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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 OBL 96/06 OLG Hamm

Leitsatz: Zur beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen, insbesondere durch Anlegen von Doppelakten.

Senat: 4

Gegenstand: Haftprüfung durch das OLG

Stichworte: Aufhebung des Haftbefehls, keine Förderung durch das Schöffengericht, Terminierung von Nichthaftsachen, Unklarheit einer vorübergehenden starken Belastung, Verzögerung durch Vorlage der Originalakten, keine Doppelakten

Normen: StPO 121, StPO 122

Beschluss:

Strafsache gegen S. M., zur Zeit in dieser Sache in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Münster,
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern u.a.,
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 24. 10. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Münster vom 07.04.2006 (23 Gs 1121/06) wird aufgehoben.

Gründe:
. Der Angeschuldigte wurde am 24.04.2006 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Münster vom 07.04.2006 festgenommen und befindet sich seitdem in dieser Sache ununterbrochen in Untersuchungshaft. In dem Haftbefehl wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, in sechs Fällen in Münster und an anderen Orten vorwiegend iranischen Staatsangehörigen, welche sich ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten und in dieses ohne entsprechende Genehmigung eingereist waren, Unterkunft gewährt zu haben. Ferner soll er diesen Flugtickets zur Weiterreise nach London verschafft und sie mit gefälschten griechischen Reisepässen ausgestattet haben. Für diese Tätigkeit soll er jeweils einen unbekannten Geldbetrag erhalten haben. Unter dem 01.08.2006 hat die Staatsanwaltschaft Münster Anklage gegen den Angeschuldigten beim Amtsgericht - Schöffengericht - Rheine erhoben. Gegenstand der Anklage sind die im Haftbefehl genannten sechs sowie zwei weitere Taten. Als Tatort wird nunmehr u.a. auch Greven, welches die Zuständigkeit des Amtsgerichts Rheine begründet, angenommen. Die Anklage ist dort am 7. August 2006 eingegangen. Unter dem 9. August 2006 hat der Schöffenrichter die Zustellung der Anklage verfügt und am 25. August 2006 einen Pflichtverteidiger beigeordnet. Eine weitere Förderung des Verfahrens ist bislang nicht erfolgt. Vielmehr hat der Amtsrichter unter dem 3. September 2006 folgenden Vermerk gefertigt:
"Zurzeit sind 23 Verfahren beim Amtsgericht Rheine anhängig, in denen sich der oder die Angeklagten in Haft befinden bzw. Haftbefehle bestehen.
16 dieser Verfahren sind terminiert im September, Oktober, November und Dezember.
Weiterhin liegen schon 100 neue Verfahren vor in diesem Jahr (Steigerung ca. 50 %).
Angesichts des Umfangs des Verfahrens ist eine Durcharbeitung der Akten in wenigen Tagen neben den weiteren Verfahren nicht möglich, auch keine Terminierung innerhalb der 6-Monats-Frist".
Er hat sodann die Akten der Staatsanwaltschaft zur Vorlage an das OLG weitergeleitet.
Durch die Staatsanwaltschaft wurde er dann aufgefordert, die Ausführungen in der Verfügung vom 04.09.2006 kurzfristig zu vervollständigen. Es wurde um Klarstellung gebeten, in wieviel Verfahren mit welchem Verfahrensstand sich dort Angeklagte tatsächlich in Haft befinden. Weiter wurde um Prüfung gebeten, ob nicht das Hauptverfahren vor Vorlage zum OLG eröffnet und terminiert werden könne. Dabei vertrat die Staatsanwaltschaft die Ansicht, dass die zur Verfügung stehende Zeit ohne Weiteres ausreichen dürfe.
Dies beantwortete der Schöffenrichter mit Verfügung vom 20. September 2006. Dieser war als Anlage eine Auflistung von 30 Verfahren, teils terminierter, teils nicht terminierter, bei denen es sich um "Haftsachen" handeln solle, beigefügt. Ferner nahm er wörtlich wie folgt Stellung:
"Zurzeit sind die in der Anlage befindlichen Haftsachen beim Schöffengericht anhängig. Es handelt sich dabei um Verfahren, bei denen sich ein oder mehrere Angeklagte in Strafhaft befinden, in Untersuchungshaft befinden oder ein HB besteht. Eine genaue Überprüfung ist angesichts der Personalsituation auch in der Service-Einheit nicht möglich.
Die Eingänge im Schöffengericht sind im Vergleich 2004 zu 2005 um ca. 50 - 60 % gestiegen. Z.Zt. zeichnet sich eine weitere Steigerung um ca. 20 - 30 % ab.
Mitteilungen wurden dem Landgerichtspräsidenten Mitte Februar gemacht. Die Personalsituation wurde daraufhin nicht geändert.
Z.Zt. sind 105 neue Schöffenverfahren eingegangen, ca. 135 wurden bisher erledigt. Terminiert ist mit Lücken bis Februar, bei noch ca. 40 zu terminierenden Sachen. Darunter auch Verfahren über mehrere Tage.
Eine Bearbeitung der Akte zur Prüfung der Eröffnung des Hauptverfahrens unter Auswertung der Telefonüberwachung dürfte angesichts der sonstigen Dezernatsbelastung, der Haftsachen, zudem der Tätigkeit als Haft- und Ermittlungsrichter und des Urlaubs Anfang Oktober (der schon um eine Woche verkürzt wurde) nicht vor Mitte oder Ende Oktober abgeschlossen sein, zuzüglich der Zeit, die sich die Akten beim OLG befinden. Da auch Terminsabstimmungen mit den Vert. erfolgen muss, dürften die ersten Termine nicht vor Dezember stattfinden können."
II. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Münster vom 7. April 2006 war aufzuheben, weil die Voraussetzungen, unter denen die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus gemäß § 121 Abs. 1 StPO angeordnet werden kann, nicht vorliegen. Weder die besondere Schwierigkeit noch der besondere Umfang der Ermittlungen noch ein anderer wichtiger Grund i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO rechtfertigen die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft. Denn das Schöffengericht Rheine hat das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass der verfassungsrechtliche Freiheitsanspruch (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) des noch nicht verurteilten Beschuldigten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist und sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert (vgl. BVerfGE 20, 45, 49 ff.; 36, 264; 53, 152, 158 ff.). Dem trägt die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO dadurch Rechnung, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Erlass eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO, die eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus somit nur in begrenztem Umfang zulässt, ist dementsprechend eng auszulegen (vgl. BVerfGE 36, 264, 271; 53, 152, 158 ff.). Den verfassungsrechtlichen Ansprüchen an die Zügigkeit der Bearbeitung in Haftsachen wird nur dann entsprochen, wenn die Strafverfolgungsbehörde und Gerichte alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen (BVerfGE 20, 45, 50; NJW 2003, 2195, 2196; OLG Hamm, StV 2000, 90, 91; OLG Brandenburg, StV 2000, 37; OLG Köln, StV 1999, 40; OLG Düsseldorf, NJW 1996, 2587; OLG Frankfurt, StV 1995, 423).
Diesen Erfordernissen wird die Sachbehandlung durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts im vorliegenden Verfahren nicht im Ansatz gerecht. Dieser hat nach Zustellung der Anklage und Beiordnung eines Pflichtverteidigers das Verfahren in keiner Weise mehr gefördert. Er hat sich außer Stande gesehen, die Voraussetzungen der Eröffnung, d.h. den hinreichenden Tatverdacht, zu prüfen und zu bejahen. Wie er dann allerdings bei der Vorlage der Akten die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft für erforderlich halten konnte - ohne den insoweit notwendigen dringenden Tatverdacht prüfen zu können - erschließt sich dem Senat nicht. Auch ist es nicht verständlich, dass ein Schöffenrichter nicht in der Lage sein soll, Auskunft über die terminierten und nicht terminierten Verfahren aus seinem Dezernat zu geben, in denen gegen den Angeschuldigten oder den Angeklagten Untersuchungshaft vollzogen wird. Die von ihm vorgelegte Liste der "Haftsachen", die augenscheinlich sowohl Verfahren betrifft, in denen Strafhaft in anderer Sache vollzogen wird sowie solche, in denen Haftbefehle außer Vollzug gesetzt sind, belegt keinesfalls eine Überlastung mit Untersuchungshaftsachen. So ist es unwahrscheinlich, dass in den ersten sechs der dort aufgelisteten Verfahren, welche Aktenzeichen des Schöffengerichts aus den Jahren 2004 und 2005 tragen, Untersuchungshaft vollstreckt wird. Ferner ist nicht nachzuvollziehen, warum der Schöffenrichter in der Lage war, in fünf Verfahren, welche nach dem vorliegenden Verfahren beim Schöffengericht eingegangen sind, das Verfahren zu eröffnen und immerhin vier dieser Verfahren noch im September zu terminieren. Darüber hinaus lässt die sich aus der Auflistung ergebende Terminslage des Schöffenrichters in "Haftsachen" - über seine weitere Terminsbelastung hat er keine nachprüfbare Mitteilung gemacht - nicht erkennen, warum er neben der Sitzungstätigkeit nicht zur Durcharbeitung der Akte in der Lage sein soll. So sind in der vorletzten und letzten Septemberwoche jeweils nur ein Sitzungstag belegt. Gleiches gilt für die beiden letzten Oktoberwochen. Ferner ist es unverständlich, dass der Schöffenrichter dem Senat die Originalakten zur Durchführung des Verfahrens nach §§ 121, 122 StPO vorgelegt und sich somit der Möglichkeit beraubt hat, parallel zu diesem Verfahren die Frage der Eröffnung des Hauptverfahrens zu prüfen.
Allein die Verzögerung des Verfahrens durch das Nichtanlegen von Zweitakten nötigt zur Aufhebung des Haftbefehls (BVerfG, StV 99, 162; OLG Düsseldorf, StV 01, 695; OLG Frankfurt, StV 83, 380; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 121 Rdnr. 23 m.w.N.). Ferner kann es dahingestellt bleiben, ob die unterbliebene Förderung des Verfahrens beim Schöffengericht Rheine auf eine verfehlte Sachbehandlung durch den zuständigen Richter oder auf seine - bislang nicht belegte - Überlastung beruht. Denn die geltend gemachte Überlastung wäre nur ein wichtiger Grund i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO, wenn sie lediglich vorübergehender Dauer wäre. Dauert sie schon länger infolge Häufung anhängiger (Haft-)Sachen an, rechtfertigt sie keine Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 121 Rdnr. 22 m.w.N.). Nach der Darstellung des Richters hat er bereits im Februar seine - vermeintliche - Überlastung angezeigt. Eine gerichtsorganisatorische Reaktion ist nicht erfolgt. Von einer nur vorübergehenden Überlastung, so sie denn vorliegt, kann damit nicht ausgegangen werden.
Aufgrund der erheblichen Verzögerungen des Verfahrensabschlusses, der seinen Grund im Bereich der Justiz hat, ist eine Haftverlängerung über sechs Monate hinaus nicht gerechtfertigt. Der Senat musste daher nach den §§ 121, 122 StPO den Haftbefehl aufheben.



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