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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 547/06 OLG Hamm

Leitsatz: Hat der Angeklagte sich dahingehend eingelassen, er könne sich wegen seiner Alkoholisierung an nichts erinnern, handelt es sich bei der Äußerung, der Vor-wurf sei richtig, deshalb nicht um das Zugestehen von Tatsachen, sondern nur um eine reine Vermutung, die eine Beweisaufnahme nicht entbehrlich macht.



Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Einlassung; fehlende Erinnerung; Alkoholisierung; Zugestehen von Tatsachen

Normen: StPO 261; StP= 267

Beschluss:

Strafsache
gegen K.P
wegen Beleidigung pp.

Auf die (Sprung ) Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwelm vom 06. September 2006 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04. 12. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht auf Antrag der Gene-ralstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgeho-ben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Schwelm zu-rückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen Sachbeschädigung sowie wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden. Das Amtsgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:

„Nachdem der Angeklagte am 04.03.2006 durch die Geschädigten V. u. C.L. deren Hauses in Ennepetal verwiesen wurde, trat und schlug er vehement gegen die Haus-tür. Dabei entstand ein Schaden in Höhe von 1.750,-- €. Seit Mai 2006 zahlt der Angeklagte an die Geschädigten zur Schadenswiedergutmachung monatlich 10,-- €. Die zu Hilfe gerufenen Polizeibeamten L. und G. beschimpfte der Angeklagte mit den Worten: „Du bist doof, du bist nichts. Ich scheiß auf die Polizei. Ich mach dich tot.“ Bei der späteren Einlieferung in die Gewahrsamszelle spuckte der Angeklagte dem Polizeibeamten M. ins Gesicht, wobei der Speichel ihn unter anderem im Mund traf. Der Angeklagte stand zum Tatzeitpunkt erheblich unter Alkoholeinfluss.

Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der geständigen Einlassung des Angeklagten. Dieser führte aus, sich nicht konkret an das Tatgeschehen erinnern zu können, aber der Vorwurf sei richtig.“

Zur Strafrahmenwahl und zur Strafzumessung enthält das Urteil u.a. folgende Aus-führungen:

„Für die Sachbeschädigung ist ein Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jah-ren oder Geldstrafe eröffnet. Für die Beleidigungen ist jeweils ein Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe eröffnet. Eine Milderung der Stra-fen gemäß § 21 StGB ist nicht angemessen. Zwar stand der Angeklagte erheblich unter Alkoholeinfluss und kann sich konkret nicht an das Tatgeschehen erinnern. Je-doch hat der Angeklagte bereits eine Vielzahl von Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen, so dass aus diesem Grund eine Milderung nicht begründet ist. Ihm ist be-kannt, dass er unter Alkoholeinfluss zur Begehung von Straftaten neigt.
(…)
Zugunsten des Angeklagten wurde berücksichtigt, dass er sich geständig einließ und zumindest mit der Schadenswiedergutmachung gegenüber den Geschädigten Lange im Rahmen seiner Möglichkeiten begonnen hat. Auf der anderen Seite waren seine zahlreichen Vorstrafen zu bedenken.

Nach Abwägung aller Umstände, hält das Gericht eine Geldstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten und zur Verteidigung der Rechtsordnung nicht für ausreichend. Vielmehr musste das Gericht auf kurze Freiheitsstrafen erkennen (§ 47 StGB), die es unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände auf jeweils zwei Monate für jede Tat festgesetzt hat. Daraus hat das Gericht – unter nochmaliger Gesamtabwägung – eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten gebil-det.

Diese Strafe konnte nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Bereits mehrfach mussten Freiheitsstrafen gegen den Angeklagten vollstreckt werden, ohne dass er sich dies als Warnung hat dienen lassen. Bereits zum Tatzeitpunkt lebte der Ange-klagte in einer sozialen Einrichtung für Alkoholkranke, ohne dass ihn dies von der Begehung weiterer Straftaten hat abhalten können. Daher besteht keine Veranlas-sung zu der Annahme, dass ihn sein jetziger Aufenthalt in einer Wohngruppe für Al-koholkranke vor weiteren Straftaten wird abhalten können.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte (Sprung ) Revisi-on des Angeklagten, mit der er mit näheren Ausführungen die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Ver-handlung und Entscheidung an das Amtsgericht Schwelm zurückzuverweisen.

II.
Die gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwelm vom 06. September 2006 gerichtete Revision hat einen – zumindest vorläufigen – Erfolg.

Die Urteilsgründe entsprechen zwar – noch – den Erfordernissen des § 267 Abs. 1 S. 1 StPO, da die Sachverhaltsschilderung hinreichend klar ergibt, durch welche be-stimmten Tatsachen die gesetzlichen Merkmale der Tatbestände der §§ 185, 303 StGB erfüllt worden sind (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 1 Sachdarstellung 8). Trotz der knappen Angaben zu der abgeurteilten Sachbeschädigung ist aber ein Darstellungsmangel im Ergebnis auszuschließen. Denn der Feststellung, durch das Schlagen und Treten gegen die Tür sei ein Schaden in Höhe von 1.750,00 € ent-standen, ist immanent, dass eine Substanzverletzung und Beeinträchtigung der Brauchbarkeit des betroffenen Gegenstandes eingetreten sein muss. Auch hinsicht-lich der Beleidigungshandlungen reichen die getroffenen Feststellungen aus. Es be-darf insbesondere keiner näheren Darstellung der Motive des Angeklagten, die ge-gebenenfalls im Rahmen der Strafzumessung zu erörtern gewesen wären (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage, § 46 R. 27). Schließlich ist auch die Reaktion der betroffenen Beamten für die Verwirklichung des Tatbestandes der Beleidigung uner-heblich. Vor dem Hintergrund der gestellten Strafanträge reicht es aus, dass den Ge-samtumständen des geschilderten Lebenssachverhalts hinreichend klar zu entneh-men ist, dass die Beamten die Beschimpfungen als Beleidigung empfunden und zur Kenntnis genommen haben müssen. Ein darüber hinausgehender (sozialer) Erfolg ist nicht erforderlich (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 185 Rn. 14).

Die im Urteil in ausreichendem Umfang niedergelegten Feststellungen sind allerdings ohne Grundlage und damit rechtsfehlerhaft getroffen worden. Grundlage der Sach-entscheidung des Tatrichters ist der Sachverhalt, von dem er sich im Laufe der Ver-handlung überzeugt hat. Die Überzeugung ist gemäß § 261 StPO aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu gewinnen. Ursprung der Überzeugung kann ein glaubhaf-tes Geständnis sein, das die Beweisaufnahme in diesem Fall ersetzt (vgl. Herdegen in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 244 Rn. 1).

Das Amtsgericht hat die Einlassung des Angeklagten im vorliegenden Fall rechtsfeh-lerhaft als Geständnis gewertet und dementsprechend keine Beweisaufnahme durchgeführt. Ein Geständnis ist das Zugestehen von Tatsachen bezüglich der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten. Der Angeklagte muss den äußeren Tatbestand der Handlung und seine Täterschaft einräumen (vgl. Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 362 Rn. 11). Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall. Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, er könne sich wegen seiner Alkoholisierung an nichts er-innern. Bei der Äußerung, der Vorwurf sei richtig, handelt es sich deshalb nicht um das Zugestehen von Tatsachen, sondern nur um eine reine Vermutung. Da eine Be-weisaufnahme trotz fehlenden Geständnisses nicht stattgefunden hat, sind die im Urteil niedergelegten Feststellungen ohne Grundlage getroffen worden. Fehlen in einem Urteil jedoch Beweisgründe und Beweiswürdigung, ist es auf die Sachrüge hin aufzuheben (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 45).

Unvollständig und lückenhaft sind außerdem die Feststellungen zum Alkoholisie-rungsgrad und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten. Sie ermöglichen dem Senat nicht die Überprüfung, ob das Amtsgericht zu Recht nur von verminderter Schuldfä-higkeit ausgegangen ist (vgl. OLG Koblenz VRS 75, 40), wobei aufgrund der Formu-lierung unklar bleibt, ob die Tatrichterin überhaupt und aufgrund welcher Grundlage erheblich verminderte Schuldfähigkeit angenommen hat. Es ist revisionsrechtlich ü-berdies zu beanstanden, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB nicht geprüft wurden, wenn sich die Abklärung und nähere Erörterung dieser Frage aufdrängt (vgl. OLG Hamm vom 11. Januar 2000 in 4 Ss 848/99). Ergeben sich aus den Feststel-lungen Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte bei Begehung der ihm zur Last ge-legten Tat möglicherweise wegen einer tief greifenden Bewusstseinsstörung unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, muss das Tatgericht von Amts wegen aufklären, ob das Einsichts oder Steuerungsvermö-gen des Angeklagten im Tatzeitraum möglicherweise nicht nur erheblich vermindert, sondern ausgeschlossen war. In diesem Fall hätte eine Verurteilung wegen Vollrau-sches gemäß § 323 a StGB in Betracht gezogen werden müssen.
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zur Tatzeit erheblich unter Al-koholeinfluss stand und keine Erinnerung mehr an die Tat hat. Hinzu kommt, dass er sich zu dieser Zeit bereits in einer sozialen Einrichtung für Alkoholkranke aufhielt. Dies sind vor dem Hintergrund der Tatsache, dass zwei Vorstrafen des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 26. Juli 2002 (Aktenzeichen 4 Ls 510 Js 198/02 - 71/05) und 15. Mai 2003 (Aktenzeichen 769 Js 1211/02 V 4 Ds 12/03) wegen Vollrausches zu ver-zeichnen sind, eindeutige Anzeichen für eine mögliche Schuldunfähigkeit des Ange-klagten. Ungeachtet der sich aus den bereits getroffenen Feststellungen ergebenden Hinweise hat sich das Amtsgericht mit der Möglichkeit der Aufhebung der Schuldfä-higkeit des Angeklagten nicht auseinandergesetzt. Das Fehlen jeglicher Auseinan-dersetzung mit dieser Frage stellt aber bei der gegebenen Sachlage einen durchgrei-fenden sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils dar (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es angesichts der offensichtlichen Alkoholprobleme des Angeklagten geboten sein dürfte, die nahe liegende Frage zu erörtern, ob der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entzie-hungsanstalt unterzubringen ist. Hat ein Täter den Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird er wegen auf den Hang zurückzuführender rechtswidriger Taten verurteilt, so muss das Gericht nach § 64 Abs. 1 StGB die Un-terbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass er auch in Zukunft infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung darf nur unterbleiben, wenn eine Entziehungskur keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Abs. 2 StGB in Verbindung mit BVerfGE 91, 1 ff). Vor-liegend wird sich das Tatgericht mit dieser Frage auseinandersetzen müssen, da es sich aufgrund der bereits erwähnten Urteilsfeststellungen aufdrängt, die Vorausset-zungen für eine Unterbringungsanordnung zu prüfen.
Auch wird es im Falle einer Verurteilung des Angeklagten der näheren Darlegung bedürfen, aus welchen Gründen gemäß § 47 StGB eine Geldstrafe im Hinblick auf die in Rede stehenden Taten nicht mehr in Betracht kommt. Es müssen die Umstän-de angegeben werden, die letztlich zu der Ablehnung der Geldstrafe führen (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 47 Rn. 15 m.w.N.). Dies dürften im vorliegenden Fall die zahlreichen alkoholbedingten Vorstrafen des Angeklagten sein.

Wegen der aufgezeigten Rechtsmängel war das angefochtene Urteil mit den Fest-stellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur neuen Ver-handlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Schwelm zurückzuverweisen, das auch über die Kosten der Revision zu befinden hat, da de-ren Erfolg im Sinne des § 473 StPO noch nicht feststeht.




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