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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 135/07 OLG Hamm

Leitsatz: Allein das Wissen eines chronisch Alkoholabhängigen um den bei ihm regelmäßig eintretenden Kontrollverlust rechtfertigt nicht die Annahme, die Volltrunkenheit werde jeweils vorsätzlich und uneingeschränkt schuldhaft herbeigeführt. Der subjektive Tatbestand des § 323 a StGB erfordert zudem, dass für den Täter zumindest vorhersehbar ist, dass er im Rausch irgendwelche Ausschreitungen straf-
barer Art begehen wird.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Vollrausch; Vorsatz; Feststellungen

Normen: StGB 323 a

Beschluss:

Strafsache

gegen T.R.
wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 21. November 2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. 08. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts – Straf-
richter Essen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Durch das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Essen vom 21.11.2006 ist der Angeklagte wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Zugleich ist die Mitangeklagte M.L. wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und versuchter Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,- € verurteilt worden.

Das Amtsgericht hat zur Sache folgende Feststellungen getroffen:

„Am 31. 1. 2006 gegen 18.10 Uhr befanden sich die Angeklagten zusammen mit dem Zeugen P. sowie einer unbekannt gebliebenen Person im stark belebten Essener Hauptbahnhof vor dem Schnellrestaurant Burger King. Die Personengruppe war stark alkoholisiert. Die AngeklagteL. hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ca. eine 3/4 Flasche Korn getrunken. Der Angeklagte T. hatte ca. 2 Flaschen Korn konsumiert, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, dass er hierdurch in einen Rausch geriet, und konnte nur noch schwankend gehen. Infolge der Alkoholisierung kam es zu einem lautstarken Streit in der Personengruppe, wobei insbesondere die AngeklagteL. die Mitstreitenden sowie unbeteiligte Passanten anschrie.

Auf diesen Vorfall wurden zunächst die Polizeibeamten K. und G. sowie anschließend die Sicherheitsmitarbeiter der Bahn B. und K. aufmerksam. Die Polizeibeamten K. und G. sprachen die Personengruppe an, stellten die Personalien fest und sprachen gegen alle Mitglieder der Persongruppe Platzverweise aus, nachdem sie sich zuvor vergewissert hatten, dass keine Reiseabsichten bestanden.

Der Zeuge P. sowie die unbekannt gebliebene Person folgten diesem Platzverweis. Der Angeklagte hingegen lief auf die Polizeibeamten zu und schrie diese an, dass sie seine Freundin in Ruhe lassen sollten. Auf den nachfolgenden erneuten Platzverweis reagierte er dann mit den Worten „Wir gehen jetzt erst einmal etwas essen ihr Arschlöcher. Verpisst Euch!“. Daraufhin ging der Angeklagte in das Schnellrestaurant und schubste den Zeugen B. zur Seite, der nur mit Mühe einen Sturz vermeiden konnte. Der Zeuge K. folgte dem Angeklagten, fasste ihn an den Oberarm und erteilte ihm einen erneuten Platzverweis, was dazu führte, dass der Angeklagte T. mit den Armen um sich schlug und schrie. Der Polizeibeamte nahm den Angeklagten daraufhin in den Kreuzfesselgriff, um ihn zur Wache zu führen.

Die AngeklagteL. versuchte den Polizeibeamten K. hieran zu hindern, indem sie an dessen Arm riss und laut schrie. Daraufhin fasste die Polizeibeamtin G. die Angeklagte am Arm, um sie ebenfalls zur Wache zu führen, wobei die Angeklagte versuchte, sich ständig mittels Herumreißen des Oberkörpers aus dem Griff zu entwenden.

An der Treppe in der Nähe der Wache riss sich der Angeklagte T. plötzlich los und ging mit Zeigen der Fäuste in Angriffstellung, um den Zeugen K. zu schlagen. Dieser kam dem Angeklagten zuvor, brachte ihn zu Boden und fixierte ihn mit Handfesseln. Die AngeklagteL. versuchte dies zu verhindern, boxte um sich und riss so stark am Kragen des Polizeibeamten, dass dieser für einen Moment keine Luft bekam und vom Angeklagten T. ablassen musste. Währenddessen titulierte die Angeklagte die Polizeibeamten als „Wichser“ und „Arschlöcher“. Hierauf kam der Zeuge B. der Polizeibeamtin K. zur Hilfe und die Angeklagte wurde zu Boden gebracht. Die Angeklagte erlitt hierdurch ein starkes Hämatom am Ober- und Unterlid des linken Auges.

Sodann forderte die Polizeibeamtin G. Verstärkung an, die wenige Augenblicke später eintraf. Die Polizeibeamten R. und F. führten den Angeklagten T. zur Wache. Die AngeklagteL. wurde ebenfalls in die Wache verbracht.

Eine dem Angeklagten T. um 19.50 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen ADH-Wert von 3,04 o/oo und einen GC-Einzelwert in Höhe von 3,1 o/oo. Aufgrund dieser starken Alkoholisierung ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte infolge einer lntoxikationspsychose, im Zeitpunkt der Tat nicht steuerungsfähig war.

Eine der AngeklagtenL. um 19.31 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,32 o/oo.

Am folgenden Tag erstatteten die Angeklagten Strafanzeige gegen den Polizeibeamten K..“

Beide Angeklagte wenden sich gegen die Verurteilung mit ihren jeweils eingelegten Revisionen, die unter näheren Ausführungen begründet worden sind.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat die Revisionen ohne Antrag vorgelegt.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten T. hat mit der Sachrüge Erfolg. Über die Revision der AngeklagtenL. wird der Senat gesondert entscheiden.

Die von dem Angeklagten T. erhobene materielle Rüge hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Der Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils betreffend den Angeklagten T. hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand, denn die Feststellungen des Urteils sind lückenhaft. Sie tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrausches nicht. Soweit das Amtsgericht ausführt, dass der Angeklagte T. alkoholabhängig sei und am Tattage zwei Flaschen Korn konsumiert habe, wobei er zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass er hierdurch in einen Rausch gerate, sind diese Feststellungen zum Vorsatz beim Berauschen bereits nicht hinreichend mit Tatsachen belegt. Allein das Wissen eines chronisch Alkoholabhängigen um den bei ihm regelmäßig eintretenden Kontrollverlust rechtfertigt nicht die Annahme, die Volltrunkenheit werde jeweils vorsätzlich und uneingeschränkt schuldhaft herbeigeführt (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 299). Wegen vorsätzlichen Vollrausches kann nur bestraft werden, wer sich wissentlich und willentlich in einen rauschbedingten Zustand der (möglichen) Schuldfähigkeit versetzt hat (vgl. BGH BA 2000, 183). Der zumindest erforderliche bedingte Vorsatz ist gegeben, wenn es der Täter bei dem Genuss von Rauschmitteln für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er sich dadurch in einen Rauschzustand versetzt, der seine Einsichtsfähigkeit oder sein Hemmungsvermögen jedenfalls erheblich vermindert, wenn nicht ganz ausschließt. Ausführungen dazu, welche Vorstellungen der Angeklagte über die Auswirkungen seines Alkoholkonsums hatte, als er sich betrank, enthält das angefochtene Urteil aber nicht. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich nicht hinreichend entnehmen, dass der Angeklagte mit dem Eintritt von Schuldunfähigkeit als Folge seines Alkoholkonsums gerechnet hat oder dass er voraussehen konnte, dass er in einen alkoholbedingten Rausch geraten würde und dieses gewollt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen hat. Zwar enthält das Urteil aufgrund der Angabe der Blutalkoholkonzentration des Angeklagten von maximal 3,54 o/oo hierfür gewichtige Anhaltspunkte. Der Senat würde jedoch bei einer Bejahung des Vorsatzes unter Berücksichtigung dieses Umstandes unzulässigerweise seine eigene Beweiswürdigung an die Stelle der fehlenden Würdigung des Tatgerichts setzen.

Der subjektive Tatbestand des § 323 a StGB erfordert zudem, dass für den Täter zumindest vorhersehbar ist, dass er im Rausch irgendwelche Ausschreitungen straf-
barer Art begehen wird (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., Rdnr. 18 zu § 323 a m.w.N.; BGHSt 10, 247). Auch damit befasst sich das angefochtene Urteil nicht. Zwar geht aus den Urteilsgründen hervor, dass der Angeklagte seit Jahren Alkoholiker ist und vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, u.a. auch unter der Einwirkung von Alkohol. Seine strafbaren Handlungen der letzten Jahre enthalten jedoch keinerlei „Ausschreitungen“ i.S.d. § 323 a oder Gewaltdelikte, vielmehr im Wesentlichen BtM-Delikte, Diebstähle und Straßenverkehrsdelikte. Wegen Gewaltdelikten ist der Verurteilte zuletzt im Jahre 1981 noch nach Jugendrecht verurteilt worden. Angesichts dieser Sachlage ergibt sich nicht ohne Weiteres, dass für den Angeklagten zumindest vorhersehbar war, dass er im Rausch irgendwelche Ausschreitungen strafbarer Art begehen werde.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils begegnen darüber hinaus insoweit durchgreifenden rechtlichen Bedenken, als das Amtsgericht davon ausgeht, der Angeklagte T. habe im Rausch eine versuchte Körperverletzung begangen. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass aus den Feststellungen nicht ersichtlich wird, in welcher Rauschhandlung des Angeklagten das Gericht diesen Versuch sieht. Soweit das Amtsgericht darauf abstellen will, dass der Angeklagte T. mit den Armen um sich geschlagen habe, nachdem er von dem Polizeibeamten K. an den Oberarm gefasst worden sei, kann den Feststellungen nicht entnommen werden, dass es dem Angeklagten darum ging, den Zeugen K. zu verletzen. Denkbar und naheliegend ist vielmehr, dass der Angeklagte lediglich beabsichtigte, sich des Griffes des Polizeibeamten zu erwehren. Soweit die Feststellungen weiter ausführen, dass der Angeklagte sich an der Treppe in der Nähe der Wache plötzlich losgerissen und mit Zeigen der Fäuste in Angriffstellung gegangen sei, um den Zeugen K. zu schlagen, belegt dies ebenfalls nicht die Feststellung des Tatbestandes der versuchten Körperverletzung. Insoweit fehlt es am unmittelbaren Ansetzen zur Tat (§ 22 StGB); eine bloße Drohgebärde ist hierzu nicht ausreichend. Soweit sich ein Ansetzen zu einer Körperverletzungshandlung gemäß § 223 StGB im Rahmen der erneuten Verhandlung nicht feststellen lassen wird, weist der Senat vorsorglich auf die sodann gegebene Beschränkung des Strafrahmens nach § 323 a Abs. 2 StGB, § 113 Abs. 1 StGB hin.

Aufgrund der aufgezeigten Mängel konnte das angefochtene Urteil - ohne dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge bedurfte - keinen Bestand haben.



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