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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss OWi 327/07 OLG Hamm

Leitsatz: Bei der Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, in den Urteilsgründen zumindest das angewendete Messverfahren und den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen.

Senat: 3

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Geschwindigkeitsüberschreitung; Feststellungen; standardisiertes Messverfahren; Toleranzabzug;

Normen: StPO 267

Beschluss:

Bußgeldsache
gegen C.C.
wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 22.01.2007 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 05. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Gelsenkirchen zurückverwiesen.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 04.05.2007 Folgendes ausgeführt:

„I.
Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat den Betroffenen mit Urteil vom 22.01.2007 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 48 km/h zu einer Geldbuße von 100,00 € verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt (Bl. 34 - 38 d.A.). Zugleich hat das Gericht „die 4-Monatsfrist“ gewährt. Gegen dieses in Anwesenheit des Betroffenen verkündete und ihm am 02.02.2007 zugestellte (Bl. 41 d.A.) Urteil hat der Betroffene mit am 24.01.2007 per Telefax bei dem Amtsgericht Gelsenkirchen eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tage Rechtsbeschwerde eingelegt (Bl. 29 f d.A.) und diese zugleich begründet.

Das Amtsgericht hat zur Sache folgende Feststellungen getroffen:

„Am 24.03.2006 befuhr er mit dem Pkw des Fabrikats VW, amtliches Kennzeichen XXXXXX, die Feldmarkstraße mit einer Geschwindigkeit von 98 km/h. Angesichts einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h - das entsprechende Teilstück der Feldmarkstraße befindet außerhalb einer geschlossenen Ortschaft - liegt eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 48 km/h vor. Der mit der Geschwindigkeitsmessung betraute Polizeioberkommissar C. nahm die Geschwindigkeitsmessung an Fahrzeugen vor, die aus Richtung Gelsenkirchen-Innenstadt sich bewegten. Aus der Gegenrichtung hörte der Zeuge C. ein lautes Motorgeräusch, welches vom Fahrzeug des Betroffenen stammte. Er sah sich um und nahm den Pkw des Betroffenen als auf die Messstelle zufahrend wahr. In Höhe der Messstelle bremste der Betroffene seinen Pkw ab, ließ die Scheibe der Fahrertür herunter und grinste den Zeugen C. an. Sodann beschleunigte er sein Fahrzeug. In Höhe der Messstelle befand sich das Fahrzeug ca. 15 m vom Zeugen C. entfernt, so dass er gute Sicht auf den Fahrer hatte. Sodann nahm der Zeuge C. im abschließenden Verkehr die oben aufgeführte Messung vor.

Unmittelbar nach Beendigung des Messvorgangs wurde die Gesamtmessung an der Messstelle abgebrochen und man begab sich auf die Dienststelle. Dort wurde eine Halterfeststellung des zum Kennzeichen gehörenden Halters vorgenommen. Da aber das Alter des Fahrzeughalters nicht mit dem Halter des vom Zeugen C. wahrgenommenen Fahrers passte, wurden Lichtbilder der Familie des Halters eingesehen. Der Zeuge C. stellte dabei fest, dass es sich bei dem Fahrer des Pkw’s zur Tatzeit um den Betroffenen handelte.

Vorstehende Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Betroffenen, soweit der gefolgt werden konnte sowie auf Verwertung sämtlicher im Hauptverhandlungsprotokoll vom 22.01.2007 aufgeführten Beweismittel.

Zwar lässt sich der Betroffene dahingehend ein, nicht mehr angeben zu können, ob er am Vorfallstag mit dem Fahrzeug unterwegs gewesen sei. Insbesondere sein Bruder M.C. führe das Fahrzeug regelmäßig. Die Täterschaft des Betroffenen steht jedoch fest aufgrund der glaubhaften Bekundung des Zeugen C.. Dieser war sich im Rahmen der Vernehmung absolut sicher, den Betroffenen als Fahrer wieder erkannt zu haben und wieder zu erkennen. Die vom Betroffenen als mögliche Fahrer benannten Zeugen M.C. und C.C. vermochten bei ihrer persönlichen Vernehmung keine anderweitigen Erkenntnisse zu verschaffen. Der Zeuge C.C. erklärte, er sei ganz sicher nicht gefahren, weil er keinen Führerschein habe. Der Zeuge M.C. gab an, keine Angaben mehr über die Fahrereigenschaft zur Vorfallszeit machen zu können. Das Gericht hat das äußere Erscheinungsbild der beiden Zeugen mit dem des Betroffenen verglichen. Hierbei hat das Gericht die Überzeugung erlangt, dass das äußere Erscheinungsbild derart unterschiedlich ist, dass eine Verwechslung nur schwerlich vorstellbar ist. Angesichts der Sicherheit, die der Zeuge C. bei seiner Zeugenaussage vermittelt, hält das Gericht eine Verwechslung mit dem Zeugen M.C. für ausgeschlossen.“

II.
Das Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt auf die bereits mit der Einlegung des Rechtsmittels erhobene Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen.

Die Überprüfung des Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht ergibt, dass die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung nicht tragen. Die Feststellungen sind lücken- und fehlerhaft, weil sie auf einer anhand der Urteilsgründe nicht nachvollziehbaren Beweiswürdigung beruhen.

Bei der Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, in den Urteilsgründen zumindest das angewendete Messverfahren und den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2005 - 1 Ss OWi 164/05 - und vom 07.10.2003 - 1 Ss OWi 632/03 -). Vorliegend enthält das angefochtene Urteil keinerlei Angaben über das bei der Geschwindigkeitsmessung angewandte Messverfahren, so dass für das Rechtsbeschwerdegericht nicht einmal erkennbar ist, ob es sich um ein standardisiertes Messverfahren gehandelt hat.

Auch die Höhe des vorgenommenen Toleranzabzuges ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Aus der vom Amtsgericht getroffenen Feststellung, dass der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von 98 km/h fuhr, welche angesichts einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 48 km/h ergebe, geht nicht hervor, ob und welchen Toleranzwert das Amtsgericht bei der Feststellung dieser Geschwindigkeit in Abzug gebracht hat. Bei standardisierten Messverfahren kann die ausdrückliche Angabe der Höhe des vorgenommenen Toleranzabzuges zwar dann entbehrlich sein, wenn das Gericht durch Benennung des Messgerätes konkludent zum Ausdruck gebracht hat, dass es die bei diesem Messgerät übliche Messtoleranz in Abzug gebracht und damit etwaige systemimmanente Messfehler berücksichtigt hat (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11.11.2003 - 1 Ss OWi 532/03 -). Das angefochtene Urteil enthält jedoch, wie bereits ausgeführt, weder Angaben zu dem angewandten Messverfahren, noch zu dem verwendeten Messgerät.

Das angefochtene Urteil hat aber auch deshalb keinen Bestand, weil die Ausführungen des Amtsgerichts, mit denen es seine Überzeugung begründet hat, der Betroffene sei mit dem Fahrzeugführer identisch, rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten. Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen allein auf die Aussage des Zeugen C., der den Betroffenen als Fahrer des Pkw wiedererkannt haben will. Als rechtsfehlerhaft zu beanstanden ist, dass sich das Amtsgericht mit der subjektiven Einschätzung des Zeugen, den Betroffenen wiedererkannt zu haben, nicht hinreichend kritisch auseinander gesetzt hat. Wenn ein Zeuge den ihm vorher unbekannten Betroffenen anlässlich der Tat nur kurze Zeit beobachten konnte, darf sich der Tatrichter nicht ohne weiteres auf die subjektive Gewissheit des Zeugen beim ersten Wiedererkennen verlassen, sondern muss anhand objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25.01.2005 - 1 Ss 454/049). Dazu gehört auch, dass das erkennende Gericht die näheren Umstände, unter denen der Zeuge den Täter bei der Tat gesehen hat, mitteilt und bei der Beweiswürdigung erörtert, insbesondere also Angaben dazu macht und sich mit ihnen auseinandersetzt, wie lange der Zeuge den Betroffenen gesehen hat, wie die Lichtverhältnisse waren und ob der Zeuge individuelle Merkmale der beobachteten Person wahrgenommen und beschrieben hat (zu vgl. OLG Hamm a.a.O.). Diesen Grundsätzen entspricht die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil nicht. Daher ist zu besorgen, dass sich das Amtsgericht allein auf die subjektive Sicherheit des Zeugen beim Wiedererkennen gestützt hat. Dies ist rechtsfehlerhaft.

Da bereits die auf die Sachrüge vorzunehmende rechtliche Nachprüfung ergeben hat, dass das angefochtene Urteil mit materiell-rechtlichen Fehlern behaftet ist und der Aufhebung unterliegt, bedurfte es der Auseinandersetzung mit der weiter - unzulässig - erhobenen Aufklärungsrüge nicht.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.



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