Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 246/06 OLG Hamm

Leitsatz: Der Tatsachenvortrag bei einer auf § 338 Nr. 5 StPO gestützten Rüge muss das Revisionsgericht allein auf seiner Grundlage zu der Prüfung in der Lage versetzen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben war.

Eine Straferwartung von einem Jahr ist nicht als starre Grenze anzusehen; vielmehr hängt die Frage, ob ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, auch von der Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten, seiner Persönlichkeit und den Umständen des Einzelfalles ab.

Wenn Vorstrafen für die Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten herangezogen werden, müssen im Urteil so genau festgestellt werden, dass dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht wird, ob sie verwertbar sind und ob ihre Verwertung rechtsfehlerfrei erfolgt ist.



Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Pflichtverteidiger; Beirodung; Voraussetzungen; Schwere der Tat; Verteidigungsfähigkeit; Verfahrensrüge; Begründung; Anforderungen;

Normen: StPO 140; StPO 344; StGB 46

Beschluss:

Strafsache
gegen Y.Y.
wegen Körperverletzung
Auf die (Sprung-) Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Gladbeck vom 03. Februar 2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 01. 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gem. §§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Gladbeck vom 03. Februar 2006 wird im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrundeliegenden Feststellungen mit der Maßgabe aufgehoben, dass der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung
verurteilt ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Gladbeck zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

Gründe:
I.
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht Gladbeck den Verurteilten wegen Körperverletzung gem. § 223 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der Revision, die er mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts unter näheren Ausführungen begründet hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 15.12.2006 zu dem Rechtsmittel des Angeklagten folgendes ausgeführt:
"Der Angeklagte hat - nachdem er zunächst fristgerecht Berufung eingelegt hatte - innerhalb der Revisionsbegründungsfrist in zulässiger Weise den Wechsel des Rechtsmittels gemäß § 335 Abs. 1 StPO zur Revision erklärt und diese frist- und im Ergebnis formgerecht begründet. Sie kann jedoch nur in dem vorbezeichneten Umfang - vorläufigen - Erfolg haben.

Die Verfahrensrüge, die Hauptverhandlung habe ohne die erforderliche Anwesenheit eines Verteidigers stattgefunden, ist nicht in einer den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 StPO genügenden Weise ausgeführt und erweist sich daher als unzulässig. Hierzu hätte es einer geschlossenen, aus sich heraus verständlichen Darlegung der den jeweiligen Mangel begründenden Tatsachen bedurft, die dem Revisionsgericht ohne Rückgriff auf die Akten die Möglichkeit der Prüfung eröffnet, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, falls die behaupteten Tatsachen zutreffen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 344 Rdnr. 21 u. 22). Der Tatsachenvortrag bei einer auf § 338 Nr. 5 StPO gestützten Rüge muss demzufolge das Revisionsgericht allein auf seiner Grundlage zu der Prüfung in der Lage versetzen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben war. Daran fehlt es indes. Gem. § 140 Abs. 2 StPO, der vorliegend allein als Grundlage für die Beiordnung in Betracht kommt, ist die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder weil der Angeklagte sich ersichtlich nicht selbst verteidigen kann geboten. Dass die Sach- und Rechtslage schwierig oder der Angeklagte ersichtlich nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, trägt die Revision nicht vor. Ob eine Tat im Sinne dieser Vorschrift "schwer" ist, bestimmt sich maßgeblich nach der den Angeklagten voraussichtlich treffenden Rechtsfolge, wobei nicht nur die im konkreten Fall zu verhängende Strafe zu betrachten, sondern alle ihn treffenden schwerwiegenden Nachteile und insbesondere das Maß der insgesamt gegen ihn - ggf. nach Bewährungswiderruf - zu vollstreckenden Freiheitsstrafe in die Gesamtschau einzubeziehen sind und regelmäßig eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber Anlass zu einer solchen Annahme bietet. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine starre Grenze, sondern die gebotene Abwägung hat unter Berücksichtigung der Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten und der den Einzelfall prägenden Umstände der Sach- und Rechtslage zu erfolgen, weshalb insbesondere in einfach gelagerten Fällen auch bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr die Beiordnung eines Verteidigers nicht zwingend ist (zu vgl. OLG Koblenz, VRS 69, 293-295). Zwar hat sich der Angeklagte für den Fall des Bewährungswiderrufs in anderer Sache die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von insgesamt einem Jahr zu vergegenwärtigen. Das Revisionsvorbringen bietet jedoch keine hinreichende tatsächliche Grundlage für die Prüfung der Frage, ob nicht die Sach- und Rechtslage vorliegend einfach gelagert war, denn sie stellt insbesondere den Gang des Verfahrens - z. B. frühere Einlassungen des Angeklagten und frühere Aussagen der Zeugen, angebotene Beweismittel und Ähnliches - nicht umfassend dar. Auch durch die Einbeziehung der Urteilsgründe, die dem Senat wegen der zugleich zulässig erhobenen Sachrüge nicht verwehrt ist (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 344 Rdn. 20), deren Lückenhaftigkeit die Revision indes ausdrücklich rügt, wird die erforderliche vollständige Darstellung der zugrunde liegenden Tatsachen nicht erreicht.
Die knappen Urteilsgründe tragen den Schuldspruch wegen Körperverletzung. Soweit sie sich nicht darüber verhalten, ob die Prozessvoraussetzungen gemäß § 230 Abs. 2 StGB gegen sind, ergibt sich aus der diesbezüglichen Erklärung in der Anklageschrift, die der Senat aufgrund der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung, ob diese wirksam ist, zur Kenntnis nehmen darf, dass die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse bejaht hat.

Die Erwägungen des Amtsgerichts zur Strafzumessung erweisen sich hingegen als lückenhaft, so dass der Rechtsfolgenausspruch der Aufhebung unterliegt. Im Rahmen der gemäß § 46 Abs. 2 StGB vorzunehmenden Abwägung hat das Amtsgericht namentlich eine umfassende Würdigung des (kriminellen) Vorlebens des Angeklagten und die Erörterung seines Verhaltens nach der Tat unterlassen und beide Umstände nicht zu den Wirkungen, die von der Strafe für sein künftiges Leben zu erwarten sind, in Beziehung gesetzt. Eine nähere Auseinandersetzung mit seinem Nachtatverhalten drängte sich auf, weil die Geschädigte, seine Ehefrau, als Zeugin vernommen - nach Auffassung des Amtsgerichts der Wahrheit zuwider - bekundet hat, sie sei von dem Angeklagten nicht geschlagen worden. Dies kann zwar Ausdruck einer nachhaltigen Beeinflussung durch die ihr zugefügte Gewalt und die Angst vor weiterer körperlicher Gewalt sein, aber umgekehrt genauso gut seine Grundlage in einer Aussöhnung mit dem Angeklagten - möglicherweise angesichts aufrichtig bekundeter Reue - haben. Im Übrigen genügt bereits die Überlegung des Amtsgerichts, für die Strafzumessung sei wesentlich, dass der Angeklagte "fünf mal vorbestraft ist", den an die Urteilsgründe zu stellenden Anforderungen nicht. Wenn Vorstrafen für die Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten herangezogen werden, müssen im Urteil so genau festgestellt werden, dass dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht wird, ob sie verwertbar sind und ob ihre Verwertung rechtsfehlerfrei erfolgt ist. In diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf die Frage, wie sich die neue Strafzumessung auf das künftige Leben des Täters auswirken wird, u. a. zu erörtert, ob sie einschlägig sind, der Täter sich über die von früheren Verurteilungen ausgehende Warnung hinweggesetzt hat oder ob die Straftaten nach der Art des zugrundeliegenden Delikts, ihrer Intensität und ggf. der Häufigkeit und der zeitlichen Abfolge eher abnehmen, so dass die Annahme nahe liegen könnte, aufgrund erfolgter Nachreifung lasse sich eine Besserung und Resozialisierung auch durch weniger einschneidende Rechtsfolgen bewirken (zu vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 46 Rdnr. 38 ff.). Da insoweit abweichende Feststellungen möglich sind, können auch die der Strafzumessung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen keine Bestand haben.“

Diesen zutreffenden Ausführungen, die auch durch die Gegenerklärung des Angeklagten vom 10. Januar 2007 nicht erschüttert werden, schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung. Eine Straferwartung von einem Jahr ist nicht als starre Grenze anzusehen; vielmehr hängt die Frage, ob ein Verteidiger zu bestellen ist, auch von der Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten, seiner Persönlichkeit und den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.10.2000 - 2 Ws 282/00 = NStZ-RR 2001, 52). Hierzu fehlt es in der Revisionsrechtfertigung an näheren Darlegungen. Der durch die materielle Rüge eröffnete Zugriff auf die Urteilsausführungen ist hierzu nicht ausreichend, da sich aus den insgesamt lediglich aus einer Seite bestehenden Urteilsausführungen einschließlich der einfach gelagerten Ausführungen zum eigentlichen Tatgeschehen nebst Beweiswürdigung wie auch aus den Ausführungen zur Strafzumessung keine hinreichenden entsprechenden Anhaltspunkte ergeben.

Der Schuldspruch war indes wie geschehen zu ergänzen, da es im Tenor des angefochtenen Urteils an der Nennung der Schuldform fehlt. Aus den Urteilsgründen ergibt sich eindeutig, dass der Angeklagte sich der vorsätzlichen (und nicht der fahrlässigen) Körperverletzung schuldig gemacht hat.



zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".