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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 271/06 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Urkundenunterdrückung durch einen Polizeibeamten, der einen so. Streifenbeleg und eine Ordnungswidrigkeitenanzeige vernichtet.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Urkundenunterdrückung; Streifenbeleg; Urkundeneigenschaft

Normen: StGB 274

Beschluss:

Strafsache
gegen H.A.
wegen Urkundenunterdrückung u.a

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bünde vom 13.02.2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09. 11. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft bzw. auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten und seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Schuldausspruch nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Vernichtung der Ordnungswidrigkeitenanzeige vom 27.12.2004 einer tateinheitlich begangenen Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 BGB für schuldig befunden worden ist.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte. Jedoch wird die Verfahrensgebühr um 1/4 ermäßigt. In diesem Umfang trägt auch die Staatskasse die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bünde vom 13.02.2006 wegen Urkundenunterdrückung und Urkundenfälschung zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen in Höhe von jeweils 70,- € (Einzelgeldstrafen jeweils 40 Tagessätze) verurteilt worden.

Zur Person des Angeklagten hat das Amtsgericht u.a. festgestellt, dass er als Polizeibeamter tätig und bisher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.

Zur Sache hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

"Anlässlich seines Streifendienstes am Morgen des 27.12.2004, den der Angeklagte gemeinsam mit der Zeugin PM'in J. wahrnahm, stellten beide bei der Überwachung der Lichtzeichenanlage in Bünde, Kreuzung Holser Straße/Hansastraße einen Ordnungswidrigkeitenverstoß des Zeugen H. fest, der um ca. 7.50 Uhr eindeutig bei Rotlicht in die Kreuzung einfuhr. Der Angeklagte fertigte diesbezüglich eine Ordnungswidrigkeitenanzeige in zweifacher Ausfertigung, welche dem Zeugen POK E. zur Kenntnis gelangte und von diesem in das Postausgangsfach der Wache gelegt wurde. Der Angeklagte trug die Fertigung der Anzeige in den für das benutzte Einsatzfahrzeug gefertigten Streifenbeleg (im folgenden: erster Streifenbeleg), der schon vor dem Einsatz von der Zeugin J. unterschrieben worden war, ein. Nachdem der Zeuge H. noch am selben Tage bei ihm vorgesprochen hatte, zerriss der Angeklagte die im Ausgangspostfach befindliche Ordnungswidrigkeitenanzeige und warf sie zusammen mit dem entsprechenden Streifenbeleg in den Müll. Er stellte dem Zeugen H. eine Zahlkarte (gebührenpflichtige Verwarnung) über 15,00 Euro wegen des Vorwurfs "Rotlicht in Verbindung mit Gelblicht" aus. Als Ersatz für den ersten Streifenbeleg fertigte der Angeklagte einen neuen, in dem er an Stelle der Owi-Anzeige die Zahlkarte vermerkte. Die weiteren Eintragungen auf dem neuen Streifenbeleg machte anschließend die Zeugin J., ohne dabei zu bemerken, dass die Eintragung betreffend den früheren Einsatz geändert war. Den neuen Streifenbeleg versah der Angeklagte neben seiner auch mit der nachgemachten Unterschrift der Zeugin J.. Dem Angeklagten kam es beim Wegwerfen von erstem Streifenbeleg und beim Erstellen des neuen Streifenbelegs darauf an, dass die begangene Ordnungswidrigkeit nebst ursprünglicher Sanktion nicht mehr dokumentiert ist."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

II.
Die Revision hat nur in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg.

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen der Beförderung des ursprünglich erstellten Streifenbelegs in den Datenmüll sowie wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB wegen der Anfertigung eines neuen Streifenbelegs und der gefälschten Unterschrift der Zeugin J. hält einer rechtlichen Nachprüfung Stand. Insoweit hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben, so dass die Revision insoweit entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen war.

Soweit sich die Revision gegen die Qualifizierung des ursprünglichen Streifenbelegs als Urkunde wendet, ist anzumerken, dass in die Außenstreifenbelege nach den Urteilsfeststellungen die einzelnen Tätigkeiten und Maßnahmen einzutragen sind, die von den Polizeibeamten im Rahmen ihres jeweiligen Außendiensteinsatzes durchgeführt worden sind. Durch die vorgesehene Unterzeichnung der Streifenbelege bestätigen die Polizeibeamten, dass die darin aufgeführten Einzeltätigkeiten in der beschriebenen Weise erfolgt sind. Die ausgefüllten und unterzeichneten Außenstreifenbelege dienen daher jedenfalls auch der Dokumentation der während des Außendienstes erfolgten Tätigkeiten der jeweils den Außendienst durchführenden Polizeibeamten gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten bzw. gegenüber der Polizeibehörde, für die sie tätig sind, und sind daher jedenfalls für den internen Dienstbereich sowohl zum Beweis bestimmt als auch geeignet, wie es der strafrechtliche Urkundsbegriff erfordert. Das Verfügungsrecht über den ursprünglichen Streifenbeleg stand hier, nachdem dieser sowohl von dem Angeklagten als auch von der Zeugin J. unterzeichnet worden war, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht ausschließlich dem Angeklagten, sondern diesem gemeinsam mit der Zeugin J. zu. Durch die Beförderung des ursprünglichen Streifenbelegs in den Datenmüll hat der Angeklagte die Urkunde einer Benutzung durch die Zeugin J. zum dienstinternen Beweis der - tatsächlich - durchgeführten Einsatztätigkeit am Morgen des Tattages entzogen und diese dadurch i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterdrückt. Die für eine Urkundenunterdrückung außerdem erforderliche Nachteilszufügungsabsicht war bei dem Angeklagten ebenfalls gegeben. Als Nachteil ist insoweit die Beeinträchtigung des (Mit-)Beweisführungsrechts der Zeugin J. anzusehen. Der Angeklagte war sich dieses Sachverhalts auch bewusst, da er notwendige Folge seiner Handlungsweise war. Ob der Angeklagte möglicherweise auch die Verfolgung des staatlichen Bußgeldanspruchs gegen den Betroffenen H. wegen eines Rotlichtverstoßes durch seine Tat vereiteln wollte, und ob in einer solchen Folge seines Handelns überhaupt ein Nachteil i.S.d. § 274 StGB zu sehen ist, konnte daher dahingestellt bleiben. Im Übrigen wird hinsichtlich dieser Frage auf die nachfolgenden Ausführungen unter 2., letzter Absatz verwiesen.

2. Dagegen konnte der Schuldausspruch keinen Bestand haben, soweit das Amtsgericht den Angeklagten auch wegen der Vernichtung der Ordnungswidrigkeitenanzeige vom 27.12.2004 einer Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB für schuldig befunden hat. Eine von einem Polizeibeamten gefertigte Ordnungswidrigkeitenanzeige, die der zuständigen Verwaltungsbehörde zugeht, weist zwar Urkundsqualität i.S.d. § 274 auf. Sie enthält die Erklärung des unterzeichnenden Polizeibeamten, dass er die in der Anzeige geschilderte Ordnungswidrigkeit des darin aufgeführten Betroffenen festgestellt hat. Sie ermöglicht, wie das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat, der Verfolgungsbehörde die Ahndung der Ordnungswidrigkeit, da Tatumstände und Beweismittel in ihr benannt werden und auch durch sie die Existenz der Tat bewiesen werden soll, so dass die Ordnungswidrigkeitenanzeige auch zum Beweis bestimmt und geeignet ist.

Der Angeklagte hatte aber noch die ausschließliche Dispositionsbefugnis über die Ordnungswidrigkeitenanzeige, da diese noch nicht aus seiner Verfügungsgewalt in den Rechtsverkehr gelangt war.
Die Einlegung der Anzeige in das Abholfach der Dienststelle ist nach den Urteilsfeststellungen nicht durch den Angeklagten, sondern durch POM E. erfolgt. Ob dieser diesbezüglich berechtigt war, anstelle des Angeklagten zu handeln, lässt sich aus den Urteilsgründen nicht entnehmen, kann aber dahingestellt bleiben. Denn auch durch die Einlegung der Anzeige in das Abholfach ist die Ordnungswidrigkeitenanzeige noch nicht in den Rechtsverkehr überführt worden. Denn auch im Postabholfach verblieb sie im internen Dienstbereich der Polizeibehörde und stellte damit ein bloßes Internum dar, das grundsätzlich noch durch den Angeklagten abänderbar war. Dem Rechtsverkehr übergeben wäre die Anzeige erst mit ihrer Herausgabe aus Bereich der Polizeibehörde, also mit ihrer Absendung an die zuständige Verwaltungsbehörde gewesen. Für die Abänderbarkeit einer außerhalb der Hauptverhandlung ergangenen gerichtlichen Entscheidung gemäß § 33 Abs. 2 StPO, bei der es sich nicht um eine die Rechtskraft unmittelbar herbeiführende Rechtsmittelentscheidung gemäß § 34 a StPO handelt, gilt nach der herrschenden Meinung, der auch der Senat folgt, dass sie, wenn ergangen ist und sich in den Akten befindet, zwar existent wird, aber noch abänderbar ist. Als erlassen und damit nicht mehr abänderbar gilt sie erst, wenn sie von der Geschäftsstelle zum Zwecke der Zustellung oder sonstigen Bekanntmachung abgesandt worden ist, also aus dem Bereich des Gerichts herausgegeben wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., vor
§ 33 Rdnr. 9; Köln NJW 1993, 608, jeweils m.w.N.; BayObLG VRS 101, 51OLG). Es besteht kein Anlass, für die Abänderbarkeit eine Ordnungswidrigkeitenanzeige durch den Polizeibeamten, der sie verfasst hat, strengere Maßstäbe anzulegen als an die Abänderbarkeit einer in ihren Auswirkungen für den Rechtsverkehr deutlich weitreichenderen gerichtlichen Entscheidung, so dass die vorgenannten Grundsätze entsprechend heranzuziehen sind.

Im vorliegenden Fall war die Ordnungswidrigkeitenanzeige des Angeklagten noch nicht zur Post zwecks Zusendung an die zuständige Verwaltungsbehörde abgegeben worden. Der Angeklagte hatte daher weiterhin das alleinige Verfügungsrecht über die Anzeige und konnte sie daher, wie geschehen, wieder zurücknehmen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für diese Handlungsweise objektiv kein Anlass bestand. Da der Tatbestand des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB voraussetzt, dass eine Urkunde unterdrückt wird, die dem Täter nicht oder nicht mehr ausschließlich gehört, d.h. dass sich die Tat auf ein Beweismittel beziehen muss, über das der Täter nicht mehr das alleinige Verfügungsrecht hat, hat der Angeklagte durch das Zerreißen und Wegwerfen der Ordnungswidrigkeitenanzeige keine Urkundenunterdrückung begangen.

Ob darüber hinaus der Tatbestand des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB hier auch deshalb entfällt, da es hier an der erforderlichen Nachteilszufügungsabsicht des Angeklagten mangelt, kann hier dahingestellt bleiben. Das Amtsgericht hat dazu festgestellt, der Angeklagte habe sicher gewusst, dass aufgrund seines Vorgehens den staatlichen Verfolgungsbehörden ein erheblicher Nachteil bei der Ahndung der Ordnungswidrigkeit entstehe, da sie nach dem Tatplan des Angeklagten zunächst schon gar keine Kenntnis von dem Ordnungswidrigkeitentatbestand erhalten sollte, jedenfalls es sich für sie im Nachhinein so darstellen sollte, als sei dem Betroffenen von vornherein nur der Vorwurf "Rotlicht in Verbindung mit Gelblicht" gemacht worden.

Ob, wovon das Amtsgericht ausgeht, die Vereitelung des Bußgeldanspruches des Staates einen Nachteil i.S.d. § 274 Abs. 1 StGB darstellt, ist zweifelhaft, bedarf hier aber keiner abschließenden Erörterung und Entscheidung. Der Senat weist jedoch
darauf hin, dass nicht nur nach der herrschenden Auffassung (vgl. Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 274 Rdnr. 16 m.w.N.); in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und der Literatur, sondern auch nach der Auffassung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 27.03.1990 - 5 StR 101/90 -, veröffentlicht in www.jurisweb) durch die Vereitelung des staatlichen Strafanspruches kein "anderer", wie es § 274 StGB voraussetzt, benachteiligt wird.

3.
Einer Aufhebung der für den Tatkomplex der Urkundenunterdrückung verhängten Einzelgeldstrafe von 40 Tagessätzen à 70,- € bedurfte es aber gleichwohl nicht, weil diese verhängte Rechtsfolge auch nach Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung des Angeklagten wegen einer Urkundenunterdrückung auch in Bezug auf die Ordnungswidrigkeitenanzeige gemäß § 354 Abs. 1 a S. 1 StPO angemessen ist. Die Bestimmung des § 354 Abs. 1 a S. 1 StPO kommt nicht nur bei Rechtsfehlern der Strafzumessung, sondern auch dann zur Anwendung, wenn das Revisionsgericht eine Änderung des Schuldspruchs vornimmt (vgl. BGH NStZ 2005, 284).

Der Senat hält die vom Amtsgericht ausgesprochene Einzelgeldstrafe in der nach der gegebenen Auslegung (vgl. BGH a.a.O.) gemäß § 354 Abs. 1 a S. 2 StPO erforderlichen Einstimmigkeit für angemessen. Zu Lasten des Angeklagten musste sich auch das Motiv für die begangenen Urkundsdelikte auswirken, nämlich dem Betroffenen H. einen in objektiver Sicht nicht berechtigten Vorteil in Bezug auf die Ahndung der von diesem begangenen Ordnungswidrigkeit zukommen zu lassen. Angesichts dieser Umstände ist die nach Auffassung des Senats deutlich im unteren Bereich liegende Einzelgeldstrafe von 40 Tagessätzen à 70,- € hier für die begangene Urkundenunterdrückung in Bezug auf den Strafbeleg als tat- und schuldangemessen anzusehen.

Auch die weitere verhängte Einzelgeldstrafe von ebenfalls 40 Tagessätzen à 70,- € für die Urkundenfälschung sowie die erkannte Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen in Höhe von jeweils 70,- € halten einer rechtlichen Überprüfung Stand, so dass auch insoweit die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 473 Abs. 1, Abs. 4 StPO.



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