Aktenzeichen: 3 Ss 262/07 OLG Hamm |
Leitsatz: Die Beweiswürdigung lückenhaft, wenn die Mitteilung, ob bzw. wie sich der Ange-klagte zur Sache eingelassen hat, fehlt. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Beweiswüdigung; Lücke; Einlassung; Mitteilung |
Normen: StPO 261 |
Beschluss: Strafsache gegen S.O. wegen Sexuellen Mißbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses pp. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 18. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 23.02.2007 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 09. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhö-rung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten einstimmig beschlossen: Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache wird zu neuer Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Ange-klagte vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs unter Ausnutzung eines Be-handlungsverhältnisses wegen des Berührens des Hodensacks bei der Ein-gangsuntersuchung des Geschädigten H. freigesprochen ist. Gründe I. Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten mit Urteil vom 10.05.2006 wegen uner-laubten Handeltreibens mit Arzneimitteln, wegen sexuellen Mißbrauchs unter Aus-nutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, wegen Anstiftung zum Dieb-stahl und wegen Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Es hat ferner ein Berufsverbot für die Dauer eines Jahres verhängt. Gegen das Urteil haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Berufung eingelegt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht Essen wie folgt entschieden: Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 10.05.2006 (37 Ls 52/04) dahingehend teilweise abgeändert, dass der Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen, Anstiftung zum Diebstahl und Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberau-bung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr kostenpflichtig verurteilt wird. Die Vollstreckung der Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Dem Angeklagten wird für die Dauer von 1 Jahr untersagt, den Beruf des Arztes auszuüben. Die weitergehen-den Berufungen werden verworfen. Gegen das Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt. Er erhebt Verfahrensrügen und rügt die Verletzung materiellen Rechts in allgemeiner Form. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. II. Der Angeklagte war als praktischer Arzt, spezialisiert auf die Methadonsubstituierung von Drogenpatienten, tätig. Der Angeklagte entwickelte zu M. ein väterliches Ver-hältnis. Nach den Feststellungen des Landgerichts forderte der Angeklagte im Som-mer 2002 den von ihm mit Methadon substituierten D.M. auf, bestimmte, von ihm benannte, Gegenstände zu stehlen, um einen Ausgleich für die durchgeführte (und ansonsten nicht honorierte) Methadonsubstitution zu erhalten. Entsprechend der Auf-forderung des Angeklagten stahl M. mindestens drei Herrenanzüge zum Verkaufs-preis von 200 bis 300 Euro. Nachdem M. den Angeklagten in einem eigenen Strafverfahren als Anstifter zu den Diebstählen angegeben hatte, beauftragte der Angeklagte zwei Männer, den M. in seine Praxis zu verbringen, wo er einen ihm diktierten Widerruf der Beschuldigung niederschreiben sollte. Der Angeklagte ging dabei davon aus, dass M. nicht freiwillig mitgehen, sondern nur mit Gewalt oder unter Drohungen zum Mitgehen zu bewegen sei. Die beiden Männer passten M. im März 2004 vor seiner Wohnung ab und schlu-gen ihn. So eingeschüchtert folgte M. ihnen in die Praxis des Angeklagten und unter-schrieb dort im Beisein des Angeklagten und unter Fortwirken der Einschüchterung durch die vorangegangene Gewaltanwendung den Widerruf. Im Juli/August 2003 substituierte der Angeklagte auch den C.H. mit Methadon. Des-sen Strafvollstreckung war nach § 35 BtMG zurückgestellt worden. Der Angeklagte machte ihm gegenüber sexuelle Anspielungen und nannte ihn Bumsiboy. Während eines der Termine sprach der Angeklagte H. auf eine angebliche Vorhautverengung an, sagte, er (der Angeklagte) habe dicke Eier und fordert H. auf, sein Ge-schlechtsteil zu entblößen. Der Aufforderung kam er nach, weil er seine Methadon-subsitution nicht gefährden wollte. Sodann entblößte der Angeklagte auch sein Ge-schlechtsteil und erklärte, dass nun eine engere Beziehung zwischen beiden bestün-de. Zugleich fasste der H. an den Penis und zog die Vorhaut mehrfach vor und zu-rück. An einem anderen Tag forderte der Angeklagte H. erneut auf, sein Ge-schlechtsteil zu entblößen. Auch hier gab H. nur nach, um seine Subsitution nicht zu gefährden. Der Angeklagte rieb daraufhin mit zwei Fingern am Damm des Geschä-digten. III. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg. 1. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Tatrichters unterliegt einer eingeschränkten Prüfung des Revisionsgerichts. Es darf die Beweiswürdigung nur auf Rechtsfehler überprüfen. Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung insbesondere, wenn sie in sich wider-sprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denk- und Erfahrungssätze ver-stößt (BGH NStZ 1983, 277, 278; OLG Hamm Beschl. v. 29.08.2001 2 Ss 488/01; M.-Goßner § 337 Rdn. 27). Vorliegend ist die Beweiswürdigung lückenhaft, denn es fehlt die Mitteilung, ob bzw. wie sich der Angeklagte zur Sache eingelassen hat. Prozessual (§ 267 StPO) ist zwar die Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten nicht ausdrücklich vorge-schrieben. Eine solche Verpflichtung des Tatrichters ergibt sich jedoch aus der Not-wendigkeit, dass das Revisionsgericht überprüfen können muss, ob die tatrichterliche Beurteilung auf rechtlich zutreffenden Erwägungen beruht. Eine entsprechende Erör-terung und Würdigung ist dann notwendig, wenn das Revisionsgericht nur aufgrund dieser Grundlage nachprüfen kann, ob das materielle Recht richtig angewendet wor-den ist und ob die Denk- und Erfahrungssätze richtig angewendet worden sind (BGH NStZ-RR 1997, 172; BGH NStZ-RR 2002, 243; OLG Hamm Beschl. v. 21.11.2002 5 Ss 1016/02; KG Beschl. v. 09.10.2000 (3) 1 Ss 154/00 - 53/00). Nur bei sachlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen (ein solcher liegt hier nicht vor) kann gegebe-nenfalls auf eine Auseinandersetzung mit den Angaben des Angeklagten ohne Ver-stoß gegen die materiellrechtliche Begründungspflicht verzichtet werden (OLG Hamm a.a.O.). Aufgrund der im Rahmen der revisionsrechtlichen Überprüfung dem Senat allein zur Verfügung stehenden Angaben in der Urteilsurkunde ist es nicht möglich festzustel-len, ob sich der Angeklagte zur Sache eingelassen hat oder nicht bzw. in welchem Umfang und ob das Landgericht seine Einlassung umfassend anhand der sonstigen Beweismittel gewürdigt hat. Der Umstand, dass zu Beginn der Beweiswürdigung ausgeführt wird, dass die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und zur Tätigkeit des Angeklagten als Methadonarzt im Jahre 2002 und 2003 (auch) auf den Angaben des Angeklagten beruhen, die Beweiswürdigung zur Sache aber wesentlich anhand der Aussagen der beiden Geschädigten vorgenommen wird, könnte darauf hindeuten, dass sich der Angeklagte zur Sache selbst nicht eingelassen hat. An die-ser Annahme sieht sich der Senat indes gehindert, weil an zwei Stellen in der Be-weiswürdigung wenn auch nicht eindeutig auf vom Angeklagten gemachte Anga-ben Bezug genommen wird. So heißt es auf UA S. 38, dass die Kammer es nicht für notwendig erachtete einem gestellten Antrag nachzugehen, zumal der Verteidiger bzw. der Angeklagte dazu auch auf Nachfrage der Kammer in der Hauptverhandlung keinen nähere Angaben machen konnten. Diese Passage lässt sowohl die Deutung zu, dass nur der Verteidiger Angaben, aber keine näheren gemacht hat, als auch, dass der Angeklagte solche gemacht hat, nur eben keine näheren. Auf UA S. 39 heißt es dann: Die Kammer hat zu Gunsten des Angeklagten das von ihm behaupte-te Gespräch mit Rechtsanwalt P. .... Hier ist eine Deutung als Einlassung des Angeklagten naheliegend. Aus dem Urteil ist letztendlich aber nicht erkennbar, ob dies (sofern man die Angaben als Einlassung des Angeklagten verstehen will) die einzigen Einlassungen zur Sache waren. Dem Senat ist es demnach mit den im Revisionsverfahren zulässigen Erkenntnis-quellen nicht möglich, festzustellen, in wie weit der Angeklagte sich zur Sache einge-lassen hat und ob die Beweiswürdigung im Hinblick auf die Einlassung des Ange-klagten frei von Rechtsfehlern ist. Schon dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere klei-ne Strafkammer des Landgerichts (§ 354 Abs. 2 StPO). Der Senat weist darauf hin, dass es sich regelmäßig anbietet, zu Beginn der Be-weiswürdigung klarzustellen, ob der Angeklagte sich zur Sache eingelassen hat oder nicht und ggf. der Beweiswürdigung eine in sich geschlossene Darstellung der Ein-lassung des (die Tat bestreitenden) Angeklagten voranzustellen. 2. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass auch die Strafzumessungserwägun-gen des Landgerichts nicht frei von Rechtsfehlern sind. So verhängt das Landgericht für drei der vier Taten Einzelfreiheitsstrafen von weniger als 6 Monaten, ohne darzu-legen, worin es die Voraussetzungen für das Vorliegen des gesetzlichen Ausnahme-falls kurzer Freiheitsstrafen gem. § 47 StGB erblickt. Um so bedenklicher ist dies, als das Landgericht selbst eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung nicht für geboten hält (UA S. 72). 3. Soweit der Angeklagte aus Rechtsgründen nicht wie ihm in der Anklage zur Last gelegt worden und wie er auch in erster Instanz verurteilt worden war wegen des des Berührens des Hodensacks des C.H. bei der Eingangsuntersuchung verurteilt worden ist (UA S. 61), war der Tenor des angefochtenen Urteils entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu berichtigen. Im übrigen war die Revision insoweit als unzulässig zu verwerfen, da der Angeklagte durch die Nichtverurteilung nicht beschwert ist. |
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