Aktenzeichen: 1 VAs 71 u. 72/05 OLG Hamm |
Leitsatz: Zur Zurückstellung der Strafvollstreckung |
Senat: 1 |
Gegenstand: Justizverwaltungssache |
Stichworte: Strafvollstreckung; Zurückstellung; Schwere der Tat; Umfang der Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht |
Normen: StPO 456a |
Beschluss: Justizverwaltungssache betreffend den Strafgefangenen C.C. wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden (hier: Entscheidung nach § 456 a StPO) Auf den Antrag des Betroffenen vom 17. Oktober 2005 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Bonn vom 05. Juli 2005 in der Form des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Köln vom 14. September 2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17. 01. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen: Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen. Der Geschäftswert wird auf 2.500,00 festgesetzt. Gründe: I. Der Betroffene ist türkischer Staatsangehöriger. Die erste große Strafkammer des Landgerichts Bonn verurteilte ihn auf Grund der in der Zeit vom 27. März 2000 bis zum 10. Mai 2002 an 103 Tagen durchgeführten Hauptverhandlung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Jahren. Die Entscheidung ist seit dem 27. Februar 2004 rechtskräftig. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene im Tatzeitraum zwischen 1995 und 1998 in allen Fällen mit verhältnismäßig großen Mengen Heroin - jeweils im Kilobereich - Handel getrieben oder zum Handeltreiben Beihilfe geleistet. Zwei Drittel der gegen den Betroffenen verhängten Strafe waren am 08. August 2005 verbüßt, das Strafende datiert auf den 10. April 2009. Mit Bescheid vom 20. April 2005, bestandskräftig seit dem 03. Juni 2005 , hat der Landrat des Rhein-Sieg-Kreises die unbefristete Ausweisung des Betroffenen angeordnet. Bereits mit Schriftsatz vom 16. Juni 2004 beantragte der Betroffene die Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 456 a StPO. Zur Begründung hat er ausgeführt, er befinde sich inzwischen bereits mehr als sechs Jahre unter erschwerten Bedingungen in Haft. Er habe sich zunächst längere Zeit in Isolierhaft befunden und sei auch jetzt besonders haftempfindlich, weil er nur über eingeschränkte Deutschkenntnisse verfüge und "selten bis gar keine Besuche" erhalte. Von Vollzugslockerungen, sowie von berufsfördernden Maßnahmen sei er auf Grund der bestehenden ausländerrechtlichen Problematik ausgeschlossen. Gleichwohl habe er sich im Vollzug bisher beanstandungsfrei geführt. Das öffentliche Interesse gebiete auch keine weitere Strafvollstreckung, weil er bei den ihm zur Last gelegten Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz lediglich in einer Helferrolle gewesen sei. Mit Schreiben vom 14. Juli 2004 teilte die Staatsanwaltschaft Bonn dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen daraufhin mit, dass eine Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung noch nicht in Betracht komme, weil eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung bislang nicht vorliege. Nachdem der Landrat des Rhein-Sieg-Kreises mit - inzwischen bestandskräftigem - Bescheid vom 20. April 2005 die Ausweisung des Betroffenen angeordnet hatte, beantragte der Betroffene mit Schriftsatz vom 28. Juni 2005, die Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 456 a StPO noch einmal zu überprüfen, da nunmehr die Voraussetzungen für eine Abschiebung gegeben seien. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat diesen Antrag mit Entschließung vom 05. Juli 2005 zurückgewiesen, weil bei Rauschgifttätern mit internationalen Beziehungen das öffentliche Interesse an der nachhaltigen Strafverfolgung vorrangig zu berücksichtigen sei. Das Landgericht Bonn habe in dem Urteil vom 10. Mai 2002 festgestellt, dass der Betroffene fremde Heroingeschäfte erheblich gefördert habe und in den organisierten Rauschgifthandel der Brüder B. eingebunden gewesen sei. Der Betroffene hat diese Entscheidung in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten und darin u. a. ausgeführt, er sei lediglich ein Befehlsempfänger des damaligen Mitangeklagten B. gewesen. Von diesem sei er "instrumentalisiert" worden und habe lediglich die Rolle eines austauschbaren Helfers eingenommen, der die eigentlichen Geschäfte weder überblicken noch maßgeblich beeinflussen konnte. In einer der Beschwerdeschrift seines Verfahrensbevollmächtigten beigefügten eigenen Erklärung hat der Betroffene angemerkt, er habe niemals einen engen Kontakt zu B. unterhalten und sei nur "wegen des Tatbestandes der Unterschlupfgewährung zu 11 Jahren Haft verurteilt" worden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Beschwerde mit Bescheid vom 14. September 2005 verworfen und unter Bezugnahme auf die Entschließung der Staatsanwaltschaft vom 05. Juli 2005 ergänzend ausgeführt, dass das Ausmaß der Schuld des Betroffenen sich bereits aus den Ausführungen des Landgerichts zur Strafzumessung ergebe. Hinsichtlich der Taten in den Jahren 1995/1996 sei in den Urteilsgründen festgehalten, dass der Betroffene in allen drei Fällen mit verhältnismäßig großen Mengen Heroin Handel getrieben habe (5 kg, 11,5 kg, sowie Anbahnung eines weiteren Heroingeschäftes über 5 kg). Ähnlich verhalte es sich mit den Ausführungen der Strafkammer zu den Taten in den Jahren 1997/1998. Der Betroffene sei somit in die international tätige Tätergruppierung der Brüder B. als Besteller und Geldkurier eingebunden gewesen. Auch unter Berücksichtigung der familiären und sozialen Belange des Betroffenen und seiner besonderen Haftempfindlichkeit sei die weitere Strafvollstreckung geboten. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. II. Der Antrag ist gem. §§ 23 ff. EGGVG zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, gegenwärtig noch nicht von der weiteren Strafvollstreckung abzusehen, ist nicht zu beanstanden. Die angefochtene Entscheidung unterliegt nicht unbeschränkt gerichtlicher Nachprüfung. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gem. § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung fehlerhaft verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Um die gerichtliche Nachprüfung der Ermessensausübung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (OLG Hamm NStZ 1983, S. 524; OLG Hamburg, StV 1996, S. 328; OLG Karlsruhe, ZfStrVO 2000, S. 251). Diese eingeschränkte Überprüfung ergibt hier keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen. Zutreffend hat die Vollstreckungsbehörde auf den hohen Unrechtsgehalt der abgeurteilten Straftaten abgestellt, der auch in der Höhe der verhängten Einzelstrafen (zusammengerechnet 52 Jahre) und der Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Jahren zum Ausdruck kommt. Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen hat der Betroffene an zahlreichen Heroingeschäften "im Kilogrammbereich" mitgewirkt und dabei - entgegen der Darstellung des Betroffenen - auch nicht eine nur ganz untergeordnete Rolle gespielt. Dabei habe der Betroffene im Hinblick auf die Provisionsabrede mit dem gesondert verfolgten D. in allen Fällen ein erhebliches eigenes Interesse am Taterfolg gehabt. Nur im Hinblick auf die dem Betroffenen außerdem zur Last gelegten Beihilfehandlungen ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass der Angeklagte lediglich die Funktion eines "grundsätzlich austauschbaren Helfers" gehabt habe. Gleichwohl sei er sich aber bewusst gewesen, dass er fremde Heroingeschäfte von erheblichem Umfang förderte. Auch darin, dass die Staatsanwaltschaft Bonn und der Generalstaatsanwalt in Köln bei Vornahme einer Abwägung das mit den Umständen der Tat und der Schwere der Schuld begründete öffentliche Interesse an einer weiteren Strafverbüßung über das des Antragstellers an einem Leben außerhalb Deutschlands unter Berücksichtigung seiner persönlichen und familiären Situation gestellt haben, ist ein fehlerhafter Ermessensgebrauch nicht zu erkennen, denn die Strafvollstreckungsbehörde hat diese Umstände hinreichend berücksichtigt. Außergewöhnliche Belastungen, die über solche hinausgehen, die üblicherweise mit dem Strafvollzug eines zur Ausreise verpflichteten ausländischen Gefangenen verknüpft sind, liegen ersichtlich nicht vor. Der Betroffene befindet sich offenbar in einem guten gesundheitlichen Zustand; behandlungsbedürftige Erkrankungen bestehen nicht. Die Staatsanwaltschaft hat mit ihrer Entschließung auch nicht gegen sie bindende Verwaltungsvorschriften verstoßen. Nach Ziff. 1 der Rundverfügung des Justizministers NW vom 20. August 1985 (9.174-III A 29) ist zwar in der Regel von einer Vollstreckung nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Strafe bei der Anwendung des § 456 a StPO abzusehen. Nach Ziff. 3 dieser Rundverfügung kommt aber eine darüber hinaus gehende Vollstreckung jedenfalls dann in Betracht, wenn dies aus besonderen in der Tat und in der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten ist. Die Voraussetzungen, an welche diese Verwaltungsvorschriften die Strafvollstreckung knüpfen, sind hier unzweifelhaft gegeben. Im Übrigen hat aber auch der Gesetzgeber durch die Einführung des § 456 a StPO die Möglichkeit, bei Ausländern von der Strafvollstreckung abzusehen, keineswegs im Interesse solcher Ausländer geschaffen, um diese gegenüber deutschen Strafgefangenen zu begünstigen, sondern aus rein fiskalischen Erwägungen, um inländische Stellen von der Last der Vollstreckung von Straftaten gegen Ausländer befreien zu können (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 23. November 2005 - 1 VAs 59/05). Die genannten gesetzgeberischen Motive hindern zwar nicht daran, die persönlichen Verhältnisse eines Verurteilten bei der zu treffenden Entscheidung angemessen zu berücksichtigen. Diese stehen aber - anders als bei anderen im Rahmen der Strafvollstreckung zu treffenden Entscheidungen - nicht im Vordergrund. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung war deshalb als unbegründet zu verwerfen. Wie der Generalstaatsanwalt in Hamm in seiner Stellungnahme vom 2.Dezember 2005 jedoch mitgeteilt hat, wird die Staatsanwaltschaft Bonn nicht auf der Vollstreckung der vollständigen Freiheitsstrafe bestehen, sondern demnächst erneut überprüfen, ob eine Maßnahme nach § 456a StPO dann zu verantworten ist. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO. |
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