Aktenzeichen: 1 VAs 79/06 OLG Hamm |
Leitsatz: Zum Absehen von der Vollstreckung bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten. |
Senat: 1 |
Gegenstand: Justizverwaltungssache |
Stichworte: Absehen von Vollstreckung; Ausweisung des Verurteilten; Abwägung |
Normen: StPO 456a |
Beschluss: Justizverwaltungssache betreffend S.A. wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Entscheidung nach § 456 a StPO). Auf den Antrag des Betroffenen vom 22. August 2006 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Wuppertal vom 10. April 2006 in der Form des Beschwerdebescheids des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 20. Juli 2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. Oktober 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen: Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen. Der Geschäftswert wird auf 2.500,00 festgesetzt. G r ü n d e : Durch Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 19. April 1994 ist der Antragsteller wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes, wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in einem besonders schweren Fall und gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als Mitglied einer Bande in vier Fällen, davon in zwei Fällen jeweils fortgesetzt handelnd und in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt worden. Die besondere Schwere der Schuld ist festgestellt worden. Der Verurteilung wegen versuchten Mordes lag zugrunde, dass sich der Antragsteller gemeinsam mit seinem Bruder und einem weiteren Mittäter gegenüber O., der Kopf eines eingespielten Drogenkartells war, bereit erklärte, einen Abnehmer in Berlin, den Geschädigten H.K., niederzuschießen, weil dieser dem O. mindestens 50.000,- DM für eine Heroinlieferung schuldete. Am 9. Mai 1992 führten die drei Täter ihr Vorhaben aus. Entweder der Antragsteller oder der dritte Mittäter schossen dem Geschädigten K., der in seinem PKW saß, zwei Mal kurz hintereinander aus nächster Nähe durch den Fensterspalt gezielt in den Kopf, um ihn zu töten. Das Opfer überlebte den Angriff zwar, trug aber erhebliche Verletzungen davon, die auch mit Spätfolgen verbunden waren. Wegen der weiteren Einzelheiten des Tatgeschehens wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des Urteils des Landgerichts Wuppertal Bezug genommen. Der Antragsteller wird am 28. Juni 2007 15 Jahre der Strafe verbüßt haben. Mit Beschluss vom 29. August 2005 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen angeordnet, dass die besondere Schwere der Schuld eine Dauer der Vollstreckung vom 20 Jahren gebietet. Mit Verfügung vom 9. Januar 2006 hat der Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal den Antragsteller aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Die Verfügung ist rechtskräftig. Bereits unter dem 9. November 2005 hatte der Antragsteller beantragt, von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 456 a StPO abzusehen. Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft Wuppertal unter dem 5. Dezember 2005 abgelehnt und gleichzeitig mitgeteilt, dass eine Maßnahme gemäß § 456 a StPO vor dem vom Landgericht Aachen genannten Zeitpunkt, nämlich Verbüßung von 20 Jahren, nicht in Betracht komme. Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 23. März 2006 hat der Antragsteller erneut beantragt, von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 456 a StPO abzusehen. Die Prozessbevollmächtigte weist in diesem Antrag darauf hin, dass das Vollzugsverhalten des Antragstellers beanstandungsfrei und er inzwischen als Künstler im Gemeindezentrum der Justizvollzugsanstalt tätig sei. Der Bruder des Antragstellers schätze die sozialen Integrationsmöglichkeiten für den Antragsteller in der Türkei als gut ein, da sich die dortigen Familienangehörigen eingehend und intensiv um ihn kümmern würden. Im Übrigen würde die Öffentlichkeit keinerlei Verständnis dafür aufbringen, weitere Kosten für einen Verurteilten aufzuwenden, dessen Ausweisung zwischenzeitlich rechtskräftig festgestellt worden sei. Unter dem 10. April 2006 hat die Staatsanwaltschaft Wuppertal den Antrag des Betroffenen zurückgewiesen. Im Hinblick auf die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld wäre ein Absehen von der weiteren Vollstreckung bereits zum jetzigen Zeitpunkt mit dem Interesse der Öffentlichkeit nicht zu vereinbaren. Im Falle einer Maßnahme nach § 456 a StPO bereits zum jetzigen Zeitpunkt würde der Antragsteller gegenüber gleichartig verurteilten deutschen Straftätern in ungerechtfertigter Weise bevorzugt. Diese Entschließung hat der Antragsteller in zulässiger Weise am 18. Mai 2006 mit der Beschwerde angefochten. Er hat hierbei noch einmal die Gesichtspunkte aus der Antragsschrift näher ausgeführt. Zudem dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass verurteilten Ausländern keinerlei Vollzugslockerungen gewährt würden. Da diese auch grundsätzlich keine oder nur wenige Angehörige besuchen könnten, seien sie in aller Regel strafempfindlicher als andere Gefangene. Ziel des § 456 a StPO sei es, einen straffällig gewordenen Ausländer so bald wie möglich in sein Heimatland zu verbringen, damit er dort wieder integriert leben könne. In einem ergänzenden Schriftsatz vom 29. Mai 2006 hat der Antragsteller ausgeführt, er habe in Erfahrung gebracht, dass die Staatsanwaltschaft Wuppertal in der Strafsache gegen seinen Bruder mitgeteilt habe, eine Maßnahme nach § 456 a StPO komme frühestens zum 30. Mai 2007 in Betracht. Es sei nicht nachvollziehbar, warum ihm gegenüber eine Maßnahme dann erst frühestens Mitte 2012 in Erwägung gezogen werde. Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat mit Bescheid vom 20. Juli 2006 die Beschwerde des Betroffenen als unbegründet zurückgewiesen. Er ist der Auffassung, dass die Staatsanwaltschaft Wuppertal es mit zutreffenden Erwägungen abgelehnt hat, von der weiteren Vollstreckung der Strafe bereits zum jetzigen Zeitpunkt abzusehen. Ergänzend ist ausgeführt, es sei zu berücksichtigen, dass bei dem Betroffenen als wesentlichem Mitglied eines Drogenkartells das öffentliche Interesse eine nachhaltige Strafverfolgung und Strafvollstreckung gebiete. Die beanstandungsfreie Führung und seine Entwicklung im Vollzug sowie seine familiäre Situation rechtfertige keine andere Entscheidung. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Er hat dabei im Wesentlichen die Ausführungen in seinem Antrag nach § 456 a StPO und in der Beschwerdeschrift wiederholt. Der Antrag ist gemäß §§ 23 ff. EGGVG zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung unterliegt nicht unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung fehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zwecke der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Um die gerichtliche Nachprüfung der Ermessensausübung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (OLG Hamm, NStZ 1983, 524; KG StV 1989, 27; OLG Hamburg StV 1996, 328; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2000, 251). Diese eingeschränkte Überprüfung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Antragstellers. Zutreffend hat die Strafvollstreckungsbehörde auf den hohen Unrechtsgehalt der abgeurteilten Straftat abgestellt, der auch in der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe und der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zum Ausdruck kommt. Dies ist bestätigt worden durch den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen im Verfahren nach § 57 a StGB. Die Strafvollstreckungskammer hat lediglich deshalb die Mindestvollstreckungsdauer auf "nur" 20 Jahre festgesetzt, weil sich die positive Entwicklung des Betroffenen im Vollzug als spürbares Minus gegenüber der unter Schuldschweregesichtspunkten für angemessen erachteten Dauer der Vollstreckung auswirkt. Die Tat, die der Antragsteller begangen hat, ist durch eine hohe kriminelle Energie gekennzeichnet. Der Betroffene hat als Mittäter versucht, den Geschädigten aus niedrigen Beweggründen zu töten, um entsprechend dem Auftrag des O. die Funktionsfähigkeit des Drogenkartells zu stärken und sicherzustellen sowie seine eigene Position innerhalb des Kartells zu festigen. Bei dieser Sachlage ist es nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungsbehörde dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schwere des dem Verurteilten zur Last gelegten Deliktes besondere Bedeutung beigemessen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Juli 1997 - 1 VAs 55/97 -). Auch darin, dass die Staatsanwaltschaft Wuppertal und der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf bei Vornahme einer Abwägung das mit den Umständen der Tat und der Schwere der Schuld begründete öffentliche Interesse an einer weiteren Strafverbüßung über das des Antragstellers an einem Leben außerhalb Deutschlands unter Berücksichtigung seiner persönlichen und familiären Situation gestellt haben, ist ein fehlerhafter Ermessensgebrauch nicht zu erkennen. Soweit der Bruder des Antragstellers die Integrationsmöglichkeiten des Betroffenen in der Türkei als gut einschätzt, da dortige Familienangehörige sich um ihn kümmern würden, kann nicht übersehen werden, dass der Antragsteller, wie er in seiner Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen im Rahmen des Verfahrens nach § 57 a StGB selbst angegeben hat, sein Heimatland seit 30 Jahren nicht gesehen hat. Im Übrigen verfügt der Betroffene auch hier in der Justizvollzugsanstalt Aachen über soziale Kontakte. So erhält er regelmäßige Besuche seines Bruders, der in der Schweiz lebt. Mit seiner Mutter, die ihn aus Krankheitsgründen nicht besuchen kann, steht er telefonisch in Verbindung. Am 21. September 2004 ist er auch zu seiner Mutter ausgeführt worden. Darüber hinaus steht der Antragsteller in intensivem Kontakt zu ehrenamtlichen Betreuern, nachdem er zum christlichen Glauben gefunden hat. Desweiteren kann nicht übersehen werden, dass der Antragsteller aufgrund seiner künstlerischen Tätigkeit zahlreiche Außenkontakte hat, da er seine Bilder auch u.a. über eine Galerie in Essen verkauft. Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass ihm als ausländischem Gefangenen Vollzugslockerungen wohl nicht gewährt werden, gleichwohl zeigen die angeführten Umstände, dass er kein isoliertes Leben in der Justizvollzugsanstalt führen muss. Der im Antrag geäußerten Auffassung, die Regelung des § 456 a StPO sei (auch) im Interesse der ausländischen Verurteilten geschaffen worden, ist zu widersprechen. Der Gesetzgeber hat durch die Einführung des § 456 a StPO die Möglichkeit, bei Ausländern von der Strafvollstreckung abzusehen, keineswegs im Interesse des Ausländers geschaffen, um diesen gegenüber deutschen Strafgefangenen zu begünstigen, sondern aus rein fiskalischen Erwägungen, um die inländischen Stellen von der Last der Vollstreckung von Freiheitsstrafen gegen Ausländer befreien zu können (vgl. Senatsbeschluss vom 23. September 1999 - 1 VAs 61/99 -). Soweit der Antragsteller auch diesen Kostengesichtspunkt anspricht, ist dabei aber zu berücksichtigen, dass ein fiskalisches Interesse dem Interesse an nachhaltiger Strafvollstreckung nachrangig ist. Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, bei seinem ebenfalls verurteilten Bruder sei beabsichtigt, schon im Jahre 2007 gemäß § 456 a StPO von der weiteren Vollstreckung abzusehen. Zu einem früheren Zeitpunkt hatten die Strafvollstreckungsbehörden lediglich erklärt, zu diesem Zeitpunkt sei frühestens ein Absehen von der weiteren Vollstreckung ins Auge zu fassen. Dies beinhaltet noch nicht eine positive Entscheidung. Im Übrigen ist dem Bruder zwischenzeitlich mit Bescheid vom 11. September 2006 mitgeteilt worden, eine solche Maßnahme komme frühestens nach dem 28. Juni 2015 in Betracht. Die Staatsanwaltschaft hat auch nicht gegen sie bindende Verwaltungsvorschriften verstoßen. Nach der RV des Justizministers NW vom 20. August 1985 (9.174-III A 29) ist zwar in der Regel bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von 10 Jahren von der weiteren Vollstreckung gemäß § 456 a StPO abzusehen. Eine weitere Vollstreckung kommt aber jedenfalls dann in Betracht, wenn dies aus besonderen in der Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten liegenden (negativen) Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar gewesen ist. Die Voraussetzungen, an welche diese Verwaltungsvorschriften die Strafvollstreckung knüpfen, sind hier unzweifelhaft gegeben. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 130, 30 KostO. |
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