten Hinweise darauf entnehmen, dass bei akustisch nicht überwachten Besuchen Fluchtpläne erörtert oder sonstige fluchtvorbereitende Maßnahmen getroffen werden könnten. Ebensowenig finden sich Anhaltspunkte für drohende Verdunkelungshandlungen, an denen Besucher beteiligt sein könnten, denn es ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte bislang versucht hat, die Durchführung des Strafverfahrens durch unlauteres Handeln zu beeinflussen. Allein die Höhe der Freiheitsstrafe und die Anordnung der Sicherungsverwahrung vermögen aber die Notwendigkeit einer akustischen Besuchsüberwachung allein noch nicht zu rechtfertigen. Da der Vorsitzende der Strafkammer in dem angefochtenen Beschluss auf die gesetzlichen Voraussetzungen des § 119 Abs. 3 StPO, wie sie sich bei einer grundrechtskonformen Auslegung darstellen, nicht näher eingegangen ist, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Senat sieht sich allerdings gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden. Zwar ist gemäß § 309 Abs. 2 StPO die eigene Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht die Regel. Davon sind jedoch Ausnahmen anerkannt, wenn - wie hier - die angefochtene Entscheidung keine nähere Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung einer akustischen Besuchsüberwachung enthält. Während der Senat den vorliegenden Fall nur nach Aktenlage beurteilen kann, ist nicht auszuschließen, dass der Vorsitzende der Strafkammer im Verlaufe des Hauptverfahrens möglicherweise Hinweise auf konkrete Fluchtpläne des Angeklagten erhalten oder sonstige gefährdende Verhaltensweisen des Angeklagten festgestellt hat, die den Zweck der Untersuchungshaft gefährden könnten und deswegen eine akustische Besuchsüberwachung erforderlich machen. Die Sache war daher unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an den Vorsitzenden der V. Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen. Bei der neuerlichen Entscheidung wird ggf. auch darüber zu befinden sein, ob im Hinblick auf bestimmte Personen von einer akustischen Besuchsüberwachung abgesehen werden kann. Bei der Überprüfung der Zulässigkeit von Beschränkungen ist in aller Regel auch die Person des Besuchers notwendig mit einzubeziehen, so dass eine generelle Aufhebung nur dann in Betracht kommen kann, wenn unabhängig von der Person des Besuchers eine konkrete Gefährdung der Haftzwecke von vornherein ausgeschlossen sein könnte. |
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