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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 315/05 OLG Hamm

Leitsatz: Zwar hat der Vorsitzende bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO ein Auswahlrecht; dieses wird aber durch die Regelung in Satz 2 und Satz 3 der Vorschrift dadurch eingeschränkt, dass der vom Angeklagten bezeichnete Verteidiger zu bestellen ist, wenn nicht gewichtige Gründe entgegenstehen.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Pflichtverteidiger; Abberufung; zweiter Pflichtverteidiger; Auswahlermessen des Vorsitzenden

Normen: StPO 140; stPO 142

Beschluss:

Strafsache
gegen B.D. u.a.
wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges, Zuhälterei, Körperverletzung, Steuerhinterziehung u.a., (hier: Ablehnung der Aufhebung der Bestellung eines - zweiten - Pflichtverteidigers).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 28. November 2005 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 24. November 2005, durch den Rechtsanwalt Y. in Bochum als Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden ist, hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 01. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgerichtnach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe:
Mit der unter dem 15. November 2005 vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bochum erhobenen Anklage werden dem Angeklagten 50 Fälle des bandenmäßig und gewerbsmäßig begangenen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Gesamtschaden rund 270.000,- €), zwei weitere Fälle des Betruges (Erlangung von zwei Fahrzeugen der Marke VW Phaeton auf Leasingbasis nach Fälschung von Gehaltsabrechnungen - Schadenshöhe rund 85.000,- €), eine Anstiftung zum Verstoß gegen das Ausländergesetz, vier Fälle des schweren Menschenhandels/Zuhälterei, davon zwei Fälle tateinheitlich mit Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung, zwei Fälle der Anstiftung zum Betrug (Gesamtschaden rund 28.000,- €) sowie sieben Fälle der Steuerhinterziehung (Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Einkommenssteuer mit einem Gesamtsteuerschaden von rund 45.000,- €) zur Last gelegt.
Er befindet sich seit dem 14. Juni 2005 in Untersuchungshaft und wurde und wird von Rechtsanwalt X.aus Essen als Wahlverteidiger verteidigt.

Nach Eingang der Anklage beim Landgericht Bochum am 16. November 2005 hat der Vorsitzende der Strafkammer mit Verfügung vom 17. November 2005 die Zustellung der Anklage an den Angeklagten B.D. und den Mitangeklagten N.D. sowie an deren Verteidiger verfügt.
Dem Mitangeklagten N.D., dem Vater des Angeklagten B.D., wird zur Last gelegt, seinem Sohn Beihilfe zur Zuhälterei bzw. schweren Menschenhandel geleistet zu haben, indem er nach dessen Inhaftierung auf dessen Anweisung die "Geschäfte" im Rotlichtmilieu weiterführte und zumindest zwei der überwachten Prostituierten veranlasste, auf dem Duisburger Straßenstrich anschaffen zu gehen und sämtliche Einnahmen ihm zu übergeben, damit davon die Kosten der Wahlverteidigung seines Sohnes in diesem Verfahren bestritten werden konnten.

Mit Schriftsatz vom 21. November 2005 bat Rechtsanwalt X.um weitere Akteneinsicht, die ihm absprachegemäß zur Auswahl der von ihm mitzunehmenden Akten am 24. November 2005 gewährt wurde. Bei dieser Gelegenheit kam es auch zu einer Unterredung zwischen ihm und dem Strafkammervorsitzenden, in welcher die Absicht des Gerichts, für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Hauptverhandlung bereits am 15. Dezember 2005 beginnen zu wollen, mitgeteilt wurde.
Da sich für den Strafkammervorsitzenden aufgrund des Gesprächs ergab, dass Rechtsanwalt X.nicht an allen bis zum 3. März 2006 zunächst vorgesehenen 11 Hauptverhandlungstagen zur Verfügung stehen würde, bestellte er noch an diesem Tag Rechtsanwalt Y. aus Bochum zum Pflichtverteidiger. Zuvor hatte er jedoch weder den Angeklagten noch den Wahlverteidiger von seiner Absicht in Kenntnis gesetzt und ihnen Gelegenheit zu einer entsprechenden Stellungnahme und zum Vorschlag eines zu bestellenden Pflichtverteidigers gegeben.

Mit Schriftsatz seines Wahlverteidigers vom 28. November 2005 legte der Angeklagte daraufhin gegen die Bestellung von Rechtsanwalt Y. Beschwerde ein, insbesondere mit der Begründung, es sei die vor Bestellung des Pflichtverteidigers erforderliche Anhörung gemäß § 142 Abs. 1 S. 2 StPO unterblieben und es habe auch nicht einer derartigen Eilentscheidung bedurft, weil die Frist bis zum beabsichtigten Hauptverhandlungsbeginn am 15. Dezember 2005 mangels hinreichender Akteneinsicht des Verteidigers des Mitangeklagten und die Erklärungsfrist zur Anklage zu kurz bemessen seien. Überdies werde ein „Pflichtverteidiger des Vertrauens“ noch benannt werden.

Mit Beschluss vom 2. Dezember 2005 hat der Vorsitzende der Strafkammer der Beschwerde nicht abgeholfen und dabei nochmals auf die Eilbedürftigkeit der Sache als Haftsache und den zu diesem Zeitpunkt noch im Raum stehenden beabsichtigten Beginn der Hauptverhandlung am 15. Dezember 2005 hingewiesen.

Zuvor hatte bereits am 30. November 2005 vor der Strafkammer ein Haftprüfungstermin stattgefunden, in welchem der der Anklage entsprechende Haftbefehl vom
30. November 2005 verkündet worden ist.
An diesem Termin hatte nur der bestellte Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt Y., teilgenommen; Rechtsanwalt X.war dagegen nicht erschienen. Der Angeklagte - damals noch Angeschuldigte - hat zur Frage der Pflichtverteidiger-bestellung in diesem Termin ohne jegliche Begründung lediglich erklärt, er sei mit dem ihm bis dahin nicht bekannten Rechtsanwalt Y. nicht einverstanden.

Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2005 meldete sich sodann Rechtsanwalt L. aus Krefeld unter Vollmachtsvorlage als weiterer Verteidiger des Angeklagten und bat um Beiordnung als dessen Pflichtverteidiger zur Sicherung des Verfahrens.
Mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 erfolgte sodann die Beiordnung des Rechtsanwalts L. als weiterer Pflichtverteidiger durch den Vorsitzenden der Strafkammer.

Nunmehr zeichnete sich bereits ab, dass der Hauptverhandlungsbeginn am 15. Dezember 2005 nicht mehr einzuhalten war, da auch Rechtsanwalt L. noch Akteneinsicht erhalten musste. Die Erklärungsfrist zur Anklage wurde wie vom Verteidiger des Mitangeklagten beantragt bis zum 16. Dezember 2005 verlängert und für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens der Beginn der Hauptverhandlung auf den 9. Januar 2006 mit zunächst 10 Folgeterminen bis zum 3. März 2006 vorgemerkt.
Inzwischen ist durch Beschluss der Strafkammer vom 21. Dezember 2005 das Hauptverfahren eröffnet worden und die Hauptverhandlung - wie beabsichtigt - mit Beginn am 9. Januar 2006 terminiert worden.

Die Beschwerde, zu der die Rechtsanwälte X.und L. mit Schriftsätzen vom 23. und 28. Dezember 2005 ergänzend Stellung genommen haben und die sich neben der erfolgten Bestellung von Rechtsanwalt Y. zum Pflichtverteidiger insbesondere nunmehr auch dagegen wendet, dass Rechtsanwalt Y. als weiterer Pflichtverteidiger nicht abberufen worden ist und auch nicht abberufen werden soll, ist zulässig (vgl. hierzu Beschlüsse des hiesigen 3. Strafsenats vom 5. März 2004 in 3 Ws 95/04 und vom 28. Januar 1999 in 3 Ws 27/99 - beide in
http;//www.burhoff.de - sowie OLG Düsseldorf, StV 2004, 62 ; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 141 Rdnr. 9, § 142 Rdnr. 19 u. § 143 Rdnr. 7, jeweils m. w. N.).

Sie ist in der Sache jedoch nicht begründet.

Das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren ist durch die Bestellung von Rechtsanwalt Y. als Pflichtverteidiger im Ergebnis nicht verletzt.
Zwar hat der Vorsitzende bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 142 Abs. 1 S. 1 StPO ein Auswahlrecht; dieses wird aber durch die Regelung in Satz 2 und Satz 3 der Vorschrift dadurch eingeschränkt, dass der vom Angeklagten bezeichnete Verteidiger zu bestellen ist, wenn nicht gewichtige Gründe entgegenstehen. Einem entsprechenden Begehren des Angeklagten ist nach Möglichkeit Rechnung zu tragen. Die Einschränkung des Auswahlrechts gilt auch für die Bestellung eines Pflichtverteidigers neben einem vom Angeklagten bereits gewählten Verteidiger.
Vorliegend hat jedoch der Strafkammervorsitzende die Beschränkung seines Auswahlrechts und das Anhörungsrecht des Angeklagten vor Beiordnung von Rechtsanwalt Y. als (ersten) Pflichtverteidiger nicht hinreichend beachtet.

Dieser etwaige Verstoß beruht aber zum einen nicht auf sachwidrigen Erwägungen. Zum andern ist er aber jedenfalls dadurch geheilt worden, dass dem Angeklagten mit Rechtsanwalt L. zur Sicherung des Verfahrens auch ein Pflichtverteidiger seiner Wahl beigeordnet worden ist.

Gleichwohl bedarf es hier aufgrund der besonderen Umstände des Falles nicht der Abberufung des weiteren Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Y. aus Bochum.
Das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren ist durch die Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers nicht verletzt. Vielmehr ist eine damit einhergehende Beeinträchtigung durch die Notwendigkeit der Sicherung des Verfahrens und im Interesse einer wirkungsvollen und vor allem in Haftsachen zügigen staatlichen Strafrechtspflege hinzunehmen (vgl. OLG Karlsruhe, StV 2001, 557; OLG Frank-
furt, StV 1993, 348).
Dies ergibt sich insbesondere aus folgenden Erwägungen:

Es handelt sich entgegen der Auffassung von Rechtsanwalt L. bereits aufgrund des Aktenumfangs von mehr als 10.000 Blatt und der Art der Straftaten sowohl aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität als auch aus dem Bereich des Rotlichtmilieus herrührend um ein besonders umfangreiches Verfahren, welches aufgrund des bisherigen Aussageverhaltens der Beteiligten eine umfangreiche Beweisaufnahme und eine lange Hauptverhandlung erforderlich machen wird. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden und erscheint eher wahrscheinlich, dass die Hauptverhandlung auch nicht in der bislang vorgesehenen Zeit bis zum 3. März 2006 beendet werden kann.
Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass Rechtsanwalt X.nicht an allen vorgesehenen Hauptverhandlungstagen und eventuellen Fortsetzungsterminen zur Verfügung stehen wird. Es ist gerichtsbekannt, dass Rechtsanwalt X., der eine Einzelanwaltskanzlei betreibt, in zahlreichen, insbesondere auch umfangreichen, Strafsachen als Verteidiger tätig ist und schon aus diesem Grund mit Terminsüberschneidungen selbst bei vorheriger Absprache zu rechnen ist.
Dabei kann es derzeit noch dahinstehen, ob es Rechtsanwalt X.im Hinblick auf die dem mitangeklagten Vater des Angeklagten B.D. zur Last gelegte Straftat und die Bestimmung des diesem von den Prostituierten übergebenen Geldes überhaupt möglich sein wird, die Verteidigung bis zum Ende des Verfahrens zu führen.

Für den Fall seiner Verhinderung oder seines Ausscheidens stünde mit Rechtsanwalt L. jedoch nur ein Verteidiger zur Verfügung, der außerhalb und in nicht unerheblicher Entfernung vom Gerichtsort seine Kanzlei betreibt.
Auch ihm, der als Einzelanwalt tätig ist, wird es möglicherweise aufgrund dieses Umstands und zu erwartender winterlicher Verkehrsverhältnisse mit erfahrungsgemäß erheblichen Staus auf den Autobahnen A 40 und A 42 sowie auch Beeinträchti-gungen im Bahnverkehr nicht immer möglich sein, Terminskollisionen und anderweitige Verhinderungen, die dem pünktlichen und zügigen Fortgang der Hauptverhandlung entgegenstehen, zu vermeiden.
Entsprechend seinen zuletzt ergangenen Entscheidungen und der ständig wiederholten Forderung des Bundesverfassungsgerichts, gerade in Haftsachen dem besonderen Beschleunigungsgebot vorrangig nach-zukommen und den Abschluss des Verfahrens im Hinblick auf die Haftsituation eines Angeklagten vordringlich im Auge zu behalten, kann die Verhinderung oder der Ausfall des Wahlverteidigers und/oder des auswärtigen Pflichverteidigers zu dann bei fortschreitender Haftdauer nicht mehr hinnehmbaren Verzögerungen führen.

Unter diesen Umständen ist es nicht ermessensfehlerhaft, auch nach der Bestellung von Rechtsanwalt L. die Bestellung von Rechtsanwalt Y. als weiterem Pflichtverteidiger, der seine Kanzlei am Gerichtsort hat, zur Sicherung des Ver-fahrens aufrechtzuerhalten.

Darüber hinaus hat zum einen weder der Angeklagte noch einer der Mitverteidiger geltend gemacht, dass das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt Y. in irgendeiner Weise gestört sein könnte.
Andererseits ist Rechtsanwalt Y. ein dem Senat seit langem bekannter erfahrener Strafverteidiger, der auch fachlich ohne weiteres zur Wahrnehmung der Verteidigung des Angeklagten im vorliegenden Verfahren qualifiziert ist.
Es kann daher entgegen der Behauptung von Rechtsanwalt L. in seinem Schriftsatz vom 23. Dezember 2005 nicht davon die Rede sein, dass durch die Vorgehensweise des Strafkammervorsitzenden eine rechtsstaatlichen Ansprüchen genügende Verteidigung seines Mandanten unmöglich gemacht würde ( vgl. auch den o. g. Beschluss des hiesigen 3. Strafsenats vom 5. März 2004, der einen Fall betraf, in dem neben einem bereits tätigen Wahlverteidiger die gegen den Willen des Angeklagten erfolgte Bestellung eines am Gerichtsort ansässigen Pflichverteidigers bei Ablehnung der Bestellung einer vom Angeklagten gewünschten auswärtigen Pflichtverteidigerin bestätigt worden ist).

Danach war die Beschwerde, soweit sie die Bestellung bzw. die Ablehnung der Abberufung des Rechtsanwalts Y. als Pflichtverteidiger betrifft, mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.



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